Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 10.09.2009, Az.: 6 A 104/09
Apostasie; Apostasy Bill; Asyl; Asylbewerber; Asylfolgeantrag; Asylfolgeverfahren; Ausländer; Bekenntnis; Christ; Christentum; evangelisch-freikirchlich; Folgeantrag; Gefahr; Gemeinschaft; Glauben; Glaubenswechsel; Iran; Konvertit; Muslim; Nachfluchtgrund; Religion; Religionsfreiheit; Todesstrafe; Verfolgung; Verfolgungsgefahr; Änderung der Rechtslage; Übertritt
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 10.09.2009
- Aktenzeichen
- 6 A 104/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 50663
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 71 AsylVfG 1992
- § 60 Abs 1 AufenthG 2004
- Art 10 Abs 1b EGRL 83/2004
- § 51 Abs 1 Nr 1 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Zur Änderung der entscheidungserheblichen Sachlage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) im Hinblick auf die Situation von Christen im Iran.
2. Vom Islam zum Christentum übergetretenen Mitgliedern evangelisch-freikirchlicher Gemeinschaften droht im Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung.
Tatbestand:
Der Kläger, ein am x. X 1978 in G. (Iran) geborener iranischer Staatsangehöriger, stellte am 3. Juli 2000 einen Asylantrag. Dabei gab er an, schiitischer Muslim zu sein und im Iran ein Verhältnis mit der 21 Jahre alten Ehefrau seines 50 Jahre alten Onkels, der Bauunternehmer und zugleich Vizechef des Nachrichtendienstes von G. gewesen sei, gehabt zu haben. Am 30. Mai 2000 seien sie im Haus seines Onkels von diesem überrascht worden. Ihm sei die Flucht über das Dach des Hauses gelungen. Sein Onkel habe ihn bis in seine Wohnung verfolgt und bei der Verfolgung auf ihn geschossen. Dennoch habe er zu einem Freund flüchten können. Von dort sei er nach Teheran gefahren. Ein anderer Onkel habe seine Ausreise zu Fuß über die Grenze in die Türkei organisiert.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt -) lehnte mit Bescheid vom 8. Mai 2001 den Asylantrag unanfechtbar als offensichtlich unbegründet ab. Es stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht vorlagen und dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben waren. Daneben drohte es dem Kläger die Abschiebung in den Iran oder einen anderen Staat an.
Am 19. Januar 2007 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag. Zu dessen Begründung erklärte der Kläger in seiner schriftlichen Antragsbegründung, er habe sich in den letzten Jahren zum christlichen Glauben hingewandt. Nach der Ablehnung seines Asylantrags sei er heroinabhängig geworden und habe mit Drogen gehandelt, um seine Sucht zu finanzieren. Schließlich sei er im Gefängnis gelandet, wo er sich zu einer Entgiftung entschlossen habe. Er habe den harten Entzug durchgehalten, sei aber nach der Haftentlassung wieder abhängig geworden. Nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch und einer Operation habe er Kontakt mit der Organisation H. bekommen, sei aber wieder ins Gefängnis gekommen. Nach seiner Haftentlassung habe er in der Bibel gelesen und sich für den christlichen Glauben entschieden. Zugleich habe er eine Therapie beim Neuen Land gemacht, wo er jetzt in der christlichen Drogenarbeit tätig sei. Hierzu legte der Kläger eine Bescheinigung des Diplom-Sozialpädagogen I. von der Drogenberatung H., J., vor, wonach der Kläger seit Mai 2005 für die Organisation ehrenamtlich regelmäßig in den Bereichen Streetwork, K. -Bistro und Kontaktcafé L. in der christlichen Arbeit mit Drogenabhängigen tätig sei. Er übernehme regelmäßig die Andachten, finde oft einen guten Zugang zu den Drogenabhängigen und sei in der Drogenszene inzwischen sehr bekannt. Daneben legte der Kläger eine Bescheinigung des Pastors M. N. von der Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde J. vom 29. Dezember 2006 vor, wonach der Kläger seit eineinhalb Jahren zum Freundeskreis der Gemeinde zähle, regelmäßig die Gottesdienste besuche, voraussichtlich Pfingsten 2007 getauft werde und mit seiner Zuwendung zu Christus eine glaubwürdige Veränderung seines Lebens erfahren habe.
Bei seiner persönlichen Anhörung am 22. Februar 2007 erklärte der Kläger ergänzend, dass er sich während seiner Langzeittherapie bei H. dazu entschlossen habe, den Glauben zu wechseln und zum Christentum überzutreten. Nach dem Ende der Therapie habe er seine Erfahrungen mit der Nächstenliebe und im Glauben weitergeben wollen und deswegen mit der Drogenarbeit zusammengearbeitet. Seit Mai 2005 sei er ständig in der Straßenarbeit engagiert. Der Hauptgrund dafür, dass der islamische und der christliche Glauben nicht nebeneinander gelebt werden könnten, sei die Vergebung der Sünden, die es im Islam nicht uneingeschränkt geben könne. Außerdem begeistere ihn die Person Jesus, der nicht nur als Prophet, sondern als Gottes Sohn zu den Menschen gekommen sei.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens heiratete der Kläger seine deutsche Ehefrau. Daneben legte er die Taufbescheinigung der Gemeinde A. vom x. x 2007 sowie die Bescheinigung derselben Gemeinde über die kirchliche Trauung am x. x 2007 vor.
Mit einem Bescheid vom 10. Juli 2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und den Antrag auf Änderung des Bescheides vom 8. Mai 2001 bezüglich der Feststellung zu § 53 AuslG (a.F.) ab.
Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Glaubenswechsel des Klägers keine Änderung der Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG darstelle. Soweit der Wechsel zum christlichen Glauben ohne jegliche politische Betätigung einhergehe, gebe es im staatlichen iranischen Recht keine Vorschrift, die diesen unter Strafe stelle. Für einen in Deutschland zum Christentum konvertierten früheren Muslim sei eine konkrete Gefährdung nur dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, wenn eine missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position nach außen erkennbar und nachhaltig mit Erfolg ausgeübt werde, oder wenn der Betreffende als Kirchenführer oder in der Öffentlichkeit besonders aktiv sei. Die Missionierung in Deutschland allein werde nach Einschätzung des Deutschen Orient-Instituts im Iran nicht als die Belange des Iran betreffend angesehen, sofern nicht besondere Umstände hinzukämen. Solche besonderen Umstände habe der Kläger nicht vorgetragen, zumal ihm noch im Januar 2007 ein iranischer Pass erteilt worden sei. Das religiöse Existenzminimum sei im Iran auch für Apostaten gesichert, denn diese könnten an Gottesdiensten bei Zusammenkünften der im Iran existierenden Hausgemeinschaften von Christen teilnehmen.
Der Kläger hat am 23. Juli 2007 Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erhoben, die Klage aber in der mündlichen Verhandlung am 10. September 2009 zurückgenommen, soweit sie auf Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung als Asylberechtigter gerichtet war.
Zur Klagebegründung vertritt der Kläger die Auffassung, dass sich mit dem In-Kraft-Treten des Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG als nationales Recht am 10. Oktober 2006 die Rechtslage zu Gunsten des Klägers geändert habe, weil jetzt wie in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ausgedrückt auch die nur faktische Ausübung der Religion sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich unter Schutz gestellt werde. Über die Rechtsänderung sei der Kläger im Gespräch mit seinem Prozessbevollmächtigten am 11. Dezember 2006 in Kenntnis gesetzt worden. Er müsse davon ausgehen, dass der iranische Staat nicht bereit und willens sei, ihn gegen die im Iran üblichen Angriffe aus der eigenen Verwandtschaft oder den Reihen der Bassij-Milizen zu schützen. Dass ein Konvertierter in herausgehobener Position missionieren müsse, um gefährdet zu sein, ergebe sich auch nicht aus dem von der Beklagten zitierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes, der selbst Benachteiligungen nicht missionierender Christen konstatiere. Vielmehr richteten sich die staatlichen Maßnahmen nach dem Lagebericht sowohl gegen Kirchenführer als auch gegen in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen. Auch er könne aber sein durch das soziale und religiöse Engagement geprägtes Verhalten auch für den Fall einer Rückkehr in den Iran nicht mehr ändern. Der Umstand, dass ihm ein iranischer Pass erteilt worden sei, sei in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, denn davon, dass der Iran an seiner Person in Deutschland kein Verfolgungsinteresse habe, gehe auch er aus.
Der Kläger legt mit der Klagebegründung eine Bescheinigung der Diplom-Sozialpädago-gin Jelinek von der H. -Drogenberatung vom 18. November 2008 vor, in der bescheinigt wird, dass der Kläger an dem missionarischen Sommereinsatz mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Kirchengemeinden an verschiedenen Orten der Drogenszene in J. teilgenommen habe und weiterhin regelmäßig im K. -Bistro ehrenamtlich mitarbeite. Er legt ferner eine Mitgliedskarte des O. Verbands Landeskirchlicher Gemeinschaften e.V. vom 26. Juli 2009 sowie eine Bescheinigung der Gemeinschaft vom 24. August 2009 vor, derzufolge der Kläger die Arbeit der Gemeinschaft in den Bereichen Gewaltprävention, Sportliche Aktivitäten und Integration unterstütze und er in den arabischen Gottesdiensten der Gemeinschaft über seinen Glaubenswechsel vom Islam zum Christentum berichte.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen,
und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Juli 2007 aufzuheben, soweit er der Verpflichtung der Beklagten entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
Die Beklagte meint, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für das Bekanntwerden missionarischer Tätigkeit im Fall der Rückkehr in den Iran im Fall des Klägers nicht vorläge. Insoweit habe sich der Kläger nicht in so hervorgehobener Position betätigt, dass dieses für das iranische Regime erkennbar geworden sei. Auch finde missionarische Tätigkeit nach Aussagen einzelner christlicher Gemeinden insbesondere durch Angehörige freikirchlicher Gemeinschaften wie der Assembly of God im Iran statt, wobei sich staatliche Maßnahmen bisher ganz überwiegend gezielt gegen Kirchenführer und in der Öffentlichkeit besonders aktive Personen, zu denen der Kläger nicht zähle, gerichtet hätten. Allein der Hinweis des Klägers auf eine eventuell negative Einstellung seiner Familienangehörigen zum Glaubensübertritt bedeute noch nicht, dass diese auch eine entsprechende Bestrafung vollziehen würden. Außerdem seien auch konvertierte Christen nach derzeitiger Erkenntnislage im Iran von nicht-staatlicher Seite in der Regel keinen Repressionen ausgesetzt.
Entscheidungsgründe
Soweit der Kläger die Klage am 10. September 2009 zurückgenommen hat, stellt die Kammer das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO ein.
Die im Übrigen erhobene Klage ist in ihrem Hauptantrag begründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Juli 2007 erweist sich im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 AsylVfG) als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit es die Beklagte darin abgelehnt hat, ein weiteres Asylverfahren des Klägers durchzuführen und diesem auf den Folgeantrag vom 19. Januar 2007 wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Der Anspruch des Klägers auf eine Sachentscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft folgt aus § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, wonach ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen.
Für den Anspruch auf erneute Sachentscheidung über das im ersten Asylverfahren erfolglos gebliebene Begehren auf Flüchtlingsanerkennung ist es im vorliegenden Fall nicht entscheidend, ob eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist, weil Art. 10 Abs. 1 Buchst. b) der RL 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) den Begriff des Verfolgungsgrunds der Religion maßgeblich erweitert hat, indem nunmehr auch die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, erfasst. Dieser Begriff ist zwar mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 gemäß Art. 249 EG-Vertrag in der Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnorm verbindlich geworden. Die Frage, ob sich daraus eine entscheidungserhebliche Änderung der Rechtslage in Bezug auf die Verfolgungsbetroffenheit von iranischen ehemalige Muslimen, die zum Christentum übergetreten sind und dies in der Öffentlichkeit durch Missionieren bezeugen, ergibt, kann aber offen bleiben. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 5.3.2009 - BVerwG 10 C 51.07 - (juris) daran festgehalten, dass nicht jede Einschränkung der Religionsfreiheit zu einer Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts führt. Es hat aber zugleich darauf hingewiesen, dass die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen unter den Begriff der Verfolgung wegen der Religion auch religiöse Betätigungen in der Öffentlichkeit fallen, eine gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfrage darstellt, die im Wege der Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG-Vertrag vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu beantworten wäre.
Jedenfalls kann sich der Kläger nach Überzeugung der Kammer und im Einklang mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschl. vom 30.7.2009 - 5 A 982/07.A -, juris) auf eine während des Klageverfahrens eingetretene Änderung der entscheidungserheblichen Sachlage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) berufen, die eine entscheidende Änderung der Verfolgungssituation von ehemaligen Muslimen, die sich zum Christentum bekannt haben, bedingt:
Am 9. September 2008 ist der Gesetzentwurf der sog. „apostasy-bill“ in das Iranische Parlament eingebracht worden. Dieser sieht vor, dass der Abfall eines Muslims, der sich mit Eintritt der Volljährigkeit zum islamischen Glauben bekannt hat und später den Islam verlässt, künftig strafbar ist und ausschließlich mit der Todesstrafe geahndet wird (Auswärtiges Amt - Botschaft Teheran, Unterrichtung vom 6.10.2008 zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens). Der Gesetzentwurf ist vom iranischen Parlament in erster Lesung gebilligt und am 11. November 2008 an den Justizausschuss, dessen Angelegenheiten nicht öffentlich verhandelt werden, überwiesen worden (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht Iran vom 23.2.2009, S. 26). Da die Bestrafung der Apostasie ihren Ursprung im historischen religiösen Kernstrafrecht (Hadd-Delikt) hat, ist es zweifelhaft, ob das Rückwirkungsverbot des iranischen Strafrechts auch auf bereits vollzogene Glaubensübertritte Anwendung finden wird (Max-Planck-Institut Freiburg, Gutachten vom 13.11.2008 für das OVG Bautzen). Ebenso ist es noch offen, wann mit dem Inkrafttreten der Strafvorschrift gerechnet werden muss, wobei allerdings das Auswärtige Amt (Lagebericht Iran vom 23.2.2009, a.a.O.) nicht mit einer Abmilderung der Strafandrohung rechnet. Allerdings ist es denkbar, dass sich die Tatsache der konkreten Gesetzgebungsabsicht schon jetzt auf das Verhalten staatlicher iranischer Stellen gegenüber ehemaligen Muslimen, die zum Christentum konvertiert sind, auswirkt. Denn schon bisher sprachen angesichts der vorliegenden Erkenntnislage und nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (s. hierzu im Einzelnen: VG Stuttgart, Urteil vom 21.1.2008 - A 11 K 552/07 -, NVwZ-RR 2008 S. 577 ff.) ernsthafte Anhaltspunkte dafür, dass zum Christentum konvertierte Muslime im Iran keine öffentlichen christlichen Gottesdienste besuchen können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, festgenommen und möglicherweise unter konstruierten Vorwürfen zu Haftstrafen verurteilt zu werden. Dass das Christentum im Iran weiterhin eine durch Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannte Religionsgemeinschaft ist (Auswärtiges Amt, Lagebericht Iran vom 23.2.2009, S. 21), steht der rechtlichen Einordnung solcher Repressalien als Maßnahme politischer Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG und Art. 9 der RL 2004/83/EG nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht (vgl. Beschl. vom 12.3.1992 - 2 BvR 1353/89 u.a. - InfAuslR 1992 S. 296, 299) hat zum Begriff der politischen Verfolgung in Art. 16 a Abs. 1 GG grundlegend hat darauf hingewiesen, dass es bei einer religiösen Verfolgung aufgrund von Strafvorschriften nicht entscheidend auf die formale Gesetzeslage, sondern die tatsächliche Rechtsanwendung im Herkunftsstaat des (anders-) gläubigen Ausländers ankommt. Insoweit ist entscheidend, dass der iranische Staat in dem Gesetzesbeschluss des Parlaments seinen Willen zum Ausdruck bringt, in Zukunft den Glaubenswechsel nicht mehr nur als religiöse Entscheidung zu missbilligen, sondern ihn auch mit staatlicher Hoheitsmacht zu verfolgen (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Daraus folgt, dass die sich Frage der tatsächlichen Verfolgungsbetroffenheit eines Iraners, der vom Islam zum Christentum übergetreten ist, neu stellt, wenn er dort seinen christlichen Glauben auch außerhalb von Hausgemeinden praktizieren will (OVG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.).
Die Kammer teilt nicht die Rechtsauffassung der Beklagten, wonach es den vom Islam zum Christentum übergetretenen Mitgliedern evangelisch-freikirchlicher Gemeinschaften im Iran zuzumuten wäre, ihren Glauben innerhalb der dort existierenden Hausgemeinschaften, also im Verborgenen auszuüben, um Übergriffen und Repressalien zu entgehen. Denn das Gebet und der Gottesdienst in christlichen Kirchen und Gemeindehäusern gehört zum asyl- und flüchtlingsrechtlich geschützten Kernbereich der Glaubensausübung, weil es sich dabei um die Glaubensausübung in der Gemeinschaft mit anderen Gläubigen und damit die eigentliche Form des Bekennens zu einer bestimmten Form des sittlichen Lebens als Teil der Menschenwürde handelt (BVerfG, Urt. vom 1.7.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. -, BVerfGE 76, 143 = NVwZ 1988 S. 237 ff.). Demzufolge wird diese Form der Glaubensausübung in der persönlichen Gemeinschaft mit anderen Gläubigen nicht schon dadurch eine öffentliche, dass sie von Außenstehenden wahrgenommen werden kann (BVerwG, Beschl. vom 16.1.1995 - BVerwG 9 B 441.94 -, InfAuslR 1995 S. 175). Nur eine über den bloßen Besuch öffentlicher Gottesdienste hinausgehende, öffentlichkeitswirksame religiöse Betätigung oder missionierende Tätigkeit war danach den bisher entwickelten Grundsätzen zum Anspruch auf Asyl wegen religiöser Verfolgung nicht geschützt (BayVGH, Urt. vom 23.10.2007 - 14 B 06.30315 -, InfAuslR 2008 S. 101 ff.).
Im Fall des Klägers muss davon ausgegangen werden, dass seine Konversion auf einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht. Diese Feststellung ist weiterhin erforderlich, um mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von einer Ausübung des christlichen Glaubens durch den Kläger nicht nur im privaten Bereich, sondern auch durch Besuch kirchlicher Gottesdienste im Fall einer Rückkehr in den Iran auszugehen. Insoweit reichte auch nach dem bisher geläufigen Begriff der religiösen Verfolgung ein bloß formales Bekenntnis zum Christentum nicht aus, um die Verfolgungsprognose mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu treffen (BVerwG, Urt. vom 17.8.1993 - BVerwG 9 C 8.93 -, DVBl. 1994 S. 60 f.). Somit ist bei einem unverfolgt Ausgereisten nach wie vor zu prüfen, ob er im Fall der Rückkehr in sein Heimatland hinsichtlich der Verhaltensweisen, die ihm dort in religiöser Hinsicht abgefordert werden, in eine Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit vergleichbare Zwangslage geraten wird, ob er sich also in religiöser Hinsicht nicht so zurückhaltend verhalten kann, dass ihm wegen seiner Religionsausübung nichts geschieht (BVerwG, Urt. vom 26.10.1993 - BVerwG 9 C 50.92 - InfAuslR 1993 S. 119, 120)
Hierfür spricht im Fall des Klägers nicht nur, dass sich der Kläger in J. von dem Pastor N. hat taufen lassen und im Anschluss an seine Eheschließung für eine kirchliche Trauung entschieden hat. Vielmehr hat der Kläger auch für eine gemeinnützige Einrichtung der Hilfe für Drogenabhängige mit erklärter diakonischer Zielsetzung an einem missionarischen Einsatz teilgenommen. Daneben ist er ehrenamtlich in der christlichen Drogenarbeit als Streetworker und als Helfer in einer Anlaufstelle „K. -Bistro“ tätig. Eine solche ehrenamtliche und gemeinnützige Arbeit im christlichen Glauben ist nach Überzeugung der Kammer ein gewichtiges Indiz für die innere Tatsache eines festen und praktizierten christlichen Glaubens. Insoweit kommt der aktiven christlichen Glaubensbetätigung als Beweiszeichen der Glaubensfestigkeit ein wesentlich größeres Gewicht zu, als bloßen mündlichen Erklärungen des Asylsuchenden zu den christlichen Glaubensinhalten und -gebräuchen. Beruht aber der Glaubenswandel des Kläger auf einer festen identitätsprägenden inneren Überzeugung, muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er im Fall einer Rückkehr in den Iran staatlichen Maßnahmen unterworfen sein wird:
Bei der Beurteilung der Verfolgungsgefahr ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger sich im Bundesgebiet nicht einer der im Iran tolerierten traditionellen Kirche angeschlossen hat, sondern Mitglied einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde ist. Dabei kann es in Anbetracht der noch offenen Frage der Auslegung des Art. 10 Abs. 1 Buchst. b) der RL 2004/83/EG (s.o.) auf öffentlichkeitswirksame Glaubensbekennung und -werbung offen bleiben, ob der Kläger der nach den vorliegenden Erkenntnissen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amts vom 27.04.2007 an die Ev.-Methodistische Kirche München) bestehenden Gefahr von staatlichen Repressionen zur Verhinderung einer eigenen christlichen Missionsarbeit ausgesetzt sein wird. Jedenfalls kann auch bereits ein besonderes Engagement innerhalb der freikirchlichen christlichen Gemeinschaft und der damit verbundene Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit im Iran schon zur Gleichsetzung eines Gemeindemitgliedes mit dem Status von Kirchenführern, die in Referenzfällen schon Opfer gezielter staatlicher Repressionen waren, führen (Auskunft des Auswärtigen Amts vom 12.4.2007 an das Bundesamt; Auskunft vom 8.8.2008 an den HessVGH). Dabei stellt das Auswärtige Amt (Auskunft vom 31.10.2007 an das VG Mainz) darauf ab, ob die Stellung von Personen innerhalb missionierender Glaubensgemeinschaften den Grad der bloßen Zugehörigkeit nicht überschreitet. Allgemein gehen sowohl das Auswärtige Amt wie auch das Deutsche Orient-Institut (vgl. BayVGH, Urt. vom 23.10.2007,a.a.O.) davon aus, dass Mitglieder religiöser Minderheiten, zu denen zum Christentum konvertierte Muslime gehören, staatlichen Repressionen ausgesetzt sein können, wobei es insbesondere auf das öffentlich erkennbare Engagement des Betroffenen ankommt, wie zum Beispiel im Fall der Verhaftung eines Gemeindemitglieds nach Abhaltung eines Gottesdienstes in einem Park in Shiraz (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 14.1.2009 an das Bundesamt). Auch bei Abhaltung eines Gottesdienstes innerhalb einer christlichen Kirche ist nach Einschätzung des Auswärtiges Amtes (Auskunft vom 17.8.2009 an das Bundesamt) die Religionsausübung nur erlaubt, soweit nicht Dritte belästigt werden und deswegen Anzeige erstatten. Im Hinblick darauf ist es nachvollziehbar, dass Evangelikale Christen nach Einschätzung von amnesty international in seiner ausführlichen Stellungnahme vom 7.7.2008 (für das VG Mainz) und anderen Organisationen zu den Personen gehören, die im Iran besonders häufig der Überwachung, Verfolgung und Misshandlung durch iranische Sicherheitsbehörden ausgesetzt sind, wobei die geschilderten Referenzfälle der Verfolgungen fast ausschließlich Konvertiten als Mitglieder freikirchlicher Gemeinschaften betrafen, die ihren Glauben in den im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes genannten Hausgemeinschaften ausübten. Unter Berücksichtigung der erklärten Absicht des iranischen Parlaments, nunmehr die Apostasie im Iran mit der Todesstrafe sanktionieren zu wollen, ist nach Überzeugung der Kammer insbesondere für aktive Mitglieder freikirchlicher Gemeinschaften im Iran insoweit eine Verschärfung der bisher schon riskanten Situation eingetreten, als diese Gemeinschaften einerseits generell unter dem Verdacht des Missionierens stehen und damit möglicherweise von vornherein der Apostasie Vorschub leisten, und andererseits im Iran dafür bekannt sind, dass sie im Unterschied zum Beispiel zu den armenisch-christlichen Gemeinden muslimische Konvertiten in ihre Gemeinschaften aufnehmen (Max-Planck-Institut Freiburg, Gutachten vom 13.11.2008 für das OVG Bautzen).
Die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, scheitert auch nicht daran, dass es sich bei dem Glaubenswechsel des Klägers um einen sog. selbst geschaffenen Nachfluchtgrund handelt. § 28 Abs. 2 AsylVfG sieht nur in der Regel vor, dass nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags selbst geschaffene Nachfluchtgründe unbeachtlich sind. Die Kammer folgt auch insoweit der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 30.7.2009 - 5 A 982/07.A -; VG Freiburg, Urt. vom 21.11.2008 - A 5 K 1106/08, VG Hamburg, Urt. vom 20.6.2008 - 19 A 254/07 -; VG Stuttgart, Urt. vom 10.03.2008 - A 11 K 270/07-; jeweils zitiert nach juris), wonach ein Regelfall des gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG als rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich anzusehenden Folgeantrags nicht vorliegt, wenn die neue Verfolgungslage nicht auf einem bloßen, die neue Verfolgungsgefahr provozierenden Verhalten des Folgeantragstellers beruht, sondern die Folge einer ernsthaften Glaubens- und Gewissensentscheidung des Ausländers ist. Das ist aber vorliegend der Fall (s.o.).