Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.05.2002, Az.: 8 ME 66/02

Anordnung; Auflösung; formelle Illegalität; Genehmigungsfähigkeit; naturschutzrechtliche Genehmigung; sofortige Vollziehung; Sofortvollzug; Tierbestand; Tiergehege; Tierseuche; Tierseuchenhygiene; Verwaltungsakt; vorbeugendes Nutzungsverbot; Wildschweingehege; öffentliches Interesse

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.05.2002
Aktenzeichen
8 ME 66/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43840
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 11.04.2002 - AZ: 2 B 32/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Angesichts der erheblichen Bedeutung des Schutzes von Tierbeständen vor Tierseuchen ist ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Auflösung eines Tiergeheges, bei dem nicht gewährleistet ist, dass die Tiere den Anforderungen der Tierseuchenhygiene entsprechend untergebracht sind, auch dann anzunehmen, wenn noch keine Tierseuche aufgetreten ist.

2. Außerdem rechtfertigt schon der formell illegale Betrieb eines Tiergeheges regelmäßig die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Auflösung des Geheges, weil nur dadurch die Wirksamkeit des vorbeugenden Nutzungsverbots, das mit der Genehmigungspflicht verbunden ist, effektiv gesichert werden kann.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den erstinstanzlichen Beschluss ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 14. Februar 2002, durch den der Antragsgegner die Auflösung ihres Wildschweingeheges unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes verfügt hat, zu Recht abgelehnt.

2

Die Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das zumeist öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren zu erkennen ist, dass ein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, weil das Interesse an der Aussetzung der Vollziehung in diesem Fall hinter dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung zurücktreten muss (BVerfG, Beschl. v. 11.2.1982 - 2 BvR 77/82 - NVwZ 1982, S. 241; BVerwG, Beschl. v. 9.9.1996 - 11 VR 31/95 -). Dagegen überwiegt das Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist (BVerwG, Beschl. v. 20.10.1995 - 1 VR 1/95 -). Bleibt der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bei der im Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 11.9.1998 - 11 VR 6/98 -) jedoch offen, kommt es auf eine bloße Abwägung der widerstreitenden Interessen an (BVerwG, Beschl. v. 29.4.1974 - IV C 21.74 - DVBl. 1974 S. 566).

3

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen, unter denen die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs wiederherzustellen ist, nicht erfüllt, weil die angefochtene Verfügung, deren sofortige Vollziehung der Antragsgegner mit einer den Maßgaben des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechenden Begründung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, bei summarischer Prüfung offensichtlich rechtmäßig ist.

4

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Anordnung, das Wildschweingehege aufzulösen, in § 63 Satz 1 NNatSchG ihre Rechtsgrundlage findet, weil das Gehege nicht nur ohne die nach § 45 Abs. 1 Satz 1 NNatSchG erforderliche naturschutzrechtliche Genehmigung errichtet worden ist und betrieben wird, sondern auch nach § 45 Abs. 3 Satz 2 NNatSchG nicht genehmigt werden kann. Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass angesichts der Verstöße der Antragstellerin gegen einen großen Teil der Auflagen, die der Antragsgegner im Zusammenhang mit der bis zum 31. März 2001 befristeten Duldung des Tiergeheges aus Gründen des Tierschutzes und der Tierseuchenhygiene angeordnet hat, nicht gewährleistet ist, dass die Wildschweine in dem Gehege der Antragstellerin den Anforderungen des Tierschutzes und der Tierseuchenhygiene entsprechend untergebracht und betreut werden.

5

Dem kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass noch nicht geklärt sei, dass die Schweinehaltungshygieneverordnung vom 7. Juni 1999 auf ihr Tiergehege anzuwenden sei. Zum einen hat die Antragstellerin nicht überzeugend dargelegt, dass der Antragsgegner und ihm folgend das Verwaltungsgericht die Anwendbarkeit der Schweinehaltungshygieneverordnung auf ihre Schweinehaltung zu Unrecht bejaht haben. Zum anderen übersieht die Antragstellerin, dass sie diese Verordnung schon deshalb zu beachten hatte, weil der Antragsgegner die Einhaltung der Verordnung im Zusammenhang mit der vorübergehenden Duldung des Wildschweingeheges bestandskräftig angeordnet hat. Abgesehen davon wäre das Gehege aber auch dann nicht genehmigungsfähig, wenn die Schweinehaltungshygieneverordnung auf die Tierhaltung der Antragstellerin keine Anwendung fände, weil aufgrund der Verstöße gegen die dem Tierschutz dienenden Auflagen, die der Antragsgegner in der angefochtenen Verfügung im Einzelnen aufgelistet hat, keine Gewähr dafür besteht, dass die Wildschweine tierschutzgerecht untergebracht und betreut werden.

6

Die Antragstellerin kann schließlich auch nicht erfolgreich einwenden, dass die Anordnung des Sofortvollzugs nicht gerechtfertigt sei, weil von ihrem gesunden Tierbestand keine erheblichen Gefahren für andere Schweinezuchtbetriebe ausgingen. Dabei kann dahinstehen, ob die gerichtliche Entscheidung über die Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehung überhaupt davon abhängig ist, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung besteht (verneinend: BVerfG, Beschl. v. 11.2.1982, a.a.O.; vgl. auch Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn. 858 ff, m.w.N.). Angesichts der erheblichen Bedeutung des Schutzes von Tierbeständen vor Tierseuchen ist ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Auflösung eines Tiergeheges, bei dem nicht gewährleistet ist, dass die Tiere den Anforderungen der Tierseuchenhygiene entsprechend untergebracht sind, nämlich auch dann anzunehmen, wenn noch keine Tierseuche aufgetreten ist. Außerdem rechtfertigt schon der formell illegale Betrieb eines Tiergeheges regelmäßig die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Auflösung des Geheges, weil nur dadurch die Wirksamkeit des vorbeugenden Nutzungsverbots, das mit der Genehmigungspflicht verbunden ist, effektiv gesichert werden kann (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 13.8.1986 - 3 TH 2033/86 - NuR 1987, S. 184; Blum/Agena/Franke, Niedersächsisches Naturschutzgesetz, Komm., § 45 Rn. 44).