Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.05.2002, Az.: 1 LA 2680/01

Baugenehmigung; freiberufsähnliche Tätigkeit; Gewerbe; Gewerbebetrieb; Handelsmakler; Nachbarschutz; private Arbeitsvermittlung; Publikumsverkehr; reines Wohngebiet; Teilumnutzung; Wohnraum

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.05.2002
Aktenzeichen
1 LA 2680/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43845
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.06.2001 - AZ: 2 A 2280/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Private Arbeitsvermittlung gehört zu den Tätigkeiten, die in ähnlicher Art ausgeübt werden wie freie Berufe

Tatbestand:

1

Die Klägerin ist gemeinsam mit ihrem Ehemann Eigentümerin des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks F.weg 5 in N.. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 43 "F.weg" vom 16. Juli 1971, der reines Wohngebiet festsetzt.

2

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Teilumnutzung von Wohnraum in gewerblichen Raum im Hochparterre des Gebäudes zum Gebrauch durch die "X.GmbH i.G.". In der Betriebsbeschreitung heißt es hierzu, dass Arbeitnehmer im Gastronomiebereich vermittelt werden sollen und der gesamte Betriebsablauf telefonisch erfolge. Besucherverkehr finde nicht statt, und nur die beiden Geschäftsführer der GmbH (die Klägerin und ihr Ehemann) würden dort beschäftigt.

3

Die Beklagte lehnte die Erteilung der Baugenehmigung ab, die Bezirksregierung Y. wies den dagegen erhobenen Widerspruch zurück.

4

Das Verwaltungsgericht Göttingen hat der Klage mit Urteil vom 27. Juni 2001 stattgegeben.

5

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg

Entscheidungsgründe

6

.Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenzrüge) sind nicht gegeben. Hiernach ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil u.a. von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Erforderlich ist die Darlegung, dass im Einzelnen zu formulierende, von dem Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung gebildete, abstrakte Rechtssätze bestimmten Rechtsgrundsätzen in der genau zu bezeichnenden Divergenzentscheidung widersprechen. Nicht ausreichend ist das Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe divergenzfähige Rechtssätze nicht ausreichend beachtet bzw. im Einzelfall falsch angewendet; denn hierin ist der für eine Divergenz i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erforderliche prinzipielle Auffassungsunterschied nicht zu sehen (vgl. hierzu: BVerwG, Beschl. v. 5.1.2001 - 4 B 57/00 -, NVwZ-RR 2001, 422 m.w.N. zum vergleichbaren Revisionsgrund der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Hieran gemessen ist bereits zweifelhaft, ob das Vorbringen der Beklagten den Darlegungsanforderungen gem. § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO a.F. genügt. Jedenfalls aber liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht vor.

7

Zwar macht die Beklagte in ihrer Antragsschrift geltend, das Urteil des Verwaltungsgerichts widerspreche den vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 20. Januar 1984 (BVerwGE 68, 324 ff) für die Annahme einer freiberufsähnlichen Tätigkeit aufgestellten Kriterien. Unter Berufung auf eine andere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Februar 1990 (- 4 B 172.89 -) stelle das Verwaltungsgericht allein auf das Merkmal der eigenständigen Vermittlungstätigkeit für einen unbestimmten Kreis ab. Die vorgesehene Tätigkeit der Klägerin erfülle dieses Merkmal möglicherweise, dies allein könne jedoch nicht ihre Freiberufsähnlichkeit i.S. von § 13 BauNVO begründen. Vielmehr seien in jedem Fall auch die vom Bundesverwaltungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 20. Januar 1984 aufgestellten Kriterien zu berücksichtigen. Danach sei eine freiberufliche ebenso wie eine freiberufsähnliche Tätigkeit dadurch gekennzeichnet, dass Dienstleistungen angeboten würden, die "vorwiegend auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fertigkeiten" beruhten. Mit diesem vom Bundesverwaltungsgericht geforderten Merkmal der auf individueller geistiger Leistung oder sonstiger persönlicher Fertigkeit beruhenden Dienstleistung habe sich das Verwaltungsgericht in seiner Urteilsbegründung nicht auseinandergesetzt.

8

Mit diesem Vorbringen kann die Zulassung der Berufung aber nicht erreicht werden. Zum einen arbeitet die Beklagte nicht konkret heraus, welchen Rechtsgrundsatz die Kammer des Verwaltungsgerichts in Abweichung von einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellt hätte. Zum anderen - und das dürfte die Beklagte übersehen haben - hat das Verwaltungsgericht die in Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts genannten Grundsätze wiedergegeben und sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (S. 5 UA). In Wahrheit meint die Beklagte demnach lediglich, das Verwaltungsgericht sei trotz vorbehaltloser Übernahme der Rechtsgrundsätze des Bundesverwaltungsgerichts im vorliegenden Fall zu einer falschen Rechtsanwendung gelangt. Dies stellt entgegen der Auffassung der Beklagten aber keine Divergenz i.S. des Gesetzes dar. Denn für eine Divergenzzulassung ist nur dann Raum, wenn das Ausgangsgericht dem Bundesverwaltungsgericht dadurch die Gefolgschaft verweigert, dass es einem höchstrichterlichen abstrakten Rechtssatz mit einem anderslautenden Rechtssatz entgegentritt (vgl. BVerwG, a.a.O.). Hieran fehlt es im Falle einer - so die Auffassung der Beklagten - unzutreffenden Rechtsanwendung.

9

Die Zulassungsrüge bleibt auch unter dem Gesichtspunkt des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erfolglos. Ernstliche Zweifel i.S. dieser Vorschrift liegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NVwZ 1999, 431) erst dann vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis - auf dieses und nicht auf einzelne Begründungselemente kommt es dabei an - "die besseren Gründe sprechen", d.h. wenn ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Das ist hier nicht der Fall.

10

Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis mit zutreffenden - allerdings recht knappen - Erwägungen zu Recht angenommen, dass die beabsichtigte Vermittlung von Arbeitskräften zu den freiberufsähnlichen Tätigkeiten i.S. von § 13 BauNVO gehört. Das ist unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.1.1984 - 4 C 56/80 -, BVerwGE 68, 324 ff = NVwZ 1984, 236 ff; Beschl. v. 28.2.1990 - 4 B 172/98 -, Buchholz 406.12 § 13 BauNVO Nr. 5), der sich die Kammer des Verwaltungsgerichts - wie aufgezeigt - angeschlossen hat, rechtlich nicht zu beanstanden.

11

Die Beklagte meint, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergäben sich daraus, dass es der gesetzgeberischen Intension widerspreche. Aus der allgemeinen Begründung ergebe sich, dass eine allgemeine Zulässigkeit nicht störender Gewerbebetriebe gerade nicht gewollt gewesen sei. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts führe jedoch letztlich dazu, dass jedes eigenständige Vermittlungsgewerbe im reinen Wohngebiet zulässig sei, ohne dass es auf das Vorliegen sonstiger, für freie oder ihnen ähnliche Berufe notwendiger Merkmale ankäme. Das Merkmal der Freiberufsähnlichkeit sei jedoch eng auszulegen, um die Zulässigkeit gewerblicher Nutzung im reinen Wohngebiet nicht ausufern zu lassen, selbst wenn diese nicht störend seien.

12

Insoweit legt die Beklagte aber ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nicht dar. Zwar ist der Beklagten darin zuzustimmen, dass die erkennende Kammer nicht ausdrücklich auf vorwiegend individuelle geistige Leistungen oder sonstige persönliche Fertigkeiten der Klägerin abstellt, die Kammer zieht aber zum Vergleich für die Vermittlung von Arbeitskräften die Tätigkeit der Handels- und Grundstücksmakler heran (S. 5 UA). Hiernach unterliegt es auch nach Auffassung des Senats keinem Zweifel, dass es sich bei der von der Klägerin beabsichtigten Vermittlung von Arbeitskräften um eine freiberufsähnliche Tätigkeit handelt, da sie zumindest auf sonstigen persönlichen Fertigkeiten beruht. Arbeitsvermittlung ist eine Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, Ausbildungssuchende und Arbeitsuchende mit Arbeitgebern zur Begründung von Arbeitsverhältnissen (einschließlich Heimarbeitsverhältnissen) zusammenzuführen (§ 35 SGB III). Zutreffend weist die Klägerin in ihrer Antragserwiderung vom 5. September 2001 darauf hin, dass es keinen Unterschied mache, ob jemand als Handelsmakler gewerbsmäßig Geschäfte vermittle, die Gegenstand des Handelsverkehrs (insbesondere Waren, Wertpapiere und Versicherungen) seien oder Arbeitsuchende und Ausbildungssuchende vermittle. Da die Handelsmakler unstreitig zu den freiberufsähnlichen Tätigkeiten zählten, müsse dies auch für die Vermittlung von Arbeitskräften gelten. Dem ist nach Auffassung des Senats zu folgen, zumal freiberufliche und ähnliche Tätigkeiten keine eindeutigen Rechtsbegriffe darstellen und auch unter Bezugnahme auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG keinen abschließenden Charakter aufweisen, sondern die dortige Aufzählung lediglich als Anhaltspunkt dient (vgl. Boeddinghaus, Kommentar zur Baunutzungsverordnung, 4. Aufl. 2000, § 13 Rdnr. 4 m.w.N.; zum soziologischen Begriff "freier Beruf": BVerfG, Beschl. v. 25.02.1960 - 1 BvR 239/52 -, BVerfGE 10, 355(364f)).

13

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils werden auch nicht dadurch begründet, dass die Beklagte ausführt, es seien entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zumindest bei den freiberufsähnlichen Berufen auch Gesichtspunkte des Publikumsverkehrs oder der Störung der Nachbarschaft von Bedeutung. Denn ein derartiger Sachverhalt lag der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach den Ausführungen im Tatbestand nicht zugrunde. Ernstliche Zweifel können demnach nicht dadurch geltend gemacht werden, dass die Beklagte im Zulassungsverfahren einen anderen - unzutreffenden - Sachverhalt zugrunde legt.

14

Schließlich hat die Sache auch keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne weist eine Rechtsstreitigkeit nur dann auf, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist und im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf. Die Entscheidung muss aus Gründen der Rechtssicherheit, der Einheit der Rechtsordnung oder der Fortbildung des Rechts im allgemeinen Interesse liegen, was dann zutrifft, wenn die klärungsbedürftige Frage mit Auswirkungen über den Einzelfall hinaus in verallgemeinerungsfähiger Form beantwortet werden kann (Kopp/Schenke, a.a.O., § 124 Rdnr. 10 m.w.N.). Der Zulassungsantrag hat auch insoweit keinen Erfolg, weil das Vorbringen der Beklagten auch bezüglich dieses Zulassungsgrundes weder den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO a.F. genügt, noch der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vorliegt.

15

Die Beklagte meint, im Interesse der Rechtsklarheit solle obergerichtlich entschieden werden, ob eine erweiterte Auslegung des § 13 BauNVO dahingehend zulässig sei, dass eine freiberufsähnliche Tätigkeit auch bei Dienstleistungen angenommen werden könne, die nicht auf individuellen geistigen Leistungen oder sonstigen persönlichen Fertigkeiten beruhten.

16

Eine derartige Rechtsfrage würde sich in einem Berufungsverfahren aber nicht stellen, da sie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr klärungsbedürftig ist. Auch soweit die Beklagte geltend macht, das vergleichsweise neue Phänomen privater Arbeitsvermittlungen sei von der Rechtsprechung noch wenig beleuchtet mit der Folge, dass zu erwarten sei, dass diese Frage auf dem liberalisierten Arbeitsvermittlungsmarkt in Zukunft weiter an Bedeutung gewinne und die Verwaltung beschäftigen werde, führt nicht zum Erfolg des Zulassungsantrages. Nach den Leitlinien der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört die private Arbeitsvermittlung zu den Tätigkeiten, die in ähnlicher Art ausgeübt werden wie freie Berufe.