Sozialgericht Hannover
Urt. v. 30.11.2015, Az.: S 69 KR 329/12

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
30.11.2015
Aktenzeichen
S 69 KR 329/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 44891
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

1. Der Bescheid vom 24.02.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2012 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten für eine Versorgung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene i. H. v. 1.066,22 € zu erstatten.

2. Die Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Kostenübernahme für eine Unterkieferprotrusionsschiene (UPS).

Der 1957 geborene Kläger leidet unter einem mittelgradigen obstruktiven SchlafapnoeSyndrom. Ihm stand seit 2008 ein Schlafapnoe-Gerät zur Durchführung der kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung (CPAP) zur Verfügung. Im Februar 2011 beantragte der Kläger eine UPS, da er mit der CPAP nicht mehr zurecht käme. Er litte unter der Maske unter Platzangst.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2011 lehnte der Beklagte die Bewilligung der UPS ab. Es handele sich um eine neue Behandlungsmethode. Der diagnostische und therapeutische Nutzen sei nicht nachgewiesen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe eine Behandlung der Schlafapnoe mittels Gebissschiene noch nicht bewertet.

Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, eine UPS könne er im Gegensatz zum CPAP-Gerät auf Reisen und im Urlaub problemlos mitnehmen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) kam im Gutachten vom 22. November 2011 zu dem Ergebnis, die medizinische Notwendigkeit einer orofacialen Gebissschiene können nicht plausibel nachvollzogen werden. Die Schiene sei im Hilfsmittelverzeichnis nicht enthalten. Es handele sich um eine unkonventionelle Behandlungsmethode, für die Ausnahmekriterien nicht erfüllt seien. Insbesondere liege keine lebensbedrohliche Erkrankung vor. Der Wirksamkeitsnachweis der UPS sei äußerst dürftig. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 2012 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 18. April 2012 Klage beim Sozialgericht Hannover erhoben, mit der er vorträgt, er leide unter einer generalisierten Angststörung. Daher führe die Benutzung der CPAP- Maske zu Panikattacken. Das Hilfsmittelverzeichnis sei kein abschließender Katalog, sondern habe nur informatorischen Charakter. Er habe sich die UPS im Juli 2011 selbst beschafft und komme mit dieser gut zurecht.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 24. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. April 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Versorgung mit einer Unterkieferprotrusionsschiene in Höhe von 1.066,22 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Ergänzend führt sie an, es läge keine notstandsähnliche Situation im Sinne der Rechtsprechung vor. Mit der CPAP-Therapie liege eine zugelassene Alternative vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte, die bei der Beklagten für den Kläger geführt wird, verwiesen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Versorgung mit einer UPS. Da er die Kosten der Behandlung in Höhe von 1.066,22 Euro bereits gezahlt hat, handelt es sich um einen Erstattungsanspruch gemäß § 13 Absatz 3 Satz 1 5. Sozialgesetzbuch (SGB V). Nach dieser Vorschrift sind Versicherten, denen für eine selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war und Kosten entstanden sind, weil die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dem Kläger sind Kosten in Höhe von 1.066,22 Euro entstanden, weil die Beklagte zu Unrecht die Gewährung der Leistung abgelehnt hat.

Er hat einen Anspruch nach § 33 Absatz 1 Satz 1 SGB V auf Versorgung mit der streitbefangenen UPS. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken und orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmitteln nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Absatz 4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung auch, müssen die Leistungen nach § 33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen.

So liegt es hier. Die UPS ist ein Hilfsmittel, da sie unmittelbar der Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung dient.

Rechtlich unerheblich ist, dass die UPS seit Januar 2006 im Hilfsmittelverzeichnis nicht mehr aufgeführt ist. Hier besteht eine Erforderlichkeit zur Behandlung mit der UPS, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern. Maßgeblich für die objektive Erforderlichkeit eines Hilfsmittels ist der aktuelle, allgemein anerkannte Stand der medizinischen Technik. Danach ist ein Hilfsmittel nur dann erforderlich, wenn die Mehrheit der einschlägigen Fachleute die objektive Eignung des Hilfsmittels zur Erreichung des jeweiligen Versorgungsziels befürwortet und von einzelnen nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen insoweit Konsens besteht (BSG, Urteil vom 15.03.2012 - B 3 KR 2/1 R; recherchiert in Juris). Die Kammer folgt aufgrund eigener Prüfung den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sozialgerichts Kiel im Urteil vom 11. April 2013 (S 10 KR 349/10), wonach die S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen“ (Somnologie, Band 13, Supplement 1, November 2009) den Einsatz von intraoralen Protrusionsschienen bei Patienten mit leichter oder mittelgradiger obstruktiver Schlafapnoe als Therapieoption benennt und somit die objektive Erforderlichkeit der UPS begründet. Besonders überzeugend sind die Ausführungen, dass § 135 SGB V eine positive Empfehlung des GBA für ein Hilfsmittel nicht voraussetze, wovon offenbar auch der GBA selbst ausgehe. Dies ist dem zusammenfassenden Bericht des Untersuchungsausschusses „Ärztliche Behandlung“ des gemeinsamen Bundessausschusses über die „Beratungen von 1998 bis 2004 zur Bewertung der Polygraphie und Polysomnographie im Rahmen der Differenzialdiagnostik und Therapie der schlafbezogenen Atmungsstörungen gemäß § 135 Absatz 1 SGB V“ vom 27.01.2006 zu entnehmen. Dort wird ausdrücklich aufgeführt (Seite 23), dass durch eine UPS bei manchen Patienten eine Besserung des Schnarchens und der Apnoen zu erzielen ist. Die weiteren Ausführungen des GBA - bei Nichtausreichen dieser Maßnahmen und weiterhin bestehender behandlungsbedürftiger Schlafapnoe habe sich der Einsatz der Seite 3/5sogenannten CPAP-Therapie bewährt - implizieren, dass der GBA selbstverständlich davon ausgeht, dass zunächst der Einsatz einer UPS versucht werden sollte, bevor eine CPAP- Therapie begonnen wird (so auch Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 26.02.2015 - S 8 KR 779/13 -).

Die Versorgung mit einer UPS ist auch subjektiv erforderlich, da der Kläger unter einem leicht- bis mittelgradigen Schlafapnoe-Syndrom leidet. Ohne Therapie bestanden 20 Atemaussetzer pro Stunde (Arztbericht der F. Prof. Dr. G. vom 22. August 2008) mit der UPS bestanden zwei Atemaussetzer pro Stunde (Arztbericht der H. Prof. Dr. G. vom 26. September 2011).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.