Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 03.11.2015, Az.: S 70 AS 3566/15 ER
Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hinsichtlich Hilfebedürftigkeit; Zahlung eines Mehrbedarfs zur Teilhabe am Arbeitsleben
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 03.11.2015
- Aktenzeichen
- S 70 AS 3566/15 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 31376
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2015:1103.S70AS3566.15ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II
- § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II
- § 20 SGB II
- § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 21 Abs. 1 S. 1 SGB XII
- § 54 SGB XII
- § 134 BGB
Fundstellen
- NZS 2015, 957
- ZfSH/SGB 2016, 47-49
Tenor:
Dem Antragsteller werden vorläufig seit dem 6. Oktober 2015 Leistungen nach § 20 SGB II in Höhe von 399,00 Euro monatlich und Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe von 355,00 Euro monatlich gewährt. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind vom Antragsgegner zu erstatten.
Gründe
I. Der Antragsteller besucht einen Haupt-/Realschulkurs der Therapieschule einer Einrichtung der ambulanten und stationären Drogentherapie teil und begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsteller bezog vom Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. Auf den Hauptantrag vom 13. April 2015 hin lehnte der Antragsgegner mit Ablehnungsbescheid vom 10. Juni 2015 den vorbenannten Antrag zunächst ab. Dagegen legte der Antragsteller mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10. Juli 2015 Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren half der Antragsgegner teilweise ab. Er gewährte dem Antragsteller vom 27. Juni bis zum 9. September 2015 vorläufige Leistungen nach dem SGB II. Ausweislich der Bescheinigung der STEP, Paritätische Gesellschaft für Sozialtherapie und Pädagogik mbH, vom 17. September 2015 nimmt der am 13. Januar 1994 geborene Kläger ab dem 17. September 2015 am Haupt-/Realschulkurs der Therapieschule teil. Voraussichtliches Kursende sei der 31. Juli 2017. Das Unterrichtsprogramm finde an 5 Wochentagen vormittags von 8:30 Uhr bis ca. 14:00 Uhr. Zum Angebot der STEP-Therapieschule gehörten außerdem die umfangreiche sozialtherapeutische Betreuung der Kursteilnehmer/-innen bei der Bewältigung ihres Alltagslebens und in Krisensituationen, die Entwicklung und Anbahnung weiterführender beruflicher Perspektiven sowie eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten. Unterrichtsveranstaltungen (24 bis 26 Unterrichtsstunden á 45 Minuten wöchentlich), die notwendige häusliche Vor- und Nachbereitung und andere Angebote innerhalb der Maßnahme hätten einen Umfang von ca. 40 Stunden pro Woche. Ausweislich des Mietvertrags vom 17. September 2015 bewohnt der Antragsteller seit dem 01. Oktober 2015 eine Dachgeschoss-Wohnung in der Wallensteinstraße 23 in 30459 Hannover. Die Grundmiete beläuft sich bei einer Wohnfläche von bloß 25 m2 auf 275,00 Euro, die Betriebskostenvorauszahlung auf 45,00 Euro und die Heizkostenvorauszahlung auf 35,00 Euro. Mit dem am 6. Oktober 2015 eingegangenem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt der Antragsteller sein Begehren einstweilen gerichtlich fort. Der Antragsteller ist der Ansicht, dass er erwerbsfähig und auch sonst nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen sei. Insbesondere handele es sich bei der Maßnahme an der STEP-Therapieschule nicht um eine stationäre Maßnahme im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II. Der Antragsteller beantragt daher,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab Antragstellung einschließlich Mehrbedarf zur Teilhabe am Arbeitsleben vorläufig zu bezahlen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 4 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Bei der STEP-Therapieschule handele es sich um eine teilstationäre Einrichtung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte Bezug genommen. II. Der mit gemäß § 86b Abs. 2 SGG zulässige Antrag ist auch begründet. Der Antragsteller hat sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II seit dem Antragseingang am 6. Oktober 2015 zu. 1. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II liegen vor. Insbesondere ist der Antragsteller erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II. Die grundsätzliche Erwerbsfähigkeit des Antragstellers wird nach dessen erfolgreichem Drogenentzug nicht weiter dadurch eingeschränkt, dass er an der STEP-Therapieschule in einem Umfang von 40 Stunden wöchentlich eingebunden ist. Diese Einschränkung betrifft lediglich die Erwerbsmöglichkeit des Antragstellers, nicht jedoch dessen Erwerbsfähigkeit. 2. Der Antragsteller ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Bei der STEP-Therapieschule handelt es sich nicht um eine stationäre Einrichtung im Sinne dieser Norm. Insbesondere ist der Antragsteller dort nicht untergebracht. Es fehlt bereits an der stationären Erbringung von Leistungen. Der Lebensunterhalt des Antragstellers ist nicht durch die Unterbringung bei stationärer Leistungserbringung gesichert. Bei der Maßnahme der Therapieschule könnte es sich zwar um Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne des § 54 SGB XII handeln. Dies führt jedoch nicht zur Grundsicherung des Antragstellers im SGB XII. Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, erhalten keine Leistungen für den Lebensunterhalt nach § 21 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Schließlich vermag nach derzeitigem Sach- und Rechtsstand nicht abschließend beurteilt werden, ob der Schwerpunkt der Einrichtung auf der Ausbildung oder der stabilisierenden Drogentherapie liegt, auch wenn der mehr als hälftige Umfang der Schulausbildung für einen Schwerpunkt der Maßnahme im Bereich der Ausbildung spricht. 3. Der Regelsatz nach § 20 SGB II beläuft sich auf einen Betrag in Höhe von 399,00 Euro monatlich. 4. Die Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden vorläufig zu einem Betrag in Höhe von 355,00 Euro monatlich gewährt. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. a. Als angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erweisen sich unter dem Mietspiegel für die Landeshauptstadt Hannover 2013 für eine Einzelperson grundsätzlich Kosten der Unterkunft bis zu einem Höchstbetrag in Höhe von 385,50 Euro monatlich. Die Mietwerterhebung des Antragsgegners 2015 entspricht nicht den Anforderungen des Bundessozialgerichts an ein schlüssiges Konzept, vergleiche bereits: Sozialgericht Hannover, Beschluss vom 30. Juli 2015, Aktenzeichen S 82 AS 2607/15 ER, veröffentlicht unter www..de. aa. Hinsichtlich der Unwirksamkeitsgründe im Einzelnen wird auf die Leitsatzentscheidung des Sozialgerichts Hannover vom 22. Januar 2015, Aktenzeichen S 70 AS 5581/14, veröffentlicht unter www..de, Bezug genommen. bb. Hinsichtlich der Durchschnittswerte aus dem Mietspiegel 2013 als ortüblichen Marktpreis und der Gründe des Abstellens auf den ortsüblichen Marktpreis wird auf die Entscheidung des Sozialgerichts Hannover vom 26. März 2015, Aktenzeichen S 70 AS 3823/14, veröffentlicht unter www..de, Bezug genommen. cc. Ermittlungen zum ortüblichen Marktpreis unter dem Mietspiegel 2015 bedarf es vorliegend nicht, da die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung des Antragstellers sich auf maximal 355,00 Euro monatlich belaufen. b. Der Anspruch des Antragstellers aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist auf die tatsächlichen Aufwendungen beschränkt. Ausweislich des Mietvertrags vom 17. September 2015 beläuft sich die Grundmiete des Antragstellers auf 275,00 Euro. aa. Bei der Wohnfläche von bloß 25 m2 ergibt sich ein Mietpreis in Höhe von 11,00 Euro/m2. Gleichwohl ist nach derzeitigem Sach- und Rechtsstand noch davon auszugehen, dass mietvertragliche Abrede in dieser Höhe wirksam ist. Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt, § 134 BGB. Ein Schutzgesetz im Sinne dieser Norm ist insbesondere § 5 Abs. 1 Wirtschaftsstrafgesetz 1954. Nach § 5 Abs. 1 WiStrG 1954 in der am 04. November 2015 gültigen Fassung handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig für die Vermietung von Räumen zum Wohnen oder damit verbundene Nebenleistungen unangemessen hohe Entgelte fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Unangemessen hoch sind Entgelte, die infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen die üblichen Entgelte um mehr als 20 vom Hundert übersteigen, die in der Gemeinde oder in vergleichbaren Gemeinden für die Vermietung von Räumen vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage oder damit verbundene Nebenleistungen in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen der Betriebskosten abgesehen, geändert worden sind, § 5 Abs. 2 Satz 1 WiStrG 1954. Da vorliegend die ortsübliche Vergleichsmiete jedenfalls um mehr als 20 vom Hundert übersteigen wird, drängt sich der Verdacht der Mietpreisüberhöhung im Sine des § 5 Abs. 2 WiStrG 1954 auf. Im Rahmen des ordnungsbehördlichen Verfahrens oder im Rahmen einer Zivilrechtsstreitigkeit wäre aber weiter zu klären, ob die mietvertragliche Abrede infolge der Ausnutzung eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen getroffen worden ist. bb. Ferner könnte gar Mietwucher vorliegen. Nach § 138 Abs. 2 BGB ist nichtig insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Ein auffälliges Missverhältnis ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die vereinbarte Miete die angemessene Miete um mehr als 50% überschreitet (Heinrichs in Palandt, BGB § 138 Rn. 76, unter Berufung auf Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. April 1997 - VIII ZR 212/96 -, BGHZ 135, 269). Ob die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 50 vom Hundert übersteigen wird, hängt insbesondere von der gegebenenfalls zu ermittelnden Beschaffenheit und der Ausstattung der Wohnung ab. cc. Sollte einer dieser Fälle vorliegen, könnte als Nutzungsentschädigung bloß die ortübliche Vergleichsmiete geschuldet sein. Dem Antragsteller ist freilich die zivilrechtliche Klärung gegenüber seinem Vermieter wirtschaftlich wie rechtlich kaum möglich. Selbst bei der amtsgerichtlichen Gewährung von Beratungs- und Prozesskostenhilfe verbliebe dem Antragsteller das Risiko hinsichtlich der Prozesskosten seines Vermieters. Dies ist ihm nicht zuzumuten. Ferner hat der Mieter darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, welche Bemühungen bei der Wohnungssuche er bisher unternommen hat, weshalb diese erfolglos geblieben sind und dass er mangels einer Ausweichmöglichkeit nunmehr auf den Abschluss des für ihn ungünstigen Mietvertrages angewiesen war (Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 28. Januar 2004 - VIII ZR 190/03 -, NJW 2004, 1740 / www..de, Leitsatz). Daher könnte der Antragsgegner wohl allenfalls versuchen, auf die ordnungsbehördliche Klärung hinzuwirken. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.