Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.05.2007, Az.: 2 LA 415/07
Unzulässigkeit eines Prozesskostenhilfeantrags aufgrund fehlender Unterschrift des Antragstellers; Erfolg der Anhörungsrüge aufgrund einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise; Erforderlichkeit einer schriftlichen Erteilung der Prozessvollmacht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.05.2007
- Aktenzeichen
- 2 LA 415/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 34403
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:0509.2LA415.07.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 63 VwGO
- § 100 VwGO
- § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Fehlt die erforderliche persönliche und eigenhändige Unterschrift des Vollmachtgebers unter einer Prozessvollmacht, begründet die Nichtgewährung von Akteneinsicht an den (vollmachtlosen) Prozessvertreter keinen Gehörsverstoß.
Gründe
I.
Die Kläger haben durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 29. Januar 2007 (bei dem Verwaltungsgericht an demselben Tage, einem Montag, eingegangen) gegen das - ihrem früheren Prozessbevollmächtigten am 28. Dezember 2006 zugestellte - Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 14. Dezember 2006 - 6. Kammer - einen Antrag auf Zulassung der Berufung verbunden mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt. Diesen Antrag haben die Kläger weder im Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 29. Januar 2007 noch in der Folgezeit begründet; auch die erforderlichen Unterlagen zum Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurden nicht vorgelegt. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragte in diesem Schriftsatz lediglich die Gewährung von Akteneinsicht "wegen Anwaltswechsels kraft beiliegender Vollmacht". Diesem Schriftsatz waren lediglich zwei Vollmachtsvordrucke der Kläger bzw. des Klägers zu 1. beigefügt, die von den Klägern aber nicht unterschrieben waren.
Auf die fehlenden Unterschriften der Kläger in der vorgelegten Prozessvollmacht wurde ihr Prozessbevollmächtigter mit Eingangsverfügung des Vorsitzenden des beschließenden Senats vom 2. Februar 2007 mit der Bitte, eine von den Klägern unterzeichnete Vollmacht vorzulegen, ausdrücklich hingewiesen. Außerdem wurde er gebeten, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger einzureichen. Hierauf erfolgte von Seiten der Kläger und ihres Prozessbevollmächtigten keine Reaktion, sodass diese mit Verfügung des Berichterstatters des Senats vom 20. Februar 2007 nochmals zur Vorlage einer von den Klägern unterschriebenen Vollmacht und der PKH-Unterlagen aufgefordert wurden. Da auch diese Verfügung von den Klägern nicht befolgt wurde, wies der Berichterstatter mit Verfügung vom 6. März 2007 darauf hin, dass die zweimonatige Begründungsfrist des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht eingehalten und der Antrag auf Zulassung der Berufung deshalb unzulässig sei. Mit Beschluss vom 22. März 2007 wies der Senat die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Anhörungsrüge und tragen zur Begründung vor, der Antrag ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 29. Januar 2007 auf Gewährung von Akteneinsicht sei "nie beschieden oder gar befolgt" worden.
II.
Die Anhörungsrüge gemäß § 152 a VwGO hat keinen Erfolg.
Voraussetzung für den Erfolg der Anhörungsrüge ist nach § 152 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO, dass das Gericht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Ein solcher Mangel haftet der Entscheidung des Senats vom 22. März 2007 entgegen der Ansicht der Kläger nicht an. Die unberechtigte Verweigerung der gemäß § 100 VwGO zu gewährenden Akteneinsicht stellt sich infolge der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs zwar regelmäßig als wesentlicher Verfahrensmangel dar. Sie kann auch konkludent erfolgen, wenn etwa das Gericht zur Sache ohne vorherige Bescheidung des Antrages auf Akteneinsicht entscheidet (Lang, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 100 Rdnr. 40 m. w. N.). Im vorliegenden Fall trifft der Vorwurf der Kläger hingegen nicht zu.
Nach § 100 Abs. 1 VwGO können die Beteiligten - hierzu gehören insbesondere die Kläger - die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Einem Prozessvertreter steht demgegenüber kein eigenes Recht auf Akteneinsicht zu; dies gilt auch für Rechtsanwälte trotz ihrer Stellung als Organ der Rechtspflege (Lang, in: Sodan/Ziekow, a. a. O., § 100 Rdnr. 8 m. w. N.). Deshalb bedürfen Prozessvertreter - und zwar auch Rechtsanwälte - zur Begründung eines Vertretungsverhältnisses im Verwaltungsprozess, das Voraussetzung für die Gewährung von Akteneinsicht durch einen Prozessvertreter ist, einer Prozessvollmacht der von ihnen vertretenen Beteiligten. Ohne wirksame Bevollmächtigung ist es dem Gericht schon aus datenschutzrechtlichen Gründen verwehrt, einem Dritten, der nicht Beteiligter i. S. v. § 63 VwGO ist, Einsicht in die Verwaltungsvorgänge zu gewähren.
Die Prozessvollmacht ist nach § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu erteilen. Die Schriftlichkeit der Vollmacht ist im Verwaltungsprozess wesentliches Formerfordernis und Wirksamkeitsvoraussetzung. Das Gebot der Schriftlichkeit bedingt, dass der Vollmachtgeber die Vollmachtsurkunde eigenhändig und handschriftlich unterzeichnet (Czybulka, in: Sodan/Ziekow, a. a. O., § 67 Rdnr. 12). An diesem Erfordernis der eigenhändigen handschriftlichen Unterschrift durch die Kläger fehlt es im vorliegenden Fall. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger ist vom Senat mehrfach auf das Fehlen einer wirksamen Prozessvollmacht hingewiesen worden (vgl. zu diesem Erfordernis etwa BVerwG, Urt. v. 22.1.1985 - 9 C 105.84 -, BVerwGE 71, 20 [BVerwG 22.01.1985 - 9 C 105/84] = NJW 1985, 92 [BAG 23.05.1984 - 4 AZR 129/82]). Da eine wirksame Vollmacht nicht vorgelegt wurde, konnte ihm die beantragte Akteneinsicht nicht gewährt werden mit der Konsequenz, dass der von den Klägern gerügte Gehörsverstoß nicht gegeben ist.
§ 88 Abs. 2 ZPO steht dem nicht entgegen. Diese Vorschrift ist im Verwaltungsprozess über § 173 VwGO nicht in der Weise entsprechend anwendbar, dass das Gericht gehindert wäre, ohne entsprechende Rüge des Prozessgegners die Vollmachtsvorlage zu verlangen. Insoweit enthält § 67 Abs. 3 VwGO eine abschließende Regelung (so auch VGH München, Beschl. v. 5.10.1982 - 4 C 82 A.618 -, BayVBl. 1983, 29 m. w. N.). Jedenfalls aber hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger dadurch, dass er trotz mehrfacher Aufforderung seitens des Gerichts eine von den Klägern unterschriebene und damit wirksame Prozessvollmacht nicht vorgelegt hat, berechtigte Zweifel an der wirksamen Bevollmächtigung hervorgerufen (vgl. dazu etwa OVG Lüneburg, Beschl. v. 12.2.1979 - VIII B 22/78 -, DÖV 1979, 835).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist im Hinblick auf Nr. 5400 der Anlage 1 zum GKG nicht erforderlich.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 a Abs. 4 Satz 3 VwGO).