Landgericht Aurich
Beschl. v. 14.09.2004, Az.: 4 T 179/04
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 14.09.2004
- Aktenzeichen
- 4 T 179/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50882
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Oldenburg - 03.01.2005 - AZ: 5 W 151/04
Tenor:
Die sofortigen Beschwerden der Beteiligten zu 3. und 4. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Emden vom 05.03.2004 werden auf ihre Kosten zurückgewiesen. Beschwerdewert: jeweils 70.000,-- €.
Gründe
Die Beteiligten zu 1., 2. und 3. sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft W.-L.-Straße …, …. in E.. Die Beteiligte zu 4. ist die Verwalterin. In § 12 der Teilungserklärung der Wohnungseigentümergemeinschaft sind Nutzungen, Lasten und Kosten der Wohnungseigentümergemeinschaft geregelt. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Teilungserklärung verwiesen. In der Eigentümerversammlung vom 25.10.2003 haben die Wohnungseigentümer u.a. folgende Beschlüsse gefasst:
„TOP 4:
Beschluss über eine Sonderumlage wegen Nichtzahler, um den Geldengpass der Gemeinschaft zu überbrücken, bis die Wohngeldklagen Erfolg haben. Voraussichtliche Höhe von EUR 350.000,00 = EUR 35,00 je MEA
Die Verwalterin und der Beirat erläutern anhand von Vorlagen, Folien, offenen Rechnungen den anwesenden und vertretenen 233 Eigentümern die Finanzsituation der WEG, verursacht durch die Nichtzahler (siehe Anlage 6) Die Verwalterin und der Beirat empfehlen die nachfolgende Beschlussfassung.
Beschluss:
Die Eigentümergemeinschaft beschließt zur Abwendung der Zahlungsprobleme und des Liquiditätsengpasses durch nicht zahlende Eigentümer, eine Sonderumlage von insgesamt:
€ 350.000,00 = EUR 35,00 je Miteigentumsanteil (MEA).
Die Sonderumlage wird in der Buchhaltung getrennt erfasst, ins SOLL gestellt und gegenüber den Eigentümern durch Sonderumlageabrechnung gesondert berechnet. Die Sonderumlage wird in die Abrechnung 2003 als Zuführung zur Rücklage eingestellt, aber als Liquiditätshilfe bis zum Eingang der eingeklagten Wohngelder eingesetzt. Die Sonderumlage ist sofort fällig, spätestens zahlbar bis zum 14.11.2003 auf das in der Anforderung genannte Konto der Gemeinschaft. Die Verwaltung wird beauftragt und bevollmächtigt, die bis dahin nicht eingegangenen Gelder mittels Anwalt gerichtlich durchzusetzen. Die Verwaltung ist ferner bevollmächtigt, mit Eigentümern Ratenzahlungsvereinbarungen abzuschließen. Die zahlenden Eigentümer, die pünktlich bis zum 14.11.2003 zahlen, erhalten die eingehenden Verzugszinsen derjenigen Eigentümer, die durch Gerichtsbeschluss zur Zahlung von Verzugszinsen verurteilt wurden. Zu diesem Zweck wird die Verwaltung beauftragt, diese eingehenden Zinsen getrennt zu buchen. Die Auszahlung dieser getrennt gebuchten Zinsen erfolgt an die oben bezeichneten Eigentümer, sobald die Liquidität der Gemeinschaft dies zulässt.“
„TOP 6:
Absperrung der Versorgung durch die Gemeinschaft, Verweigerung der Lieferung an Eigentümer und Mieter, wenn der Eigentümer mit Wohngeld von mind. € 5.000,00 in Rückstand ist. Die Mieter sollen die Möglichkeit erhalten aus der Miete die WP Kosten zu zahlen, um die Absperrung durch Verrechnung mit Miete zu verhindern.
Beschluss:
Befindet sich ein Wohnungseigentümer mit seinen Wohngeldzahlungen (Wirtschaftsplan, auch bei Jahresfälligkeit, Abrechnungssalden, Sonderumlagen) an die Gemeinschaft in Höhe eines Betrages von mehr als EUR 5.000,00 in Verzug, ist die Verwalterin beauftragt und bevollmächtigt, die Wohnung von der Versorgung mit Kaltwasser, Warmwasser, Heizung und/oder anderer Versorgungsleistungen durch Absperrung auszuschließen. Die Versorgungsausschließung bleibt solange bestehen, bis die Rückstände gezahlt oder eine abgesicherte Ratenvereinbarung geschlossen ist. Vor einer Absperrung wird bei vermieteten Einheiten der Mieter benachrichtigt und darauf hingewiesen, dass er durch Zahlung die Absperrung verhindern kann. Er hat das Recht als Mieter, die Miete um den Teil zu kürzen, den er benötigt, um die Absperrung zu verhindern. Nach erfolgter Benachrichtigung mit Fristsetzung und fruchtlosem Fristablauf ist die Verwaltung berechtigt, die Absperrungen und Ausschließungen auf Kosten der Gemeinschaft vorzunehmen. Die dabei entstehenden Kosten gehen zu Lasten des Eigentümers, der dies durch Nichtzahlung von Wohngeld verursacht. Nach fruchtloser Fristsetzung zur Zahlung dieser Kosten ist die Verwaltung beauftragt und bevollmächtigt, auch diese Kosten mittels Anwalt gerichtlich für die Gemeinschaft gegen den Verursacher durchzusetzen. Um die Kosten für die Gemeinschaft zu sparen, sollen die Absperrungen und Versiegelungen der Absperrstellen, durch die Verwaltung mit Hilfe der Hausmeister durchgeführt werden.“
Auf Antrag der Beteiligten zu 1. und 2. hat das Amtsgericht Emden durch Beschluss vom 05.03.2004 u.a. diese Beschlüsse für ungültig erklärt. Wegen aller Einzelheiten wird auf den Beschluss verwiesen. Gegen diesen ihnen am 10.03.2004 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der übrigen Wohnungseigentümer vom 24.03.2004, die mit Originalschriftsatz am 25.03.2004 beim Amtsgericht Emden eingegangen ist. Da die Wohnungseigentümergemeinschaft durch ihren Verfahrensbevollmächtigten glaubhaft gemacht hat, die Beschwerdeschrift per Fax am 24.03.2004 an das Amtsgericht Emden gesandt zu haben, hat ihr das Beschwerdegericht hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
Gegen den ihr am 10.03.2004 zugestellten Beschluss richtet sich ebenfalls die sofortige Beschwerde der Verwalterin vom 23.03.2004.
Die sofortigen Beschwerden sind zulässig, insbesondere übersteigt der Wert des Gegenstands der Beschwerde jeweils 750,-- €. Der Beschwerdewert bemisst sich nach dem Interesse der Wohnungseigentümergemeinschaft bzw. der Verwalterin, die Liquiditätsumlage in Höhe von 350.000,-- € auf Grund des oben genannten Beschlusses erheben zu können und hinsichtlich des Tagesordnungspunkt 6 wegen Zahlungsrückstände der Wohnungseigentümergemeinschaft ebenfalls in der Höhe von 350.000,-- € einzelne Wohnungen von den Versorgungseinrichtungen auszusperren, soweit deren Eigentümer mit mindestens 5.000,-- € in Rückstand sind. Dieses Interesse übersteigt deutlich jeweils 750,-- €.
Die sofortigen Beschwerden sind jedoch nicht begründet. Im einzelnen:
Tagesordnungspunkt 4
Beschlossen ist eine Sonderumlage von 350.000,-- €, die nach Miteigentumsanteilen erhoben werden soll.
An der Anfechtung dieses Beschlusses haben die anfechtenden Wohnungseigentümer ein rechtsschutzwürdiges Interesse auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei einer Verteilung der Sonderumlage nach Nutzflächen der Wohnungseigentümer T. lediglich 7 Cent weniger zahlen müsste und die Wohnungseigentümer Z. sogar 7 Cent mehr zahlen müssten als bei einer Verteilung nach Miteigentumsanteilen. Denn beide Wohnungseigentümer haben einen grundsätzlichen Anspruch gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft, dass eine derartige Umlage nach dem vereinbarten Verteilungsschlüssel verteilt wird. Wenn wie vorliegend der Verteilungsschlüssel der Umlage gegen den vereinbarten Verteilungsschlüssel verstößt, kann den Antragstellern das Rechtsschutzinteresse an einer gerichtlichen Klärung der Rechtslage nicht versagt werden, zumal die Antragsteller befürchten müssen, zu weiteren Umlagen mit einem falschen Verteilungsschlüssel herangezogen zu werden, wenn die Rechtslage nicht gerichtlich geklärt wird.
Die Beschlussfassung zum Tagesordnungspunkt 4 verstößt gegen den vereinbarten Verteilungsschlüssel in § 12 Ziffer 3 der Teilungserklärung, wonach alle durch § 12 der Teilungserklärung nicht erfasste Kosten und Lasten von den Wohnungseigentümern entsprechend den Wohn- und Nutzflächen zu tragen sind. Das Beschwerdegericht teilt insoweit nicht die Auffassung der sofortigen Beschwerden, die beschlossene Umlage unterfalle nicht § 12 Ziffer 3 der Teilungserklärung, die Regelung betreffe nur Kosten, die den Kosten in § 12 Ziffer 1 und 2 der Teilungserklärung zuzuordnen seien. Denn die in § 12 Ziffer 3 der Teilungserklärung enthaltene Formulierung ist dahin gehend eindeutig, dass alle durch § 12 der Teilungserklärung nicht ausdrücklich geregelte Kosten nach Wohn- und Nutzflächen zu verteilen sind. Die Sonderumlage gehört zu den Kosten und Lasten im Sinne der Teilungserklärung, denn eine Rückzahlung an die Wohnungseigentümer ist nach dem Beschlusstext nicht vorgesehen und auch nicht ersichtlich. Die Beschlussfassung enthält mithin inzident eine Änderung des Verteilungsschlüssels, die schon deshalb für ungültig zu erklären ist, weil sie als Beschlussfassung zur Änderung der Teilungserklärung nicht auf der Tagesordnung stand, § 23 Abs. 2 WEG. Zur Beschlussfassung stand lediglich die Sonderumlage auf der Tagesordnung.
Tagesordnungspunkt 6:
Der Beschluss beinhaltet im wesentlichen die Bevollmächtigung der Verwalterin, bei Zahlungsrückständen der Wohnungseigentümer von mindestens 5.000,-- € die Wohnung von der Versorgung mit Kaltwasser, Warmwasser, Heizung und/oder anderer Versorgungsleistungen durch Absperrung auszuschließen.
Gegen den Ausschluss eines Wohnungseigentümers von der Versorgung wegen Wohngeldrückständen bestehen keine grundsätzlichen Bedenken, wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl. OLG Hamm, OLGZ 1994, 269, BayObLG, Juristisches Büro 1992, 342, KG NJW Rechtsprechungsreport 2001, 181). Der vorliegende Beschluss ist jedoch aus folgenden Gründen nicht verhältnismäßig:
1. Nach § 23 Abs. 1 WEG ist vor der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ein Beschluss der Wohnungseigentümer herbeizuführen (BayObLG aa0.). Der vorliegende Beschluss ermächtigt den Verwalter schon vor seiner Bestandskraft, eine Wohnung von der Versorgung auszuschließen. Das Recht des Wohnungseigentümers, die Beschlussfassung anzufechten, wird dadurch praktisch unterlaufen, denn der Beschluss ermöglicht die Absperrung auch bei anfechtbarem Beschluss.
2. Der Beschluss ermöglicht den Ausschluss von der Versorgung nicht nur wegen rückständiger Wohngelder sondern auch wegen rückständiger Sonderumlagen, z.B. der unter Top 4 beschlossenen Liquiditätsumlage und sonstigen Abrechnungssalden, z.B. Verzugszinsen, Mahnkosten usw. Die zum Tagesordnungspunkt 4 beschlossene Sonderumlage beträgt für den Wohnungseigentümer T. 1.428,35 € und für die Wohnungseigentümer Z. 1.327,90 €. Sie macht mithin mehr als 25 % des im Beschluss genannten Rückstandes von 5.000,-- € aus. Anders als bei Hausgeldabrechnungen und Wirtschaftsplänen, die in der Regel auf belegten Ausgaben und einer Prüfung durch den Beirat berufen, kann die Berechtigung derartiger Sonderumlagen höchst zweifelhaft sein, so dass der Wohnungseigentümer das Recht haben muss, ihre Berechtigung notfalls gerichtlich zu klären, bevor er zahlt. Dieses Recht wird wirtschaftlich unterlaufen, wenn er von der Versorgung ausgeschlossen wird, bevor bestandskräftig geklärt ist, ob er die zum Rückstand gehörende Sonderumlage zahlen muss.
3. Das Beschwerdegericht hat in Parallelverfahren dieser Wohnungseigentümergemeinschaft diverse Wohnungeldklagen verhandelt, in denen sich Wohnungseigentümer in Unkenntnis der Rechtslage, mit nicht rechtskräftig festgestellten oder nicht anerkannten Gegenforderungen nicht aufrechnen zu können, bei der Inanspruchnahme aus Wirtschaftsplänen die Zahlung mit der Begründung verweigern, sie hätten im Wirtschaftsplan eingestellte Kosten direkt bezahlt. Das ist oft, z.B. hinsichtlich Grundsteuern, Müllgebühren und Deichacht zutreffend. Diese Lasten wurden bisher über die Wohngeldabrechnung abgerechnet. Weil die Wohnungseigentümergemeinschaft mangels Liquidität jedoch nicht zahlt, nimmt die Stadt E. die Wohnungseigentümer einzeln und direkt in Anspruch. Aus diesem Zustand entsteht ein erhebliches Misstrauen gegen die Abrechnungen der Wohnungseigentümergemeinschaft. Zudem gehören die vermieteten Wohnungen einem Mietpool an, der ebenfalls von der Wohnungsverwalterin geleitet wird. Mietpoolerträge der Wohnungseigentümer werden von der Verwalterin auf die Hausgeldkonten der Wohnungseigentümer umgebucht, wodurch Wohnungseigentümer manchmal – bei der Kammer waren derartige Verfahren schon anhängig – die Übersicht verlieren, welche Beträge an Wohngeld sie noch selbst zahlen müssen und inwieweit sie noch Ansprüche gegen den Mietpool haben, der von der Verwalterin auf ihr Hausgeldkonto umzubuchen ist. Insgesamt ist deshalb der Auffassung des Amtsgerichts Emden beizutreten, dass der Rückstand von 5.000,-- € entweder anerkannt oder rechtskräftig festgestellt sein muss, bevor die Wohnungseigentümergemeinschaft eine Wohnung von der Versorgung aussperren darf.
4. Schließlich liegt auch eine Ungleichbehandlung der Wohnungseigentümer darin, dass nach der Beschlussfassung bei vermieteten Wohnungen der Verwalter den Mieter auf die drohende Sperrung hinweisen muss, bei selbst nutzenden Wohnungseigentümer der Verwalter jedoch ohne Vorwarnung die Absperrung veranlassen kann.
Soweit das Amtsgericht 90 % der Gerichtskosten erster Instanz der Verwalterin auferlegt hat. ist dies gemäß § 47 Abs. 1 S. 1WEG nicht ermessensfehlerhaft, denn auch dem Verwalter können Verfahrenskosten auferlegt werden, wenn er durch unrichtiges schuldhaftes Verhalten das Verfahren verursacht hat (vgl. Bärmann, WEG, 9. Aufl., § 47 Randnr. 5). Die vom Amtsgericht aufgehobenen Beschlussfassungen waren ersichtlich von der beteiligten Verwalterin initiiert. Das Anfechtungsverfahren hätte vermieden werden können, wenn die Verwalterin auf der Wohnungseigentümerversammlung die Beschlussfassenden pflichtgemäß auf die Anfechtbarkeit der Beschlüsse hingewiesen hätte.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren hinsichtlich Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Beteiligten beruht auf § 47 KostO Die Kammer hält es für angemessen, die Kosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen, weil sie unterlegen sind.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird nach § 48 Abs. 3 WEG zum Beschluss zu Tagesordnungspunkt 4 ausgehend vom Gesamtinteresse der Wohnungseigentümergemeinschaft (350.000,-- €) nach dem Einzelinteresse der Anfechtenden auf 10 % von 350.000,-- € = 35.000,-- € festgesetzt. Für die Beschlussfassung zu Tagesordnungspunkt 6 ist wiederum nach dem Gesamtinteresse von 350.000,-- € Rückständen auszugehen. Nach dem Einzelinteresse der Anfechtenden erscheint auch hier ein Geschäftswert von 10 % von 350.000,-- € angemessen, so dass der Geschäftswert der Beschwerdeverfahren insgesamt jeweils auf 70.000,-- € festzusetzen ist.