Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 29.10.2003, Az.: 11 A 746/03

Akzeptanz der Einehe; Einbürgerungsanspruch; Ermessensfehler; erschlichene Einbürgerung; Fehlerhafte Ermessenserwägungen; langjähriger Inlandsaufentalt; Lebenslauf; Mehrehe; Mängel des Einbürgerungsformulars; rechtswidrige Einbürgerung; rechtswidrige Rücknahme; Rücknahme der Einbürgerung; Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
29.10.2003
Aktenzeichen
11 A 746/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48291
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 13.07.2007 - AZ: 13 LC 468/03

Tatbestand:

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Die Beteiligten streiten über die Rücknahme einer Einbürgerung.

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Der Kläger ist 1961 in Pakistan geboren und kam 1985 als Asylbewerber in das Bundesgebiet. Nachdem er im September 1988 eine deutsche Staatsangehörige geheiratet hatte, beendete er sein Asylverfahren durch Antrags- und Klagerücknahme. Wegen der Eheschließung erhielt er zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Im Oktober 1991 wurde eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Ungefähr drei Monate nach seiner Heirat reiste der Klage zu einem Besuch nach Pakistan und heiratete dort am 7. Februar 1989 eine pakistanische Staatsangehörige. Das erste gemeinsame Kind wurde im Dezember 1989 in Pakistan geboren und in die entsprechenden Register als sein Sohn eingetragen.

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Am 14. November 1990 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. In dem Antragsformular gab er als Ehegatte seinen eigenen Namen an. Zu Kindern machte er keine Angaben. Im Lebenslauf behauptete er, er sei nach Deutschland gekommen, weil er politisch verfolgt wurde. Weder dort noch in den beigefügten Unterlagen fanden sich Hinweise auf die in Pakistan geschlossene Ehe und das inzwischen geborene Kind. Während des Einbürgerungsverfahrens wurde in Pakistan eine Tochter des Klägers mit der pakistanischen Staatsangehörigen geboren und als sein Kind im Register eingetragen. Nach Prüfung aller Unterlagen teilte die Bezirksregierung Weser-Ems dem Kläger im November 1992 mit, die Einbürgerung könne erfolgen. Man gehe davon aus, dass sich zwischenzeitlich in den persönlichen Verhältnissen keine Änderungen ergeben hätten, die einer Einbürgerung entgegenstehen könnten. In einem weiteren Schreiben vom 30. November wurde darauf hingewiesen, dass er mit der Einbürgerung die bisherige Staatsbürgerschaft verliere. Er wurde gebeten, den pakistanischen Reisepass vorzulegen. Nachdem die Ehefrau schriftlich angekündigt hatte, sich scheiden lassen zu wollen, sprachen der Kläger und seine Ehefrau am 14. Dezember 1992 bei der Bezirksregierung vor und gaben beide übereinstimmend an, dass man sich nicht scheiden lassen wolle. Man habe sich ausgesprochen und versöhnt.

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Der Kläger wurde am 15. Dezember 1992 durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde eingebürgert. Seinen pakistanischen Reisepass gab er ab. Zwei Tage nach der Einbürgerung verließ er seine Ehefrau und meldete sich im Januar 1993 in Stadt Oldenburg an. Die Ehe wurde am 10. Oktober 1995 geschieden. In den Jahren 1996 und 1997 wurden in Pakistan 2 weitere Kinder des Klägers geboren.

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Den deutschen Behörden waren weder die Eheschließung des Klägers in Pakistan noch die vor und nach der Einbürgerung in Pakistan geborenen Kinder bekannt. Aktenkundig wurden die familiären Verhältnisse erst im April 2001, als nämlich die pakistanische Ehefrau des Klägers mit den vier Kindern in die Bundesrepublik Deutschland einreiste. Die Bezirksregierung Weser-Ems bereitete daraufhin die Rücknahme der Einbürgerung vor und wies den Kläger auf die neuen Erkenntnisse hin. Weiter wurden Ermittlungen in Pakistan angestellt. Die deutsche Botschaft hielt die vorgelegten Urkunden nach Überprüfung für echt. Man habe aber Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts. Der Vater der pakistanischen Ehefrau habe mehrfach bestätigt, dass die Heirat schon 1984 stattgefunden habe. Der Vertrauensanwalt sei daran gehindert worden, die Familienregister dieses Jahres durchzusehen. Der Vater des Klägers habe gegenüber dem Vertrauensanwalt versichert, die Hochzeit habe nicht schon im Jahre 1984 stattgefunden.

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Mit Bescheid vom 23. Mai 2002 nahm der Beklagte die Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und ordnete gleichzeitig die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger nicht eingebürgert worden wäre, wenn die Doppelehe bekannt gewesen wäre. Zur Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse als wesentliche Voraussetzung für die Einbürgerung gehöre die Ablehnung der Mehrehe. Der Kläger legte gegen die Verfügung Widerspruch ein und suchte erfolgreich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach (11 B 2428/02). Im Widerspruchsverfahren machte er im Wesentlichen geltend, er habe die pakistanische Staatsangehörige unter Zwang geheiratet. Weil er mit dieser Frau ein Verhältnis gehabt habe, hätten die Familien ihn zur Heirat gezwungen. Weil er schon in Deutschland verheiratet gewesen sei, hätte diese Ehe in Pakistan keinerlei Wirkungen und Bedeutung für ihn gehabt. Da sie unwirksam gewesen sei, habe er sie nicht im Einbürgerungsantrag angegeben. Die Eheschließung in Pakistan berühre die Wirksamkeit seiner vorher geschlossenen Ehe mit der deutschen Staatsangehörigen nicht, die Voraussetzung für die Einbürgerung gewesen sei. Somit sei die Einbürgerung rechtmäßig erfolgt und könne nicht zurückgenommen werden.

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Die Bezirksregierung Weser-Ems wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2003 zurück. Auch eine Einbürgerung könne zurückgenommen werden, wenn sie erschlichen worden sei. Dies sei hier der Fall. Die Einbürgerung sei rechtswidrig erfolgt. Die Doppelehe sei ein Indiz gegen die Einfügung in deutsche Lebensverhältnisse. Das ganze Verhalten des Klägers sei eine bewusste Täuschung der Behörden. Auf Vertrauensschutz könne der Kläger sich nicht berufen. Insbesondere werde er durch die Einbürgerung nicht staatenlos, weil er noch die pakistanische Staatsangehörigkeit besitze.

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Am 27. Februar 2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und macht insbesondere geltend, dass eine Einbürgerung nicht nach den Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts zurückgenommen werden könne. Im Übrigen sei die Einbürgerung rechtmäßig gewesen. Eine Täuschung über maßgebliche Umstände sei nicht erfolgt. Er habe alle Fragen zutreffend beantwortet. Er sei mit einer deutschen Staatsangehörigen wirksam verheiratet gewesen und habe dies in seinem Antrag angegeben. Über die Eheschließung in Pakistan seien keine Angaben erforderlich gewesen, weil diese Ehe ohnehin unwirksam gewesen sei. Eine unwirksame Ehe könne jedoch der Einbürgerung nicht entgegengehalten werden. Er werde durch die Rücknahme der Einbürgerung staatenlos. Die Behörde habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass er seit Januar 2000 ohnehin einen Anspruch auf Einbürgerung gehabt hätte.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2002 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 14. Januar 2003 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Die Rücknahme sei ermessensgerecht. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass er nach dem 1. Januar 2000 ohnehin eingebürgert worden wäre. Er könne aus der rechtwidrig erlangten Stellung keine Vorteile erlangen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Verfahrensakte und der Gerichtsakte 11 B 2428/02 sowie auf die vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die Rücknahme der Einbürgerung durch Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2002 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 14. Januar 2003 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten.

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Die Bescheide sind allerdings formell rechtmäßig.

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Der sachlich zuständige Beklagte war bei Erlass des Bescheides örtlich zuständig, weil der Kläger im Mai 2002 noch in seinem Bezirk wohnte. Er ist erst im Juli 2002 in die Stadt Oldenburg umgezogen.

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Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist - im Zusammenhang mit dem Widerspruchsbescheid - auch hinreichend bestimmt. Zumindest aus Blatt 5 des Widerspruchsbescheides ergibt sich, dass die Einbürgerung mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Im Ausgangsbescheid findet sich keine Angabe zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Rücknahme. Allenfalls kann aus dem Verweis auf § 48 Abs. 2 VwVfG geschlossen werden, dass die Behörde sich auch auf den letzten Satz des zweiten Absatzes berufen wollte, wonach der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, wenn er erschlichen worden ist.

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Die Bescheide sind aber materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme liegen zwar vor, die Ermessenserwägungen sind aber fehlerhaft.

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Nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwGO kann auch ein unanfechtbar gewordener rechtswidriger Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Bei der Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes sind die Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 des § 48 VwVfG zu beachten. Auch rechtswidrig erfolgte Einbürgerungen können - zumindest, wenn sie erschlichen worden sind - nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückgenommen werden (BVerwG Urt. v. 3. Juni 2003, 1 C 19.02 Vnb; OVG Lüneburg, Urt. v. 22. Oktober 1996, 13 L 7223/94, Nds. Rpfl. 1997, 85; Hess. VGH, Urt. v. 18. Mai 1998, 12 UE 1542/98, InfAuslR 1998, 505 ; Hamburgisches OVG, Beschl. v. 28. August 2001, 3 Bs 102/01, InfAuslR 2002, 81; Bay VGH Urt. v. 17. Juni 2002, 5 B 01.1385, juris; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 29. November 2002, 13 S 2039/01, InfAuslR 2003, 205; a.A. OVG Berlin, Beschl. v. 20. Februar 2003, 5 S 23.02, InfAuslR 2003, 211).

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Die durch Aushändigung der Urkunde am 15. Dezember 1992 erfolgte Einbürgerung war rechtswidrig. Seinerzeit galten für die Einbürgerung § 8 und § 9 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Juli 1986 (RuStAG). Danach sollten die Ehegatten von deutschen Staatsangehörigen unter den Voraussetzungen des § 8 eingebürgert werden, wenn u.a. gewährleistet war, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordneten, es sei denn, dass der Einbürgerung erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland entgegenstünden. Die Einhaltung einer einheitlichen Verwaltungspraxis war durch die Einbürgerungsrichtlinien vom 15. Dezember 1997 i.d.F. der Änderung vom 20. Januar 1987 gewährleistet, in denen nähere Bestimmungen zur Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse enthalten waren.

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Die Einbürgerung erforderte eine freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland voraus, die nach der aus dem bisherigen Gesamtverhalten zu beurteilenden grundsätzlichen Einstellung zum deutschen Kulturkreis zu erschließen war  (3.1.1 Einbürgerungsrichtlinien). Die nötige Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse setzte in der Regel ein langfristiges Einleben in das deutsche Umfeld voraus. Deshalb war für die Einbürgerung ein langjähriger Inlandsaufenthalt von mindestens 10 Jahren erforderlich. Wenn allerdings der Einbürgerungsbewerber mit einem deutschen Ehegatten verheiratet war, konnte die Einbürgerung schon eher erfolgen (3.2.1 Einbürgerungsrichtlinien). Er sollte einbürgert werden, wenn die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse nach den Umständen des Einzelfalles mit Sicherheit zu erwarten war. Diese Erwartung gründete sich auf den Inlandsaufenthalt und auf den Bestand der Ehe mit dem deutschen Ehegatten. In der Regel konnte deshalb die Einbürgerung nach fünfjährigem Inlandsaufenthalt und drei Jahre nach der Eheschließung erfolgen (6.1.3 Einbürgerungsrichtlinien).

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Die Einbürgerung des Klägers war rechtswidrig, weil er sich nicht hinreichend in die deutschen Lebensverhältnisse einordnete. Zur Einordnung und zur dauerhaften Hinwendung zum deutschen Kulturkreis und zu den Werten des Grundgesetzes gehört die Akzeptanz der Einehe als einzig gesetzlich vorgesehene eheliche Lebensform. Nur diese ist durch Artikel 6 Abs. 1 GG geschützt. Auch wenn neben der Ehe andere Formen des Zusammenlebens getreten sind, die als gleichgeschlechtliche oder nichteheliche Lebensgemeinschaft akzeptiert werden, stellt dies die Grundentscheidung für die Ehe als Einehe nicht in Frage.

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Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Einbürgerung kommt es auf die gesellschaftliche Akzeptanz des Zusammenlebens zwischen Mann und Frau, das nicht durch eine Heirat legitimiert ist, nicht an. Sicherlich sind im Laufe der letzten Jahrzehnte neben der staatlich geschlossenen Ehe andere Lebensformen getreten, die sowohl von der Gesellschaft als auch von der Rechtsordnung toleriert werden. Auch sind außereheliche Beziehungen nicht mehr in der Weise sanktioniert, dass sie als mit deutschen Lebensverhältnissen völlig unvereinbar bezeichnet werden können (vgl. dazu Hess. VGH, Urteil v. 18. Mai 1998, 12 UE 1542/98, InfAuslR 1998, 505). Aber die Akzeptanz außerehelicher oder nichtehelicher Beziehungen stellt nicht in Frage, dass es in Deutschland nur eine einzige Ehe geben kann und dass daneben die Existenz einer zweiten gleichberechtigten Verheiratung nicht in Frage kommt. Auch wenn eine im Ausland rechtmäßig geschlossene Mehrehe im Inland u. U. zwar als wirksame Ehe anerkannt wird und Schutzwirkungen entfalten kann, ist sie dem europäischen Kulturkreis fremd (BVerwG, Urt. v. 30. April 1985, 1 C 33/81, BVerwGE 71, 228).

25

Der Kläger hat nach seiner Heirat in Deutschland eine zweite Ehe in Pakistan geschlossen, die der in Deutschland geschlossenen mindestens gleichwertig war. Seine Einlassung, die Ehe in Pakistan sei seinen Vorstellungen nach ungültig und unwirksam gewesen, ist unglaubhaft und auch unschlüssig. Nach den in Pakistan herrschenden Ehrbegriffen wird es nicht hingenommen, dass ohne unwirksame Ehe mehrere Kinder gezeugt und akzeptiert werden. Das hat der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Das erste Kind des Klägers war schon vor seinem Antrag auf Einbürgerung geboren. Ein zweites ist während des Einbürgerungsverfahrens in Pakistan zur Welt gekommen. Schon die Einhaltung der Form der Eheschließung und das Einverständnis der Eltern der Braut mit der Beziehung schließen die Annahme aus, es habe sich um eine unwirksame und unbedeutende Beziehung gehandelt.

26

Es ist hier nicht darüber zu entscheiden, ob der Kläger für die Eheschließung in Pakistan eine vorherige religiöse Genehmigung benötigt hätte. Auch wenn er sie nicht erhalten hat, ändert sich nichts an seiner fehlenden Akzeptanz der Ehe und Familie nach der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es kommt hier nicht darauf an, ob der Kläger wirksam verheiratet war, und es geht auch nicht darum, ob die pakistanische Staatsangehörige nach dortigen Recht seine (weitere) Ehefrau oder („nur“) eine Geliebte war. Auch ist es unerheblich, ob und inwieweit der Kläger sich einer Bigamie strafbar gemacht hat. Es ist entscheidend, dass er seiner Vorstellung nach die Einehe als Lebensform nicht akzeptierte, sondern nach wie vor den Ehr und Familienbegriffen seiner Heimat verhaftet und verpflichtet war. Die dem europäischen Kulturkreis fremde Mehrehe ist integrationspolitisch bedenklich (BverwG, Urt. v. 30. April 1985, 1 C 33/81, BVerwGE 71, 228). Ein Ausländer, der diese Form der Ehe eingeht, konnte zumindest 1992/1993 nicht als Ehegatte einer Deutschen eingebürgert werden.

27

Durch die Zweitheirat in Pakistan ungefähr fünf Monate nach seiner Eheschließung in Deutschland hat der Kläger eine mangelnde Verbundenheit mit den deutschen Lebensverhältnissen gezeigt. Er lebte wesentlich noch in der Gedankenwelt seiner orientalischen Heimat und akzeptierte durchaus die Mehrehe, so wie sie in Pakistan möglich war. Von einer nur der Form halber unter Druck geschlossenen Ehe kann nicht die Rede sein, wie schon oben ausgeführt. Obwohl der Kläger sich seit 1985 in der Bundesrepublik befand, war er im bei der Einbürgerung im Jahre 1992 immer noch mehr den in dieser Hinsicht mit deutschen Wertvorstellungen nicht vereinbaren Familien- und Ehrbegriffen seiner Heimat verpflichtet als der Wertordnung des Grundgesetzes. Die Einbürgerung hätte deshalb nicht erfolgen dürfen und war rechtswidrig.

28

Eine rechtswidrig erfolgte Einbürgerung kann zumindest dann zurückgenommen werden, wenn sie erschlichen worden ist. Auf den Fortbestand einer derartig erworbenen Einbürgerung kann kein schutzwürdiges Vertrauen bestehen (Bay. VGH, Urt. v. 17. Juni 2002, 5 B 01.1385, juris; BVerwG Urt. v. 3. Juni 2003, 1 C 19.02 Vnb.). Der Kläger hat seine Einbürgerung durch unvollständige Angaben erwirkt. In dem Einbürgerungsantrag war zwar keine Rubrik für eine Mehrehe vorgesehen. Den Raum für eine frühere Ehe hat er zutreffend nicht ausgefüllt, weil er vor seiner in Deutschland geschlossenen Ehe wohl nicht verheiratet war. Die Vermutung, dass er bereits seit 1984 in Pakistan verheiratet war, lässt sich nicht anhand aussagefähiger Dokumente belegen. Jedenfalls hat der Kläger aber hinsichtlich seiner Kinder den Antrag fehlerhaft und unvollständig ausgefüllt. Bei Antragstellung war bereits das erste Kind geboren und in pakistanische Register als Kind des Klägers eingetragen. Diese Angabe wäre für die Einbürgerung durchaus von Bedeutung gewesen und hätte zumindest Anlass für Nachfragen sein können. Möglicherweise hat der Kläger deshalb auch keine Angaben zu Kindern gemacht, um die Entdeckung seiner Mehrehe zu verhindern.

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Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, dass sich in dem Antragsformular keine Möglichkeit zur Angabe der Mehrehe bestand. Grundsätzlich muss die Behörde sich zwar Mängel des Formulars entgegenhalten lassen. Ein Antragsteller ist in der Regel nicht verpflichtet, außerhalb der gestellten Fragen Angaben zu machen. Allerdings sind für die Entscheidung, ob Angaben vollständig und zutreffend sind, nicht nur das Antragsformular, sondern auch Anlagen und sonstige beigefügte Dokumente zu berücksichtigen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Anm. 103). Darauf lässt sich der Vorwurf, der Kläger habe unvollständige Angaben gemacht, durchaus stützen. Zu den beigefügten erforderlichen Unterlagen gehört auch ein Lebenslauf. Der Kläger hat dort Angaben gemacht, u.a. fand er es mitteilenswert, dass er als politisch Verfolgter in die Bundesrepublik Deutschland gekommen war. Auf die in Pakistan geschlossene Ehe und auf das daraus hervorgegangene Kind geht er jedoch mit keinem Wort ein. Der Kläger muss sich deshalb den Vorwurf gefallen lassen, dass er Maßgebliches für seine Einbürgerung verschwiegen hat. Wenn die Mehrehe bekannt gewesen wäre, hätte die Einbürgerung nicht erfolgen können.

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Die Rücknahme einer rechtswidrig erfolgten Einbürgerung steht im Ermessen der Behörde, die ihr Rücknahmeermessen ordnungsgemäß auszuüben hat. Das Ermessen ist dann nicht rechtmäßig ausgeübt und die Rücknahme ist rechtswidrig, wenn die Behörde nicht hinreichend berücksichtigt hat, ob im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung eine Einbürgerung möglich war (OVG Lüneburg, Urteil v. 22. Oktober 1996, 13 L 7223/94, Nds. Rpfl. 1997, 85; zweifelnd OVG Hamburg, Beschluss v. 28. August 2001, - 3 Bs 102/01 -; InfAuslR 2002, 81). Das führt hier zur Rechtswidrigkeit der Rücknahme der Einbürgerung.

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Der Beklagte hat sich im Ausgangsbescheid damit nicht befasst. Im Widerspruchsbescheid ist die Bezirksregierung der Frage nachgegangen, ob dem Kläger unabhängig von den Umständen, die zur Rücknahme der Einbürgerung zugeführt haben, ein Anspruch auf Einbürgerung zugestanden hätte. Dabei geht die Behörde jedoch von falschen Voraussetzungen aus. Selbst wenn der Kläger im Jahre 1992 nicht eingebürgert worden wäre, hätte er wohl spätestens am 1. Januar 2000 aufgrund der inzwischen eingetretenen Änderungen der §§ 85 ff. AuslG (G. v. 15. Juli 1999, BGBl I S. 1618) einen Anspruch auf Einbürgerung gehabt. Ihm war im September 1988 erstmals eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden, die im Oktober 1991 unbefristet verlängert wurde. Damit war sein Aufenthalt auf unabsehbare Zeit in der Bundesrepublik gesichert. Die Trennung von seiner Ehefrau im Dezember 1992, die frühestens 2 Tage nach Aushändigung der Einbürgerungsurkunde, spätestens aber im Januar 1993 anzusetzen ist, hatte auf seinen Aufenthalt und auf die Rechtmäßigkeit seines Aufenthaltes keinen Einfluss. Zum einen war der Kläger in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Zum anderen hätte er nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 AuslG in der 1992 geltenden Fassung einen Anspruch auf weitere Aufenthaltserlaubnis gehabt, weil die eheliche Lebensgemeinschaft mehr als vier Jahre rechtmäßig bestanden hatte. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Ausländerbehörden dem Kläger die unbefristet erteilte Aufenthaltserlaubnis hätten entziehen können.

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Seit dem 1. Januar 2000 besteht gemäß § 85 AuslG ein Einbürgerungsanspruch, wenn der Ausländer seit 8 Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Dies war eindeutig der Fall. Auch die anderen Erteilungsvoraussetzungen, insbesondere Unabhängigkeit von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe und Straffreiheit lagen wohl vor. Wenn somit der Kläger nicht nur einen Anspruch auf Ermessensentscheidung, sondern einen Anspruch auf Einbürgerung hatte, ist es nicht ermessensgerecht, die im Jahre 1992 erfolgte Einbürgerung zurückzunehmen, ohne auf diese Gesichtspunkte gebührend einzugehen.

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Soweit die Behörden sich auf die Rechtsprechung des OVG Hamburg (Beschl. v. 28. August 2001, 3 Bs 102/01, InfAuslR 2002, 81) berufen, können sie damit nicht durchdringen. Das OVG geht bei zur Begründung seiner Entscheidung, es dürfe dem Begünstigten aus seinem vorwerfbaren Verhalten kein rechtlicher Vorteil entstehen, von unzutreffenden Voraussetzungen aus. Es kommt hier nicht darauf an, ob der Ausländer bei seiner Einbürgerung falsche Angaben gemacht hat. Vielmehr muss man die Einbürgerung und die sie auslösenden Umstände hinwegdenken. Wenn der Kläger sich nicht hätte einbürgern lassen oder wenn die Einbürgerung zu Recht abgelehnt worden wäre, hätte dies an seinem legalen Aufenthalt nichts geändert. Er hätte bis 2000 in der Bundesrepublik Deutschland bleiben und dann den Anspruch auf Einbürgerung nach § 85 ff AuslG geltend machen können.

34

Wenn der Beklagte demgegenüber im Klageverfahren anführt, es sei noch nicht geklärt, ob alle Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 AuslG (z. B. Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln und Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit) erfüllt seien, beseitigt dies den Ermessensfehler nicht. Der Bezug von Sozialhilfe ließe sich von der Heimatgemeinde in Erfahrung bringen.

35

Der Verlust der Staatsangehörigkeit (Vermeidung der Doppelstaatlichkeit) stellt sich 2000 nicht anders dar als im Jahre 1992. Seinerzeit hat man kein Entlassungsverfahren aus der pakistanischen Staatsangehörigkeit durchgeführt. Da sich die Rechtslage nicht geändert hat, dürfte für das Jahr 2000 das Gleiche gelten wie für das Jahr 1992. Der Kläger hat seine bisherige Staatsangehörigkeit wohl mit Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit verloren. Zumindest ergibt sich das aus dem pakistanischen Recht, so wie es in der Entscheidung des Hess. VGH vom 18. Mai 1998 wiedergegeben worden ist. Wohl deshalb ist ein Verfahren zur Entlassung aus der Staatsbürgerschaft 1992 nicht durchgeführt worden. Die Bezirksregierung Weser-Ems als Einbürgerungsbehörde hat dem Kläger auch seinerzeit mitgeteilt, dass er mit der Einbürgerung die bisherige Staatsbürgerschaft verliere. Er hat gemäß der Aufforderung seinen pakistanischen Reisepass abgegeben.

36

Das Gericht braucht über die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 AuslG, die vom Beklagten angesprochen werden, nicht abschließend nicht zu entscheiden. Es ist Sache des Beklagten, seiner Ermessensausübung die hinreichend sichere Tatsachenbasis zugrunde zu legen. Aufklärungslücken machen die Ermessensbetätigung fehlerhaft, weil die Behörde nicht von zutreffenden Grundlagen ausgegangen ist. Sie kann diesen wesentlichen Teil der Ermessensbetätigung - insbesondere die Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft - nicht ungeklärt lassen.