Sozialgericht Hannover
Urt. v. 10.01.2018, Az.: S 14 R 32/16

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
10.01.2018
Aktenzeichen
S 14 R 32/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 11028
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid der Beklagten vom 22. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2015 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Die Tätigkeit der Beigeladenen am 12. November 2014 erfolgte als selbständige Tätigkeit und war nicht versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege-, und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

  3. 3.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beigeladene als sog. Honorarärztin versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung ist. Die Beigeladene beantragte am 29. Januar 2015 die Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status für eine einmalige Tätigkeit im I. als kurativ tätige Ärztin - Anästhesistin. Dem Antrag beigefügt war ein Honorararztvertrag, den die Klägerin mit der Beigeladenen am 10. November 2014 abgeschlossen hatte. Gemäß § 1 des Vertrages beauftragte die Klägerin die Beigeladene mit der selbständigen ärztlichen Betreuung und Behandlung von Patienten. Die erteilten Aufträge führe die Beigeladene in eigener Verantwortung aus, wobei die Interessen der Klägerin bei der Ausführung der Arbeiten zu berücksichtigen seien. Die Beigeladene unterläge keinem Weisungs- und Direktionsrecht der Klägerin. Sie habe jedoch fachliche und organisatorische Vorgaben der Klägerin soweit zu beachten, als dies die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erfordere. Die Beigeladene könne die Leistungen auch durch Dritte erbringen lassen. Gemäß § 3 des Vertrages war das Vertragsverhältnis auf den 12. November 2014 in der Zeit von 07:30 bis 16:00 Uhr begrenzt. Gemäß § 4 des Vertrages hatte die Beigeladene das Recht, einzelne Aufträge ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Die zeitliche und organisatorische Einbindung der Beigeladenen in Dienstsysteme seien nur mit ihrem Einverständnis möglich. Gemäß § 5 des Vertrages könne die Beigeladene auch für dritte Auftraggeber tätig werden ohne Zustimmung der Klägerin. Die Beigeladene erhalte für die ärztliche Tätigkeit gemäß § 6 des Vertrages ein Honorar in Höhe von 85,00 EUR je Stunde im Tagesdienst. Die Beigeladene hafte gemäß § 9 des Vertrages im Rahmen der gesetzlichen Haftpflicht für Schäden, die sie im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Klägerin zufüge. Es bestehe eine Berufs-Haftpflichtversicherung über J ... Gemäß § 10 des Vertrages galten die allgemeinen Geschäftsbedingungen von J ... Die Beigeladene reichte eine Bescheinigung der K. Krankenversicherung vom November 2014 zu Erlangung eines Arbeitgeberzuschusses zum Beitrag für eine private Kranken- und Pflegeversicherung nach § 257 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ein. Danach war ein Beitrag der Klägerin sowie dreier Kinder in Höhe von insgesamt 736,82 EUR monatlich im Jahr 2015 geschuldet. Ferner wurde ein Bescheid der L. vom 11. August 1999 eingereicht, in dem die Beigeladene von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung befreit wurde. Die Beigeladene führte am 23. Februar 2015 aus, dass die Zuweisung der Patienten gemäß Operationsplan erfolgte. Es bestünde keine Einbindung in die kontinuierliche Patientenversorgung durch das Krankenhaus. Die Beigeladene habe keine Funktion im Krankenhaus bekleidet. Im Rahmen der Arbeit als Anästhesistin im Operationssaal erfolgte eine Zusammenarbeit mit den operierenden Chirurgen sowie dem Pflegepersonal des Krankenhauses. Mit den übrigen Anästhesisten des Krankenhauses erfolgte demgegenüber keine Zusammenarbeit. Die Beigeladene habe das Krankenhauspersonal nicht anweisen können. Sie sei nicht in die Entscheidungshierarchien des Krankenhauses eingebunden gewesen und es erfolgte keine Supervision. Fachlich habe sie das Letztentscheidungsrecht gehabt. Sie sei nicht als Mitarbeiterin des Krankenhauses aufgetreten und habe ein eigenes Namensschild getragen. Dies war nicht mit dem Logo des Krankenhauses versehen. An Teambesprechungen habe sie nicht teilgenommen, ebenso wenig am Ruf- und Bereitschaftsdienst. Sie habe keine festen Arbeitszeiten/Dienstpläne oder Urlaubsregelungen einhalten müssen. Die Abrechnung erfolgte nach der geleisteten Arbeit entsprechend den geleisteten Stunden mit dem Krankenhaus. In die Behandlung von Privatpatienten sei sie nicht eingebunden gewesen, ebenso wenig in ein Forderungsmanagement. Sie habe eine eigene Berufshaftpflichtversicherung, die allein von ihr finanziert werde. Es erfolgte seitens der Beigeladenen keine Beteiligung an den Betriebskosten des Krankenhauses. Miete bzw. Nutzungsentgelt werde nicht gezahlt. Es bestünde keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bzw. im Falle des Urlaubes. Bei Krankheit hätte die Beigeladene den diensthabenden Arzt bzw. den Chefarzt der Anästhesieabteilung informieren müssen. Möglicherweise hätte sie eine Ersatzkraft stellen müssen, was allerdings bei einer eintägigen Tätigkeit nicht erforderlich war. Sie sei nicht zur Übernahme von Urlaubs- und Krankheitsvertretungen verpflichtet gewesen. Arbeitskleidung sei nicht gestellt worden. Im Operationsbereich sei aus Hygienegründen die Krankenhausoperationskleidung zu tragen gewesen. Weisungen fachlicher Art seien durch die Klägerin nicht erfolgt. Es hätte keine Kontrolle der Arbeit der Beigeladenen stattgefunden. Sie habe eigene Betriebsmittel (Stethoskop, Schreibmaterial etc.) nicht eingesetzt. Die Einkünfte aus der streitigen Tätigkeit seien von untergeordneter Bedeutung gewesen. Zuvor hätte keine Tätigkeit für die Klägerin vorgelegen. Möglicherweise sollten jedoch weitere Tätigkeiten bei der Klägerin erfolgen, da über die Agentur J. immer wieder Tätigkeiten bei der Klägerin angeboten würden. Die Klägerin wurde am 12. März 2015 angehört. Die Beigeladene übersandte eine Bestätigung der M. Lebensversicherung über eine private Altersvorsorge. Ferner wurde eine Bestätigung der K. Versicherung über eine private Krankenversicherung eingereicht. Die Klägerin nahm am 7. April 2015 Stellung. Die Beigeladene sei keinen Weisungen im Rahmen ihrer Tätigkeit hinsichtlich Inhalt, Ort und Art der Leistung unterworfen gewesen. Sie sei nicht in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen. Die Beigeladene hätte jederzeit frei über ihre Arbeitskraft verfügen können. Sie hätte die Tätigkeit auch durch einen Dritten ausführen lassen können. Sie trage für den Tätigkeitsbereich der Anästhesie ein unternehmerisches Risiko. Im Honorararztvertrag sei ausdrücklich bestimmt, dass die Beigeladene die Aufträge in eigener Verantwortung ausführe und Weisungsrechte nicht bestünden. Zwar habe sie die fachlichen und organisatorischen Vorgaben der Klägerin zu beachten, soweit dies für eine ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erforderlich sei. Dies ändere aber nichts an einer selbständigen Tätigkeit. Es gäbe keine generelle Wertung dahingehend, dass Anästhesisten, die in einem Krankenhaus eingesetzt würden, in einem Beschäftigungsverhältnis stünden, weil die zeitliche und organisatorische Einbindung durch Zuordnung der Operationssäle durch den Krankenhausbetreiber erfolge. Die Klägerin müsse auch selbständigen Auftragnehmern fachliche und organisatorische Vorgaben machen. Die Behandlung der Patienten sei weder im Rahmen einer arbeitsorganisatorischen Eingliederung noch weisungsabhängig erfolgt. Die Beigeladene erfüllte als Anästhesistin ihre Aufgabe, sie sei dabei völlig frei gewesen und habe keinen Weisungen unterlegen. Die Beigeladene sei gerade nicht als Ärztin der Klinik, sondern völlig unabhängig davon tätig gewesen, auch wenn sie bei der Klägerin keine eigenen Patienten behandelt habe. Schon vertraglich habe sie keinem Weisungsrecht der Klägerin unterlegen und habe fachliche und organisatorische Vorgaben nur insoweit zu beachten gehabt, als dies die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erfordere. Soweit behauptet werde, dass die Gesamtverantwortung der Tätigkeit der Klägerin beim Chefarzt läge, handele es sich um eine Behauptung. Die Arbeitszeiten seien nicht fest vereinbart gewesen trotz der genauen vertraglichen Regelung. Denn bei einer Verhinderung hätte die Klägerin die Leistung durch Dritte erbringen lassen können. Auch bei selbständig Tätigen sei ein Honorar auf Stundenbasis nicht ungewöhnlich. Anders als Arbeitnehmer erhielt die Klägerin die Gegenleistung nach § 6 des Vertrages nur für "erbrachte" ärztliche Tätigkeiten. Dies unterstreiche ihr unternehmerisches Risiko. Die Zusammenarbeit mit weiterem medizinischen Personal der Klägerin begründe keine Beschäftigung, da die Tätigkeit als Anästhesistin nicht von anderem Personal ausgeübt werden könne. Dass die Beigeladene kein Kapital in nennenswertem Umfang eingesetzt habe, sei nicht belegbar. Anhaltspunkte für eine Eingliederung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation seien nicht ersichtlich. Für eine selbständige Tätigkeit spräche demgegenüber, dass die Beigeladene an Teambesprechungen nicht teilgenommen habe. Dies widerlege schon die Eingliederung in eine fremdbestimmte Arbeitsorganisation. Gemäß § 1 des Vertrages führe die Beigeladene die Aufträge in eigener Verantwortung aus. Sie unterläge keinem Weisungs- und Direktionsrecht, was eine selbständige Tätigkeit belege. Sie habe auch Dritte mit der Erfüllung der Leistungspflicht beauftragen können. Bei dem engbegrenzten Zeitraum sei eine persönliche Abhängigkeit nicht plausibel. Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Klägerin sei schon deshalb gar nicht möglich gewesen. Gemäß § 4 des Vertrages hätte die Beigeladene einzelne Arbeitsaufträge ablehnen können. Die Eingliederung in den Dienstplan sei nur mit Einverständnis der Beigeladenen möglich gewesen. Gemäß § 5 des Vertrages konnte die Beigeladene auch für weitere Auftraggeber tätig werden. Gemäß § 7 des Vertrages war die Beigeladene zur selbständigen Versicherung verpflichtet gewesen. Die dafür entstehenden Kosten könne die Beigeladene nicht der Klägerin in Rechnung stellen. Sie habe für eine passende Dienstkleidung zu sorgen. Die Beigeladene hafte im Rahmen der gesetzlichen Haftpflicht für entstandene Schäden. Grundlage sei die unterschriebene Rahmenvereinbarung. Es fehle an der Absicherung der Beigeladenen über die Klägerin als Arbeitgeberin. Der Haftpflichtversicherungsschutz der Beigeladenen gehe dem vertraglichen Versicherungsschutz über J. vor. Der fehlende Urlaubsanspruch und die fehlende Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sprächen ebenfalls für eine selbständige Tätigkeit. Dennoch wurde mit Bescheid vom 22. April 2015 festgestellt, dass die Tätigkeit im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Dementsprechend bestünde Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Für eine Beschäftigung sprächen - die zeitliche und organisatorische Einbindung der Beigeladenen durch Zuordnung der Operationssäle durch die Klägerin, - die Beigeladene habe ausschließlich stationär aufgenommene Patienten der Klägerin behandelt und damit den Betriebszweck der Klägerin erfüllt, - es handele sich um eine Tätigkeit in der Funktion eines Arztes der Klägerin. Eigene Patienten habe die Beigeladene nicht behandelt, - die Beigeladene habe fachliche und organisatorische Vorgaben der Klägerin zu beachten gehabt, - die Gesamtverantwortung der Tätigkeit läge beim Chefarzt, - die vereinbarte Arbeitszeit sei einzuhalten, - die Tätigkeit sei mit einem Stundenlohn vergütet worden, - die Tätigkeit sei im Zusammenhang mit dem weiteren medizinischen Personal der Klägerin ausgeübt worden, - die Beigeladene habe kein unternehmerisches Risiko und keine unternehmerische Chance bei der Ausübung der Tätigkeit gehabt, - sie habe kein eigenes Kapital in nennenswertem Umfang eingesetzt, - die Tätigkeit sei in einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation ausgeübt worden. Für eine selbständige Tätigkeit spräche demgegenüber, dass sie an Teambesprechungen nicht teilgenommen habe. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung überwögen nach Auffassung der Beklagten die Merkmale einer Beschäftigung. Dabei stehe außer Zweifel, dass Ärzte in ärztlichen Tätigkeiten keinen Weisungen unterlägen. Entscheidend bei Ärzten sei somit die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. Es läge eine funktionsgerecht dienende Teilhabe bei Ärzten vor. Es bestünde eine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit. Die Klägerin sei gegenüber der Beigeladenen wie gegenüber angestellten Ärzten weisungsberechtigt gewesen. Tätigkeitsort sei der Betriebssitz der Klägerin ohne Wahl des Arbeitsortes aufgrund der vertraglichen Regelung. Die Beigeladene sei angewiesen auf die am Auftragsort zur Verfügung stehenden Betriebsmittel (Operationssaal mit entsprechender Ausstattung). Die Tätigkeit erfolge in Zusammenarbeit mit dem Personal der Klägerin inklusive der dort tätigen Ärzte. Die Beigeladene sei von Außenstehenden nicht als Selbständige wahrgenommen worden, zumal eine einheitliche Operationskleidung getragen wurde. Im Ergebnis läge eine funktionsgerecht dienende Teilhabe in der Arbeitsorganisation der Klägerin vor. Weiter bestünde kein unternehmerisches Risiko, weil kein Kapital mit Risiko des Verlustes eingesetzt werde. Auch für erbrachte Arbeitskraft existiere kein ungewisses Vergütungsrisiko. Die erfolgsunabhängige Stundenpauschale lasse kein Gewinn- und Verlustrisiko erkennen. Allein die Möglichkeit, die Leistung durch Dritte erbringen zu lassen, sei kein Indiz für eine selbständige Tätigkeit, wenn die Tätigkeit tatsächlich immer selber ausgeübt werde. Der vertragliche Ausschluss von Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsansprüchen sei unerheblich, da diese unabhängig von der vertraglichen Regelung gesetzlich entstünden. Die fehlende wirtschaftliche Abhängigkeit sei unerheblich, soweit eine persönliche Abhängigkeit bestehe. Die Möglichkeit, Aufträge abzulehnen, hätten auch Beschäftigte, da auch diese frei entscheiden könnten, ob sie einen Vertrag abschließen. Auch abhängig Beschäftigte könnten für mehrere Auftraggeber tätig sein. Die vertragliche Verpflichtung zur sozialen Absicherung hebe keine gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers auf. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 21. Mai 2015 Widerspruch ein. Ein unternehmerisches Risiko der Beigeladenen ergäbe sich daraus, dass die Gegenleistung ohne Leistung gerade nicht geschuldet sei. Umgekehrt ergäbe sich die unternehmerische Chance, ein Honorar durch die vertragliche Leistung zu erhalten. Die Auswahl der Termine und die Dauer oblagen der gegenseitigen Vereinbarung. Der Gesetzgeber habe mit der Änderung der § 2 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntGG) den Vertragstyp des "selbständigen Honorararztes im Krankenhaus" anerkannt. Die Gesamtauslegung der Beklagten führe das gesetzliche Leitbild ad absurdum. Gemäß § 2 Abs. 3 KHEntGG habe das Krankenhaus auch bei nicht angestellten Ärzten sicherzustellen, dass sie die gleichen Anforderungen erfüllten wie die angestellten Ärzte. Das Gesetz übertrage dem Krankenhausbetreiber die Verpflichtung, dass er die Kenntnisnahme der Dienstordnung des Krankenhauses sowie der Standard- und Notfallabläufe sowie die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen im Verhältnis zum Honorararzt sicherstelle. Der BGH habe in einer Entscheidung vom 16. Oktober 2014 (Az. III ZR 85-14) den Honorararzt derart bestimmt, dass er ärztliche Leistungen für den Krankenhausträger erbringe ohne angestellt zu sein bzw. Belegarzt zu sein. Er sei zeitlich befristet freiberuflich auf Honorarbasis tätig, wobei das Honorar mit dem Krankenhausträger unabhängig von der Gebührenordnung der Ärzte frei vereinbart sei und keinen tariflichen Bindungen unterliege. Das Bundesverfassungsgericht habe in einem Beschluss vom 3. März 2015 (Az. 1 BvR 3226/14) dargelegt, dass beim Honorararzt kein Verhältnis zum Patienten bestehe, sondern ausschließlich zum Krankenhausträger. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2015 zurückgewiesen. Die Klägerin hat am 11. Januar 2016 Klage erhoben. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Die Kammer hat die Tariflöhne von Ärzten in Niedersachsen ermittelt.

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Bescheid der Beklagten vom 22. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2015 aufzuheben.

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen festzustellen, dass die Beigeladene Aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit nicht gesetzlich Kranken-, Pflege-, und Renten versichert und im Recht der Arbeitsförderung versichert ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf den Widerspruchsbescheid. Der Entscheidungsfindung lagen neben den Gerichtsakten die Verwaltungsakten der Beklagten zugrunde. Auf deren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Sie ist auch begründet. Die Beigeladene war am 12. November 2014 nicht versicherungspflichtig in den Zweigen der Sozialversicherung, denn sie war in ihrer Tätigkeit als Anästhesistin (Honorarärztin) nicht bei der Klägerin beschäftigt. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung im Sinne von § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Dieses Weisungsrecht kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art , wozu ein Arzt zweifelsfrei gehört, eingeschränkt und zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild prägen (vgl. BSG Urteil vom 31. März 2017, Az. B 12 R 7/15 R). Dies kann bei manchen Tätigkeiten dazu führen, dass sie in Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen sowohl als Beschäftigung als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses ausgeübt werden können (BSG a.a.O.). Das Bundessozialgericht hat zwischenzeitlich geklärt (BSG Urteil vom 29.08.2012, Az. B 12 KR 25/10 R), dass bei der Würdigung der Gesamtumstände die rechtlich relevanten Umstände bei der wertenden Zuordnung zum Typus der Beschäftigung/Selbständigkeit entscheidendes Gewicht zukommt. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich danach aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten (BSG a.a.O., RdNr. 16, zitiert nach juris). Zu beachten ist jedoch, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG a.a.O.). Nach dem Honorararztvertrag der Klägerin mit der Beigeladenen vom 10. November 2014 war eine selbständige Tätigkeit von beiden Seiten gewollt. Sie wurde auch (siehe nachfolgend) tatsächlich "gelebt". Zutreffend wurden im Feststellungsbescheid vom 22. April 2015 die für eine Beschäftigung sprechenden Umstände gesehen und in die Würdigung einbezogen. Das Gericht hat keine Zweifel an der Eingliederung der Beigeladenen in die Arbeitsorganisation der Klägerin. Diese stellt sowohl die Räumlichkeiten wie auch die Gerätschaften für die Arbeit der Beigeladenen zur Verfügung. Die Beigeladene behandelt Patienten der Klägerin. Sie hat nach § 1 des Honorarvertrages fachliche und organisatorische Vorgaben der Klägerin zu beachten. Die Gesamtverantwortung der arbeitsteilig mit dem Krankenhauspersonal ausgeführten Tätigkeit im Rechtsverhältnis zu den Leistungsträgern und den Versicherten liegt beim Chefarzt. Das fehlende unternehmerische Risiko hat die Beklagte zutreffend festgestellt. Jedoch ist bei reinen Dienstleistungen, die im Wesentlichen nur Know-How sowie Arbeitszeit und Arbeitsaufwand voraussetzen, die unternehmerische Tätigkeit nicht mit größeren Investitionen in Werkzeuge, Arbeitsgeräte und Arbeitsmaterialien verbunden. Das Fehlen solcher Investition ist damit bei reinen Dienstleistungen kein ins Gewicht fallendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung und gegen unternehmerisches Tätigwerden (BSG Urteil vom 31.03.2017, Az. B 12 R 7/15 R, RdNr. 42 zitiert nach juris). Jedoch wurden die für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Umstände von der Beklagten nur äußerst unvollständig in die Gesamtwürdigung eingestellt. Neben der fehlenden Verpflichtung zur Teilnahme an Teambesprechungen war weiter zu berücksichtigen, dass die Beigeladene nicht nur berechtigt war, sondern auch tatsächlich für weitere Auftraggeber tätig war. Dieses weitere Tätigwerden ist auch nicht lediglich Ausdruck eines ökonomischen Zwanges, weil die Vergütung seitens der Klägerin unzureichend war. Sie beruht vielmehr auf einem Konzept der Beigeladenen. Unzutreffend wurde seitens der Beklagten eine zeitliche Einordnung in den Betrieb der Klägerin gesehen. Es lag kein Dispositionsrecht der Klägerin bezogen auf den zeitlichen Einsatz der Beigeladenen vor, da die Zeit der Leistung zuvor durch einen Vertrag konkret vereinbart war. Die Berechtigung der Übertragung von Tätigkeiten der Beigeladenen auf Dritte ist nicht lediglich ein inhaltsleeres Postulat, da bei einer Vergütungshöhe von 85,00 EUR die tatsächliche Möglichkeit bestand, einen anderen Vertragsarzt zu beauftragen. Dies unterscheidet sich grundlegend von den üblichen Fällen einer vertraglichen Berechtigung, die mangels ökonomischer Ressourcen nicht realisierbar ist, da bei einer Drittbeauftragung kein unternehmerischer Gewinn mehr bei dem Selbständigen verbliebe. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die konkrete Tätigkeit nicht nur im zeitlichen Umfang, sondern auch ihrer Art nach zuvor zwischen den Beteiligten vertraglich vereinbart wurde. Das Recht der Beigeladenen, einzelne Aufträge ohne Angabe von Gründen abzulehnen (§ 4 des Honorarvertrages) ist ebenfalls untypisch für Beschäftigte. Dies ist ein sicheres Indiz für eine selbständige Tätigkeit. Die Höhe der Vergütung (85,00 EUR je Stunde) überschreitet deutlich die Tariflöhne in Niedersachsen und ist insoweit ebenfalls indiziell für eine selbständige Tätigkeit. Die Vereinbarung eines festen Stundenhonorars ist nicht zwingend für eine abhängige Beschäftigung. Geht es um reine Dienstleistungen, ist ein erfolgsabhängiges Entgelt aufgrund der Eigenheit der zu erbringenden Leistung nicht zu erwarten (BSG Urteil vom 31.03.2017, Az. B 12 R 7/15 R, RdNr. 48 zitiert nach juris). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung kann die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 22. April 2015 nicht festgestellt werden. In diese Gesamtwürdigung wurden nicht sämtliche Merkmale einer selbständigen Tätigkeit einbezogen. Ferner wurden die einbezogenen Tatsachen unzutreffend gewürdigt. Wegen der nicht einbezogenen Tatsachen wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Krankenhauses seitens des Honorararztes kann lediglich ein Gesichtspunkt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung sein. Aus der Eingliederung des Honorararztes kann jedoch nicht zwingend auf das Vorliegen einer Beschäftigung geschlossen werden. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 KHEntGG. Danach sind Krankenhausleistungen nach § 1 Abs. 1 KHEntGG insbesondere die ärztliche Behandlung, auch durch nicht fest angestellte Ärztinnen und Ärzte. Bei diesen Ärzten hat gemäß § 2 Abs. 3 KHEntGG das Krankenhaus sicherzustellen, dass diese "allgemeine Krankenhausleistungen" mit den gleichen Anforderungen erfüllen, wie sie auch für fest im Krankenhaus angestellte Ärztinnen und Ärzte gelten. Daraus ist der gesetzgeberische Wille erkennbar, dass einerseits Krankenhausleistungen durch Dritte nicht angestellte Ärzte erbracht werden können und andererseits die Krankenhausträger im Rechtsverhältnis zu den Krankenkassen eine einheitliche Leistungserbringung auch durch nicht angestellte Ärzte sicherstellen müssen. Diesem Normauftrag entspricht § 1 des Honorararztvertrages vom 10. November 2014, wonach der Honorararzt fachliche und organisatorische Vorgaben der Klägerin soweit zu beachten hat, als dies die ordnungsgemäße Vertragsdurchführung erfordert. Die bloße Eingliederung in die Krankenhausorganisation bei der Erbringung vertragsärztlicher Leistungen des Honorararztes kann dementsprechend nicht alleinige Grundlage für eine sichere Abgrenzung von selbständigen Tätigkeiten und Beschäftigungen sein. Hier ist im Einzelfall zu beurteilen, inwieweit weitere Indizien eine Beschäftigung begründen können. Maßgebliches wesentliches Indiz dürfte hier die Höhe des vereinbarten Honorars sein. Die Vereinbarung von Entgelten ist Sache der Vertragspartner und Teil der Privatautonomie. Liegt das vereinbarte Honorar deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und lässt es dadurch Eigenvorsorge zu, ist dies ein gewichtiges Indiz für eine selbständige Tätigkeit (BSG a.a.O. RdNr. 50 zitiert nach juris). Das Sozialgericht hat Vergleichslöhne zwischen 30,00 EUR und 40,00 EUR in Niedersachsen ermittelt. Im Haustarifvertrag der N. wurde im hier zu berücksichtigenden ersten Jahr ein Tarifentgelt in Höhe von 5.309,00 EUR geleistet. Gemäß Stundenlohnrechner Finanz-tools.de errechnet sich daraus ein Stundenlohn von 30,63 EUR. Im Tarifvertrag der Ärzte (TdL) ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Universitätskliniken ein Einstiegsgehalt in Höhe von 5.691,73 EUR ausgewiesen, woraus sich ein Stundenlohn in Höhe von 32,84 EUR errechnen lässt. Der Tarifvertrag Ärzte in kommunalen Kliniken (VKA) weist bei Fachärzten im ersten Jahr ein Einstiegsgehalt in Höhe von 5.696,00 EUR (Stundenlohne 32,64 EUR) aus. Der Tarifvertrag der O. weist einen Einstiegslohn für Fachärzte in Höhe von 5.822,17 EUR im ersten Jahr aus, woraus sich ein Stundenlohn in Höhe von 33,59 EUR errechnet. Die Tariflöhne betragen dementsprechend zwischen 36,04 % und 39,52 % des an die Beigeladene gezahlten Entgeltes. Soweit die Tariflöhne um mindestens 100 % überschritten werden, kann relativ sicher auf eine selbständige Tätigkeit geschlossen werden. Denn diese Entgelte erlauben sicher die Finanzierung nicht nur die Absicherung der individuellen Risiken in Gestalt von Krankheit, Unfällen und Alterssicherung, sondern auch der betrieblichen Risiken. Bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung ist deshalb einerseits zu berücksichtigen, dass die Eingliederung in den Krankenhausbetrieb aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nur eingeschränkte Aussagen über die selbständige Tätigkeit bzw. Beschäftigung erlauben, andererseits die weiteren Umstände - insbesondere die Entgelthöhe und die vertragliche Regelung - einen sicheren Hinweis auf eine gewollte und gelebte selbständige Tätigkeit erlauben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).