Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 05.07.2005, Az.: 2 A 129/05
Abschiebung; Abschiebungsschutz; Asyl; Babbar Khalsa; Bedrohung; Exilorganisation; exilpolitische Tätigkeit; Folgeantrag; Funktionär; Gefährdung; Indien; politische Verfolgung; Regelfall; Sikhs; Spitzenfunktionär; Verfolgung; Vortrag
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 05.07.2005
- Aktenzeichen
- 2 A 129/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50735
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28 Abs 2 AsylVfG
- § 51 Abs 1 S 1 VwVfG
- § 60 Abs 1 AufenthG
- § 155 Abs 1 VwGO
- § 167 VwGO
Tatbestand:
Der Kläger ist indischer Staatsangehöriger und gehört der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Er ist nach eigenen Angaben am 15.10.2003 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist., hatte am 27.10.2003 seinen ersten Asylantrag gestellt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, er, der Kläger habe als Angehöriger der Babbar Khalsa Organisation Schwierigkeiten mit den Sicherheitskräften in Indien gehabt und sei deshalb dort auch inhaftiert gewesen. In Deutschland sei er als Propagandasekretär für diese Organisation exilpolitisch tätig. Dieser Asylantrag wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 25.08.2004 abgelehnt, da das Vorbringen des Klägers unglaubhaft sei und ihm im Übrigen eine inländische Fluchtalternative offen gestanden habe. In der hiergegen am 01.09.2004 erhobenen Klage, die mit Urteil des erkennenden Einzelrichters vom 29.12.2004 abgewiesen wurde, und auch im weiteren Verfahren trug der Kläger nichts Neues vor.
Mit am 17.02.2005 beim Bundesamt eingegangenem Schriftsatz vom 14.02.2005 stellte er einen Asylfolgeantrag. Er habe seine exilpolitische Tätigkeit ausgeweitet und ihm drohe deshalb bei einer Rückkehr nach Indien politische Verfolgung.
Sein Asylfolgeantrag wurde vom Bundesamt mit Bescheid vom 11.03.2005 abgelehnt. Weder seien die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG erfüllt noch seien Wiederaufgreifensgründe nach § 60 Abs. 2 - 7 in der Sache gegeben.
In der am 14.03.2005 erhobenen Klage hat der Kläger unter Vorlage umfangreichen Beweismaterials unter anderen - neu - vorgetragen, dass er am 27.03.2005 auf der jährlichen Versammlung der Babbar Khalsa Deutschland zum stellvertretenen Präsidenten der Regionalgruppe West dieser Organisation gewählt worden sei.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 11.03.2005 die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in seiner Person vorliegen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass einer Abschiebung des Klägers in sein Heimatland Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG entgegenstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist - nur - im Hilfsantrag teilweise begründet.
Eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, scheitert bereits an der Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG. Gründe, die ein Abweichen vom gesetzlichen Regelfall erlaubten, liegen nicht vor und sind nicht substantiiert vorgetragen.
Der Hilfsantrag hat aber im tenorierten Umfang Erfolg. Das Gericht ist davon überzeugt, dass dem Kläger nunmehr bei einer Rückkehr nach Indien die konkrete Gefahr der Folter drohte.
Diese Erkenntnis beruht darauf, dass der Kläger im März 2005, also nach dem Abschluss des Asylerstverfahrens zum stellvertretenden Präsidenten der Babbar Khalsa Deutschland - Regionalgruppe West - gewählt worden ist und nunmehr als einer der Spitzenfunktionäre dieser Organisation im Visier staatlicher indischer Organisationen steht. Diese Gefährdungslage ist neu im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG, denn zuvor war er lediglich einfaches Mitglied dieser Exilorganisation und als solcher zur Überzeugung des Gerichts (noch) nicht von Verfolgung bedroht gewesen. Hinsichtlich des Ausmaßes persönlicher Bedrohung von Leib und Leben von exponierten Mitgliedern der Babbar Khalsa bei einer Rückkehr nach Indien nimmt das Gericht auf die (einzige) substantiierte Auskunft, die derzeit dazu vorliegt, Bezug: nämlich auf das Gutachten des Südasien Institutes der Universität Heidelberg an das VG Gelsenkirchen vom 26.04.2004, das den Beteiligten bekannt ist. Dort ist unmissverständlich und nachvollziehbar ausgeführt, dass exponierte Mitglieder dieser Organisation Verfolgungsmaßnahmen des indischen Staates, namentlich Folter zu befürchten haben.
Die Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers nicht entgegengetreten. Andere Auskünfte, die eine abweichende Einschätzung der Sicherheitslage des Klägers zuließen, sind nicht vorhanden. Da dem Kläger Verhaftung wohl bereits bei seiner Einreise drohte, braucht das Gericht der Frage nach einer inländischen Fluchtalternative nicht weiter nach zu gehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG; die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.