Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 14.07.2005, Az.: 8 D 791/05

Anzahl; Aufsicht; Auslosung; Bewerber; Hochschulausbildung; Hochschule; Karton; Los; Notar; notarielle Beaufsichtigung; Platz; Studienplatz; Studienplatzvergabe; Studium; Trommel; Verfahren; Vergabe; Verlosung; Vollstreckung; Vollziehung; Wahrscheinlichkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
14.07.2005
Aktenzeichen
8 D 791/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die vom Gericht gegenüber der Universität durch einstweilige Anordnung aufgegebene Verlosung von freien Studienplätzen bedarf nicht der notariellen Beaufsichtigung (wie BayVGH KMK-HSchR 1986, 194).

2. Zu den Anforderungen an eine Verlosung der Studienplätze durch die Universität.

Gründe

1

I. Der Vollstreckungsgläubiger beantragte am 12. April 2005 beim Verwaltungsgericht Göttingen den Erlass einer einstweiligen Anordnung des Inhalts ihn vorläufig zum Studium der Zahnmedizin/Staatsexamen im 1. Semester beginnend mit dem Sommersemester 2005 zuzulassen - 8 C 646/05 -.

2

Außer ihm hatten zuletzt noch weitere 148 Studienbewerber (= insgesamt 149 Bewerber) den Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung beantragt, von denen 33 Bewerber die Zulassung zu höheren Semestern anstrebten und lediglich hilfsweise die Zulassung zum 1. Fachsemester.

3

Mit Beschluss vom 23. Mai 2005 - 8 C 7/05 u.a. - erließ das Verwaltungsgericht Göttingen bezogen auf das 1. Fachsemester unter III.) des Tenors folgende einstweilige Anordnung unter Ablehnung der Anträge im Übrigen:

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Die [Vollstreckungsschuldnerin] wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,

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1. innerhalb einer Woche nach Zustellung dieser Beschlüsse an sie unter den übrigen Antragstellern bzw. Antragstellerinnen sowie denjenigen Antragstellern bzw. Antragstellerinnen, auf die bei der Verlosung nach vorstehend II) die Rangplätze 6) bis 32) entfallen sind, eine Rangfolge auszulosen und ihnen das Ergebnis der Auslosung unverzüglich bekannt zu geben,

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2. diejenige Antragstellerin bzw. denjenigen Antragsteller nach den Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2005 vorläufig zum Studium der Zahnmedizin im 1. Fachsemester zuzulassen,

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a) auf die bzw. den bei der Auslosung nach III.1.) der Beschlussformel die Rangplätze 1 bis 6 fallen,

8

b) die bzw. der innerhalb einer Woche, nachdem ihr bzw. ihm die Zuweisung eines Studienplatzes durch Postzustellungsurkunde bekannt gegeben worden ist, bei der [Vollstreckungsschuldnerin] die vorläufige Immatrikulation beantragt und hierbei an Eides statt versichert hat, dass sie bzw. er an keiner Hochschule im Bundesgebiet vorläufig oder endgültig zum Studium der Zahnmedizin zugelassen worden ist;

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c) die übrigen Antragsteller/innen unter den in III.2.b) der Beschlussformel genannten Voraussetzungen unverzüglich entsprechend ihrem jeweiligen Rang nachrücken zu lassen, wenn ein vorrangiger Antragsteller oder eine vorrangige Antragstellerin die vorläufige Immatrikulation nicht gemäß den in III.2.b) der Beschlussformel genannten Voraussetzungen beantragt hat.

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Von III.) der Beschlussformel sind der Vollstreckungsgläubiger und 142 weitere Studienplatzbewerber (= insgesamt 143 Bewerber) begünstigt. Der Vollstreckungsgläubiger hat den Beschluss mit der Beschwerde angefochten. Das Beschwerdeverfahren ist beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zum Aktenzeichen 2 NB 250/05 anhängig. In den Verfahren u.a. der Beigeladenen hat auch die Vollstreckungsschuldnerin den Beschluss angefochten.

11

Am 1. Juni 2005 führte die Vollstreckungsschuldnerin die Auslosung durch. Die Beigeladenen erhielten die Losränge 1 bis 6 und der Vollstreckungsgläubiger den Losrang 126. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift („Losprotokoll“) Bl. 14-15 d.A. verwiesen, die dem Vollstreckungsgläubiger mit Schreiben der Vollstreckungsschuldnerin vom 1. Juni 2005 bekannt gegeben worden ist. Die Beigeladenen wurden von der Vollstreckungsschuldnerin vorläufig zum Studium der Zahnmedizin im 1. Fachsemester beginnend mit dem Sommersemester 2005 zugelassen.

12

Mit einem am 22. Juni 2005 beim Verwaltungsgericht Göttingen eingegangenen Schriftsatz begehrt der Vollstreckungsgläubiger die Neuauslosung, weil die am 1. Juni 2005 erfolgte Auslosung nicht der einstweiligen Anordnung entsprochen hätte. Die Auslosung sei nicht öffentlich vorgenommen worden. Richtigerweise hätte ein Notar zugezogen werden müssen. Die Protokollierung hätte enthalten müssen:

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a) eine möglichst genaue Schilderung des Ziehungsvorganges,

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b) die Angabe der zur Verfügung stehenden Geräte (Lostrommel, Ziehungskasten usw.) bzw.

15

c) die Angabe über die Bereitstellung der Lose,

16

d) die Benennung des Aufsichtspersonals,

17

e) die Benennung der an der Ziehung selbst beteiligten Personen und die Beschreibung ihrer Mitwirkung,

18

f) die Schilderung der einzelnen Abläufe der Ziehungen (zu Nrn. II.] und III.] des Beschlusses),

19

g) die Feststellung der einzelnen Ziehungsergebnisse und

20

h) die Schilderung der Maßnahmen, die zur Sicherung der Ordnungsmäßigkeit des Vorganges getroffen wurden,

21

i) die Feststellung, in welchem Zeitraum die Handlungen stattfanden und ob sie gegebenenfalls unterbrochen wurden,

22

j) Die Erklärung, dass während der Ziehung die beteiligten Personen ständig anwesend waren und sich selbst tatsächlich ständig kontrollierten,

23

k) damit verbunden die Feststellung, dass die Einflussnahme Dritter auf die Ziehung bzw. einzelne Beteiligte technisch ausgeschlossen war, und schließlich

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l) die Feststellung, wer als Protokollführer für die Niederschrift verantwortlich ist.

25

Der Vollstreckungsgläubiger beantragt,

26

1. der Vollstreckungsschuldnerin unter Fristsetzung ein vom Gericht der Höhe nach bestimmtes Zwangsgeld anzudrohen und dieses nach fruchtlosem Fristablauf festzusetzen sowie von Amts wegen zu vollstrecken,

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2. vorsorglich

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der Vollstreckungsschuldnerin unter Fristsetzung zur Durchführung der Auslosung aufzugeben: Die Auslosung ist mit einer Lostrommel oder Ziehungskasten von einer Person unter Aufsicht einer anderen Person unter Ausschluss der Einflussnahme Dritter vorzunehmen. Dem Vollstreckungsgläubiger ist Gelegenheit zur Anwesenheit zu geben. Die Auslosung ist zu protokollieren.

29

Die Vollstreckungsschuldnerin beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

31

Sie erwidert, dass sie die Auslosung ordnungsgemäß durchgeführt habe. Weitergehendes habe das Verwaltungsgericht nicht angeordnet. Wegen der Einzelheiten der Auslosung hat sie mit Schriftsatz vom 11. Juli 2005 auf Seite 3 f. Angaben gemacht.

32

Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Gerichtsakten verwiesen.

33

II. 1. Die Beiladung der von der streitbefangenen Auslosung begünstigten und von der Vollstreckungsschuldnerin vorläufig zum Studium der Zahnmedizin im 1. Fachsemester zugelassenen Studienplatzbewerber beruht auf § 65 Abs. 2 VwGO, weil sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Durch die Anordnung einer Neuauslosung würde nämlich die Grundlage für ihre vorläufige Zulassung zum Studium entfallen.

34

2. Dem nach §§ 172, 168 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthaften Vollstreckungsantrag muss der Erfolg versagt bleiben.

35

Mit der Behauptung, dass die von der Vollstreckungsschuldnerin am 1. Juni 2005 durchgeführte Auslosung nicht den Anforderungen entsprochen hätte, wie sie dem Tenor der einstweiligen Anordnung vom 23. Mai 2005 zu entnehmen seien, wird die nur unzureichende Erfüllung des Entscheidungsausspruchs durch die Vollstreckungsschuldnerin gerügt, und es wird gerichtliche Hilfe zur Erzwingung der ordnungsgemäßen Erfüllung des Entscheidungstenors in Anspruch genommen. Hierfür ist der Antrag nach § 172 VwGO der zulässige Rechtsbehelf. Dieser ist nicht nur statthaft, wenn die Behörde auf eine gerichtliche Anordnung untätig bleibt, sondern auch dann, wenn sie der gerichtlichen Anordnung nachzukommen sucht, diese aber nach Auffassung des Vollstreckungsgläubigers nur unzureichend, unvollständig oder schlecht erfüllt (VGH Mannheim, Beschluss vom 14.9.1983 - 9 S 1923/83 u.a. -).

36

Die für den Vollstreckungsantrag geltende Monatsfrist nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO ist eingehalten, weil diese nach zutreffender Auslegung vorliegend erst mit der Bekanntgabe der gerügten Auslosung - hier: mit Schreiben vom 1. Juni 2005 - zu laufen beginnt (VGH Mannheim, ebd.).

37

Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil die Vollstreckungsschuldnerin die einstweilige Anordnung vom 23. Mai 2005 mit der von ihr am 1. Juni 2005 durchgeführten Auslosung erfüllt hat. Die Beanstandungen des Vollstreckungsgläubigers sind zurückzuweisen.

38

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Verlosung von Studienplätzen zwar der Realisierung des Zulassungsanspruchs des Studienplatzbewerbers dient, jedoch als ein der Sache nach als Verwaltungstätigkeit zu qualifizierendes Auswahlverfahren nicht zum Bereich der Rechtsverfolgung vor den Gerichten gehört (BVerwG, Urteil vom 15.12.1989, DVBl. 1990, S. 531, 532 f. [BVerwG 15.12.1989 - BVerwG 7 C 17.89] mwN). In der Rechtsprechung ist auch geklärt, dass die vom Gericht angeordnete Verlosung freier Studienplätze nicht der notariellen Beaufsichtigung bedarf (BayVGH, Beschluss vom 22.5.1985, KMK-HSchR 1986, S. 194, 197).

39

Die Rüge des Vollstreckungsgläubigers, die Auslosung hätte öffentlich durchgeführt werden müssen, geht bereits deshalb fehl, weil die Kammer in der einstweiligen Anordnung vom 23. Mai 2005 keine öffentliche Auslosung angeordnet hatte. Auch hatte der Vollstreckungsgläubiger im Ausgangsverfahren 8 C 646/05 - gegebenenfalls auch durch Hilfsantrag - weder eine öffentliche, noch eine parteiöffentliche Auslosung beantragt. Die Kammer kann deshalb die Frage dahingestellt sein lassen, ob eine solche im Hinblick auf mehrere Hundert, teilweise über Tausend Studienbewerbern aus verschiedenen Studiengängen je Semester, zu deren Anträgen auf Studienzulassung eine einstweilige Anordnung ergeht, von der Vollstreckungsschuldnerin überhaupt verlangt werden kann.

40

Soweit der Vollstreckungsgläubiger die Umstände der Auslosung vom 1. Juni 2005 rügt, enthält die gerichtliche Anordnung vom 23. Mai 2005 keine näheren Bestimmungen, auf welche Art und Weise die Vollstreckungsschuldnerin die für die vorläufige Zulassung zum Studium maßgebliche Rangfolge auszulosen hatte. Einer solchen Bestimmung bedurfte es auch nicht, da der Begriff der „Auslosung“ in III.1.) des Tenors der einstweiligen Anordnung bereits hinreichend beschreibt, dass ein Verfahren durchzuführen ist, in dem die Begünstigten unter Ausschluss jeglicher Beeinflussungsmöglichkeiten durch Zufall bestimmt werden. Unverzichtbar hierfür ist, vor Beginn der eigentlichen Losziehung eine Ausgangslage zu schaffen, aufgrund derer der Teilnehmer die gleiche Chance hat, ausgelost zu werden. Werden die Losabschnitte aus einem Behälter mit der Hand gezogen, so ist es selbstverständlich, dass die Losabschnitte in dem Behälter zuvor gemischt wurden. Werden die Losabschnitte bereits einzeln und ungeordnet in den Behälter gegeben, so sind die Anforderungen an das Mischen der Losabschnitte geringer, als wenn sie gebündelt in den Behälter gelangen (VGH Mannheim, ebd.).

41

Diesen Anforderungen hat die Auslosung am 1. Juni 2005 ausweislich der dem Vollstreckungsgläubiger übersandten Niederschrift („Losprotokoll“, Bl. 14-15 d.A.) sowie der Erläuterungen im Schriftsatz der Vollstreckungsschuldnerin vom 11. Juli 2005 auf Seite 3 f. genügt. Bereits der Niederschrift ist zu entnehmen, dass die Auslosung am 1. Juni 2005 durch die Bediensteten AZ. und BA. durchgeführt worden ist und die Auslosung vollständig sämtliche für das 1. Fachsemester in Betracht kommenden 143 Studienplatzbewerber umfasste. Der schriftsätzlichen Erläuterung ist zu entnehmen, dass die Auslosung etwa zwischen 8.00 und 8.30 Uhr im Dienstzimmer des Bediensteten AZ. stattgefunden hat, der zusammen mit der Bediensteten BA. mit der Durchführung der Auslosung beauftragt worden war. Als Ziehungskasten habe ein Kartondeckel gedient, in den unsortiert 143 Losmarken mit den Nummern 1 bis 143 eingeworfen wurden. Nach einer Durchmischung habe der Bedienstete AZ. ohne Hinzuschauen die erste Losmarke aus dem Ziehungskasten gezogen und sodann die darauf befindliche Zahl der Bediensteten BA. zugerufen. Diese gab die ihr zugerufene Zahl in eine EDV-Datenbank ein, in der die 143 an der Auslosung teilnehmenden Studienplatzbewerber in einer festgelegten Reihenfolge erfasst waren. Bei Ziehung der Losnummer 70 wurde danach der in der Datenbank unter Nr. 70 Erfasste aufgerufen und in dem Losprotokoll ausgewiesen. Ein solches Verfahren ist nicht nur zulässig, sondern vorliegend auch geboten, weil für jede Auslosung eine neue Datenbank erstellt werden muss. So durften vorliegend außer den 116 Studienplatzbewerbern, die ihre Zulassung zum Studium der Zahnmedizin ausschließlich für das 1. Fachsemester beantragt hatten, auch 27 weitere Bewerber, die ihre Zulassung zum 2., hilfsweise 1. Fachsemester beantragt hatten und denen bei der Verlosung der freien Studienplätze für das 2. Fachsemester kein Losglück beschieden war, an der Auslosung für die sechs freien Studienplatze im 1. Fachsemester teilnehmen.

42

Konkrete Anhaltspunkte für eine Unterbrechung der Auslosung, Einflussnahmen Dritter oder gar Unregelmäßigkeiten liegen danach nicht vor. Im Gegenteil spricht die Streuung der sechs zu verlosenden Studienplätze im Hinblick auf das Rubrum der einstweiligen Anordnung für die Einhaltung des Zufallsprinzips (vgl. auch VGH Mannheim, ebd.).

43

Zur Überzeugung der Kammer sind die Darlegungen der Vollstreckungsschuldnerin für das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Auslosung und damit die Erfüllung der einstweiligen Anordnung ausreichend.

44

Nach alledem war der Vollstreckungsantrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

45

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeitsgründen nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil sie erst zusammen mit der Sachentscheidung beigeladen wurden und sich noch nicht geäußert hatten.

46

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage in § 52 GKG. Zum Ansatz gelangt 1/2 des in § 172 VwGO gesetzten Zwangsgeldrahmens (10.000,00 € : 2 = 5.000,00 €).