Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 18.07.2005, Az.: 1 B 132/05

Tatsächliches Abschiebungshindernis auf Grund von Suizidgefahr; Erreichung eines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland unter Verschleierung der wahren Identität; Verschonung von ausreisepflichtigen ausländischen Ehegatten verschiedener Staatsangehörigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
18.07.2005
Aktenzeichen
1 B 132/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 27252
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2005:0718.1B132.05.0A

Das Verwaltungsgericht Göttingen -1. Kammer - hat
am 18. Juli 2005
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller begehrt die weitere Erteilung einer Duldung und die Einstellung bereits eingeleiteter Abschiebungsmaßnahmen.

2

Am 26. April 1985 reiste der Antragsteller (mit seiner Frau und drei Kindern) mit einem verfälschten libanesischen Familienpass unter dem Namen xxx die Bundesrepublik Deutschland ein und begehrte zusammen mit seiner Familie die Anerkennung als Asylberechtigte. Bei seiner persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 16. Januar 1986 räumte der Antragsteller die Fälschung des Passes ein und gab seinen richtigen Namen mit xxx

3

und den Namen seiner Ehefrau mit xxx an. Weiter teilte er mit, sie seien staatenlose Kurden aus dem Libanon und ihre Vorfahren würden aus dem Irak stammen. Dieses Asylbegehren blieb erfolglos.

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Der Antragsteller wurde mit seiner Familie wegen fehlender Rückführungsmöglichkeiten in den Libanon zunächst geduldet und nahm später an der Bleiberechtsregelung vom 18. Oktober 1990 für staatenlose Kurden aus dem Libanon teil. Auf dieser Grundlage erhielt der Antragsteller (wie seine Frau und Kinder) Aufenthaltsbefugnisse, ihm zuletzt befristet bis zum 17. Dezember 1999 erteilt. Im Rahmen einer Identitätsüberprüfung bestätigte die Botschaft des Libanon mit Schreiben vom 22. November 1991 die Fälschung des oben genannten Familienpasses und teilte unter dem 2. Januar 1992 mit, dass der Antragsteller mit Namen xxx geführt werde, nicht die libanesische Staatsangehörigkeit besitze und seine Staatsangehörigkeit ungeklärt sei. Seit dieser Zeit wurden der Antragsteller und seine Angehörigen unter diesem Familiennamen geführt.

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Am 3. Januar 2000 beantragte der Antragsteller die Verlängerung der ihm zuletzt erteilten Aufenthaltsbefugnis. Über diesen Antrag entschied der Antragsgegner zunächst nicht, da es Verdachtsmomente dafür gab, dass es sich bei der Familie xxx nicht um Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit aus dem Libanon, sondern um türkische Staatsangehörige handelte. In einer gegenüber dem Antragsgegner erstatteten DNA-Analyse vom 27. November 2001 wurde durch das Institut für Rechtsmedizin in xxx festgestellt, dass der Antragsteller Bruder des in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen xxx ist. Diese DNA-Analyse fand ihre Bestätigung in türkischen Registerauszügen der Familie xxx. Durch rechtskräftiges Urteil vom 21. Juli 2003 verurteilte das Amtsgericht xxx den Antragsteller unter dem Namen xxx wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz in Tateinheit mit einem Sozialhilfebetrug zu Lasten der Samtgemeinde xxx in Höhe von 144.227,92 Euro zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (4 Ls 32 Js 9767/03).

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Nach vorheriger Anhörung wies der Antragsgegner den Antragsteller mit Bescheid vom 29. Dezember 2003 aus der Bundesrepublik Deutschland aus, ordnete die sofortige Vollziehung dieser Entscheidung an, lehnte den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis ab und forderte den Antragsteller unter Fristsetzung bis zum 15. Februar 2004 und Abschiebungsandrohung in die Türkei zur Ausreise auf.

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Über den am 5. Januar 2004 hiergegen eingelegten Widerspruch des Antragstellers ist bislang nicht entschieden worden. Eine am 10. August 2004 beabsichtigte Abschiebung in die Türkei wurde wegen gesundheitlicher Probleme des Antragstellers abgebrochen. Ein nachfolgender Abschiebeversuch am 13./14. September 2004 scheiterte, weil der Antragsteller nicht angetroffen wurde.

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Am 8. Juni 2005 wurde der Antragsteller in der Wohnung in | festgenommen. Er befindet sich derzeit in Abschiebehaft in der JVA xxx.

9

Am 8. Juni 2005 hat der Antragsteller beantragt, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm eine Duldung zu erteilen und bereits eingeleitete Abschiebungsmaßnahmen einzustellen. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, auf Grund seiner aktuellen gesundheitlichen Probleme und der sich daraus ergebenden Suizidalität bestehe ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. Ein Duldungsgrund liege auch vor auf Grund der Suizidalität seiner Ehefrau und seines Sohnes Kodor infolge der Abschiebung seiner Person. Daneben habe er wegen der durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten familiären Lebensgemeinschaft mit seiner ihm nach islamischen Ritus angetrauten Ehefrau und den drei gemeinsamen minderjährigen Kindern xxx einen Duldungsanspruch. Seine Abschiebung sei ferner unverhältnismäßig, da ihm nicht zur Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft die Gelegenheit zu einer freiwilligen Ausreise in den Libanon (seinem Herkunftsland und dem seiner Familie) gegeben worden sei. Im Übrigen sei es zweifelhaft, ob er tatsächlich die türkische Staatsangehörigkeit besitze. Er habe sich auch seit Oktober 2004 weiterhin an seinem Wohnort aufgehalten und die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und den minderjährigen Kindern gelebt. Außerdem habe er mit seinen Familienangehörigen mehrmals erfolglos sowohl bei der libanesischen als auch der türkischen Botschaft vorgesprochen, um eine gemeinsame Ausreise für die ganze Familie zu ermöglichen. Seine nicht ehelich geborenen Kinder könnten keineswegs sofort auf Antrag als türkische Staatsangehörige registriert werden. Seine nach islamischem Ritus im Libanon geschlossene Ehe werde in der Türkei nicht anerkannt. Im Falle seiner Abschiebung würde es mithin zu einer langfristigen Trennung von seiner Frau und seinen Kindern kommen, die mit Blick auf die bislang gelebte Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig sei. Eine längerfristige Trennung sei zudem auch wegen des Besorgnis erregenden psychischen Zustands seiner Person und seiner Ehefrau sowie der Kinder nicht hinnehmbar.

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Der Antragsgegner tritt dem Begehren des Antragstellers entgegen und hält ihn für reisefähig. Einer möglicherweise bestehenden Suizidalität des Antragstellers werde durch eine Sicherheitsbegleitung und eine zusätzliche ärztliche Betreuung begegnet. Mit dem Antragsteller und seinen Familienangehörigen sei mehrfach in der Vergangenheit die Frage einer freiwilligen Ausreise in die Türkei bzw. den Libanon erörtert worden. Entgegen der Behauptung des Antragstellers habe er jedoch zusammen mit seinen Familienmitgliedern entsprechende Bemühungen nicht unternommen. Soweit es die Registrierung der Kinder des Antragstellers betreffe, so seien diesen internationale Geburtsurkunden mit Eintragung der türkischen Staatsangehörigkeit ausgestellt worden. Die Ehefrau könne bei den türkischen Behörden einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen und dem Antragsteller mit den Kindern alsbald problemlos in die Türkei folgen. Insoweit bleibe es dem Antragsteller und seiner Ehefrau auch unbenommen, ihre nach islamischem Ritus geschlossene Ehe in der Türkei zu legalisieren, indem sie dort förmlich die Ehe schließen würden.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Beratung gewesen.

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Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.

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Gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dazu muss der Antragsteller glaubhaft machen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs erfüllt sind (Anordnungsanspruch) und die Entscheidung des Gerichts eilbedürftig ist (Anordnungsgrund). Ein Anordnungsgrund ist unzweifelhaft gegeben, da der Antragsteller in die Türkei aus der Abschiebehaft heraus abgeschoben werden soll.

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Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60 a AufenthG nicht glaubhaft gemacht. Die Abschiebung ist weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen nach § 60 a Abs. 2 AufenthG unmöglich. Die bei dem Antragsteller ärztlicherseits angenommene Suizidgefahr (vgl. Dr. xxx Stellungsnahmen vom 22. und 24. Juni 2005) vermag ein tatsächliches Abschiebungshindernis nicht zu begründen. Der Antragsgegner trägt diesem Umstand durch die im Schreiben vom 12. Juli 2005 mitgeteilte tatsächliche Ausgestaltung der Abschiebung Rechnung. Danach werden die notwendigen Vorkehrungen in Bezug auf eine Suizidgefahr getroffen (vgl. hierzu BVerfG, InfAusIR 1999, 241 f. und 2002, 415 f.). Der Antragsteller wird auf dem Flug durchgängig fachmedizinisch betreut und begleitet und nach seiner Ankunft am Zielflughafen in der Türkei durch den Vertrauensarzt der Deutschen Botschaft übernommen, der die weitere Betreuung und Behandlung des Antragstellers festlegt und organisiert. Von daher ist die medizinische Versorgung des Antragstellers bei der Ankunft in der Türkei gewährleistet.

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Dem steht die vom Antragsteller vorgelegte fachärztliche gutachterliche Stellungnahme von Dr. xxx vom 16. Juli 2005 nicht entgegen. Diese Stellungnahme macht ein tatsächliches oder rechtliches Abschiebungshindernis nicht glaubhaft. Soweit darin dem Antragsteller eine schwere chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung, eine rezidivierende depressive Störung, eine gegenwärtig schwere Episode mit Somatisierung bei Retraumatisierungszustand, eine dringende Behandlungsbedürftigkeit und eine daraus resultierende Reise- und Transportfähigkeit attestiert werden, überzeugt dies das erkennende Gericht nicht. Sie genügt den Anforderungen an eine fundierte Begutachtung nicht. Bereits die Tatsachenfeststellungen des Gutachters sind unvollständig und nicht aussagekräftig. Gerade der Umstand, dass der Antragsteller seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland unter Verschleierung seiner wahren Identität erreicht hat, begründet erhebliche Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Das Gutachten hätte dementsprechend eine eingehende substanziierte Aufarbeitung der angeblich traumatisierenden Ereignisse mit Blick auf das bisherige Verhalten des Antragstellers zum Gegenstand haben müssen. Der Gutachter legt jedoch die anlässlich einer lediglich zweistündigen einmaligen Kontaktaufnahme gewonnenen Angaben des Antragstellers einfach als wahr zu Grunde. Eine Verifizierung findet in dem am selben Tag erstellten Gutachten nicht im Ansatz statt. Der Gutachter geht damit von einem unvollständigen Lebenssachverhalt aus. Auch die Schlussfolgerung, dem Antragsteller drohe eine Retraumatisierung im Falle einer Abschiebung in die Türkei, überzeugt nicht. Denn die angeblich Trauma auslösenden Ereignisse sollen kriegsbedingt und vor über 20 Jahren im Libanon geschehen sein. Ähnliches hat der Antragsteller in der Türkei nicht zu befürchten. Nach alledem hält das Gericht die ärztliche Stellungnahme vom 16. Juli 2005 für nicht aussagekräftig und überzeugend. Soweit Dr. xxx in seiner Stellungnahme vom 16. Juli 2005 und Frau Dr.xxx in ihrer Stellungnahme vom 17. Juli 2005 eine medizinische und therapeutische Behandlung von psychischen Erkrankungen in der Türkei allgemein als nicht ausreichend ansehen, handelt es sich um eine zielstaatsbezogene Fragestellung und ist dies im vorliegenden ausländerbehördlichen Verfahren, das nur den Vollzug der Abschiebung betrifft, nicht Prüfungsgegenstand.

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Soweit der Antragsteller noch eine Offenlegung der genauen Maßnahmen und der konkreten Benennung der mit seiner Betreuung und Begleitung beauftragten Personen nebst deren Kompetenz begehrt, kann dem nicht gefolgt werden. Zunächst besteht keinerlei Veranlassung, die Qualifikation des medizinischen Betreuungspersonals (insbesondere in psychiatrischer Sicht) in Frage zu stellen. Diesem obliegt es auch, die erforderlichen Maßnahmen und Vorkehrungen im Abschiebungszeitpunkt in eigener Entscheidungskompetenz zu treffen. Der namentlichen Benennung der betreffenden Personen bedarf es folglich nicht.

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Auf ein rechtliches Abschiebungsverbot aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK kann sich der Antragsteller nicht berufen. In der Regel folgt weder aus Art. 6 S. 1 GG noch aus Art. 8 EMRK für ausreisepflichtige ausländische Ehegatten verschiedener Staatsangehörigkeit, die beide kein Aufenthaltsrecht oder keine sonstigen schutzwürdigen Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland haben, ein Anspruch von einer Aufenthaltsbeendigung verschont zu bleiben, bis einer der Heimatstaaten bereit ist, dem jeweils anderen Ehegatten den Aufenthalt zu ermöglichen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zumindest ein Heimatstaat der EMRK beigetreten ist und diese ratifiziert hat. Dann nämlich kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass es nicht zu einer dauerhaften Ehetrennung kommt, sofern nicht schwer wiegende Gründe (namentlich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung) dem Aufenthalt des anderen Ehegatten entgegenstehen (vgl. BVerwG, InfAusIR 1999, 330 f.). Da sowohl der Antragsteller als auch seine Ehefrau und seine minderjährigen Kinder vollziehbar ausreisepflichtig sind und die Türkei, deren Staatsangehörigkeit der Antragsteller zweifelsfrei besitzt, der EMRK beigetreten ist, ist bereits deshalb von einer dauerhaften Trennung des Antragstellers von seiner Familie nicht auszugehen.

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Das Gericht teilt nicht den Vortrag des Antragstellers, es sei mit einer längerfristigen und dauerhaften Trennung von seiner Familie zu rechnen, da seine Kinder nicht ohne weiteres die türkische Staatsangehörigkeit und eine entsprechende Registrierung erhalten könnten. Die minderjährigen Kinder des Antragstellers haben zwischenzeitlich internationale Geburtsurkunden ausgestellt erhalten, in denen ihre türkische Staatsangehörigkeit eingetragen ist. Sie werden deshalb ohne Probleme als türkische Staatsangehörige in die Türkei einreisen können. Diese Einschätzung gilt gleichermaßen für die Ehefrau, die im Besitz eines abgelaufenen libanesischen Passes ist. Denn sie kann im Wege der Familienzusammenführung über eine entsprechende Antragstellung bei der türkischen Botschaft unter Berufung auf Art. 8 EMRK ebenso problemlos dem Antragsteller in die Türkei nachfolgen. Hierfür ist die Frage, ob die nach islamischem Ritus geschlossene Ehe zwischen dem Antragsteller und seiner Ehefrau nachträglich als Eheschließung in der Türkei registriert werden kann, ohne Belang. Dem Antragsteller und seiner Ehefrau bleibt es im Übrigen unbenommen, ihre Verbindung durch eine förmliche Eheschließung in der Türkei zu legalisieren. In diesem Zusammenhang hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, er habe sich ernsthaft zusammen mit seinen Familienangehörigen ohne Erfolg um eine freiwillige Rückkehr in den Libanon bzw. in die Türkei bemüht. Diese Frage ist nach den nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Antragsgegners zwischen dem Antragsteller und seinen Familienmitgliedern und der Ausländerbehörde in der Vergangenheit mehrfach erörtert worden, ohne dass der Antragsteller und seine Familienangehörigen hier entsprechende nachhaltige Bestrebungen dokumentiert und nachgewiesen haben. Insbesondere hätten sich solche Bemühungen dem Antragsteller und auch seinem Prozessbevollmächtigten spätestens aufdrängen und verfolgt werden müssen, nachdem der Antragsteller seit dem August 2004 um die zwangsweise Durchsetzung seiner Ausreisepflicht in die Türkei wusste (und nicht erst aus Anlass der Festnahme am 8. Juni 2005). Dem Antragsteller musste auch klar sein, dass die Ausländerbehörde weitere Abschiebungsbemühungen unternehmen würde und solche tatsächlich nur deshalb vorübergehend unterblieben waren, weil seine Ehefrau und Kinder gegenüber der Wohnortgemeinde und dem Antragsgegner angegeben hatten, der Antragsteller wohne nicht mehr bei der Familie. Von einer freiwilligen Ausreisebereitschaft des Antragstellers und seiner ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtigen Familienangehörigen kann nach alledem bislang keine Rede sein.

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Schutzwürdige Belange können sowohl der Antragsteller als auch seine Ehefrau und die Kinder ebenso wenig aus ihrem langjährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland herleiten. Denn dem steht das gewichtige öffentliche Interesse entgegen, den Aufenthalt von Ausländern, die sich, wie vorliegend, ein Bleiberecht im Bundesgebiet und die Gewährung von Sozialleistungen über einen längeren Zeitraum durch Täuschungshandlungen und die Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen haben, unverzüglich zu beenden (vgl. Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. August 2001 -11 MB 3092/00 -und Urteil des erkennenden Gerichts vom 14. Dezember 2004 -1 A 121/04 -). Im Übrigen kann von einer wirtschaftlichen und persönlichen Integration des Antragstellers in die hiesigen Verhältnisse keine Rede sein, da er eine eigenständige Existenzgrundlage für sich und seine Familie nie geschaffen und selbst nach Erteilung der Aufenthaltsbefugnisse durchgängig (ergänzende) Sozialleistungen in Anspruch genommen hat. Zudem ist er wiederholt mit den Strafgesetzen in Konflikt geraten.

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Soweit sich der Antragsteller auf psychische Probleme seiner Ehefrau beruft, so vermag dies einen Duldungsgrund ebenfalls nicht zu begründen. Diese Probleme stehen im Zusammenhang mit der nunmehr aktuell bevorstehenden Abschiebung und Trennung von ihrem Ehemann und sind Anlass bezogen. Diese gesundheitlichen Probleme können dadurch beseitigt werden, dass die Ehefrau mit den Kindern dem Antragsteller in die Türkei folgt. Dort verfügt der Antragsteller über familiäre Kontakte. Im Übrigen ist es den Eheleuten möglich, - wie bei anderen zeitlich begrenzten Trennungen üblich - fernmündlichen Kontakt zueinander zu halten, bis die Ehefrau mit Kindern in die Türkei nachfolgt. Daneben kann die Ehefrau bis dahin auch Rückhalt und Unterstützung durch ihre im näheren Umfeld wohnenden volljährigen Kinder finden. Auch nach den vorliegenden ärztlichen Attesten vom 16. und 20. Juni 2005 ist nicht ersichtlich, dass zur Abwendung schwerer gesundheitlicher Risiken für die Ehefrau die dauernde Beistandsgemeinschaft mit dem Antragsteller unerlässlich ist.

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Wenn der Antragsteller schließlich noch psychische Probleme seines volljährigen Sohnes xxx vorbringt, so kann er daraus ein weiteres Verbleiben im Bundesgebiet ebenso wenig herleiten. Es fehlt bereits an nachvollziehbaren Anhaltspunkten dafür, dass der Sprung dieses Sohnes aus einem Fenster anlässlich einer Hausdurchsuchung am 15. Juni 2005 im Zusammenhang mit einem suizidalen Hintergrund wegen der Abschiebung des Antragstellers gestanden hat. Vielmehr spricht Vieles dafür, dass sich dieser Sohn durch den Sprung einer befürchteten Festnahme oder auch strafrechtlichen Ermittlungen hat entziehen wollen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und bemisst das Interesse des Antragstellers am vorliegenden Verfahren. Dabei legt die Kammer bei dem begehrten Schutz vor einer Abschiebung den halben Auffangstreitwert, also 2.500,00 Euro zu Grunde, der für das vorläufige Rechtsschutzverfahren wegen Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung nicht zu halbieren ist (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 2004, 1327 ff., Nr. 8.3).