Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.05.2007, Az.: 15 K 96/07
Verfassungsmäßigkeit der Versteuerung privater Wertpapierveräußerungsgeschäfte im Jahr 1996; Minderung von Einkünften aus Kapitalvermögen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.05.2007
- Aktenzeichen
- 15 K 96/07
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2007, 32854
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2007:0508.15K96.07.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 15.01.2008 - AZ: IX R 31/07
Rechtsgrundlage
- § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b EStG
Fundstellen
- DStR 2007, X Heft 36 (Kurzinformation)
- DStRE 2007, 1316-1317 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB direkt 2007, 5
- VP 2007, 165
- Jurion-Abstract 2007, 228681 (Zusammenfassung)
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Einkommensteuer 1996
Versteuerung privater Wertpapierveräußerungsgeschäfte im Jahr 1996 verfassungsgemäß
Tatbestand
Streitig ist, ob die Besteuerung des im Streitjahr erzielten Spekulationsgewinns verfassungsgemäß oder dieser Spekulationsgewinn um einen im Folgejahr erlittenen Spekulationsverlust zu mindern ist.
Die Kläger sind Eheleute. Sie werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Im Kalenderjahr 1997 erzielte der Kläger per Saldo einen Verlust aus der Veräußerung privater Wertpapiere in Höhe von 37.783 DM. Dieser Verlust fand im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 1997 entsprechend § 23 Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. keine steuerliche Berücksichtigung.
Im Streitjahr, dem Veranlagungszeitraum 1996, erzielte der Kläger, was zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach unstreitig ist, einen Gewinn aus der Veräußerung privater Wertpapiere in Höhe von 76.076 DM.
Das beklagte FA erließ am 11. Juni 1998 einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid für 1996, in dem es bei den sonstigen Einkünften einen Spekulationsgewinn in Höhe von 76.076 DM ansetzte.
Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch begehrten die Kläger eine Minderung ihrer Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Am 20. September 1999 stellten die Kläger einen Antrag auf abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 Abgabenordnung (AO). Der Spekulationsgewinns des Streitjahres sei im Rahmen eines intertemporalen Verlustausgleiches um die Spekulationsverluste des Kalenderjahr 1997 zu mindern. Die Kläger bezogen sich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. September 1998 Az. 2 BvR 1818/91 (BVerfGE 99, 88) zum Ausschluss des nach § 22 Nr. 3 EStG. Die neue Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG sei entsprechend der Neuregelung in § 22 Nr. 2 letzter Satz EStG n.F. auch für zurückliegende Veranlagungszeiträume anzuwenden.
Mit Fax vom 22. September 1999 beantragten die Kläger unter Bezugnahme auf ihren Antrag 20. September 1999, den Verlustrücktrag auch im Rahmen des laufenden Einspruchsverfahrens zu berücksichtigen.
Ebenfalls am 22. September 1999 erteilte das FA den Klägern einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1996. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass sich hierdurch der Einspruch erledige.
Am 29. September 1999 teilten die Kläger dem FA mit, dass sich ihrer Auffassung nach der Einspruch nicht erledigt habe. Insbesondere habe das FA ihrem Begehren, die Spekulationsverluste aus 1997 in das Jahr 1996 zurückzutragen, nicht entsprochen.
Am 20. Oktober 1999 erließ das FA einen weiteren Einkommensteueränderungsbescheid.
Mit Einspruchsbescheid vom 2. Dezember 1999 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 1996 in der zuletzt geänderten Fassung vom 22. Oktober 1999 und der damit verbundenen Ablehnung eines Antrages auf abweichende Festsetzung im Billigkeitswege nach § 163 AO als unbegründet zurück.
Hiergegen haben die Kläger form- und fristgerecht Klage erhoben. Soweit sich ihre Klage auch gegen die Ablehnung einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen richtete, haben sie die Klage zurückgenommen. Das Verfahren wurde insoweit abgetrennt und eingestellt ( § 72 der Finanzgerichtsordnung - FGO).
Soweit die Kläger mit ihrer Klage zunächst nur eine Minderung des Spekulationsgewinns des Klägers um seine Spekulationsverluste aus 1997 begehrt haben, verfolgen sie dieses Begehren nur noch hilfsweise.
Vorrangig vertreten sie die Auffassung, dass eine Berücksichtigung eines Gewinns aus der Veräußerung privater Wertpapiere bei den sonstigen Einkünften im Streitjahr 1996 wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig sei. Zwar habe das BVerfG in seinem Urteil vom 9. März 2004 Az. 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG nur für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 als mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar beurteilt. Diese Voraussetzungen lägen aber im Streitjahr 1996 ebenfalls vor. Soweit die dritte Kammer des BVerfG die Vorlage des FG Münsters 5. April 2005, Az: 8 K 4710/01 E (EFG 2005, 1117) mit Beschluss vom 18. April 2006 in dem Verfahren 2 BvL 8/05 (HFR 2006, 716) als unzulässig zurückgewiesen hat, habe die dritte Kammer nicht ausgesprochen, dass ein strukturelles Vollzugsdefizit bei § 23 EStG nicht vorläge. Soweit das FG Münster mit seinem Urteil vom 14. September 2006 Az. 8 K 4710/01 (EFG 2007, 133) seine verfassungsrechtlichen Bedenken aufgegeben und die Klage abgewiesen habe, überzeuge die Begründung nicht:
Das strukturelle Erhegungsdefizit für den Veranlagungszeitraum 1996 könne nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden. Das Urteil des BFH vom 29. November 2005 Az. IX R 49/04 (BFHE 211, 330, BStBl. II 2006, 178) erstrecken sich auf Veranlagungszeiträume ab 1999.
Das Kontenabrufverfahren sei schon tatsächlich nicht geeignet, Informationen über Wertpapierverkäufe im Jahre 1996 zu beschaffen. Konten, die bei Inkrafttreten des § 24c Kreditwesengesetz am 1. April 2003 nicht mehr bestanden haben, seien von vornherein in der Datenbank nicht erfasst worden. Insofern hätte jeder interessierte oder informierte Kapitalanleger oder Spekulant die Möglichkeit zur Vorsorge gehabt.
Im Übrigen sei mit der Begründung des BVerfG im Urteil vom 9. März 2004 Az. 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) die Möglichkeit einer rückwirkenden Heilung des Vollzugsdefizits für den Veranlagungszeitraum 1996 durch Einführung des Kontenabrufverfahrens zu verneinen. Dort habe das BVerfG ausgeführt, die Verfassungswidrigkeit einer Norm schließe die Geltung der verlängerten Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO für Fälle aus, in denen diese Vorschrift allein aufgrund unzulänglicher Deklarierung von Spekulationsgewinnen zur Anwendung käme. Eine zeitgerechte Herstellung eines nicht mehr defizitären Vollzugs müsse daher regelmäßig noch innerhalb des Laufs einer vierjährigen Festsetzungsfrist gelingen. So hätte der Gesetzgeber im Hinblick auf den Veranlagungszeitraum 1996 spätestens bis zum 31. Dezember 2001 tätig werden müssen.
Das Vorliegen eines strukturellen Erhebungsdefizits auch im Veranlagungszeitraum 1996 bedürfe keiner ins Einzelne gehenden fachgerichtlichen Überprüfung und Feststellung mehr. Vom Vorliegen eines solchen gehe der BFH in seinen Urteilen vom 1. Juni 2004 Az. IX R 35/01 (BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26) für den Veranlagungszeitraum 1993, vom 29. Juni 2004 Az. IX R 26/03 (BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995) für den Veranlagungszeitraum 1994, in seinem Beschluss vom 29. November 2005 Az. IX B 80/05 (BFH/NV 2006, 719) für den Veranlagungszeitraum 1995 und das BVerfG in seinem Urteil vom 9. März 2004 Az. 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 aus. Der BFH habe in den obengenannten Entscheidungen eine Verfassungswidrigkeit der Norm verneint, weil die dem Gesetzgeber zuzubilligende Übergangsfrist noch nicht abgelaufen sei. Diese Auffassung habe das BVerfG in seinem Nichtannahmebeschluss vom 19. April 2004 (HFR 2006, 716) für 1995 als obiter dictum bestätigt.
Irgendwelche gesetzgeberischen oder finanzamtlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Erhebungsmöglichkeiten oder wenigstens zur Offenhaltung der Veranlagungen, welche in den vom BVerfG in dem Urteil vom 9. März 2004 beurteilten Veranlagungszeiträumen 1997 und 1998 nicht mehr in Kraft waren, habe es in 1996 nicht gegeben. Ernsthafte Versuche, das Erhebungsdefizit einzudämmen, hätten erst nach 2002 begonnen.
Einzige und entscheidende Frage bleibe daher, ob dieses strukturelle Erhebungsdefizit dem Gesetzgeber zuzurechnen sei. Die Kläger kämen zu dem Ergebnis, dass auf der Ebene Problembewusstsein und Kenntnisstand keine Unterschiede in den tatsächlichen Verhältnissen der Veranlagungszeiträume 1996 und 1997 bzw. 1998 gegeben seien. Eine unterschiedliche Beurteilung sei daher nicht angezeigt.
Dass eine wesentliche Veränderung der Situation auf den Aktienmärkten erst im Jahre 1996 eingetreten sein solle, sei kein tragfähiges Argument. Wie die DAI Kurzstudie 3/2000 zeige, habe der Aufwärtstrend des privaten Aktienbesitzes im Jahr 1994 begonnen. Bezogen auf den Vorjahreswert sei der Aktenbesitz der privaten Haushalte in Deutschland von 1994 auf 1995 um 9,77 v.H., 1995 auf 1996 um 18,2 v.H., 1996 auf 1997 um 32,65 v.H., 1997 auf 1998 um 15,72 v.H. und 1998 auf 1999 um 34,72 v.H. gestiegen. Das Aktienvermögen in privater Hand habe sich von 1994 bis 1996 um ca. 100 Mrd. DM vermehrt. Es könne somit keine Rede davon sein, dass sich die Frage der Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften wegen steigender Börsenkurse erst für den Veranlagungszeitraum 1997 gestellt hätte.
Somit bleibe noch die Frage zu beantworten, warum der Gesetzgeber ein strukturelles Erhebungsdefizit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG gerade für den Veranlagungszeitraum 1996 habe beseitigen müssen und ob die Untätigkeit die Nichtigkeit der Vorschrift für den Veranlagungszeitraum zur Frage habe.
In seinem Zinsurteil vom 27. Juni 1991 Az. 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239 [BVerfG 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89], BStBl II 1991, 654) habe das BVerfG die ungleiche Besteuerung von Kapitaleinkünften noch für eine Übergangszeit hingenommen. Als angemessene Übergangszeit habe es den Zeitraum von 18 Monaten nach Beginn seiner Entscheidung angesehen. Einen längeren Zeitraum nach Gewinn der Erkenntnis, dass auch für Spekulationsgeschäfte i.S.d. § 23 EStG ein Vollzugsdefizit vorliege, könne der Gesetzgeber nicht beanspruchen. Dass in Bezug auf die zur Prüfung gestellte materielle Steuernorm zu jener Zeit noch keine dem Zinsurteil entsprechende verfassungsgerichtliche Entscheidung ergangen sei, sei ohne Bedeutung. Es sei unerheblich, wenn die Frist zur Beseitigung des Vollzugsdefizits innerhalb des Veranlagungszeitraums 1996 enden sollte. Der Gesetzgeber sei durch keine Vertrauensschutznorm daran gehindert, Verfahrensvorschriften zu erlassen, die zur Herstellung eines dem Grundrecht auf Belastungsgleichheit entsprechenden Zustands führen würden. Die Einführung des Kontenabrufverfahrens erfolgte zum 1. April 2005. So gesehen hätte die dem Gesetzgeber zuzubilligende Übergangsfrist sogar noch bis zum 31. März 1997 oder später hingenommen werden können, um wirksame Vollzugsregelungen zu schaffen, so lange bis zu diesem Zeitpunkt keine Veranlagungen für 1996 bestandskräftig durchgeführt worden wären. Das hätte durch eine generell vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO und eine entsprechende Ergänzung des § 18a Einführungsgesetz zur AO zur späteren Beseitigung der Vorläufigkeit der Festsetzung ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand erreicht werden können. Stattdessen habe man die Frage ausgeklammert, obwohl die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe des Landes Nordrhein-Westfalen seit 1994 vorgelegen haben. Bis Ende 2001 sei nichts Wesentliches geschehen. Aus Sicht der Kläger sei daher eine erneute Vorlage an das BVerfG angezeigt.
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuer 1996 unter Änderung der Einkommensteuerfestsetzung in der Fassung vom 20. Oktober 1999 und des Einspruchsbescheides vom 2. Dezember 1999 soweit herabzusetzen, wie sie sich ohne Ansatz eines Gewinns aus der Veräußerung privater Wertpapiere bei den sonstigen Einkünften ergibt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA hält § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG unter Bezugnahme auf die Begründung des FG Münster in seinem Urteil vom 14. September 2006 Az. 8 K 4710/01 (EFG 2007, 133) für verfassungsgemäß. Seiner Auffassung nach ist die Durchsetzung des Steueranspruchs für das Streitjahr nicht durch ein strukturelles Vollzugsdefizit vereitelt. Vielmehr sei dem Gesetzgeber auch für das Streitjahr 1996 noch eine Übergangsfrist zuzubilligen.
Ein Verlustrücktrag der Spekulationsverluste des Klägers im Jahr 1997 in das Jahr 1996 scheide ebenfalls aus, da aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 für das Jahr 1997 weder Spekulationsgewinne noch Spekulationsverluste anzusetzen seien. Insofern werde auf das Urteil des vom 14. Juli 2004 Az. IX R 13/01 (BFHE 206, 316, BStBl. II 2005,125) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1996 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.
1.
Einer inhaltlichen Überprüfung der Einkommensteuerfestsetzung 1996 im Rahmen dieses Verfahrens steht - wovon auch der Beklagte zutreffend in der Einspruchsentscheidung ausgegangen ist - nicht der Einkommensteueränderungsbescheid vom 22. September 1999 entgegen. Zwar half die Finanzbehörde dem ursprünglichen Begehren der Kläger durch diesen Bescheid in vollem Umfang ab. Aber die Kläger haben ihr Begehren - unabhängig von der Frage, ob ihr Antrag auf abweichende Festsetzung der Einkommensteuer aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO vom 20. September 1998 auch als Erweiterung ihres Einspruchsbegehrens auszulegen ist - jedenfalls am 22. September 1998 und damit rechtzeitig vor dem Wirksamwerden des Einkommensteueränderungsbescheides vom 22. September 1998 erweitert. Daher ist keine Erledigung des Einspruchsverfahrens eingetreten. Denn eine solche Erledigung tritt nur dann ein, wenn die Behörde dem Antrag des Einspruchsführers u.a. durch Änderung des Bescheids ( § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO) in vollem Umfang entspricht. Ob dies der Fall ist, ergibt ein Vergleich zwischen dem Antrag im Einspruchsverfahren und der Regelung im Abhilfebescheid. Dabei ist der Antrag des Einspruchsführers im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Abhilfebescheids maßgebend (BFH Beschluss vom 30. Oktober 2003 VI B 83/03, BFH/NV 2004, 356).
2.
Zu Recht hat das FA in dem angefochtenen Bescheid Einkünfte des Klägers aus der Veräußerung privater Wertpapiere in Höhe von 76.076 DM angesetzt.
Der Senat hält § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG, entgegen der Auffassung der Kläger, nicht für verfassungswidrig.
Das BVerfG hat mit Urteil vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) die Besteuerung privater Wertpapiergeschäfte lediglich für die Jahre 1997 und 1998 für verfassungswidrig und § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG insoweit für nichtig erklärt. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b EStG hatte in ihrer im Streitjahr 1996 gültigen Fassung denselben Wortlaut wie die in dem Normenkontrollverfahren 2 BvL 17/02 zur Prüfung gestellte Norm.
Zwar ist davon auszugehen, dass auch im Streitjahr 1996 ein vergleichbares Vollzugsdefizit gegeben war, wie es das BVerfG für die Jahre 1997 und 1998 festgestellt hat (so auch der BFH: für Kalenderjahre bis einschließlich 1993:Urteil vom 1. Juni 2004 IX R 35/01, BFHE 206, 273, BStBl II 2005, 26, für das Kalenderjahr 1994:Urteil vom 29. Juni 2004 IX R 26/03, BFHE 206, 418, BStBl II 2004, 995, für das Kalenderjahr 1995: Beschluss vom 29. November 2005 IX B 80/05, BFH/NV 2006, 719).
Der erkennende Senat hält es jedoch auch für das Jahr 1996 für ausgeschlossen, dass das BVerfG § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG für Wertpapiergeschäfte für nichtig erklären würde. Entgegen der Ansicht der Kläger ist vielmehr davon auszugehen, dass trotz gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zugebilligt würde, die das Streitjahr mit umfasst und innerhalb der die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG wegen des rechtsstaatlichen Kontinuitätsgebots noch anzuwenden ist (vgl. Urteil des BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654).
In seinem Urteil zur Zinsbesteuerung vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 (BVerfGE 84, 239 [BVerfG 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89], BStBl II 1991, 654) hat das BVerfG zwar in Bezug auf § 20 EStG ein mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbares Vollzugsdefizit festgestellt, die darauf gestützte Verfassungsbeschwerde aber gleichwohl zurückgewiesen, weil die Verfassungsrechtslage bisher nicht erkannt worden sei und deshalb Anlass bestanden habe, das bisherige Recht noch für eine Übergangszeit hinzunehmen und dem Gesetzgeber Gelegenheit zu geben, sich binnen einer angemessenen Frist auf die nunmehr geklärte verfassungsrechtliche Lage einzustellen. Diese Erwägungen gelten ebenso für das Vollzugsdefizit, welches das BVerfG nunmehr für § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG festgestellt hat. Auch hier war die Verfassungsrechtslage seinerzeit nicht erkannt worden.
Die dem Gesetzgeber insoweit zuzubilligende Übergangszeit umfasst nach Auffassung des Senates auch noch das Streitjahr (im Ergebnis ebenso: FG Münster Urteil vom 14. September 2006 8 K 4710, EFG 2007, 1333; andere Auffassung: FG Münster Vorlagebeschlüsse vom 5. April 2005 8 K 4710 E, EFG 2005, 1117, und vom 13. Juli 2005 10 K 6837/03 E, EFG 2005, 1542), weil die Frage des gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits in der Fachwelt für die Vorschrift des § 20 EStG (vgl. die Nachweise im Urteil des BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654) deutlich früher aufgeworfen worden ist als für § 23 EStG. (vgl. dazu die Nachweise im Urteil des BVerfG vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 BVerfGE 84, 239, BStBl II 1991, 654 unter A. I. 4. der Gründe).
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich aufgrund der Situation an den Aktienmärkten im Jahr 1996 die Frage der Verifikation von Spekulationsgeschäften aus privaten Veräußerungsgeschäften noch nicht in vergleichbarem Maß wie für die beiden Folgejahre gestellt da. So zeigt die Kurzstudie des Deutschen Aktieninstituts 3/2000, dass erst im Jahre 1996 ein verstärkter Erwerb von Aktien durch private Haushalte eingesetzt hat, der im Jahr 1997 durch eine positive Entwicklung des DAX unterstützt worden ist. So stieg der Aktienbesitz der privaten Haushalten ausweislich der Studie von 255,5 Mrd. DM im Jahr 1991 über 366,2 Mrd. DM im Jahr 1995 und 433,1 Mrd. DM im Jahr 1996 auf 664,8 Mrd. DM im Jahr 1998 und erreichte im Jahr 1999 895,7 Mrd. DM. Für die Jahre 1997 und 1998 hat sich daher die Situation anders als im Jahr 1996 dargestellt.
3.
Die vom Beklagten in dem angefochtenen Bescheid angesetzten Einkünfte des Klägers aus der Veräußerung privater Wertpapiere in Höhe von 76.076 DM sind nicht im Wege des Verlustrücktrages um die Verluste des Klägers aus der Veräußerung privater Wertpapiere im Veranlagungszeitraum 1997 in Höhe von 37.783 DM zu mindern.
Für den Veranlagungszeitraum 1997 ist die Vorschrift des § 23 EStG, soweit sie Wertpapiergeschäfte erfasst, nicht mehr anwendbar, weil das BVerfG sie durch Urteil vom 9. März 2004 2 BvL 17/02 (BVerfGE 84, 239 [BVerfG 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89], BStBl II 1991, 654) insoweit für nichtig erklärt hat. Die Nichtigerklärung durch das BVerfG hat zur Folge, dass die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG insoweit weggefallen ist. Die Erfüllung der Voraussetzungen dieses Steuertatbestands bildet die Grundlage für die Ermittlung der Einkünfte aus Wertpapierspekulationsgeschäften gemäß § 23 Abs. 3 EStG. Nach Wegfall des Steuertatbestandes ist mithin nicht nur für den Ansatz von Spekulationsgewinnen, sondern auch von Spekulationsverlusten keine Rechtsgrundlage mehr vorhanden (vgl. BFH Urteil vom 14. Juli 2004 IX R 13/01, BFHE 206, 316, BStBl II 2005, 125).
Eine Berücksichtigung der Spekulationsverluste des Jahres 1997, so wie sie nach der Rechtsprechung des BFH für Spekulationsverluste der Jahre vor 1997 oder jedenfalls vor 1996 nach den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen über Verlustausgleich und Verlustabzug in Betracht kommen (vgl. BFH Urteil vom 13. Dezember 2006 VIII R 29/01, BFH/NV 2007, 689), ist im Streitfall daher ausgeschlossen.
Nach allem war die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
4.
Die Kläger haben als unterlegene Beteiligte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 135 Abs.1 FGO.
Die Revision ist gem. § 115 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.