Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.08.2012, Az.: 13 W 56/12

Klagebefugnis des Stromliferanten und Gaslieferanten auf Duldung der Unterbrechung der Versorgung und Zutritt durch den Netzbetreiber

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.08.2012
Aktenzeichen
13 W 56/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 22394
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:0820.13W56.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 16.04.2012 - AZ: 4 O 283/11

Fundstellen

  • IR 2013, 14
  • ZNER 2012, 498-501

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde vom 10. Mai 2012 werden der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg abgeändert und die Kosten des Verfahrens erster Instanz dem Beklagten auferlegt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte nach einem Gegenstandswert von bis zu 1.500 €.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

1

Die Klägerin ist im Gebiet des Beklagten die Grundversorgerin; Netzbetreiberin ist die E. AG. Die Klägerin versorgte den Beklagten an der Abnahmestelle G., V. ("Pferdestall hinten") leitungsgebunden mit Strom und Gas. Der Beklagte verbrauchte im Ablesezeitraum 6. November 2009 bis 16. November 2009 insgesamt 17.798 kWh Strom und 99.320 kWh Gas. Die Lieferung des Stroms erfolgte nach dem Tarif Strom Agro Eintarif und für Gas auf Grundlage der GasGVV nach dem Tarifen Erdgas Classic Duett und anschließend Erdgas Tarif Duett. Die Nachzahlung für die verbrauchte Energie und die neu festgesetzten Abschläge glich der Beklagte nur schleppend aus. Mit Schreiben vom 27. Juli 2011 wurde der Beklagte erneut zur Zahlung aufgefordert und die Unterbrechung der Versorgung nach Ablauf von vier Wochen angedroht. Unter dem 31. August 2011 wurde die Unterbrechung der Energieversorgung für den 8. September 2011 angekündigt. Dem Mitarbeiter des Netzbetreibers E. AG war ein Zutritt an diesem Tag erneut nicht möglich. Einschließlich Mahn- und Sperrversuchskosten schuldete der Beklagte der Klägerin zuletzt einen Betrag von 3.444,00 €, wobei mehr als 100 € auf die Lieferung von Strom entfielen.

2

Die Klägerin erhob Klage mit dem Antrag, den Beklagten zu verurteilen, einem mit einem Ausweis versehenen Beauftragten des Netzbetreibers E. AG den Zutritt zu den Räumlichkeiten zu gestatten und die Sperrung der Strom- und Gaszähler zu dulden. Während des Prozesses glich der Beklagte den Rückstand aus. Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

3

Das Landgericht hat die Kosten des Verfahrens nach § 91 a ZPO der Klägerin auferlegt. Dazu hat es gemeint, dass die Klägerin aller Voraussicht nach unterlegen wäre. Denn aus §§ 19 Abs. 2 Satz 1 Strom-/Gas-GVV ergebe sich kein Recht auf Zutritt zu den Räumlichkeiten. Das Zutrittsrecht ergebe sich vielmehr nur für den Netzbetreiber aus §§ 21 Satz 1, 24 Abs. 3 NAV/NDAV. Dieses Recht könne die Klägerin als Versorgungsunternehmen jedoch nicht im eigenen Namen geltend machen. Weder der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften noch die Intention des Verordnungsgebers oder die Systematik sprächen für ein Zutrittsrecht der Klägerin. Vielmehr solle dem Grundversorger ein Zutrittsrecht nach § 19 Strom-/Gas-GVV nur zur Ermittlung der preislichen Bemessungsgrundlagen oder zum Ablesen der Messeinrichtung zustehen. Ob hier § 19 StromGVV angesichts der verbrauchten Strommenge und der Bezeichnung der Abnahmestelle überhaupt Anwendung findet, könne offenbleiben. Aus § 273 BGB ergebe sich jedenfalls kein Recht auf Zutritt für die Klägerin. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, dass sie in gewillkürter Prozessstandschaft für den Netzbetreiber handele und von jenem ermächtigt sei.

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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie erreichen möchte, dass die Kosten des Verfahrens dem Beklagten auferlegt werden. Sie meint, ihr Recht, die Duldung des Zutritts durch einen Beauftragten des Netzbetreibers verlangen zu können, ergebe sich aus § 19 GasGVV. Der Netzbetreiber könne die Lieferung nach § 21 NAV/NDAV gar nicht unterbrechen, weil er aus dem Energielieferungsverhältnis keine Ansprüche gegen den Letztverbraucher habe. Schließlich sei die StromGVV analog auf Verträge mit Nichthaushaltskunden anzuwenden. Denn der Gesetzgeber habe im Zuge der Neuregelung des Energiewirtschaftsgesetzes davon abgesehen, eine Bestimmung für den Übergang der bestehenden Verträge auch für Nichthaushaltskunden zu schaffen. Es müsse ihr doch möglich sein, die Energielieferung zu unterbrechen; sie allein sei hinsichtlich der Einstellung der Energieversorgung aktivlegitimiert.

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II. Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 91 a Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen ( § 569 Abs. 1 und 2 ZPO) zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

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Nachdem die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war nach § 91 a Abs. 1 Satz 1 ZPO über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Zu Unrecht hat das Landgericht der Klägerin die Kosten auferlegt. Denn der Beklagte wäre ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich unterlegen.

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1. Die Klägerin nimmt als Grundversorgerin im Rahmen der Klage auf Duldung der Einstellung der Energieversorgung und des Zutritts durch den Beauftragten des Netzbetreibers nach wie vor ein eigenes Recht wahr, so dass von ihrer Prozessführungsbefugnis auszugehen und die Klage nicht schon als unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2010 - XII ZR 181/08, juris Rn. 7) abzuweisen gewesen wäre. Die Voraussetzungen für die von der Klägerin beantragte Unterbrechung (§§ 19 Abs. 2 und 3 GasVV) liegen im Übrigen vor.

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a) Im Fall der Grundversorgung finden die Rechte des Energieversorgungsunternehmens, was das Recht auf Unterbrechung der Stromversorgung bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung und Androhung anbelangt, ihre Grundlage in § 19 Abs. 2 StromGVV i. V. m. §§ 21 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 2, 3 NAV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung - Niederspannungsanschlussverordnung) und - was das Recht auf Unterbrechung der Gasversorgung angeht -, entsprechend in § 19 Abs. 2 GasGVV i. V. m. §§ 21 Abs. 1 Satz 1, 24 Abs. 2, 3 NDAV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Gasversorgung in Niederdruck - Niederdruckanschlussverordnung). Diese Bestimmungen bilden im Rahmen der Grundversorgung kraft Gesetzes den Inhalt des Versorgungsvertrags (vgl. Hempel, in ders./Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, Stand des Gesamtwerks Dezember 2011, § 39 EnWG Rn. 56).

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b) Der Zutritt zu einer Wohnung, um die Energieversorgung zu sperren, stellt keine Durchsuchung i. S. von Art. 13 Abs. 2 GG, §§ 758, 758a ZPO dar. Dem Richtervorbehalt zum Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) ist in einem solchen Fall dadurch genügt, dass dem Schuldner in einer von einem Richter erlassenen Entscheidung aufgegeben wurde, dem Gläubiger den Zutritt zu seiner Wohnung zu gestatten und die Einstellung der Energieversorgung zu dulden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2006 - I ZB 126/05, juris Rn. 9 f.).

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c) Ob der Grundversorger als Gläubiger der Lieferentgelte die Titulierung sowohl der Verpflichtung des Kunden zur Duldung der Unterbrechung der Versorgung als auch der Gewährung des Zutritts durch den Beauftragten des Netzbetreibers erwirken kann, wird in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beurteilt.

11

Nach einer Ansicht hat der Lieferant auch ein eigenes Zutrittsrecht (vgl. LG Siegen, Beschluss vom 25. Juli 2011 - 3 T 2/11, juris Rn. 11 [Recht auf Zutritt nach § 241 Abs. 2 BGB]; Rottnauer, RdE 2008, 105, 110 f.). Nach einschränkender Auffassung kann der Grundversorger im eigenen Namen den Anschlussnehmer dahin in Anspruch nehmen, dass jener den Zutritt eines vom Netzbetreiber Beauftragten nach §§ 21 Satz 1, 24 Abs. 3 NAV/NDAV duldet (Senat, Beschluss vom 17. November 2011 - 13 W 83/11, Umdruck S. 2 f.; LG Kassel, Urteil vom 10. Mai 2007 - 1 S 430/06, RdE 2008, 257, 258 [LG Kassel 10.05.2007 - 1 S 430/06]; Morell, NDAV/GasGVV, 2. Aufl., § 24 NDAV Rn. 40 und § 19 GasGVV Rn. 45 ff.;). Nach der ablehnenden Ansicht des Landgerichts besteht für den Lieferanten weder ein eigenes Recht auf Zutritt noch kann er den Anspruch des Netzbetreibers auf Zutritt - abgesehen von der Möglichkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft - geltend machen (unklar AG Meldorf, Urteil vom 27. Oktober 2011 - 81 C 1215/11, RdE 2012, 75 f.).

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d) Der Senat sieht keinen Anlass, von der im Beschluss vom 17. November 2011 vertretenen Auffassung abzuweichen. Die Klägerin nimmt als Grundversorgerin das ihr zustehende Recht auf Einstellung der Energieversorgung wahr und muss sich zum Zweck der Unterbrechung der Versorgung des Netzbetreibers bedienen; die gerichtliche Geltendmachung setzt jedoch keine Ermächtigung des Netzbetreibers voraus.

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aa) Allerdings ergibt sich aus § 19 Abs. 2 Strom-/ GasGVV kein Recht auf Zutritt zu den Räumlichkeiten für die Klägerin. Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist der Grundversorger lediglich berechtigt, die Energieversorgung durch den Netzbetreiber unterbrechen zu lassen.

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bb) Ein Recht auf Zutritt zum Zweck der Unterbrechung der Energieversorgung steht nach § 21 Satz 1 NAV/NDAV vielmehr dem Netzbetreiber zu. Danach kann der Netzbetreiber den Zutritt verlangen, wenn der Anschlussnutzer seiner Zahlungspflicht nicht nachgekommen ist ( § 24 Abs. 2 NAV/NDAV), was nur von geringer praktischer Relevanz ist (vgl. Hartmann, in Danner/Theobald, Energierecht, Stand des Gesamtwerks Januar 2012, Band 2, § 24 Anschl/VersorgBdg Rn. 15), oder - was den Regelfall darstellen dürfte - wenn das Grundversorgungsunternehmen den Netzbetreiber zur Unterbrechung auffordert, weil es seinerseits zur Unterbrechung der Energieversorgung - hier nach § 19 Abs. 2 Strom-/Gas-GVV - gegenüber dem Abnehmer berechtigt ist ( § 24 Abs. 3 NAV/NDAV).

15

cc) Das Recht auf Unterbrechung der Energieversorgung und Zutritt zum Zweck der Zählersperrung steht gleichwohl nach wie vor dem Grundversorger zu. Er muss sich hierzu lediglich des Netzbetreibers gleichsam als Beauftragten bedienen.

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(1) Zwar spricht die Regelung in § 19 Strom-/Gas-GVV zunächst gegen eine solche Auslegung. Diese Bestimmung begrenzt den Anwendungsbereich des bisherigen § 16 AVBEltV/AVBGasV, wonach i. V. m. § 33 Abs. 2 AVBEltV/AVBGasV ein Recht auf Unterbrechung der Energieversorgung und Zutritt des Grundversorgungsunternehmens auch für den Fall des Zahlungsverzugs mit Lieferentgelten bestand, auf noch notwendige Ermittlungen preislicher Bemessungsgrundlagen und Ablesung der Messeinrichtung (BR-Drucks. 306/06, S. 30). Formal ist der Lieferant nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Strom-/Gas-GVV nur berechtigt, die Energieversorgung durch den Netzbetreiber unterbrechen zu lassen, kann sein Leistungsverweigerungsrecht also nicht selbst durchsetzen, sondern muss den Netzbetreiber nach §§ 19 Abs. 2 Satz 1 Strom-/Gas-GVV, § 24 Abs. 3 Satz 1 NAV/NDAV beauftragen (Stennecken/Thomale, N&R 2007, 51, 59).

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(2) Eine Einschränkung dahin, dass die Klägerin ein ihr materiell-rechtlich nicht (mehr) zustehendes Recht geltend machen würde und daher nur im Falle der Ermächtigung prozessführungsbefugt wäre, ist darin indessen nicht angelegt.

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(a) Mit der Neuregelung des Gesetzes über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG, vom 7. Juli 2005, BGBl. I S. 1970, ber. BGBl. I S. 3621) wurden im Zuge der Trennung des Monopolbereichs Netz von den Wettbewerbsbereichen Beschaffung, Handel und Vertrieb von Energie die bisher in den AVBEltV/AVBGasV zum Netzanschluss und -betrieb enthaltenen Bestimmungen in die NAV/NDAV überführt. Im Zuge der Umsetzung der Richtlinien 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG sowie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG sollte mit der Verordnungsermächtigung nach §§ 24, 18 Abs. 3 und 39 Abs. 2 EnWG der nunmehr dreiseitigen Rechtsbeziehung - Lieferant, Netzbetreiber und Kunde, als Folge der Entflechtung der das Verteilernetz betreibenden vertikal integrierten Unternehmen (vgl. Art. 13 RL 2003/55/EG und Art. 10 RL 2003/54/EG) - Rechnung getragen werden (vgl. Hempel in ders./Franke, aaO., § 39 EnWG Rn. 55).

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(b) Damit und mit der Verbesserung der Rechtsstellung von Haushaltskunden (vgl. BR-Drucks. 306/06, S. 21) sollte jedoch keine wesentliche Einschränkung der Durchsetzbarkeit der Rechte des Lieferanten einhergehen. Vielmehr ist es dem Grundversorger, der aufgrund der Trennung von Vertrieb und Netz gerade nicht mehr stets demselben Konzern wie der Netzbetreiber angehört, nur nicht mehr gestattet, Arbeiten im Bereich des Netzes durchzuführen (vgl. Hempel, in ders./Franke, aaO., § 39 EnWG Rn. 74).

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(c) Vielmehr prüft der Grundversorger, der sein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Lieferanspruch des Kunden geltend macht, nach wie vor die Voraussetzungen der Versorgungsunterbrechung und hat hierzu vorab die in § 19 Abs. 2 Satz 2 ff., Abs. 3 Strom-/Gas-GVV geregelten Formalien einzuhalten, wovon der Netzbetreiber nach § 24 Abs. 3 und 4 NAV/NDAV im Falle der Beauftragung durch den Grundversorger hingegen befreit ist.

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(d) Die in § 18 Abs. 3 EnWG geregelte Verordnungsermächtigung, auf deren Grundlage die NAV und NDAV erlassen worden sind, enthält außerdem eine klare Beschränkung auf die Rechtsverhältnisse der Anschlussnutzung. Die netzbetriebsrelevante Maßnahme Sperren - und damit der Zutritt - sind nunmehr originäre Aufgabe des Netzbetriebs (vgl. Hartmann in Danner/Theobald, aaO., Rn. 18; Stennecken/Thomale, N&R 2007, 51, 59). Zwar mag der Netzbetreiber aus eigenem Recht eine Unterbrechung nach § 24 Abs. 2 NAV/NDAV und damit den Zutritt nach § 21 Abs. 1 Satz 1 NAV/NDAV auch dann gerichtlich geltend machen können, wenn es um Entgelte für die Lieferung von Energie geht (vgl. OLG München, Urteil vom 5. Juli 2010 - 21 U 2843/10, RdE 2011, 70). Hierzu wird aus seiner Sicht jedoch selten Anlass bestehen. Denn der - ggf. konzernfremde - Lieferant ist im Regelfall Schuldner der Netzentgelte und trägt daher allgemein das Risiko der Nichtzahlung durch den Kunden (Hartmann in Danner/Theobald, aaO., Rn. 20).

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(e) Schließlich müsste der Netzbetreiber nach dem Wortlaut von § 24 Abs. 3 NAV/NDAV gegen den Anschlussnutzer auf Veranlassung des Grundversorgers einen Duldungstitel erwirken können, gestützt auf nur glaubhaft gemachte Angaben zu den Voraussetzungen der Unterbrechung der Energieversorgung.

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(f) Nach alledem ist deutlich, dass der Lieferant zur Durchsetzung seines ihm zweifellos zustehenden Leistungsverweigerungsrechts sich des Netzbetreibers bedienen muss; nur letzterer hat die Befugnis, die Einstellung der Energieversorgung technisch durch Zutritt und Unterbrechung umzusetzen. Dabei geht es aber nur um die Durchsetzung des dem Grundversorger zustehenden Rechts. Die in § 1 Abs. 1 EnWG zum Ausdruck kommende Zielsetzung einer sicheren und preisgünstigen Versorgung setzt auch und gerade voraus, dass die Lieferanten möglichst zeitnah einen Duldungstitel erwirken können, um die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, die Energieversorgung, für die sie die geschuldete Gegenleistung nicht erhalten, einstellen zu können.

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e) Ob hier § 19 GasGVV überhaupt Anwendung findet, woran angesichts der von dem Beklagten verbrauchten Menge an Gas und der Bezeichnung der Abnahmestelle - wie bei der Stromversorgung - entgegen den Ausführungen des Landgerichts durchaus Zweifel bestehen könnte (vgl. § 3 Nr. 22 EnWG), kann offenbleiben. Denn auch im Fall der Belieferung nach einem Sonderkundentarifvertrag verhielte es sich im Ergebnis nicht anders (dazu nachfolgend 2.).

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2. Hinsichtlich der Unterbrechung der auf Grundlage des Sonderkundentarifs erfolgten Stromversorgung fehlt es ebenfalls nicht an der Prozessführungsbefugnis der Klägerin und die Klage wäre infolge des Zahlungsverzugs darüber hinaus begründet gewesen.

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a) Zu Recht geht das Landgericht zwar davon aus, dass § 19 Abs. 2 StromGVV unmittelbar keine Anwendung findet. Die Verordnungsermächtigung nach § 39 Abs. 2 EnWG betrifft lediglich die Belieferung von Haushaltskunden (§ 3 Nr. 22 EnWG, vgl. Hempel in ders./Franke, aaO., § 39 EnWG Rn. 54). Ob § 19 Abs. 2 Strom-/GasGVV im Wege der Rechtsanalogie oder aufgrund ergänzender Vertragsauslegung auch für den Bereich der Sonderkundentarifverträge Geltung findet, kann jedoch offenbleiben. Denn das Recht der Klägerin auf Einstellung der Energielieferung ergibt sich jedenfalls aus §§ 273, 320 BGB.

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b) Da dem Lieferanten die Durchsetzung seines Zurückbehaltungsrechts - ähnlich wie dem Vermieter die Durchsetzung seines Pfandrechts nach § 562 ff. BGB (vgl. dazu Kraemer in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III. Rn. 1127) - unmöglich ist, steht ihm nach § 242 BGB jedenfalls als Annex das Recht auf Unterbrechung der Versorgung und auf den hierfür erforderlichen Zugang zu den Räumlichkeiten zu.

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c) Dem steht auch nicht entgegen, dass nach den Bestimmungen der NAV/NDAV der Netzbetreiber das Recht auf Zutritt hat. Zwar erfassen die NAV/NDAV sämtliche Letztverbraucher (vgl. § 3 Nr. 25 EnWG), wie sich aus dem Wortlaut der Ermächtigungsnorm § 18 Abs. 3 EnWG und § 1 Abs. 3 NAV/NDAV ergibt. Auch die §§ 21 und 24 Abs. 3 Satz 1 NAV/NDAV betreffen den Letztverbraucher und damit auch die Kunden, die außerhalb der Grundversorgung nach einem Sonderkundentarifvertrag beliefert werden (vgl. Hempel in ders./Franke, aaO., § 18 EnWG Rn. 1 und 184).

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Die Regelungen zum Netzanschluss und zur Anschlussnutzung enthalten damit die Bestimmungen, die zwischen dem Netzbetreiber und einem an das Netz angeschlossenen oder diesen Netzanschluss zur Entnahme von Energie nutzenden Kunden unabhängig davon gelten, zwischen wem der Netzzugang vereinbart worden ist und von wem ein Kunde Energie bezieht (Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts, BT-Drucks. 15/3917, S. 59). Diese Regelungen bestimmen umfassend den Inhalt des mit dem Anschlussnutzer bestehenden Rechtsverhältnisses (vgl. BR-Drucks. 613/04, S. 108; Hempel in ders./Franke, aaO., § 18 EnWG Rn. 182), unabhängig von der Energielieferung (Hempel, aaO., Rn. 184). Damit ist auch im Falle der Versorgung des Sonder-tarifkunden die strikte Trennung zwischen Vertrieb und Netz zu beachten.

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Die im Zuge der Entflechtung auf dem Energiesektor geschaffene Dreiseitigkeit der Rechtsbeziehungen hat jedoch keine grundlegende Eingrenzung der Rechte des Lieferanten dahin zur Folge, dass er zur Durchsetzung seines Leistungsverweigerungsrechts nicht nur auf die Unterstützung des Netzbetreibers in tatsächlicher Hinsicht, sondern auch in rechtlicher angewiesen wäre (s.o. 1. d] cc] [2]).

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die statthaft Rechtsbeschwerde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 - VI ZB 63/03, juris Rn. 5) war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Nr. ZPO). Die Frage der prozessualen Durchsetzung des Leistungsverweigerungsrechts stellt sich in einer Vielzahl von Fällen. Für den Lieferanten ist es entscheidend, ob er zur möglichst zeitnahen gerichtlichen Durchsetzung seiner Rechte im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft vorgehen müsste, was sich bei nicht konzernangehörigen Netzbetreibern möglicherweise als spürbar aufwändiger erweisen könnte.