Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.08.2012, Az.: 13 W 64/12

Anforderungen an die Form der Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Anwendungsbereich des Anfechtungsgesetzes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.08.2012
Aktenzeichen
13 W 64/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 20991
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:0806.13W64.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 10.07.2012

Fundstellen

  • NZI 2012, 7
  • NZI 2012, 822-823
  • ZInsO 2012, 2200-2201

Amtlicher Leitsatz

Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Anwendungsbereich des Anfechtungsgesetzes (AnfG) kann - soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 AnfG erfolgt - ausschließlich durch Duldungsbescheid erfolgen; eine Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung vor den ordentlichen Gerichten ist ausgeschlossen.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Verden vom 10. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Beschwerdewert wird auf bis 35.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte im Klagewege auf Duldung der Zwangsvollstreckung nach §§ 13, 3 AnfG in Anspruch. Der Klage liegt eine Forderung gegen den Schuldner aus einem Gewerbesteuerbescheid zugrunde.

2

Das Landgericht hat - nach Gewährung rechtlichen Gehörs - durch den angefochtenen Beschluss den beschrittenen Rechtsweg zu den Zivilgerichten als unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Niedersächsische Finanzgericht Hannover verwiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin. Der zuständige Einzelrichter hat die Sache durch Beschluss auf den Senat übertragen.

3

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien, einschließlich der in erster Instanz sowie im Beschwerdeverfahren gestellten Anträge, wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze.

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II. Die nach §§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht ausgesprochen, dass eine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für eine Klage der vorliegenden Art nicht gegeben ist. Ob die vorliegende Klage den formalen Anforderungen des § 191 Abs. 1 Satz 2 AO entspricht, ist vom Senat nicht zu prüfen.

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1. Gemäß § 191 Abs. 1 Satz 2 1. HS. AO erfolgt die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist.

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2. Der Senat versteht diese Regelung so, dass hiernach die Anfechtung wegen - wie vorliegend - Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 AnfG erfolgt, ausschließlich durch Duldungsbescheid zu erfolgen hat, über dessen Berechtigung ggf. sodann vor den Finanzgerichten zu streiten wäre.

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a) Allerdings wird in der Literatur vertreten, dass § 191 Abs. 1 Satz 2 AO (lediglich) klarstelle, dass die Finanzbehörden den Anfechtungsanspruch nach dem AnfG mittels Klage vor dem Zivilgericht oder mittels Duldungsbescheid gem. § 191 Abs. 1 AO im Verwaltungswege durchsetzen können; diesen mithin ein Wahlrecht zustehe (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO, Stand Februar 2011, § 191 Rn. 147; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 191 Rn. 21; so wohl auch Pahlke/König, AO, 2. Aufl., § 191 Rn. 137). Allerdings beziehen sich die vorgenannten Kommentarstellen auf Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu § 191 Abs. 1 AO 1977 (vgl. z. B. BFH, Beschluss vom 1. Dezember 2005 - VII B 95/05, juris Rn. 9; BFH, Beschluss vom 27. Januar 2000 - VII B 90/99, juris Rn. 8). § 191 Abs. 1 AO 1977 ("Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetztes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden") hatte aber noch einen anderen Wortlaut als § 191 Abs. 1 AO n. F..

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b) Auch die Gesetzesbegründung für die Einfügung des § 191 Abs. 1 Satz 2 AO n. F. (BT-Drucks. 14/1514, S. 48) vermittelt eher den Eindruck, als habe der Gesetzgeber lediglich klarstellen wollen, dass den Finanzbehörden (auch weiterhin) ein Wahlrecht zusteht. Auszugsweise lautet die Begründung nämlich wie folgt (Hervorhebungen durch den Senat):

9

"Nach dem ab dem 1. Januar 1999 geltenden Anfechtungsgesetz ist dagegen unklar, ob die Finanzbehörden im Falle der Anfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens noch Duldungsbescheide erlassen dürfen oder ob sie die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis im Wege der Klage vor dem Zivilgericht geltend machen müssen.

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Im Interesse der Rechtsklarheit, zur Vermeidung von Haushaltsausfällen und zur Vermeidung erheblichen Aufwandes bei den Amtsgerichten und der Finanzverwaltung soll in § 191 Abs. 1 AO eindeutig geregelt werden, dass die Finanzbehörden die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens auch ab dem 1. Januar 1999 durch Duldungsbescheid vornehmen."

11

c) Für entscheidend hält der Senat vorliegend die Auslegung nach dem Wortlaut. Danach kann nach Auffassung des Senats § 191 Abs. 1 Satz 2 AO n. F. nur so verstanden werden, dass die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis im Anwendungsbereich desAnfG ausschließlich - soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 AnfG erfolgt - durch Duldungsbescheid zu erfolgen hat, mit der Konsequenz, dass eine Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung vor den Zivilgerichten nicht möglich ist. Nach dem Verständnis des Senats geht offenbar auch der Bundesgerichtshof hiervon aus (vgl. Beschluss vom 27. Juli 2006 - IX ZB 141/05, juris Rn. 8: "...zwingend durch Duldungsbescheid zu erfolgen..."; in diesem Sinne offenbar auch Huber, ZInsO 2011, 519, 522; ohne diesbezügliche Aussage: MünchKommAnfG-Kirchhof, § 13 Rn. 11, 73).

12

III. 1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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2. Der Senat lässt nach § 17a Abs. 4 S. 3 und 4 GVG die Rechtsbeschwerde zu, da - gerade auch im Hinblick auf die entgegenstehende Kommentarliteratur zu § 191 AO - eine höchstrichterliche Entscheidung erforderlich erscheint.

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3. Die Entscheidung über den Beschwerdewert hat ihre Grundlage in § 3 ZPO. Der Senat hält eine Festsetzung in Höhe von einem Viertel des Hauptsachenstreitwerts für angemessen (vgl. dazu z. B. OLG Dresden, Beschluss vom 11. November 2011 - 4 W 1075/11, juris Rn. 10).