Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 29.08.2001, Az.: 9 U 120/01
Geltendmachung der persönlichen Haftung eines Gesellschafters durch den Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren; Missbrauch der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH); Kontrolle des haftenden Vermögens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 29.08.2001
- Aktenzeichen
- 9 U 120/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 21660
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2001:0829.9U120.01.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 93 InsO
- § 13 Abs. 2 GmbHG
Fundstellen
- DStZ 2001, 907 (Kurzinformation)
- EWiR 2002, 109
- GmbH-StB 2001, 343
- GmbHR 2001, 1042-1043 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
§ 93 InsO ist auf alle Fälle entsprechend anzuwenden, in denen die persönliche Haftung eines Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten im Insolvenzverfahren der Gesellschaft geltend zu machen ist
Tenor:
Die Berufung gegen das am 16. Januar 2001 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hildesheim wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Wert der Beschwer: unter 60.000 DM.
Gründe
Die Berufung ist unbegründet.
1.
Der Kläger ist - wie das Landgericht zutreffend begründet hat - in entsprechender Anwendung des § 93 InsO zur Erhebung der Klage befugt.
Nach dieser Bestimmung kann, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien eröffnet worden ist, die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Der Sinn der Vorschrift ist darin zu erblicken, dass verhindert werden soll, dass sich einzelne Gläubiger durch einen gesonderten Zugriff auf einen persönlich haftenden Gesellschafter Vorteile verschaffen und damit den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger verletzen (Gerhardt, ZIP 2000, 2184 ff. ). Damit wird zugleich auch verhindert, dass ein Antrag auf Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse abgelehnt werden muss, obwohl ein persönlich haftender Gesellschafter über ausreichendes Vermögen verfügt (Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung usw. , 3. Auflage, S. 458; Gerhardt, a. a. O. , S. 2186). § 93 InsO ist deshalb auf alle Fälle entsprechend anzuwenden, in denen die persönliche Haftung eines Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten im Insolvenzverfahren der Gesellschaft geltend zu machen ist (Gerhardt, a. a. O. , S. 2188).
2.
Der Anspruch ist auch sachlich begründet.
Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Gesellschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit besaß, weil sie die Rechtsform der GmbH missbraucht hat, indem sie nicht für eine klare Vermögensabgrenzung zwischen dem Gesellschafts- und ihrem Privatvermögen gesorgt hat, sodass insbesondere die Beachtung der Kapitalerhaltungsvorschriften, deretwegen die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen allein vertretbar ist, unkontrollierbar geworden ist (s. zur Rechtslage BGHZ 95, 330, 334) [BGH 16.09.1985 - II ZR 275/84]. Das hat zur Folge, dass die Beklagte so zu stellen ist, als habe sie das von der GmbH betriebene Handelsgeschäft selbst ohne Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2 GmbHG) geführt.
Es ist davon auszugehen, dass es entgegen den §§ 41 ff. GmbHG und § 140 AO keine ordnungsgemäße Buchführung gab, weil der Gesellschaft kein sachkundiges Personal zur Verfügung stand; weder die Beklagte noch Frau ####### waren Buchhalterinnen, und die Beklagte behauptet auch nicht, sie habe externe Hilfe bei der Buchführung in Anspruch genommen. Inventare und insbesondere Bilanzen (§§ 240, 242 HGB) existieren nicht, sodass das Finanzamt für Fahndung und Steuerstrafsachen in ####### die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO ermitteln musste.
Die Beklagte konnte unter diesen Umständen zu keinem Zeitpunkt feststellen, ob der das gesamte GmbH-Recht beherrschende Grundsatz der (Aufbringung und) Erhaltung des Stammkapitals (§§ 30 ff. GmbHG), der bei der GmbH als Kapitalgesellschaft mit Haftungsausschluss der Gesellschafter allergrößte Bedeutung für den Gläubigerschutz hat, gewahrt war. Angesichts der aufgelaufenen Schulden in Millionenhöhe erscheint es ohne weiteres möglich, dass die im Oktober 1995 mit einem Stammkapital von 50.000 DM gegründete Gesellschaft schon alsbald überschuldet war und dass die vorgeschriebene Rechnungslegung ihre Konkursreife schon vor Jahren ergeben hätte; bei rechtzeitiger Liquidation hätten dann die allermeisten Gläubiger nicht mehr durch die Fortführung des Betriebs geschädigt werden können.
Es ist der Beklagten nicht hilfreich, dass sie (beweislos) behauptet, die Buchführung befinde sich im Besitz des Klägers (S. 5 der Berufungsbegründung), denn dieser nimmt das in Abrede. Auch ist das Insolvenzverfahren erst nach dem Steuerstrafverfahren eröffnet worden und das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen hat bereits keine der oben genannten Unterlagen vorgefunden. Die Beklagte hat auch nicht etwa gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht, die Unterlagen existierten, könnten aber zurzeit nicht vorgelegt werden; hätten sie sich im Zeitpunkt der Fahndungsprüfung im Besitz von Frau ####### befunden - was die Beklagte für 'möglich' hält (S. 2 des Schriftsatzes vom 10. August 2001) -, so hätten sie von dort unverzüglich zurückgefordert werden können und müssen.
Die Tatsachen, dass (angeblich) Umsatzsteuervoranmeldungen erfolgt sind und ein Kassenbuch geführt wurde, sind nach den vorstehenden Darlegungen nicht von Belang: eine Kontrolle des haftenden Vermögens war durch diese Unterlagen nicht möglich. Im Übrigen könnte die Beklagte sich auch Umsatzsteuervoranmeldungen, wenn sie denn erfolgt sind, aber Zweitschriften bei der Gesellschaft nicht mehr vorliegen, vom Finanzamt wieder beschaffen. Entsprechendes würde für die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse, Bilanzen usw. (S. 2 f. des Schriftsatzes vom 10. August 2001) gelten.
Die Gesellschaft mag ein eigenes Konto besessen haben (S. 4 der Berufungsbegründung). Unstreitig wurde aber der überwiegende Teil ihrer Geschäfte nicht über dieses Konto abgewickelt (S. 9 der Leseabschrift des angefochtenen Urteils). Die Praxis der Gesellschaft, Außenstände durch so genannte Inkassofahrer einzuziehen und diese mit der Barbezahlung der Gesellschaftsgläubiger zu betrauen, verhinderte auch einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft, denn Aufzeichnungen existierten insoweit auch nicht; zugleich wurde dadurch die Erfassung und Abgrenzung des Gesellschaftsvermögens vereitelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO.