Landgericht Hildesheim
Urt. v. 16.01.2001, Az.: 10 O 135/00
Klagebefugnis des Insolvenzverwalters im Falle der persönlichen Haftung von Gesellschaftern einer GmbH; Verwischung der Grenzen zwischen Gesellschaftsvermögen und Privatvermögen durch eine undurchsichtige Buchführung als Begründung für eine derartige Haftung; Beschränkung der Haftung auf für die Vermischung verantwortliche Gesellschafter
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 16.01.2001
- Aktenzeichen
- 10 O 135/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 29138
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:2001:0116.10O135.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Celle - 29.08.2001 - AZ: 9 U 120/01
Rechtsgrundlage
- § 93 InsO
Fundstellen
- DStR 2001, 1447 (amtl. Leitsatz)
- KKZ 2002, 168-169
- KTS 2001, 578
- NZI 2001, 42
- ZInsO 2001, 474-475 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Forderung
In dem Rechtsstreit
des Rechtsanwalts und Notars ... als Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... GmbH
hat die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hildesheim
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht Dr. Mittmann sowie
die Handelsrichter Staufenbiel und Kreßmann
auf die mündliche Verhandlung vom 05. Dezember 2000
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 24.607,68 DM nebst Zinsen In Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach dem Diskontsatz-Überleitungsgesetz seit dem 28. September 2000 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, Sicherheit durch unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, einer Genossenschaftsbank oder eines öffentlichrechtlichen Kreditinstituts zu leisten.
Tatbestand
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn vom 11. Februar 2000 eröffnet.
Die Gemeinschuldnerin wurde am 13. Oktober 1995 gegründet. Von dem Stammkapital in Höhe von 50.000,00 DM übernahmen die Beklagte einen Anteil von 40.000,00 DM und ein Herr ...einen Anteil von 10.000,00 DM.
Im Jahre 1997 übertrug Herr ... seinen Geschäftsanteil unentgeltlich auf die Beklagte.
Die Beklagte war in der Zeit vom 13. Oktober 1995 bis zum 12. Januar 1998 alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin. Am 12. Januar 1998 wurde sie als Geschäftsführerin abberufen und Herr ... wurde zum neuen Geschäftsführer bestellt. Am 29. Juni 1998 wurde der Geschäftsführer abberufen und Frau ... wurde zur neuen, alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführerin bestellt.
Während des Insolvenzverfahrens meldeten 113 Insolvenzgläubiger Forderungen in Höhe von insgesamt 5.398.775,29 DM an und im Termin zur ersten Gläubigerversammlung wurden Forderungen in Höhe von insgesamt 2.451.169,59 DM festgestellt, unter anderem eine Forderung der Firma ... GmbH in Höhe von 10.283,69 DM, eine Forderung eines Herrn ... in Höhe von 7.301,36 DM und eine Forderung eines Herrn ... von 7.022,63 DM.
Mit der Klage verlangt der Kläger Bezahlung dieser 3 Forderungen in Höhe von insgesamt 24.607,68 DM von der Beklagten.
Der Kläger trägt vor: Die Beklagte hafte persönlich für die im Insolvenzverfahren festgestellten Forderungen.
Die Gemeinschuldnerin habe während ihrer Tätigkeit nicht über ein eigenes Geschäftskonto bei einem Kreditinstitut verfügt. Ihre Forderungen seien durch "Inkassofahrer" beigetrieben worden, das eingenommene Geld sei in den Geschäftsräumen der Gemeinschuldnerin deponiert worden. Anschließend sei es von der Beklagten in Besitz genommen worden. Was mit den eingenommenen Geldern passiert sei, sei nicht nachvollziehbar, da keine ordnungsgemäße Buchführung erfolgt sei. Die Gemeinschuldnerin habe nicht einmal die erforderlichen Grundaufzeichnungen für das Finanzamt vorgenommen. Es liege ein Fall der Vermögensvermischung vor und es sei davon auszugehen, dass die Einnahmen der Gemeinschuldnerin in erheblichem Umfang in das Privatvermögen der Beklagten überführt worden seien. Er sei deshalb berechtigt, die Forderungen der Gläubiger ... GmbH, und in entsprechender Anwendung von § 128 HGB gegenüber der Beklagten persönlich geltend zu machen.
Mit der am 27. September 2000 zugestellten Klage beantragt der Kläger, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor:
Die Gemeinschuldnerin habe von Beginn ihrer Tätigkeit an viele Aufträge gehabt, sodass sie - die Beklagte - ihren Haushalt nicht mehr in ausreichendem Maße habe versorgen können. Sie habe deshalb eine Haushaltshilfe gesucht und diese in Frau ... gefunden. Nachdem sie schwanger geworden sei, habe sie auch ihre Arbeit für die Gemeinschuldnerin nicht mehr bewältigt. Deshalb habe sie eine Buchhalterin gesucht. Als Frau ... davon gehört habe, habe sie erklärt, dass sie den Beruf erlernt habe und gern als Buchhalterin für die Gemeinschuldnerin tätig sein würde. Anfang des Jahres 1996 sei Frau ... von der Gemeinschuldnerin als Buchhalterin eingestellt worden. Offiziell habe sie weiterhin auf 630,00 DM-Basis gearbeitet, tatsächlich sei sie jedoch ganztägig für die. Gemeinschuldnerin tätig gewesen und ihre zusätzliche Arbeitszeit sei mit 15,00 DM pro Stunde vergütet worden.
Frau ... habe die Buchführungsarbeiten aufarbeiten müssen, die sie während ihrer Schwangerschaft habe liegen lassen. Frau ... habe während ihrer Zeit als Geschäftsführerin die Umsatzsteueranmeldungen, die Lohnsteueranmeldungen und die Krankenkassenanmeldungen abgegeben. Darüber hinaus habe sie mit den Steuerberatern, dem Finanzamt, den Krankenkassen und sämtlichen Behörden verhandelt.
Sie habe während ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin auf die Zuverlässigkeit von Frau ... vertraut. Erste Zweifel daran seien im Herbst 1997 aufgetreten, als eine Steuerfahndung durchgeführt worden sei. Frau ... sei es jedoch gelungen, ihre Bedenken zu zerstreuen, indem sie ihr gegenüber erklärt habe, dass nach einem Gespräch mit dem Steuerberater alle Unterlagen vollständig seien und sie - die Beklagte - sich keine Sorgen machen müsse, alles sei ordnungsgemäß nachgebucht worden. dass Frau die Buchführungsarbeiten nicht ordnungsgemäß ausgeführt habe, könne nicht dazu führen, dass sie - die Beklagte - im Wege der Durchgriffshaftung in Anspruch genommen werde.
Die Gemeinschuldnerin habe ein Geschäftskonto gehabt, über das allerdings nicht alle Geschäfte abgewickelt worden seien. Ein Großteil des Geschäftsverkehrs sei über Bargeld abgewickelt worden. Die Gemeinschuldnerin habe häufig nicht darauf warten können, bis eingehende Gelder bei der gutgeschrieben worden seien. Deshalb hätten die Fahrer der Gemeinschuldnerin den Geldverkehr geregelt. Sie hätten ausstehende Beträge eingezogen und abends im Büro abgeliefert. Am nächsten Morgen sei das Geld wieder an die Fahrer ausgehändigt worden und diese hätten die Baustofflieferanten bezahlt.
Sie selbst habe sich während ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin mit vielen Fragen der Gesellschaft beschäftigt. Hinsichtlich der Buchführung habe sie sich jedoch auf Frau ... verlassen. Sie habe keine Einnahmen der Gemeinschuldnerin in ihr Privatvermögen überführt. Ihr, Ehemann habe jedoch im November 1999 festgestellt, dass sich Frau ... Briefbögen für die Gemeinschuldnerin habe drucken lassen, auf denen ihr Privatkonto angegeben gewesen sei, was nicht bestritten worden ist. Die Gelder, die der Gemeinschuldnerin zugestanden hätten, seien auf dieses Konto geflossen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klagebefugnis des Klägers ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 93 InsO, wonach im Falle des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder einer Kommanditgesellschaft auf Aktien die persönliche Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft während der Dauer des Insolvenzverfahrens nur vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann.
Die Beklagte haftet als Mehrheits- bzw. Alleingesellschafterin der ... GmbH für deren Verbindlichkeiten nach den Grundsätzen der Durchgriffshaftung.
Eine persönliche Haftung eines GmbH-Gesellschafters kommt in Betracht, wenn eine Abgrenzung von Gesellschafts- und Privatvermögen durch eine undurchsichtige Buchführung oder auf andere Weise verschleiert worden ist, sodass insbesondere die Beachtung der Kapitalerhaltungsvorschriften, derentwegen die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen allein vertretbar ist, unkontrollierbar wird (vgl. BGHZ 95, 330, 333, 334) [BGH 16.09.1985 - II ZR 275/84]. Dies kann es rechtfertigen, ausnahmsweise den Gläubigern außer dem nicht mehr wirksam geschützten Haftungsfonds der Gesellschaft das Privatvermögen der Gesellschafter zur Verfügung zu stellen.
Die persönliche Haftung kann jedoch nur diejenigen Gesellschafter treffen, die auf Grund des ihnen in dieser Stellung gegebenen Einflusses in der Gesellschaft für den Vermögensvermischungstatbestand verantwortlich sind (vgl. BGHZ 125, 366 f). Über derartige Einflussmöglichkeiten verfügen in der Regel nur solche Gesellschafter, die auf die Gesellschaft einen beherrschenden Einfluss ausüben können.
Im vorliegenden Fall war die Beklagte Mehrheits- und ab 1997 Alleingesellschafterin der Gemeinschuldnerin. Sie war darüber hinaus bis zum 21. Januar 1998 deren Geschäftsführerin. Sie hatte demnach eine beherrschende Stellung in der Gemeinschuldnerin. Auf Grund dieser Stellung hat sie es zu verantworten, dass eine Abgrenzung zwischen ihrem Privatvermögen und dem Vermögen der Gemeinschuldnerin nicht möglich ist.
Die Beklagte behauptet zwar, dass die Gemeinschuldnerin ein Geschäftskonto unterhalten habe, sie räumt jedoch selbst ein, dass der überwiegende Teil der Geschäfte nicht über dieses Konto abgewickelt worden sei. Ihre Handhabung, Außenstände durch die Fahrer einziehen zu lassen und die Fahrer mit der Bezahlung von Rechnungen zu betrauen, ermöglichte keinen Überblick über die Einnahmen und Ausgaben der Gesellschaft. Darüber hinaus hatte die Gemeinschuldnerin keine ordnungsgemäße Buchführung. Im Jahre 1998 hat das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Braunschweig bei einer Überprüfung festgestellt, dass eine Buchführungspflicht bestanden habe, dass jedoch keine Buchführung erstellt worden sei, dass nicht einmal die erforderlichen Grundaufzeichnungen vorhanden gewesen seien. Unter Berücksichtigung dessen sind die Behauptungen der Beklagten, Frau habe die erforderlichen Buchführungsarbeiten ausgeführt, unsubstantiiert und deshalb unerheblich.
Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass sie Frau vertraut habe. Selbst wenn ihr Vorbringen zutreffen sollte und Frau sich ihr gegenüber als gelernte Buchhalterin ausgegeben haben sollte, hätte sie dies nicht von ihrer Verpflichtung befreit, die Tätigkeit von Frau zu überwachen. Dazu hätte sie Gelegenheit gehabt, zumal sie bis Anfang des Jahres 1998 alleinige Geschäftsführerin der Gemeinschuldnerin war. Auch in den darauf folgenden Jahren hätte sie als Alleingesellschafterin die Möglichkeit gehabt, die Arbeit von Frau
zu überprüfen. Insbesondere nachdem ihr das Ergebnis der Steuerfahndung bekannt geworden war, hätte es ihr oblegen, Frau zu überwachen.
Soweit die Beklagte vorträgt, dass vereinnahmte Gelder auf ein Konto der Frau geflossen seien, hat sie dem Vorbringen des Klägers, dass dies auf Anweisung ihres Ehemannes geschehen sei, nicht widersprochen. Darüber hinaus behauptet die Beklagte auch nicht, dass Frau irgendwelche Beträge unterschlagen habe.
Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, die 3 vom Kläger geltend gemachten, im Prüfungstermin festgestellten Forderungen zu bezahlen.
Der dem Kläger zuerkannte Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.
Staufenbiel
Kreßmann