Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.06.2013, Az.: 2 K 71/13

Abzugsfähigkeit der Beiträge an eine aufsichtsfreie Unterstützungseinrichtung als Sonderausgaben

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
19.06.2013
Aktenzeichen
2 K 71/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 41336
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2013:0619.2K71.13.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 21.02.2014 - AZ: X B 142/13

Fundstelle

  • EFG 2013, 1496-1497

Amtlicher Leitsatz

Beiträge an eine aufsichtsfreie Unterstützungseinrichtung sind nicht entsprechend Krankenversicherungsbeiträgen als Sonderausgaben abzugsfähig.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Abzugsfähigkeit von Beiträgen an die S als Sonderausgaben.

2

Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger zahlte im Streitjahr insgesamt Beträge von ... € an die S, einen eingetragenen Verein. Bei der S handelt es sich um eine aufsichtsfreie Unterstützungseinrichtung im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), welche ihre Mitglieder für den Krankheitsfall absichert.

3

Nach den Angaben aus dem Internetauftritt der S habe diese den traditionellen Gedanken der berufsständischen Unterstützungskassen aufgenommen und fortentwickelt. Die S sei die erste Einrichtung ihrer Art in Deutschland, die nicht berufsständisch gebunden sei. Charakteristisch sei dabei, dass ein Rechtsanspruch auf bestimmte in einem Katalog definierte Leistungen verzichtet werde. Vielmehr würden zur Befriedigung der individuellen Bedürfnisse eines jeden Mitglieds und zur weitgehenden Möglichkeit zur Entscheidungs- und Therapiefreiheit Zuwendungen an die Mitglieder im Krankheitsfall gewährt. Die Mitgliedsbeiträge fließen dabei jeweils zu 50% einem so genannten Individualkonto und dem Solidarfonds zu. Die Beiträge, welche in das Individualkonto fließen, stehen dabei jedem Mitglied entsprechend der Zuwendungsordnung zur Verfügung. Diejenigen Beträge, die nicht aus dem Individualkonto abfließen, fließen dem Solidarfonds zu. Der Solidarfonds dient für Zuwendungen bei hohen Krankheitskosten, die aus dem Individualkonto nicht beglichen werden können. Über den Antrag auf Zuwendungen aus dem Solidarfonds entscheidet der Vorstand, wobei ein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Unterstützung nicht besteht.

4

Der Kläger erhielt für das Jahr 2011 von der S eine Beitragsbescheinigung der berücksichtigungsfähigen Beitragsanteile nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG). Demnach sollten von den Gesamtbeiträgen von ... € nach Buchstabe a der genannten Vorschrift ... € und nach Buchstabe b der genannten Vorschrift ... € abzugsfähig sein. Auf dieser Grundlage beantragten die Kläger einen entsprechenden Sonderausgabenabzug in ihrer Einkommensteuererklärung. Der Beklagte - das Finanzamt (FA) - gewährte demgegenüber im Einkommensteuerbescheid vom 15. Oktober 2012 nur den Sonderausgabenabzug im Rahmen von § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG.

5

Im dagegen angestrengten Einspruchsverfahren verfolgten die Kläger - neben einem anderen, hier nicht mehr im Streit stehenden Punkt - weiter den Abzug, wie er sich aus der Bescheinigung über die Mitgliedsbeiträge ergab. Im Einspruchsverfahren gelangte das FA zu der Auffassung, die bescheinigten Mitgliedsbeiträge seien insgesamt nicht zum Sonderausgabenabzug zuzulassen und erhöhte dabei, nach Hinweis auf die Verböserungsmöglichkeit, in der Einspruchsentscheidung vom 18. Februar 2013 die Einkommensteuer von ... € auf ... €. Zur Begründung führte es aus, es seien lediglich Beiträge zu Krankenversicherung und Pflegeversicherung als Sonderausgaben abzugsfähig. Diese müssten zudem an ein Versicherungsunternehmen geleistet werden. Bei der S handele es sich aber nicht um eine Versicherung im Sinne des § 10 EStG. Denn es bestehe kein Rechtsanspruch auf die Erstattung von Kosten im Krankheitsfall. Dementsprechend werde auch kein Anspruch auf anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchstabe a, 190 Abs. 13 Satz 1 Nr. 11 V. Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) begründet.

6

Hiergegen richtet sich nunmehr die Klage, mit welcher die Kläger ihr Begehren aus dem Vorverfahren weiterverfolgen. Sie vertreten insoweit die Auffassung, die S müsse den im EStG genannten privaten als auch gesetzlichen Krankenversicherungen gleichgestellt werden. Denn dies sei in den einschlägigen sozial- und verwaltungsrechtlichen Regelungen bereits der Fall. Es handele sich bei der S um eine aufsichtsfreie Unterstützungseinrichtung im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG, welche nach dem Sozialgesetzbuch eine anderweitige vergleichbare Absicherung im Krankheits- und Unglücksfall gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, 193 Abs. 3 Nr. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) biete.

7

Faktisch erbringe die S dauerhaft die gleichen Leistungen wie eine Krankenversicherung, so dass jedes Mitglied einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung habe. Dies führe dazu, dass die Mitglieder nicht versicherungspflichtig seien. Voraussetzung für eine anderweitige Absicherung könne auch eine privatrechtliche Absicherung sein. Für Versicherungen bei einem klassischen privaten Versicherungsunternehmen sei dies völlig unstreitig. Es lasse sich nirgends herleiten, dass eine Absicherung im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nur durch eine klassische private Krankenversicherung erfolgen könne. Private Unternehmen der Krankenversicherung hätten auch nicht privilegiert werden sollen.

8

Die Mitglieder der S hätten auch einen vollwertigen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine etwaige Krankheitsbehandlung. Der Terminus "Anspruch" sei hier nicht zwangsläufig so zu verstehen wie derjenige des § 194 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Denn auch bei regulären Sozialleistungen hänge die Gewährung von der Ausübung eines Ermessens ab, auch hierbei handele es sich um "soziale Rechte", welche als Anspruch anzusehen seien. Dementsprechend könnten auf privatrechtlichen Regeln beruhende Leistungen, deren Verbindlichkeit nicht geringer sei als die von öffentlich-rechtlichen Ermessensleistungen, nicht außer Acht gelassen werden.

9

Es sei anzumerken, dass weder das Sozialgesetzbuch, noch das Versicherungsvertragsgesetz den Begriff "Versicherung" verwenden. Hieraus werde deutlich, dass auch jede andere seriöse vertragliche Regelung zur Abdeckung des Risikos Krankheit akzeptiert werde. Insgesamt müsse die S daher den privaten Krankenversicherungen gleichgestellt werden, woraus sich aufgrund des einheitlichen Rechtssystems auch zwingend ergebe, dass die entsprechenden Beiträge als Sonderausgaben abzugsfähig seien. Etwas anderes habe der Gesetzgeber des § 10 EStG auch nicht gewollt.

10

Die Kläger beantragen sinngemäß,

11

den Bescheid vom 15. Oktober 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. März 2013 abzuändern und weitere ... € als Vorsorgeaufwendungen im Rahmen des Sonderausgabenabzugs zu berücksichtigen.

12

Der Beklagte beantragt,

13

die Klage abzuweisen

14

und verweist insofern auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend werde auf die Vorschrift des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG hingewiesen, wonach die Zahlung an bestimmte Versicherungsunternehmen zu leisten seien. Bei der S handele es sich gerade nicht um ein solches Versicherungsunternehmen, da es sich um eine aufsichtsfreie Personenvereinigung im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG handele, welche kein Versicherungsunternehmen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 VAG darstelle.

15

Im Übrigen biete die S auch gerade keinen Rechtsanspruch auf eine Absicherung im Krankheitsfall.

16

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

17

I. Die zulässige Klage, über welche der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-) ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

18

1. Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG sind Beträge zu Krankenversicherung, soweit diese zur Erlangung eines durch das XII. Buch Sozialgesetzbuch bestimmten Sozialhilfe gleichen Versorgungsniveaus erforderlich sind sowie gesetzliche Pflegeversicherungen als Sonderausgaben abzugsfähig. Voraussetzung für die Berücksichtigung ist insoweit insbesondere, dass der Steuerpflichtige gegenüber dem Versicherungsunternehmen, dem Träger der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung oder der Künstlersozialkasse in die Datenübermittlung nach § 10 Abs. 2a EStG eingewilligt hat (§ 10 Abs. 2 Satz 3 EStG). Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, soweit diese nicht nach der genannten Vorschrift berücksichtigt werden können, sind im Rahmen von § 10 Abs. 1 Nr. 3 a EStG berücksichtigungsfähig. Unterschiede ergeben sich insoweit insbesondere aufgrund der abzugsfähigen Höchstbeträge im Sinne von § 10 Abs. 4 EStG.

19

Gemeinsame Voraussetzung für den Abzug der Vorsorgeaufwendungen ist jedoch, dass diese an die in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG aufgezählten Unternehmen, Versorgungseinrichtungen, Sozialversicherungsträger oder Anbieter geleistet werden.

20

2. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob die S generell oder im Einzelfall eine anderweitige Absicherung für einen Krankheitsfall bietet und daher eine Vergleichbarkeit zu einer privaten Krankenversicherung aufweist. Denn jedenfalls zahlte der Kläger seine Beiträge nicht an einen der in § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG genannten Träger. Die S ist weder berufsständische Versorgungseinrichtung (Buchst. b der genannten Vorschrift), noch Sozialversicherungsträger (Buchst. c der genannten Vorschrift). Ebenso wenig gehört die S zu den in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG genannten Anbietern im Sinne des § 80 EStG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes bzw. den in § 82 Abs. 2 EStG genannten Versorgungseinrichtungen.

21

Denkbar wäre allenfalls, dass die vom Kläger gezahlten Beiträge im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG berücksichtigt werden können, wenn - aufgrund der von den Klägern angestrebten Gleichstellung der S mit einer privaten Krankenversicherung - auch eine Gleichstellung zwischen den genannten Versicherungsunternehmen und der S in Betracht kommt. Dies ist allerdings aus Sicht des Senats nicht der Fall. Denn die genannte Regelung stellt ausdrücklich darauf ab, dass die genannten Unternehmen im Inland das Versicherungsgeschäft betreiben dürfen bzw. eine Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland aufweisen. Die Regelung knüpft damit an die Regelungen des VAG an, wonach Versicherungsunternehmen im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 VAG für ihren Geschäftsbetrieb die Erlaubnis der Aufsichtsbehörde benötigen (§ 5 Abs. 1 VAG). Da die Regelung im EStG damit letztlich ausdrücklich an die Frage anknüpft, ob das entsprechende Unternehmen einer behördlichen Aufsichtspflicht bzw. einer Erlaubnispflicht unterliegt, sind die Beiträge an die S nicht abzugsfähig. Denn bei der S handelt es sich um eine aufsichtsfreie Personenvereinigung im Sinne von § 1 Abs. 3 Nr. 1 VAG, welche ihren Mitgliedern ohne Rechtsanspruch Unterstützung gewährt.

22

Die Abzugsbeschränkung, wonach die Beiträge an Versicherungsunternehmen zu zahlen sind, befindet sich unter nur leichten Abänderungen bereits seit Jahrzehnten im EStG. Bereits zum früheren § 10 Abs. 3 Nr. 1 EStG 1962 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Regelung ihrem Wortlaut nach eindeutig sei (BFH-Urteil vom 4. Juni 1975 I R 250/73, BStBl II 1975, 708 [BFH 04.06.1975 - I R 250/73]). Dies hat sich bis heute nicht geändert. Im Übrigen ist es ebenso wenig zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber die deutsche - bzw. zwischenzeitlich aufgrund des Fortschritts der europäischen Harmonisierung auch die europäische - Versicherungswirtschaft stärken will, nicht zu beanstanden (BFH-Urteil vom 22. April 1966 VI 51/64, BFHE 86, 139). Der BFH betont in diesem Zusammenhang insbesondere, dass der Schutz der Versicherten durch die Bezugnahme auf die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb auch dem Schutz der Versicherten und damit der Steuerpflichtigen dient. Denn da wie ausgeführt die Erlaubnis zum Betrieb des Versicherungsunternehmens daran gekoppelt ist, dass das entsprechende Unternehmen der Aufsicht unterliegt, ist gewährleistet, dass der Geschäftsbetrieb entsprechend den gesetzlichen Regelungen geführt wird. Da die S hingegen keiner staatlichen Aufsicht unterliegt und dementsprechend nicht die gleiche Gewährleistung bietet, ist es auch folgerichtig, die Beiträge an die S vom Sonderausgabenabzug auszuschließen. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch sämtliche anderen in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG genannten Träger der staatlichen Aufsicht unterliegen.

23

3. Darüber hinaus erbringt die S auch keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall, wie es die Klägerseite für sich in Anspruch nimmt. Dementsprechend kann auch insoweit nicht von einer hinreichenden Vergleichbarkeit der S mit einer privaten Krankenversicherung ausgegangen werden, was Voraussetzung für eine (analoge) Anwendung der Regelungen über den Sonderausgabenabzug wäre.

24

Der in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V genannte "anderweitige Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall" kann nach Ansicht des Senats nur im Sinne eines Rechtsanspruchs verstanden werden, welchen die S ausweislich ihrer Zuwendungsordnung aber gerade nicht gewährleistet. Durch die Regelungen des SGB V soll gewährleistet werden, dass die gesamte Bevölkerung in Deutschland Schutz im Krankheitsfall genießt (Peters in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 76. EL 2012, § 5 SGB V Rn. 158). Diesen Schutz im Krankheitsfall hat der Betroffene im Zweifel aber nur dann, wenn er auch einen - ggf. einklagbaren - Rechtsanspruch im Sinne von § 194 BGB auf bestimmte Leistungen hat. Zwar mag, worauf die Kläger abstellen, ein faktischer Anspruch auf die Zuwendungen bestehen. Da jedoch die S das Ziel verfolgt, mehr einzunehmen als zu verausgaben (vgl. die Beitragsordnung), steht im Falle der Häufung kostspieliger Behandlungen (z.B. Krebstherapien) mehrerer Mitglieder zu befürchten, dass die Mittel der S nicht ausreichen und aus diesem Grund eine Leistung abgelehnt wird. Dies gilt umso mehr, als dass die S nicht der staatlichen Aufsicht unterliegt und daher die Praxis der Vergabe der Zuwendungen nicht im Sinne einer tatsächlichen Absicherung im Krankheitsfall durch eine unabhängige Institution sichergestellt werden kann. Eine rechtliche Absicherung für den Krankheitsfall besteht nicht, was erkennbar dem Ziel der weitgehenden Versicherungspflicht nach dem SGB V zuwiderläuft.

25

Soweit die Kläger insoweit eine Parallele zu nur nach einer Ermessensausübung zu gewährenden Leistungen ziehen, geht dieser Vergleich fehl. Denn auch Ermessensansprüche können sich zu Rechtsansprüchen verdichten - sog. Ermessensreduzierung auf Null - und sind auch im Übrigen jedenfalls im Sinne einer fehlerfreien Ermessensausübung einklagbar.

26

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.