Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 04.10.2012, Az.: 13 A 3822/12
Militärdienst; Passpflicht; Reisepass; fehlender Reisepass; SOG-Verfügung; Zwangsgeld
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 04.10.2012
- Aktenzeichen
- 13 A 3822/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 44327
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 48 AufenthG
- § 3 AufenthG
- § 11 SOG ND
- § 67 SOG ND
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine Zwangsgeldfestsetzung, weil er der Aufforderung, seiner Passpflicht genüge zu tun, nicht nachgekommen ist.
Der Kläger ist türkischer Staatsbürger und verfügt derzeit nicht über einen gültigen türkischen Reisepass. Seit Anfang 2001 wurde er immer wieder aufgefordert, seiner Passpflicht genüge zu tun. Es wurden OWiG-Verfahren gegen ihn eingeleitet und Strafanzeigen gestellt, die auch zu Verurteilungen führten (Urteil des Amtsgerichts Hameln vom 21.05.2010), seine persönliche Vorsprache bei der türkischen Botschaft wurde ebenfalls angeordnet, ohne dass sich der Kläger einen neuen Pass beschaffte.
Mit Verfügung vom 21.02.2012 wurde der Kläger unter Fristsetzung bis zum 15.04.2012 aufgefordert, einen türkischen Pass vorzulegen. Für den Fall der Nichtbefolgung wurde ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 1.500 € angedroht. Rechtsbehelfe gegen diese Androhung wurden nicht eingelegt. Da der Kläger der Aufforderung nicht nachkam, setzte mit Bescheid vom 02.05.2012 der Beklagte ein Zwangsgeld iHv. 1.500,00 € gegen den Kläger fest, setzte eine neue Frist bis zum 04.06.2012, um einen Reisepass zu beantragen und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 3000 € an.
Da der Kläger der Aufforderung nicht nachkam, setzte mit Bescheid vom 02.05.2012 der Beklagte ein Zwangsgeld iHv. 1.500,00 € gegen den Kläger fest, setzte eine neue Frist bis zum 04.06.2012, um einen Reisepass zu beantragen und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 3000 € an. Gleichzeitig setzte der Beklagte mit weiterem Bescheid vom 02.05.2012 eine Verwaltungsgebühr von 106,00 € fest. Beide Bescheide wurden dem Kläger am 04.05.2012 zugestellt.
Der Kläger hat am 04.06.2012 Klage erhoben.
Er trägt vor: Er bekomme keinen Pass, weil er seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet habe. Zum Freikauf fehle ihm das Geld. Seine Eltern hätten zwar versprochen, ihm das Geld zu leihen, dies geschehe aber erst im Verlauf des Monats Juni 2012. Die Ableistung des Militärdienstes sei für ihn unzumutbar. Er halte sich bereits seit Jahrzehnten in Deutschland auf, sei schon 46 Jahre alt und zum Militärdienst körperlich nicht mehr in der Lage.
Der Kläger beantragt,
die Bescheid vom 02.05.2012 über die Festsetzung eines Zwangsgeldes über 1.500,00 € und über die Festsetzung der Verwaltungsgebühr aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Gründe seines Bescheides. Der Kläger hätte, wenn er denn gewollt hätte, seit 1985 bereits seinen Wehrdienst ableisten können.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und nach § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin ohne mündliche Verhandlung.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheid sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.500 € ist rechtmäßig und entspricht § 67 SOG.
Der Kläger wurde unter Fristsetzung und Androhung eines Zwangsgeldes iHv. 1.500 € aufgefordert, einen gültigen Heimatpass vorzulegen. Dieser Aufforderung ist er weder innerhalb der gesetzten Frist noch bis heute nachgekommen. Die Festsetzung entspricht der Androhung, der Antragsteller hat die geforderte Handlung bislang nicht vorgenommen und die gesetzte Frist ist abgelaufen. Die eingeräumte Zahlungsfrist ist angemessen
Mehr ist in diesem Verfahren nicht mehr zu prüfen. Die Androhung selbst im Bescheid vom 21.02.2012 ist bestandskräftig.
Es handelt sich auch nicht um eine geforderte Handlung, die rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Der Kläger kann einen gültigen Reisepass von seinem Heimatstaat erhalten. Er muss nur entweder den Wehrdienst ableisten (wenn er denn nicht ausgemustert wird) oder entsprechende Zahlungen für eine Freistellung leisten.
Auch die erneute Aufforderung, einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses zu stellen und die damit verbundene Androhung eines weiteren Zwangsgeldes ist nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung ist § 11 Nds. SOG - nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren - und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung selbst §§ 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2, 67 SOG.
Es liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dadurch vor, dass der Kläger entgegen der Vorschriften des §§ 3, 48 AufEnthG sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, ohne über einen gültigen Pass zu verfügen.
Die vom Beklagten getroffene Maßnahme ist geeignet, diesen Verstoß gegen das AufEnthG zu beenden.
Die aufgegebene Maßnahme ist auch erforderlich, um in Zukunft weitere Verstöße gegen die Passpflicht zu vermeiden. Ein milderes Mittel gibt es nicht. Insbesondere besteht kein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose (früher Fremdenpass) durch Stellen der Bundesrepublik Deutschland. Rechtsgrundlage für einen derartigen Reisepass könnte nur das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 12.04.1976 (BGBl II 1976, 473) iVm. Art. 28 StaatenlÜbk sein. Nach Satz 2 des Art. 28 StaatenlÜbk können die Vertragsstaaten auch jeden anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen einen Reiseausweis ausstellen. Hieraus folgt kein zwingender Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Reisepasses. Der Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger statt einer SOG-Verfügung mit den o.a. Maßnahmen einen Reisepass für Staatenlose auszustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger einen Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises für Staatenlose nach Art. 28 Abs. 2 StlÜbk haben könnte. Eine Ermessensreduzierung auf Null würde das Vorliegen besonderer konkreter Umstände voraussetzen, die zugunsten des Staatenlosen vom Normalfall abweichen und eine für ihn positive Entscheidung zwingend erfordern. Solche Umstände liegen nicht vor. Denn es ist hier zu berücksichtigen, dass der Kläger seine Staatenlosigkeit selbst herbeigeführt hat und sie auch wieder beseitigen könnte (OVG Lüneburg, Urt. v. 30.09.1998 - 13 L 458/96 -, zit. n. juris).
Das Bundesverwaltungsgericht hat zu dieser Rechtsfrage ausgeführt:
„Die vom Verwaltungsgerichtshof gebilligte Erwägung des Beklagten, denjenigen Staatenlosen keine Reiseausweise auszustellen, denen es möglich und zumutbar ist, sich in ihren Heimatstaat wieder einbürgern zu lassen oder den Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Landes ihrer Volkszugehörigkeit anzustreben, steht mit dem Zweck der Ermächtigung des Art. 28 Satz 2 1. Halbsatz StlÜbk in Einklang (Art. 40 BayVwVfG). Wie der Senat bereits ausgesprochen hat, kann die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensausübung berücksichtigen, daß Bemühungen um Rücknahme des Staatenlosen durch seinen (ehemaligen) Heimatstaat noch Erfolg haben könnten und daß sich die Bereitschaft dieses Staates, den Staatenlosen zurückzunehmen, im Falle der Erteilung eines Reiseausweises verringern könnte (vgl. Beschluß vom 10. August 1994 - BVerwG 1 B 141.94 - Buchholz 402.27 Art. 28 StlÜbk Nr. 3 = InfAuslR 1995, 4). Die Erwägungen des Beklagten im vorliegenden Fall gehen in die gleiche Richtung. Sie zielen darauf ab, die Kläger zu veranlassen, alle möglichen und zumutbaren Schritte zu unternehmen, die staatsangehörigkeitsrechtlichen Konsequenzen der Auflösung der Sowjetunion durch Erwerb der ihrer Volkszugehörigkeit entsprechenden Staatsangehörigkeit und nicht durch Verfestigung ihrer Stellung als Staatenlose im Bundesgebiet zu bewältigen. Diese Erwägungen sind nicht sachwidrig und - nach Maßgabe der gebotenen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (vgl. Beschluss vom 10. August 1994 - BVerwG 1 B 141.94 - a.a.O.) - geeignet, die Versagung des Reiseausweises nach Art. 28 Satz 2 1. Halbsatz StlÜbk zu rechtfertigen“ (Beschl. v. 30.12.1997 - 1 B 223/97 - zit. n. juris).
Dem schließt sich das erkennende Gericht an.
Die Beschaffung eines neuen Reisepasses ist für den Kläger durchaus zumutbar. Wenn der Kläger sich nicht „freikaufen“ kann oder will (die wohl von der Türkei mit erhobenen Strafzuschlägen hat der Antragsteller in diesem Zusammenhang selbst dadurch verursacht, dass er sich nicht zeitgerecht bei seinem Heimatstaat um die Erfüllung der Wehrpflicht gekümmert hat) muss er eben den Wehrdienst ableisten. Dies ist grundsätzlich zumutbar. Dem stehen auch seine angeblichen körperlichen Beeinträchtigungen und sein Alter nicht entgegen. In der Türkei gibt es ebenfalls gesundheitliche Voraussetzungen und Altersgrenzen für den Wehrdienst; der Kläger muss sich ggf. der Untersuchung durch einen türkischen Militärarzt stellen wie andere Staatsbürger seines Heimatstaates in vergleichbarer Situation auch. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich einer Musterung zu unterziehen und ggf. auch um Rechtsschutz vor türkischen Gerichten gegen eine fehlerhafte Tauglichkeitseinstufung nachzusuchen.
All dies hat er nicht getan. Es ist jedoch weder Sache der Ausländerbehörde noch des Gerichts, mögliche Ansprüche auf Zurückstellung oder Ausmusterung zu prüfen.
Zu Recht weist der Kläger zwar darauf hin, dass er sich seit langem schon in Deutschland aufhält. Er hat es nach alledem in der Hand gehabt, bereits in jüngeren Jahren entweder seinen vollen Wehrdienst abzuleisten oder aber Rücklagen zum sog. „Freikauf“ anzusammeln. Wenn er dies nicht getan hat, so liegt dies in seinem Verschulden und er kann sich insoweit nicht auf Unzumutbarkeit berufen, weil er schon so lange in Deutschland lebt.
Das Gericht sieht sich nicht in der Lage, den Gründen des Beschlusses des OLG Celles vom 25.07.2005 - 22 Ss 26/06 - zu folgen, der im Übrigen noch zur Rechtslage unter dem früheren AuslG ergangen ist. Das OLG Celle hat seinerzeit verkannt, dass die vom deutschen Gesetzgeber vorgeschriebene Passpflicht nicht der Durchsetzung hoheitlicher Interessen fremder Staaten dient, sondern eigenen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Dass möglicherweise der türkische Staat auf diesem Wege auch seine Wehrpflicht gegenüber dem Kläger durchsetzen könnte, stellt einen reinen Rechtsreflex dar.
Letztendlich kann dies aber dahinstehen, da es nunmehr ohnehin nicht mehr auf die Frage der Ableistung des Wehrdienstes ankommt.
Nach der Auskunft der Deutschen Botschaft in Ankara wird bei der Passbeantragung seit Mai 2011 von den türkischen Behörden kein Nachweis mehr über einen abgeleisteten Wehrdienst verlangt. Darauf wurden die Beteiligten auch im Parallelverfahren (vgl. Bl. 25 Gerichtsakte zu 13 A 4393/12) hingewiesen. Bereits von daher steht der nicht abgeleistete Wehrdienst der Antragstellung nicht entgegen.
Die erneute Androhung eines Zwangsmittels rechtfertigt sich aus § 65 Abs. 3 SOG. Danach können Zwangsmittel wiederholt angedroht werden, bis der Verwaltungsakt befolgt worden ist.
Zwangsgeld ist ein zulässiges Zwangsmittel nach § 67 SOG. Die angedrohte Höhe hält sich im Rahmen der Vorschrift. Ob, welches Zwangsmittel und ggf. in welcher konkreten Höhe ein Zwangsgeld angedroht wird, liegt im Ermessen der Behörde, das nur eingeschränkt vom Gericht auf Ermessensfehler hin überprüft werden kann, § 114 VwGO.
Die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes diesmal in Höhe von 3.000 € ist nicht ermessensfehlerhaft. Das Zwangsmittel ist geeignet, die Anordnung, einen Pass zu beantragen, durchzusetzen. Denn es ist zu erwarten, dass der Kläger, wenn denn das Zwangsgeld beigetrieben werden sollte, schließlich doch nachgeben und die Voraussetzungen dafür schaffen wird, einen neuen Pass von den türkischen Behörden zu erhalten.
Auch die Festsetzung einer Verwaltungsgebühr in Höhe von 106,00 € in einem weiteren Bescheid vom 02.05.2012 ist rechtmäßig.
Nach § 1 Abs. 1 NVwKostG werden für Amtshandlungen Kosten erhoben, wenn ein Beteiligter zu der Amtshandlung Anlass gegeben hat. Da der Kläger der mit einer Zwangsgeldandrohung verbundenen Aufforderung sich einen neuen Pass zu beschaffen und diesen vorzulegen, trotz bestehender Passpflicht (vgl. § 3 Abs. 1 AufEnthG) nicht nachgekommen ist, hat er im Sinne des NVwKostG Anlass zu dieser Amtshandlung gegeben.
Die Höhe der Gebühr entspricht § 3 Abs. 1 NVwKostG iVm. Ziff. 26.2.2 AllGO.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.