Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 04.09.2003, Az.: 11 U 31/03
Anspruch auf Entgeltzahlung für Unterbringung; Unterbringung zur Abwendung der Obdachlosigkeit; Entstehung eines privatrechtlichen Anspruchs auf Nutzungsentgelt; Unzulässigkeit der einseitigen Umwandlung eines öffentlich-rechtlichen Nutzungsverhältnisses in ein privatrechtliches, entgeltpflichtiges Rechtsverhältnis; Erlass einer Satzung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 04.09.2003
- Aktenzeichen
- 11 U 31/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 18371
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2003:0904.11U31.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 11.12.2002 - AZ: 12 O 5058/01
Rechtsgrundlagen
- § 812 BGB
- § 315 BGB
- § 316 BGB
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 2004, 139-140
Amtlicher Leitsatz
Zu den Anforderungen an die Begründung der Pflicht von Bürgerkriegsflüchtlingen ein privatrechtliches Entgelt für die Nutzung einer Wohnung zu zahlen, in die sie ursprünglich zur Abwendung der Obdachlosigkeit eingewiesen worden waren.
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Weist eine Gemeinde eine obdachlose Familie zunächst befristet in eine Wohnung ein und fordert sie nach Ablauf der ursprünglichen Zuweisungszeit die Betroffenen nicht zur Räumung auf, so liegt darin eine konkludente Verlängerung des ursprünglichen, öffentlich-rechtlichen, Nutzungsverhältnisses.
- 2.
Die öffentlich-rechtliche Verlängerung des Nutzungsverhältnisses kann nicht durch ein einfaches Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung und sonstige Förmlichkeiten eines Hoheitsaktes bzw. den Erlass einer Satzung nebst Entgeltordnung einseitig in ein privatrechtliches Nutzungsverhältnis umgewandelt werden.
In dem Rechtsstreit
hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
die Richter am Oberlandesgericht ... und ... und
die Richterin am Oberlandesgericht ...
auf die mündliche Verhandlung vom 14. August 2003
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 11. Dezember 2002 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beschwer der Klägerin übersteigt nicht 20.000,00 EUR.
Entscheidungsgründe
I.
Die Parteien streiten um die Verpflichtung des Beklagten, für sich und seine Familie für die Zeit vom 1. Januar 1995 bis 31. Mai 1997 ein privatrechtliches Entgelt in Höhe von 600,00 DM pro Monat für die Unterbringung in einer Wohnung "..." in ... zu zahlen.
Die klagende Gemeinde (im Folgenden als Klägerin bezeichnet) wies den Beklagten und seine Familie mit Bescheid vom 26. November 1993 zur Abwendung der Obdachlosigkeit ab 1. Juni 1993 in die Wohnung "..." mit 43,85 qm ein (GA 59). Die Klägerin erhob in der Folgezeit eine Gebühr für die Nutzung der Wohnung in Höhe von 198,00 DM, die sie auf die Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung von Obdachlosenunterkünften stützte. Unter dem 3. November 1994 erließ die Klägerin eine Satzung über die Unterbringung ausländischer Flüchtlinge in der Landeshauptstadt .... Diese Satzung regelt die Unterbringung als öffentlichrechtliches Benutzungsverhältnis. Gemäß § 10 soll für die Benutzung jedoch ein privatrechtliches Entgelt nach der Entgeltordnung für die Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen an die Landeshauptstadt ... zu entrichten sein. Das privatrechtliche Entgelt soll nicht erhoben werden, sofern eine Verpflichtung der Gemeinde nach § 7 Asylbewerberleistungsgesetz bestehe, sich an den Kosten der Unterbringung zu beteiligen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte Ablichtung der Satzung nebst Entgeltordnung GA 9 bis GA 17 Bezug genommen.
Die Klägerin hat gemeint, auf dieser Rechtsgrundlage ohne weitere privatrechtliche Vereinbarung von dem Beklagten für ihn und seine Familie ein Nutzungsentgelt in Höhe von 600,00 DM monatlich beanspruchen zu können.
Nachdem der Beklagte in erster Instanz Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Finanzierung seiner Rechtsverteidigung beantragt hatte, lag die Sache dem Senat unter dem Aktenzeichen 11 W 11/02 bereits zur Entscheidung vor. Der Senat hat mit Beschluss vom 11. März 2002 die Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung des Beklagten bejaht, im Hinblick darauf, dass die klagende Gemeinde in ihrer Satzung beschlossen hat, ein privatrechtliches Entgelt für die Wohnung zu erheben, was die Begründung privatrechtlicher Nutzungsverhältnisse, regelmäßig also von Mietverhältnissen, mit dem Beklagten und ggf. anderen Bewohnern erfordert hätte. Im Streitfall sei es der Klägerin nicht gelungen, ein solches privatrechtliches Nutzungsverhältnis, welches die Einweisung ersetzte, zu Stande zu bringen. Der Beklagte habe eine dem Anschreiben der Klägerin beigefügte Verpflichtungserklärung nicht unterzeichnet. Die Klägerin habe hierauf weder durch Beendigung der Einweisung zur Abwendung der Obdachlosigkeit noch durch faktische Beendigung der Nutzungsmöglichkeit reagiert. Es sei der Klägerin aber grundsätzlich verwehrt, durch Satzung ein privatrechtliches Nutzungsverhältnis einseitig zu begründen und etwaige Forderungen hieraus dann privatrechtlich durchzusetzen. Die einseitige Begründung von Rechtsverhältnissen entspricht gerade der Hoheitsgewalt des öffentlichen Rechts und ist mit den Mitteln des Zivilrechts nicht begründbar und nicht durchsetzbar.
Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gelangte Abschrift des Beschlusses GA 114 - 117 Bezug genommen.
Die Klägerin hat sodann hilfsweise angeführt, dass die zu zahlenden Entgelte auch aus Bereicherungsrecht geschuldet würden, insbesondere auch die elementaren Nebenkosten für Heizung, Strom, Wasser, Abwasser und Müllabfuhr (GA 137); zu deren Höhe hat die Klägerin sich erstinstanzlich nicht verhalten.
Das Landgericht hat entsprechend den Rechtsausführungen im Prozesskostenhilfebeschluss des Senats die Klage abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Erkenntnisses wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Klägerin mit ihrer form und fristgerecht eingereichten Berufung.
Mit ihr macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, das Landgericht hätte selbst von seinem Standpunkt aus der Klägerin monatlich 198,00 DM Nutzungsentgelt zuerkennen müssen, dieser Betrag sei auf Grund des ursprünglichen Einweisungsbescheides geschuldet gewesen. Die Klägerin meint im Übrigen, ab 1. Juni 1994, spätestens jedoch ab November 1994 sei die Wohnung nicht mehr zum Zwecke der Abwendung der Obdachlosigkeit überlassen gewesen, was aus ihrem Schreiben vom 10. November 1994 folge (Bl. 98 a d.A.). Danach sei die Nutzung öffentlichrechtlich erfolgt, es sei jedoch das privatrechtliche Nutzungsentgelt geschuldet gewesen. Schon durch die bloße Weiternutzung der Wohnung auch ohne Unterschrift unter die dem Schreiben der Behörde beigefügte Verpflichtungserklärung sei ein Mietvertrag durch konkludentes Verhalten zu Stande gekommen. Zumindest habe die Klägerin den Beklagten nicht auf Zustimmung zur Überlassung der Wohnung zu einem monatlichen Mietzins verklagen müssen, sondern habe ihn unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen können. Dieser Beurteilung stehe auch das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 30. November 1994 (GA 98 b) nicht entgegen, weil in ihm der grundsätzlichen privatrechtlichen Entgeltpflicht nicht widersprochen worden sei. Der Beklagte und seine Familie hätten sich widersprüchlich verhalten, wenn sie in der Wohnung verblieben seien, sich gegen das Verlangen nach Zahlung des Nutzungsentgelts aber verwahren wollten.
Zumindest einen bereicherungsrechtlichen Anspruch habe das Landgericht ebenfalls zuerkennen müssen, insoweit sei nämlich die ursprüngliche Einweisung vom 26. November 1993 als Rechtsgrund für die Nutzung der Wohnung erledigt gewesen, weil sie bis zum 31. Mai 1994 befristet gewesen sei.
Selbst wenn man davon ausgehen wolle, dass eine Einigung über die Höhe des Nutzungsentgelts nicht zu Stande gekommen sei, so bestehe immerhin ein faktisches Mietverhältnis mit einer Vertragslücke hinsichtlich der Entgelthöhe, die gemäß §§ 315, 316 BGB zu schließen sei. Da die monatlichen Kosten für die Wohnung je Flüchtling sich auf 758,10 DM bzw. 799,05 DM belaufen hätten, sei eine Bemessung des Nutzungsentgelts mit 600,00 DM allemal gerechtfertigt.
Schließlich sei, nachdem der befristete Einweisungsbescheid zeitlich ausgelaufen gewesen sei, zumindest seit Juni 1994 aus Bereicherungsrecht ein privatrechtliches Entgelt geschuldet. Der Wert der empfangenen Leistungen habe sich auf monatlich mindestens 600,00 DM belaufen.
Die Klägerin beantragt,
das am 11. Dezember 2002 verkündete Urteil des Landgerichts Hannover (Az. 12 0 5058/01) abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin 17.400,00 DM (= 8.896,48 EUR) nebst 6,54 % Zinsen seit dem 7. Januar 2000 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
In erster Linie verteidigt der Beklagte unter Erweiterung und Vertiefung das landgerichtliche Urteil.
Er beruft sich im Übrigen darauf, es sei prozessual davon auszugehen, dass er für die gesamte Nutzungszeit monatlich 198,00 DM gezahlt habe, weil die Klägerin dies selbst auf Bl. 4 ihres Schriftsatzes vom 31. Januar 2002 so vorgetragen habe (GA 94) und das Landgericht eine diesbezügliche Feststellung auch in seinem nicht mit einem Berichtigungsverlangen angegriffenen Tatbestand getroffen habe.
Aus diesem Grunde könne die Klägerin auch keinesfalls eine Teilforderung in Höhe von 198,00 DM monatlich mit Erfolg durchsetzen.
Auf vorsorglich erteilten Hinweis der Berichterstatterin vom 3. April 2003 hat die Klägerin umfänglich zu den für die Wohnung aufgewendeten Nebenkosten vorgetragen. Auf den Schriftsatz vom 30. Juni 2003 nebst Anlagen wird insoweit Bezug genommen.
Der Beklagte hat hierzu vorgetragen, die Klägerin könne Mietnebenkosten nicht mehr geltend machen, weil sie ihre Pflicht zur jährlichen Abrechnung verletzt habe. Zumindest sei der Anspruch verwirkt. Schließlich müssten die Kosten ordnungsgemäß wie in einer Betriebskostenabrechnung abgerechnet sein; daran fehle es.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
1.
Soweit die Klägerin sich weiterhin darauf beruft, zwischen den Parteien sei ein privatrechtliches Nutzungsentgelt durch die schlichte Weiternutzung durch den Beklagten und seine Familie nach Zugang des Schreibens der Klägerin aus dem November 1994 entstanden, verfängt diese Argumentation nicht. Der Senat verweist auf seinen Prozesskostenhilfebeschluss vom 11. März 2002 und nimmt auf die zutreffenden Ausführungen des landgerichtlichen Urteils Bezug und macht sie sich zu Eigen.
Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz geltend macht, die ursprüngliche öffentlichrechtliche Zuweisung der Wohnung sei erloschen, weil der Einweisungsbescheid bis zum 31. Mai 1994 befristet gewesen sei (GA 59), dringt sie auch hiermit nicht durch. Zwar trifft es zu, dass der Bescheid eine Befristung enthält. Nachdem die Klägerin aus dem Ablauf der ursprünglichen Zuweisungszeit jedoch Rechte nicht hergeleitet hat, insbesondere den Beklagten und seine Familie nicht zur Räumung aufgefordert hat, liegt hierin eine konkludente Verlängerung des ursprünglichen Nutzungsverhältnisses. Diese Verlängerung stellt sich, weil das Ursprungsverhältnis seinerseits öffentlichrechtlich war, ebenfalls als öffentlichrechtlich dar. Diese öffentlichrechtliche Verlängerung des Nutzungsverhältnisses konnte die Klägerin nicht durch das einfache Schreiben ohne Rechtsbehelfsbelehrung und sonstige Förmlichkeiten eines Hoheitsaktes aus dem November 1994 bzw. den Erlass einer Satzung nebst Entgeltordnung einseitig in ein privatrechtliches Nutzungsverhältnis umwandeln. Würde man dies akzeptieren, würde es der Klägerin freistehen, einseitig privatrechtliche Rechtsverhältnisse zu begründen. Die Abgrenzung zwischen privatrechtlichem und öffentlichrechtlichem Handeln würde dadurch ausgehebelt.
2.
Da ein hoheitliches Nutzungsverhältnis bezüglich der Wohnung bestand, führte auch der Verbleib des Beklagten und seiner Familie in der Wohnung nicht zum Zustandekommen eines zusätzlichen faktischen privatrechtlichen Nutzungsverhältnisses. Eines zweiten Rechtsgrundes für den Verbleib bedurfte es neben dem bestehenden Rechtsgrund nicht.
3.
Die Klägerin vermag mit ihrem Berufungsvorbringen auch insoweit nicht durchzudringen, als sie meint, der Senat und schon das Landgericht hätte selbst von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend die 198,00 DM, die im Einweisungsbescheid vom 26. November 1993 für die Benutzung verlangt und vom Beklagten auch gezahlt worden seien, weiter zuerkennen müssen. Für die Durchsetzung dieses etwaigen Anspruchs besteht eine sachliche Zuständigkeit des Senats nicht. Der Anspruch ist, wenn er besteht, hoheitlicher Natur, weil er ein Entgelt für ein durch Bescheid also durch Hoheitsakt begründetes Nutzungsverhältnis durchsetzen will. Da das Nutzungsentgelt auf hoheitlicher Festsetzung beruht, hat auch das Zahlungsverlangen öffentlichrechtlichen Charakter. Für diesen hilfsweise angebrachten Anspruch müsste die Klägerin sich mithin an die Verwaltungsgerichte wenden.
4.
Die Berufung hat auch insoweit keinen Erfolg, als die Klägerin hinsichtlich der für die Wohnung von ihr aufgebrachten Nebenkosten bereicherungsrechtliche oder ähnliche zivilrechtliche Ansprüche geltend macht. Die Klägerin hatte ursprünglich auch für diese Nebenkosten, soweit sie auf die dem Beklagten und seiner Familie überlassene Wohnung entfielen, nicht zivilrechtlich weitergeleitet, sondern sich auf die erhobene öffentlichrechtliche Gebühr, die auch die Gegenleistung der Nutzer hierfür umfasste, beschränkt. Dementsprechend gilt auch bezüglich der für Nebenkosten durch die Klägerin erbrachten Aufwendungen nichts anderes als für das für die Wohnung gegebenenfalls zu zahlende Entgelt. Falls etwas geschuldet wird, würde sich die Forderung nach wie vor als auf hoheitlichem Handeln beruhend und damit öffentlichrechtlich darstellen. Die Klägerin ist damit gehindert, sie im Zivilrechtswege und damit in diesem Rechtsstreit durchzusetzen.
5.
Auf die vom Beklagten erhobene Einwendung, die 198,00 DM auch für den hier in Rede stehenden Zeitraum gezahlt zu haben bzw. seinen Einwand, aus prozessualen Gründen sei hiervon zu seinen Gunsten auszugehen, kam es nach dem Vorstehenden nicht an.
6.
Die prozessualen Nebenentscheidungen gründen sich auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit sowie auf § 97 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Zulassung der Revision erschien weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache noch zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten; die Parteien haben auch nichts vorgetragen, was insoweit zu anderer Entscheidung Anlass gäbe.
Streitwertbeschluss:
Die Beschwer der Klägerin übersteigt nicht 20.000,00 EUR.