Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 05.01.2000, Az.: 13 U (Kart) 89/96

Krankenkasse; häusliche Pflege; Gleichbehandlung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.01.2000
Aktenzeichen
13 U (Kart) 89/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41914
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Krankenkasse ist, auch mit dem Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, als Unternehmen im Sinn des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen anzusehen, wenn es um das Angebot von Rahmenverträgen für Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V geht.

2. Krankenkassen sind wegen des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht gehalten, die Vergütung der privaten Leistungserbringer aus Gleichbehandlungsgründen der Vergütung von Sozialstationen anzupassen.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 14. Mai 1996 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung der Kostenentscheidung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 20.000 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Den Parteien wird gestattet, die Sicherheit durch Stellung einer selbstschuldnerischen, unbedingten, unbefristeten und unwiderruflichen Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse, Volksbank oder Spar und Darlehenskasse zu leisten.

Der erstinstanzliche Streitwertbeschluss wird teilweise dahin geändert, dass der Wert für den Klageantrag zu 2 320.000 DM beträgt.

Streitwert in der Berufungsinstanz:

bis zum 12. Februar 1999: 352.500 DM,

ab dem 12. Februar 1999: 320.000 DM.

Beschwer des Klägers: 320.000 DM.

Gründe

A.

Der Kläger ist Verwalter im Konkurs über das Vermögen der ... GmbH mit Sitz in ... (im Folgenden: Gemeinschuldnerin). Er begehrt die Feststellung, dass die bisherige unterschiedliche Vergütungspraxis der Beklagten im Hinblick auf Leistungen der Klägerin im Bereich der häuslichen Krankenpflege und gleichartige Leistungen der Sozialstationen schadensersatzpflichtig sei.

Die Leistungen der häuslichen Krankenpflege wurden bis Anfang der 90er Jahre im Wesentlichen durch freie Wohlfahrtsverbände erbracht. Dann traten zunehmend die privaten Leistungserbringer auf den Markt.

Die Gemeinschuldnerin und die anderen Leistungserbringer wurden jeweils unmittelbar von den Pflegebedürftigen beauftragt. Die Abrechnung der Leistungen erfolgte zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen.

Die gesetzlichen Krankenkassen Niedersachsen trafen mit den privaten Leistungsanbietern wie mit den örtlichen Sozialstationen Einzelvereinbarungen über die Vergütung ihrer Leistungen. Seit Anfang 1994 erfolgte die Vergütung für die Sozialstationen auf Grund einer Rahmenvereinbarung, die einerseits zwischen den Verbänden der gesetzlichen Krankenkasse in Niedersachsen und andererseits den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege (Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände in Niedersachsen und Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen) zu Stande kam. Ebenfalls mit Wirkung vom 1. Januar 1994 trafen die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen eine Rahmenvereinbarung mit der Arbeitsgemeinschaft Hauskrankenpflege Norddeutschland über die Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V (Bl. 359 d. A.). Die Gemeinschuldnerin ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Hauskrankenpflege Norddeutschland.

Die Verbände der Krankenkassen kündigten den mit der Arbeitsgemeinschaft Hauskrankenpflege geschlossenen Rahmenvertrag mit Wirkung zum 30. Juni 1996, hilfsweise zum 31. Dezember 1996. Den Rahmenvertrag mit der freien Wohlfahrtspflege kündigten sie zum 31. Dezember 1996. Zum 1. Januar 1997 schlossen die Regionaldirektoren der ... Beklagten - mit einzelnen Leistungsanbietern individuelle Verträge über die Leistungen gemäß § 37 SGB V. Mit der Gemeinschuldnerin kam ein Vertrag für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 31. Mai 1997 zu Stande, der bis zum 30. September 1997 verlängert wurde.

Sowohl auf Grund der Rahmenvereinbarungen als auch auf Grund der individuellen Vereinbarungen erhielt die Gemeinschuldnerin für die einzelnen Leistungen (Injektionen, Verband, Katheterisierung usw.) Vergütungen, die überwiegend unter den mit den Sozialstationen vereinbarten lagen.

Im Bezirk ... gab es im Jahr 1996 vier Sozialstationen und acht private Pflegedienste. Seitdem sind sechs weitere private Pflegedienste hinzu gekommen. Etwa 70 % - 75 % der von der Gemeinschuldnerin erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege betrafen bei der Beklagten versicherte Personen. Die Gemeinschuldnerin und die anderen Leistungserbringer wurden jeweils unmittelbar von den Pflegebedürftigen beauftragt. Die Abrechnung der Leistungen erfolgte zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen.

Die Gemeinschuldnerin hat vorgetragen: Die unterschiedliche Vergütung der Leistungen der privaten Pflegedienste und der Sozialstationen durch die Beklagte verstoße gegen § 26 Abs. 2 GWB a. F. Das in dieser Vorschrift normierte Diskriminierungsverbot gelte auch für die Beklagte als marktbeherrschenden Nachfrager auf dem Markt "häusliche Krankenpflege". Es bestehe kein sachlich gerechtfertigter Grund, die Leistungen der privaten Anbieter geringer zu vergüten als die der Sozialstationen. Sozialstationen hätten ohnehin einen Wettbewerbsvorsprung, weil sie öffentliche Zuschüsse erhielten und ehrenamtliche Mitarbeiter einsetzten. Auf Grund der Vergütungspraxis sei es ihr, der Gemeinschuldnerin, nicht möglich gewesen, ihre Leistungen kostendeckend zu erbringen.

Die spätere Gemeinschuldnerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, es - bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren - zu unterlassen,

Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V, die von der Klägerin erbracht werden, und die gleichen Leistungen, die von Sozialstationen erbracht werden, unterschiedlich zu vergüten,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, den diese durch die bisherige unterschiedliche Vergütungspraxis für Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V (im Vergleich zu den Sozialstationen) erlitten hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen: Maßvoll höhere Vergütungen für Sozialstationen seien gerechtfertigt, weil die Sozialstationen ein flächendeckendes Angebot bereithielten. Dieses könnten private Anbieter nicht gewährleisten. Zudem seien bei den Sozialstationen, anders als bei den privaten Leistungsanbietern, bei denen es viele geringfügig Beschäftigte gäbe, in der Regel sozialversicherungspflichtige Kräfte auf der Basis des Bundesangestelltentarifs beschäftigt. Öffentliche Zuschüsse würden Sozialstationen in deutlich geringerem Umfang gewährt als früher; die Sozialstationen könnten heute Leistungen der häuslichen Krankenpflege nicht mehr aus anderen Mitteln als aus den Vergütungen der Krankenkasse bestreiten. Im Übrigen habe der Gesetzgeber der freien Wohlfahrtspflege durch § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB V eine besondere Bedeutung zugemessen, der die Beklagte durch die Verträge mit den Leistungsanbietern Geltung verschaffe. Schließlich beruhe die Vergütung der Gemeinschuldnerin auf frei ausgehandelten Vereinbarungen. Sie könne daher nicht diskriminierend sein.

Das Landgericht hat Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: In der Fixierung unterschiedlicher Vergütungen für dieselben Leistungen liege zwar eine Ungleichbehandlung der Gemeinschuldnerin gegenüber den mit ihr auf demselben Markt konkurrierenden Sozialstationen. Für die unterschiedliche Behandlung liege jedoch ein sachlich gerechtfertigter Grund i. S. des § 26 Abs. 2 Satz 1 GWB a. F. vor. Gemäß § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB V sollten die Krankenkassen der Vielfalt, insbesondere der Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege, Rechnung tragen. Die Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege bestehe in Folgendem: Es müsse eine flächendeckende Versorgung der Mitglieder der Krankenkassen mit Pflegedienstleistungen sichergestellt werden. Selbst wenn zurzeit eine flächendeckende Versorgung möglich sein möge, so sei dies für die Zukunft nicht gewährleistet. Privatrechtssubjekte seien in ihren Entscheidungen frei und könnten in den Konkurs fallen. Die freien Wohlfahrtsverbände trügen darüber hinaus dem Bedürfnis nach weltanschaulicher bzw. religiöser Verankerung Rechnung. Zudem sei die Differenz zwischen den Vergütungen allein nicht aussagekräftig. Denn die Höhe der an die Sozialstationen zu zahlenden Vergütungen werde auch durch die ihnen zufließenden öffentlichen Mittel bestimmt. Die Sozialstationen würden auch außerhalb der anrechenbaren Leistungen wichtige Aufgaben im Bereich der Beratung und Familienarbeit wahrnehmen, die im Zusammenhang mit häuslicher Pflege stünden. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte nicht eigene auf Gewinn gerichtete Interessen wahrnehme und zur Beitragsstabilität verpflichtet sei.

Gegen dieses Urteil hat sich die Gemeinschuldnerin mit der Berufung gewandt. Während des Berufungsverfahrens ist das Konkursverfahren über ihr Vermögen eröffnet worden. Der Konkursverwalter hat das Verfahren aufgenommen. Er macht geltend: Es treffe nicht zu, dass § 132 Abs. 2 SGB V den Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege eine Sonderstellung in Form einer bevorzugten Behandlung gegenüber privaten Leistungsanbietern garantiere. Auch das Interesse des Versicherten an Beitragsstabilität rechtfertige es nicht, mit Hilfe von Marktmacht Entgelte durchzusetzen, die dazu führten, dass der Vertragspartner auf Dauer nicht am Markt existieren könne. Dies käme einer Marktzugangsbeschränkung gleich. Das Argument der flächendeckenden Versorgung greife nicht durch. Die privaten Anbieter gewährten eine flächende

ckende Versorgung. Darüber hinaus verkenne das Landgericht, dass allgemeine sozial und wirtschaftspolitische Erwägungen im Rahmen des § 26 Abs. 2 GWB keine Rolle spielten. Die Versicherten hätten das Recht auf freie Wahl unter den Leistungserbringern.

Die Gemeinschuldnerin hat mit der Berufung ihre erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt. Nach Eröffnung des Konkursverfahrens hat der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte die Gemeinschuldnerin ohne sachlich gerechtfertigten Grund gegenüber den Sozialstationen unterschiedlich behandelt hat, indem sie Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V, die von der Gemeinschuldnerin erbracht worden sind, und die gleichen Leistungen, die von Sozialstationen erbracht worden sind, unterschiedlich vergütet hat,

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Gemeinschuldnerin allen Schaden zu ersetzen, den diese durch die bisherige unterschiedliche Vergütungspraxis für Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V (im Vergleich zu den Sozialstationen) in dem Zeitraum vom 1. Juni 1992 bis zum 1. April 1998 erlitten hat.

Wegen des Antrags zu 1 hat der Kläger die Klage zurückgenommen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte macht geltend: Der weiter verfolgte Antrag zu 2 sei unzulässig, weil er nicht hinreichend konkretisiert sei. Der Antrag sei auch unbegründet, denn es lägen die Voraussetzungen des § 26 Abs. 2 GWB nicht vor. Die Entgelte, die in der Rahmenvereinbarung der privaten Pflegeverbände mit den Krankenkassenverbänden festgelegt worden seien, ermöglichten es jedem wirtschaftlich arbeitenden Unternehmen, gute Gewinne zu erzielen. Dies werde dadurch bestätigt, dass die Zahl der privaten Leistungsanbieter in den letzten Jahren stark angestiegen sei. Auf etwaige besondere Verhältnisse der Gemeinschuldnerin komme es nicht an. Im Übrigen habe auch die Gemeinschuldnerin Gewinne erzielt. Eine geringfügige Begünstigung der Träger der freien Wohlfahrtspflege sei gerechtfertigt, weil Sozialstationen zahlreiche Leistungen erbrächten, die ihnen nicht vergütet würden und die Krankenkassen erheblich entlasteten. Außerdem leisteten die Sozialstationen Gewähr für eine dauerhafte flächendeckende Versorgung der Bevölkerung. Die privaten Leistungserbringer konzentrierten sich auf dicht besiedelte Regionen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die Sozialstationen höhere Kosten als die privaten Anbieter hätten, weil sie nahezu ausschließlich fest angestellte Mitarbeiter beschäftigten, während die privaten Anbieter in großem Umfang geringfügig Beschäftigte einsetzten. Die Mitarbeiter der privaten Leistungsanbieter seien weniger qualifiziert. Im Übrigen seien sowohl die Vergütungen der Sozialstationen als auch die der privaten Krankenpflegedienste überhöht. Die Beklagte verfolge eine schrittweise Angleichung der Vergütung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist unbegründet.

I.

Die Klage ist zulässig.

1. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass gemäß § 13 GVG i. V. mit § 87 Abs. 1 GWB der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist (vgl. BGH, NJW 1991, 2963, 2964 [BGH 12.03.1991 - KZR 26/89]; NJW 1992, 1561, 1562 [BGH 25.06.1991 - KZR 19/90]; LG Rostock, NZS 1995, 460 [BSG 08.03.1995 - 1 RK 10/94]).

2. Die Gemeinschuldnerin hat ein Feststellungsinteresse i. S. des § 256 Abs. 1 ZPO. Wird die Verletzung einer Norm zum Schutz des Vermögens geltend gemacht, wie hier im Hinblick auf §§ 26 Abs. 2, 35 Abs. 1 GWB a. F., so muss der Kläger für die Zulässigkeit der Klage die Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens substantiiert dartun (Zöller/Greger, 21. Aufl., § 256 Rn. 8 a). Das hat der Kläger getan.

Der Kläger trägt vor, der Schaden der Gemeinschuldnerin liege in der Differenz der tatsächlich gezahlten Vergütung zu der Vergütung, welche die Gemeinschuldnerin nach den Sätzen der Sozialstationen erhalten hätte. Die Beklagte wendet ein, der Gemeinschuldnerin könne aus der geltend gemachten Ungleichbehandlung kein Schaden entstanden sein. Wenn es erforderlich gewesen wäre, private Anbieter und Sozialstationen völlig gleich zu behandeln, so wäre nur eine Herabsetzung der Vergütung für die Sozialstationen auf das Niveau der Vergütung für private Krankenpflegedienste in Betracht gekommen.

Der Einwand greift nicht durch. Die Wahrscheinlichkeit eines auf die - unterstellte - Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadens ist hinreichend dargetan. Es ist davon auszugehen, dass die Krankenkassen die Vergütungsvereinbarungen mit den Sozialstationen, wie gesetzlich vorgeschrieben, gemäß dem Kostendeckungsprinzip und unter Berücksichtigung des Gebots zum sparsamen Umgangs mit den Mitgliederbeiträgen getroffen haben. Daher kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass es den Krankenkassen möglich gewesen wäre, mit den Trägern der Sozialstationen Vergütungsvereinbarungen zu treffen, die dem geringeren Niveau der Vereinbarungen mit den privaten Leistungsanbietern vollständig angepasst waren. Das - grundsätzlich zutreffende - Argument der Beklagten, dass es den Krankenkassen überlassen geblieben wäre, wie sie die (unterstellte) Diskriminierung beseitigen, greift daher nicht durch.

II.

Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch gemäß § 26 Abs. 2, 35 Abs. 1 GWB a. F. steht der Gemeinschuldnerin jedoch in der Sache nicht zu.

Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 GWB a. F. dürfen marktbeherrschende Unternehmen ein anderes Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist, weder unmittelbar noch mittelbar unbillig behindern oder gegenüber gleichartigen Unternehmen ohne sachlich gerechtigten Grund unmittelbar oder mittelbar unterschiedlich behandeln. Dies gilt gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 GWB a. F. auch für Unternehmen, von denen kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art gewerblicher Leistungen in der Weise abhängig sind, dass ausreichende und zumutbare Möglichkeiten auf andere Unternehmen auszuweichen, nicht bestehen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor:

1. Allerdings handelt die Beklagte, auch wenn sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, als Unternehmen im Sinn des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, wenn es wie hier um das Angebot von Rahmenverträgen für Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V geht (vgl. BGH, NJW 1991, 2963, 2965 f. [BGH 12.03.1991 - KZR 26/89]). Dabei kommt ihr jedenfalls eine marktstarke Stellung zu. Die Gemeinschuldnerin hat unstreitig 70 % - 75 % ihrer Leistungen gegenüber Personen erbracht, die bei der Beklagten versichert sind. Die Gemeinschuldnerin hatte keine ausreichende und zumutbare Möglichkeit, auf andere Unternehmer auszuweichen, die den Abschluss von Rahmenverträgen anbieten. Die Beklagte hält im Bereich der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V, wenn man Rentner einbezieht, einen Marktanteil von etwa 50 % (Anteil der bei der Beklagten krankenversicherten Personen). Außerdem haben jedenfalls zeitweise sämtliche Krankenkassen, die den Verbänden der gesetzlichen Krankenkassen Niedersachsen angehören, die Leistungen der häuslichen Krankenpflege einheitlich auf Grund von Rahmenverträgen vergütet.

2. Die Gemeinschuldnerin und die Sozialstationen, die von den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege getragen werden, sind gleichartige Unternehmen i. S. des § 26 Abs. 2 Satz 1 GWB a. F. Der weite Unternehmensbegriff des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen erfasst jede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr unabhängig davon, welche Rechtsform der Handelnde hat (BGH, WuW/E 2603, 2604), und ob das Wirtschaften auf Gewinnerzielung gerichtet ist (BGH, WuW/E 2399, 2403; OLG Stuttgart WuW/E 4257). Im vorliegenden Fall weisen beide Unternehmen eine im Wesentlichen übereinstimmende unternehmerische Tätigkeit und wirtschaftliche Funktion auf.

3. Die Beklagte hat die Gemeinschuldnerin gegenüber den Sozialstationen unterschiedlich behandelt, indem sie ihr für den größten Teil ihrer Leistungen Vergütungen bezahlte, die unter denen der Sozialstationen lagen. Die unterschiedliche Behandlung erfolgte jedoch nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund.

Für die Frage der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Vergütung kommt es auf eine umfassende Abwägung der Interessen der Beteiligten an (BGH, WUW/E 2665, 2667). Die Interessenabwägung ist unter Berücksichtigung der auf die Freiheit des Wettbewerbs gerichteten Zielrichtung des GWB vorzunehmen (BGH NJW 1991, 2967 [OLG Koblenz 13.06.1990 - 5 U 860/88]; NJW 1996, 2656, 2658 [BGH 19.03.1996 - KZR 1/95]; Frankfurter Kommentar zum GWB, § 26 Rn. 243 m. w. N.). Das bedeutet für den vorliegenden Fall:

Zwar ist das Interesse der privaten Anbieter, eine höhere Leistungsvergütung zu erhalten, die den Vergütungssätzen der Sozialstationen entspricht, nicht zu verkennen. Dem Interesse der Krankenkassen, bei den Verhandlungen mit den privaten Anbietern oder ihren Verbänden nicht an die Vergütungsvereinbarungen mit den Trägern der Sozialstationen gebunden zu sein und den privaten Anbietern ggf. auch eine maßvoll geringere Vergütung zu zahlen, ist jedoch grundsätzlich der Vorrang zu geben. Das Streben nach günstigen Konditionen ist wettbewerbskonform. Daraus, dass es im Einzelfall zu unterschiedlichen Preisen geführt hat, kann nicht ohne Weiteres ein Verstoß gegen § 26 Abs. 2 GWB a. F. hergeleitet werden. Entscheidend ist vielmehr, ob die Preisgestaltung auf Willkür oder auf wirtschaftsfremden unternehmerischen Entscheidungen beruht (BGH NJW 1996, 2656, 2658 [BGH 19.03.1996 - KZR 1/95]; vgl. Immenga/Mästmecker, § 26 Rn. 258). Ist die öffentliche Hand Normadressat, so können auch öffentliche Interessen zu berücksichtigen sein, die in gesetzgeberische Entscheidungen Eingang gefunden haben (Langen/Bunte, 8. Aufl., § 26 Rn. 158; zum Interesse an der Kostendämpfung im Gesundheitswesen: BGH, WuW/E 2665, 2667).

Die den Sozialstationen von der Beklagten gewährten Vergütungssätze beruhen nicht auf einer willkürlichen Entscheidung der Beklagten bzw. ihrer Verbände, sondern wurden, wie die Parteien übereinstimmend vortragen, nach dem Kostendeckungsprinzip berechnet. Dass mit der Gemeinschuldnerin (ihrem Verband) Vergütungen vereinbart wurden, die etwas geringer waren, nämlich für die Zeit bis Ende 1995 nach dem Vortrag der Klägerin durchschnittlich 93 % - 94 % (Bl. 7 d. A.), für die Folgezeit bis zur Konkurseröffnung (abgesehen von Besonderheiten bei der Berechnung der Wegepauschale in Fällen der gleichzeitigen Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach SGB V und Leistungen der Pflegeversicherung nach SGB XI) ganz überwiegend zwischen 90 % und 98 %, bei einigen Leistungen zwischen 82 % und 90 %, war jedenfalls für den hier interessierenden Zeitraum sachlich gerechtfertigt.

Die Beklagte ist im Hinblick auf die Kostendämpfung im

Gesundheitswesen an das Wirtschaftlichkeitsgebot gebunden. § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB V schreibt ausdrücklich vor, dass die Krankenkassen darauf zu achten haben, dass die Leistung zur Gewährung häuslicher Krankenpflege wirtschaftlich und preisgünstig erbracht werden (zur Bedeutung des Interesses: Emmerich, Kartellrecht, 6. Aufl., Seite 307). Würden die Krankenkassen die Vergütung der privaten Leistungserbringer aus Gleichbehandlungsgründen jeweils der Vergütung der Sozialstationen anpassen müssen, so wäre ihre Möglichkeit zur Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots erheblich eingeschränkt.

Außerdem müssen die Krankenkassen gemäß § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB V bei der Auswahl der Leistungserbringer ihrer Vielfalt, insbesondere der Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege Rechnung tragen. Es ist zwar fraglich, ob sich daraus ergibt, dass die Krankenkassen die Pflegekräfte der freien Wohlfahrtspflege bevorzugt zu berücksichtigen haben (so Bley/Gitter, Sozialgesetzbuch/Sozialversicherung/ RVOGesamtkommentar § 132 Anm. 5) a. M. Hencke in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 19. Aufl., § 132 Rn. 8). Jedenfalls müssen die Krankenkassen aber darauf achten, dass die Preisvereinbarungen es den Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege ermöglichen, sich an der häuslichen Pflege zu beteiligen. Dadurch soll eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung - auch dünn besiedelten Regionen - auf Dauer und unabhängig vom jeweils vorhandenen Bestand privater Leistungsanbieter sichergestellt werden und den Hilfsbedürftigen eine größere Auswahl auch an Leistungserbringern geboten werden, die an gemeinnützige, kommunale oder kirchliche Einrichtungen gebunden sind.

Darüber hinaus ist von Bedeutung, dass die Sozialstationen bis Anfang der 90er Jahre weitgehend ohne Wettbewerb durch die privaten Pflegedienste arbeiteten. Die Beklagte macht geltend, dass sie unter diesem Gesichtspunkt bei den Vertragsverhandlungen Rücksicht darauf habe nehmen müssen, dass die Träger der Sozialstationen eine gewisse Übergangszeit benötigten, um ihre Kostenstrukturen - beispielsweise im Hinblick auf längerfristige Arbeitsverträge - den neuen Marktverhältnissen anzupassen. Darin liegt ein sachliches Kriterium, das zusammen mit den übrigen Umständen die unterschiedliche Vergütungspraxis für den hier betroffenen Zeitraum rechtfertigen kann.

Ferner spielt bei der Interessenabwägung eine entscheidende Rolle, dass die vereinbarten Entgelte es den privaten Leistungsanbietern ermöglichten, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Dafür sprechen die Umstände. Bis Anfang der neunziger Jahre wurden die Leistungen der häuslichen Krankenpflege fast ausschließlich durch die Sozialstationen erbracht. Bereits im Jahr 1994 gab es in Niedersachsen 400 - 500 private ambulante Pflegedienste (zum Vergleich: 295 Sozialstationen). Im Jahr 1996 waren, bei etwa konstanter Anzahl der Sozialstationen, 1000 - 1200 private Pflegedienste (ambulante Pflege und Tagespflege) tätig. Im Bezirk ... gab es zum Zeitpunkt der Klageeinreichung Ende 1995 vier Sozialstationen und acht Pflegedienste. In der Zeit von März 1996 bis Mai 1997 wurden hier sechs private ambulante Krankenpflegedienste neu zugelassen. Soweit der Kläger behauptet hat, die vereinbarte Vergütung habe es der Gemeinschuldnerin nicht ermöglicht, ihre Leistungen kostendeckend zu erbringen, hat er dies nicht ausreichend dargetan. Das Gegenteil ergibt sich aus den eingereichten Unterlagen. Gemäß den Gewinn und Verlustrechnungen in dem Geschäftsjahr 1993/94 erzielte die Gemeinschuldnerin bei Umsatzerlösen von ca. 970.000 DM einen Gewinn von rund 105.000 DM. Die Gewinn und Verlustrechnung für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 1994 weist einen Gewinn von ca. 127.000 DM aus. Substantiierter Vortrag für die anschließende Zeit fehlt. Soweit das Unternehmen im Jahr 1998 in Konkurs gefallen ist, hat die Beklagte geltend gemacht, dies beruhe darauf, dass der Geschäftsführer im Jahr 1997 mehr als 500.000 DM aus dem Unternehmen privat entnommen habe; auch in den Vorjahren seien schon überhöhte Entnahmen erfolgt. Dem ist der Kläger nicht entgegen getreten.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Verband der Gemeinschuldnerin bzw. die Gemeinschuldnerin selbst die Vergütungssätze mit dem Krankenkassenverband bzw. örtlichen Krankenkasse als angemessen vereinbart haben. Dass ein Verhandlungsspielraum bestanden hat, ergibt sich schon aus dem Klagevortrag, bei den Vertragsgesprächen seien Vergütungssätze angeboten worden, die durchschnittlich 30 % unter denen mit den Sozialstationen vereinbarten gelegen hätten, im Ergebnis seien dann um 6 % - 7 % unter den Sätzen der Sozialstationen liegenden Vergütungen vereinbart worden, der bestehende Verhandlungsspielraum habe seine Obergrenze in der Regel bei 7 % - 10 % unter den mit den Wohlfahrtsverbänden vereinbarten Preisen gehabt. Es kann als wahr unterstellt werden, dass die Vertreter der Krankenkasse vor den Vertragsabschlüssen erklärten, dass nur ein stark begrenzter Verhandlungsspielraum zur Verfügung stehe, und dass dieser Verhandlungsspielraum bei den Rahmenvereinbarungen im Ergebnis seine Obergrenze in der tatsächlich vereinbarten Vergütung hatte. Denn unter den gegebenen Umständen war es wettbewerbskonform, dass die Krankenkassen bei den Verhandlungen mit den privaten Leistungsanbietern bzw. deren Verbänden versuchten, günstige, unter den mit den Sozialstationen vereinbarten Tarifen liegende Preise durchzusetzen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.