Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 24.07.2019, Az.: 6 B 4826/18
Akteneinsicht; Ermessen; Ermessen; Ermessensreduktion auf null; Fachaufsicht; fehlerhafte Besetzung; Notarprüfung; Prüfungsausschuss; subjektiv-öffentliches Recht; verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Akteneinsicht; Verwaltungsrat
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 24.07.2019
- Aktenzeichen
- 6 B 4826/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69775
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 7g BNotO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein Anspruch auf Akteneinsicht kann unabhängig von einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Beteiligtenstellung im Sinne der §§ 13, 9 VwVfG bestehen.
2. Als Rechtsgrundlage kommt zum einen der gewohnheits-rechtlich anerkannte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Akteneinsichtsgesuch in Betracht, zum anderen ein aus der Schutz- und Leistungsfunktion der Grundrechte (z.B. Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG) folgender verfassungsunmittelbarer Anspruch.
3. Eine Ermessensreduktion auf null bzw. eine aus dem Untermaßverbot folgende grundrechtliche Verpflichtung zur Akteneinsicht kann vorliegen, wenn der Antragsteller andernfalls an der Erhebung einer sachlich vertretbaren Rüge im Prüfungsanfechtungsverfahren gehindert wird.
4. Die Bestimmungen über die Benennung des Verwaltungs-rats in § 7g Abs. 5 S. 1 bis 3 BNotO vermitteln den Prüfungskandidaten kein subjektiv-öffentliches Recht, auf dessen Verletzung die Anfechtung eines Prüfungsbescheides gestützt werden kann. Sie dienen lediglich der Einrichtung eines mit Fachaufsichtsbefugnissen ausgestatteten Gremiums innerhalb der Prüfungsbehörde, welches keine unmittelbaren Prüfungsentscheidungen gegenüber den Kandidaten trifft.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner auf Erteilung einer amtlichen Auskunft und Akteneinsicht in Anspruch.
Sie nahm im Jahr 2015 beim Prüfungsamt für die notarielle Fachprüfung bei der Bundesnotarkammer in B-Stadt im ersten Prüfungsversuch an der notariellen Fachprüfung teil. Den schriftlichen Prüfungsteil bestand sie nicht, weil sie nicht die zum Bestehen erforderliche Mindestanzahl erfolgreich absolvierter Klausuren erreichte. Hätte sie die handels-/gesellschaftsrechtliche Klausur F 20-59 bestanden, hätte sie auch den schriftlichen Prüfungsteil absolviert. Gegen den Bescheid des Prüfungsamts über das Nichtbestehen legte die Antragstellerin erfolglos Widerspruch ein. Gegen den Widerspruchsbescheid des Prüfungsamts erhob sie Klage beim Kammergericht B-Stadt, über die noch nicht entschieden worden ist. Parallel zum Klageverfahren absolvierte die Klägerin den Wiederholungsversuch der notariellen Fachprüfung, den sie ebenfalls nicht bestand. In diesem Durchgang bestand sie jedoch die handels- und gesellschaftsrechtliche Klausur.
Die Regelungen des § 7g Abs. 4 S. 1 bis 4 der Bundesnotarordnung (BnotO) sehen vor: Bei dem bei der Bundesnotarkammer errichteten Prüfungsamt wird eine Aufgabenkommission eingerichtet. Sie bestimmt die Aufgaben für die schriftliche Prüfung, entscheidet über die zugelassenen Hilfsmittel und erarbeitet Vorschläge für die mündlichen Prüfungen. Die Mitglieder der Aufgabenkommission müssen über eine der in Absatz 6 Satz 1 aufgeführten Qualifikationen verfügen. Sie werden von dem Leiter des Prüfungsamtes im Einvernehmen mit dem Verwaltungsrat für die Dauer von fünf Jahren bestellt.
Betreffend den Verwaltungsrat enthält die gesetzliche Bestimmung des § 7g Abs. 5 BnotO die folgenden Vorgaben: Bei dem Prüfungsamt wird ein Verwaltungsrat eingerichtet. Er übt die Fachaufsicht über den Leiter des Prüfungsamtes und die Aufgabenkommission aus. Der Verwaltungsrat besteht aus einem vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, einem von der Bundesnotarkammer und drei einvernehmlich von den Landesjustizverwaltungen, in deren Bereich Anwaltsnotare bestellt werden, benannten Mitgliedern.
Die Verordnung über die notarielle Fachprüfung (Notarfachprüfungsverordnung - NotFV) enthält zudem in § 2 Abs. 1 die Regelung: Der Verwaltungsrat kann der Leitung des Prüfungsamtes und den Mitgliedern der Aufgabenkommission im Einzelfall Weisungen erteilen. § 3 Abs. 6 NotFV sieht ferner vor: Die Mitglieder der Aufgabenkommission sind verpflichtet, dem Verwaltungsrat auf Anforderung Auskunft zu erteilen und Akteneinsicht zu gewähren.
Im Klageverfahren vor dem Kammergericht beantragte die Antragstellerin die Beiziehung des Verwaltungsvorgangs des Prüfungsamts für die notarielle Fachprüfung, welcher die Benennung der Mitglieder des beim Prüfungsamts gebildeten Verwaltungsrats betrifft. Das Prüfungsamt teilte hierzu mit, dass bei ihm kein diesbezüglicher Vorgang existiere. Daraufhin beantragte die Antragstellerin Anfang Juni 2018 beim Kammergericht die Beiziehung des Verwaltungsvorgangs des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Diesen Antrag lehnte das Kammergericht mit unanfechtbarem Beschluss vom 26. Juni 2018 ab. Zur Begründung führte es aus, der Antrag auf Beziehung des Verwaltungsvorgangs stelle sich nicht als Beweisantrag dar, sondern als Beweisermittlungsantrag, welcher erst der Beschaffung von Material diene, aus dessen Durchsicht sich die zu behauptende und beweisende Tatsache ergeben solle. Ein neuer Termin zur mündlichen Verhandlung werde anberaumt, wenn die Antragstellerin mitgeteilt habe, die von ihr verfolgte Akteneinsicht vorgenommen zu haben.
Parallel beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner am 12. Juni 2018 Auskunft zur Benennung „des Verwaltungsratsmitglieds gem. § 7g V 3 BNotO durch das Nds. Justizministerium“ im Zeitraum von Mai 2013 bis Dezember 2014, d.h. Beantwortung der Frage, durch wen, in welchem Verfahren (Einvernehmlichkeit) und auf welcher (binnenorganisations-)rechtlichen Grundlage benannt werde. Zur Begründung ihres Auskunftsersuchens führte die Antragstellerin aus, die Aktenteile seien relevant, um die Rechtmäßigkeit der Aufgabenauswahl in ihrem Klausurdurchgang des ersten Prüfungsversuchs zu beurteilen. Die Ausgabenauswahl sei nämlich fehlerhaft, sofern die Aufgabenkommission nicht ordnungsgemäß eingerichtet worden sei, und die Aufgabenkommission sei nicht ordnungsgemäß besetzt worden, sofern der Verwaltungsrat, welcher an ihrer Berufung mitgewirkt habe, nicht ordnungsgemäß eingerichtet bzw. benannt worden sei.
Mit Bescheid vom 19. Juni 2018 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Zur Begründung machte er geltend, die Antragstellerin habe ein berechtigtes Interesse an der Auskunftserteilung nicht geltend gemacht. Bei der Zusammensetzung des Verwaltungsrats seien keine Fehler unterlaufen. Selbst wenn man einen Fehler unterstelle, ließe dieser die Wirksamkeit seiner Amtshandlungen unberührt, d.h. er schlüge in keinem Fall auf die Zusammensetzung der Aufgabenkommission durch. Im öffentlichen Recht gelte nämlich der allgemeine Grundsatz, dass Wahl-, Ernennungs- und Besetzungsfehler die Wirksamkeit einer Verwaltungsentscheidung des fehlerhaft gebildeten Organs bzw. des fehlerhaft berufenen Amtsträgers unberührt ließen. Davon abweichend habe ein Kandidat ausnahmsweise einen Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Auswahl- und Besetzungsverfahren bezüglich derjenigen Amtsträger bzw. Organe, welche wie beispielsweise ein Prüfungsausschuss über einen eigenen prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraum verfügten. Mit der Verstärkung dieser formellen Anforderungen werde nämlich der Umstand ausgeglichen, dass der Kandidat in materieller Hinsicht nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle erreichen könne. Die letztgenannte Ausnahme läge jedoch in Ansehung des Verwaltungsrates des Prüfungsamts für die notarielle Fachprüfung nicht vor. Wie sich aus § 7g Abs. 5 BNotO in Verbindung mit den Bestimmungen der Notarfachprüfungsverordnung ergebe, nehme der Verwaltungsrat nicht am Prüfungsverfahren teil. Er treffe insbesondere keine prüfungsrechtlichen Entscheidungen gegenüber den Kandidaten und könne auch keinen diesbezüglichen Beurteilungsspielraum in Anspruch nehmen.
Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 19. Juli 2018 Klage erhoben und zudem um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Klage- und Antragsschrift richten sich gegen das Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Justizministerium.
Die Antragstellerin trägt in tatsächlicher Hinsicht vor, die begehrte Auskunft lediglich vom Antragsgegner erhalten zu können. Nach telefonischer Auskunft des Leiters des entsprechenden Referats vom 19. Juli 2018 existiere beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz kein Generalvorgang über das Benennungsverfahren aller Verwaltungsratsmitglieder; stattdessen würden die Länder mit Anwaltsnotariat dem Bund lediglich informatorisch ihr Benennungsergebnis mitteilen.
Überdies verfüge sie über einen Anordnungsanspruch auf Auskunft und Akteneinsicht. Außerhalb des Anwendungsbereichs des § 29 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) sowie der jeweiligen Informationsfreiheitsgesetze der Länder bestehe auch für im jeweiligen Verwaltungsverfahren unbeteiligte Personen ein Akteneinsichtsrecht nach Ermessen der aktenführenden Behörde, sofern ein berechtigtes Interesse bestehe. Das berechtigte Interesse könne zu einer Ermessensreduzierung auf null führen, wenn dies zur sachgerechten Wahrnehmung von Rechten, insbesondere Grundrechten, erforderlich sei. So liege es in ihrem Falle. Der Verwaltungsvorgang zur Benennung des Verwaltungsratsmitglieds sei entscheidungserheblich, weil bei fehlerhafter Einrichtung des Verwaltungsrats auch die Aufgabenkommission (§ 7g Abs. 4 BNotO) fehlerhaft bestellt worden wäre, womit auch die in Frage stehende Klausuraufgabe F 20-59 wegfiele. Da sie, die Antragstellerin, in der Folgekampagne die Klausur dieses Teilfachs schon bestanden habe, dürfte wegen des in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Grundsatzes der schonendsten Fehlerbeseitigung im Prüfungsrecht diese Klausur an die Stelle der zu annullierenden Klausur einrücken, womit sie den schriftlichen Prüfungsteil bestanden hätte.
Die gegen diesen Anspruch vorgetragenen Argumente des Antragsgegners träfen nicht zu. Die von einem fehlerhaft gebildeten Organ abgeleiteten Gremien seien ebenso rechtswidrig wie die (Prüfungs-)Entscheidungen, welche diese Gremien träfen. Dieser Grundsatz träfe auch im streitgegenständlichen Fall zu. Es lasse sich nicht ausschließen, dass bei der Beteiligung eines rechtmäßig zusammengesetzten Verwaltungsrats ein besseres Prüfungsergebnis erreicht worden wäre, etwa weil die von ihm bestellte Aufgabenkommission eine andere Prüfungsaufgabe zugeteilt hätte. Dem Verwaltungsrat komme über die Mitbestimmung der Aufgabenkommissionsmitglieder nämlich eine nicht unerhebliche mittelbare Steuerungsfunktion zu, was sich auch daran zeige, dass die gesetzliche Regelung in § 7g Abs. 4 S. 4 BNotO ein Einvernehmen erfordere. Hierin zeige sich aus Sicht des Normgebers die Erforderlichkeit breiter Abgewogenheit, um im Ergebnis zu sachgerechten Prüfungsentscheidungen zu gelangen.
Überdies existiere kein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dem zufolge etwaige Ernennungs- und Besetzungsfehler die Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit der Entscheidungen des fehlerhaft zusammengesetzten Organs nicht berührten. Das Gegenteil sei der Fall. Rechtswidrige Staatsakte seien grundsätzlich nichtig. Unbeachtlich sei die fehlerhafte Zusammensetzung eines Gremiums nur dann, sofern eine spezialgesetzliche Erhaltungs- bzw. Unbeachtlichkeitsklausel existiere, welche vorsehe, dass die rechtlich fehlerhafte Besetzung eines Gremiums weder Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit der durch das Gremium getroffenen Beschlüsse habe, noch zur Fehlerhaftigkeit nachfolgender Verwaltungsakte führe, welche auf Grundlage dieser Beschlüsse erlassen würden – etwa die Einrichtung einer Prüfungskommission. Nur der Gesetzgeber könne nämlich die Verfassungsaufträge zur Herstellung von Rechtssicherheit und zur Gesetzmäßigkeit der Verwaltung abwägen. An einer derartigen spezialgesetzlichen Regelung fehle es jedoch im streitgegenständlichen Fall. Hier bleibe es beim Normalfall, der Nichtigkeit.
Selbst wenn man nach Maßgabe dieser Argumentation zu dem Ergebnis gelange, dass das gesamte in Rede stehende schriftliche Prüfungsverfahren rechtswidrig wäre, also auch in Ansehung derjenigen Klausuren, welche die Antragstellerin bestanden habe, wäre der beim Kammergericht angefochtene Bescheid über das Nichtbestehen der notariellen Fachprüfung rechtswidrig. Im Übrigen, so die Antragstellerin, dürfte das gesamte Prüfungsverfahren allerdings nicht noch einmal aufzurollen sein, da sie auf Verfahrensrügen verzichten könne. Des Weiteren lasse sich das Auskunftsgesuch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Ausforschungsbeweises ablehnen. Ohne die begehrte Auskunft bzw. Akteneinsicht würde sie schlechthin rechtsschutzlos gestellt im Hinblick auf ihr Begehren, ggf. eine fehlerhafte Bestellung der Aufgabenkommission durch einen fehlerhaft eingerichteten Verwaltungsrat zu rügen. Ferner sei die begehrte Auskunft auch in materieller Hinsicht vom (prüfungsrechtlichen) Auskunftsanspruch erfasst, denn dieser erstrecke sich auch auf allgemeine Sach- bzw. Generalakten, etwa mit Vorgaben zur Prüferauswahl.
Schließlich ist die Antragstellerin der Ansicht, ihr stünde auch ein Anordnungsgrund zur Seite, weil ihr das Abwarten der Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar sei. Insbesondere habe sie das Verfahren nicht unnötig verzögert. Bereits am 12. Juni 2018 habe sie sich mit ihrem Auskunftsgesuch an den Antragsgegner gewandt; erst am 26. Juni 2018 habe das Kammergericht die Beiziehung der Verwaltungsvorgänge des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz per unanfechtbarem Beschluss abgelehnt. Überdies benötige sie die Auskunft für das anhängige Klageverfahren beim Kammergericht. Auf eine mögliche spätere Geltendmachung im Berufungszulassungsverfahren beim Bundesgerichtshof könne sie, die Antragstellerin, nicht verwiesen werden, weil dies zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung führen würde, vor allem aber, weil sie Erkenntnisse aus dem hiesigen Hauptsacheverfahren ggf. überhaupt nicht mehr im dortigen Berufungszulassungsverfahren geltend machen könne, denn die Begründungsfrist des Antrags auf Zulassung der Berufung lasse sich nicht verlängern (§ 124a Abs. 4 S. 4 VwGO in Verbindung mit § 111d S. 2 BNotO). Im Übrigen müsse sie sich im Falle des Obsiegens vor dem Kammergericht noch einer mündlichen Prüfung unterziehen, für die sie ihr Prüfungswissen laufend aktuell halten müsse. Selbst wenn das Kammergericht mit seiner Entscheidung bis zur Entscheidung des hiesigen Klageverfahrens abwarte, was nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet sei, würden sich zwei Hauptsacheverfahren summieren. Derart lange ihr Prüfungswissen auf dem aktuellen Stand halten zu müssen, sei für sie unzumutbar.
Eine Vorwegnahme der Hauptsache sei nach alledem ebenfalls zulässig, weil die Antragstellerin ohne Erlass der Regelungsanordnung schweren und unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, im Falle einer schnellen Entscheidung des Kammergerichts sogar solchen irreparabler Art. Für den Antragsgegner gelte dies nicht. Es sei nicht ersichtlich, welche irreversiblen Schäden er davontrüge, sofern die Antragstellerin Akteneinsicht erhalte.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin zum Verfahren der Benennung der Verwaltungsratsmitglieder des Prüfungsamts für die notarielle Fachprüfung bei der Bundesnotarkammer im Hinblick darauf Auskunft zu geben und Akteneinsicht zu gewähren, durch wen, in welchem Verfahren (Einvernehmlichkeit) und auf welcher (binnenorganisations-)rechtlichen Grundlage für das Land Niedersachsen die Verwaltungsratsmitglieder benannt worden sind.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
In Abweichung vom gerichtlichen Antrag, so der Antragsgegner, habe die Antragstellerin mit Schreiben vom 12. Juni 2018 bei ihr die Auskunft zur Benennung „des Verwaltungsratsmitglieds“ beantragt, ohne Akteneinsicht oder Aktenbeiziehung zu begehren. Als Anlage habe sie eine Ablichtung des Hinweises des Kammergerichts an die Antragstellerin vom 1. Februar 2018 beigefügt. Den Übrigen von der Antragstellerin vorgetragenen Sachverhalt könne er nur mit Nichtwissen bestreiten.
Der von der Antragstellerin geltend gemachte Auskunftsanspruch bestehe nicht. Sie könne sich nicht auf § 29 VwVfG stützen, da die Akteneinsicht nur für Beteiligte des Verwaltungsverfahrens im Sinne der §§ 9, 13 VwVfG gelte. Ein derartiges Rechtsverhältnis bestehe zwischen den Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits jedoch nicht. Auch das zwischen der Antragstellerin und dem Prüfungsamt bei der Bundesnotarkammer bestehende Verwaltungsrechtsverhältnis vermittle ersterer keinen derartigen Anspruch gegen den Antragsgegner aus § 29 VwVfG. Unter Akten seien nämlich nur solche zu verstehen, die bei der das jeweilige Prüfungsverfahren leitenden Behörde geführt würden, einschließlich der dortigen Sach- und Generalakten. Die Norm vermittle keinen weitergehenden Anspruch auf Einsichtnahme in Verwaltungsvorgänge, die bei einem Dritten angelegt worden seien.
Die Antragstellerin könne die begehrte Auskunft- bzw. Akteneinsicht auch nicht nach Maßgabe des allgemeinen Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Bescheidung über ein Akteneinsichtsgesuch verlangen. Eine Ermessensreduktion auf null liege nicht vor. Wie bereits im streitgegenständlichen Bescheid geltend gemacht, sei die Einrichtung bzw. Besetzung des Verwaltungsrats des Prüfungsamts für das Klausurergebnis der Antragstellerin unerheblich. Unter Berücksichtigung des im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatzes der Rechtssicherheit würden Widerruf oder Ungültigerklärung der Benennung der Mitglieder des Verwaltungsrats nur ex nunc wirken. Eine gesetzliche Erhaltungsvorschrift sei nicht erforderlich, denn diese diene allenfalls der Klarstellung. Nur bezüglich der Amtsträger oder Organe mit einem eigenen prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraum habe ein Kandidat einen Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Auswahl- und Besetzungsverfahren.
Dass die gegenteilige Auffassung der Antragstellerin unzutreffend sei, verdeutliche sich auch daran, dass sie, konsequent zu Ende gedacht, zu untragbaren Ergebnissen führen würde. Der (hypothetische) Verfahrensfehler würde sämtlichen Klausuren der schriftlichen Prüfungsleistung der ersten Prüfungskampagne der Antragstellerin anheften. Das Prüfungsamt für die notarielle Fachprüfung dürfte den Fehler in diesem Fall von Amts wegen zu berücksichtigen haben und infolgedessen sämtliche aus diesem Grund „misslungene“ Prüfungsleistungen der Antragstellerin aberkennen. Innerhalb der dreijährigen Amtszeit des Verwaltungsrates, d.h. von Anfang 2013 bis Ende 2015 (§ 7i BNotO i.V.m. § 2 Abs. 2 S. 1, S. 2 NotFV), seien überdies sämtlich erteilte Prüfungsbescheide gemäß § 48 VwVfG zurückzunehmen. In der Folge hätten die Landesjustizverwaltungen der Länder mit Anwaltsnotariat die Ernennungen der aus dem betroffenen Personenkreis bestellten Notarinnen und Notare zurückzunehmen, da für diese nunmehr auch die gesetzlichen Ernennungsvoraussetzungen nicht länger vorlägen (§ 6 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BNotO).
Des Weiteren fehle es an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin habe selbst die Dringlichkeit widerlegt, weil sie bereits Anfang 2018 einen Hinweis des Kammergerichts zur Notwendigkeit der weiteren Substantiierung ihrer Rügen erhalten habe, sich jedoch erst im Juni 2018 an den Antragsgegner mit ihrem Informationsersuchen wandte. Vor der befürchteten Überholung des verwaltungsrechtlichen Hauptsacheverfahrens sei die Antragstellerin auch deshalb geschützt, weil das Kammergericht am 26. Juni 2018 beschlossen habe, einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung erst anzuberaumen, wenn die Antragstellerin mitgeteilt habe, sie habe die beantragte Akteneinsicht vorgenommen.
Schließlich spreche gegen den Erlass der einstweiligen Anordnung mit dem beantragten Inhalt, dass hierdurch die Hauptsacheentscheidung irreversibel vorweggenommen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Der Verwaltungsrechtsweg ist für die vorliegende Streitigkeit eröffnet (§ 40 Abs. 1 S. 1 HS 1 VwGO). Die abdrängende Sonderzuweisung an das Kammergericht gemäß § 111 Abs. 1 BNotO greift nicht ein, weil es sich beim streitgegenständlichen Rechtsstreit nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit „nach diesem Gesetz“ bzw. „einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung“ handelt, d.h. die Vornahme oder Aufhebung einer Amtshandlung nach der Bundesnotarordnung (BGH, Beschluss vom 26.10.2009 – NotZ 19/08, juris Rn. 12) oder der Notarfachprüfungsverordnung. Die Gewährung der beantragten Akteneinsicht erfolgt nämlich nicht akzessorisch zu einer Amtshandlung nach der Bundesnotarordnung, sondern durch eine nicht am Prüfungsverfahren beteiligte (Landes-) Behörde.
2.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 VwGO. Hiernach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
Der gegen das Land Niedersachsen gerichtete Antrag der Antragstellerin ist ausgehend von ihrem Rechtsschutzinteresse als Antrag gegen das Niedersächsische Justizministerium auszulegen (§ 88 Abs. 1, § 122 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 78 Abs. 1 Nr. 1 HS 2 VwGO analog). Richtiger Antragsgegner ist nach § 79 Abs. 2 Niedersächsisches Justizgesetz (NJG) nämlich nicht das Land Niedersachsen, sondern das niedersächsische Justizministerium als verfahrensbeteiligte Landesbehörde (§ 79 Abs. 1 NJG, § 61 Nr. 3 VwGO), welche den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Die Gewährung von Akteneinsicht stellt ausnahmsweise keinen Realakt dar, sondern einen Verwaltungsakt, sofern ihr – wie im vorliegenden Fall – eine regelnde (Ermessens-) Entscheidung im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG, § 1 Abs. 1 Niedersächsisches Verwaltungsverfahrensgesetz (NVwVfG) vorausgeht, ob bestimmte sachliche Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.
Der Zulässigkeit des Antrags steht die Bestimmung des § 44a VwGO nicht entgegen. Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44 a VwGO sind nur solche der verfahrensleitenden Behörde zurechenbaren Maßnahmen, die innerhalb eines begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens ergehen, auf Erlass einer verwaltungsgerichtlich nachprüfbaren Sachentscheidung gerichtet und deren Zustandekommen zu fördern geeignet sind, wobei deren Rechtmäßigkeitskontrolle im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die Sachentscheidung gewährleistet ist (Terhechte, in: Fehling/Kastner/Störmer (Hrsg.), Verwaltungsrecht, 4. Auflage 2016, § 44a VwGO, Rn. 11 m.w.N.). Obgleich die Gewährung von Akteneinsicht hiernach grundsätzlich als Verfahrenshandlung einzustufen ist (z.B. VG Karlsruhe, Beschluss vom 08.12.2014 - 1 K 3388/14, BeckRS 2015, 40569, LS), gilt im vorliegenden Fall etwas Anderes, weil die Verweigerung der Akteneinsicht durch den Antragsgegner keine dem Prüfungsamt für die notarielle Fachprüfung bei der Bundesnotarkammer zurechenbare Maßnahme des Prüfungsverfahrensrechts darstellt. Im Übrigen wäre die Regelung des § 44a S. 1 VwGO jedenfalls unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. auch § 44a S. 2 VwGO) im vorliegenden Fall verfassungskonform teleologisch zu reduzieren. Der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung von Verfahrenshandlungen darf nämlich für die Rechtsuchenden nicht zu unzumutbaren Nachteilen führen, die in einem späteren Prozess nicht mehr vollständig zu beseitigen sind (BVerfG, Beschluss vom 24.10.1990 - 1 BvR 1028/90, NJW 1991, S. 415 (416) betr. Akteneinsicht). Je weiter die Darlegungspflichten des Prüfungsteilnehmers ausgedehnt werden, umso umfangreicher müssen auch seine Einsichtsrechte in die im Zuge des Prüfungsverfahrens angelegten Akten sein, und zwar bereits bevor das für die Überprüfung der Prüfungsentscheidung zuständige Gericht (§ 111 BNotO) mit der Sache befasst wird (vgl. Steike, NVwZ 2001, S. 868 (869)).
Schließlich besitzt die Antragstellerin auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Der vom Antragsgegner angesprochene Umstand, dass sich ihr ursprünglicher Auskunftsantrag aus Juni 2018 und ihr nachfolgender Antrag im gerichtlichen Verfahren nicht vollumfänglich inhaltlich decken, führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Zwar kann das Bedürfnis zur Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes fehlen, sofern der Antragsteller vor Beantragung der einstweiligen Anordnung keinen entsprechenden Antrag bei der Behörde stellt, doch gilt dieses nicht, wenn diese im gerichtlichen Verfahren unmissverständlich zu erkennen gibt, dem Antrag nicht entsprechen zu werden. In diesem Fall wäre ein vorangegangener Antrag bloße Förmelei. So liegt es hier.
3.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist indessen nicht begründet.
Dabei kann sich die Antragstellerin zunächst noch auf einen Anordnungsgrund berufen (§ 123 Abs. 1 S. 2 HS 2, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 936, § 294 Abs. 1 ZPO), denn sie hat glaubhaft machen können, dass die beantragte Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Dieses gilt auch dann, wenn man unterstellt, dass das Kammergericht mit seiner Entscheidung in jedem Fall abwartet, bis die Entscheidung über die Akteneinsicht im hiesigen (Hauptsache-)Verfahren rechtsverbindlich geklärt wurde. Begehrt ein Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutz die vorläufige Wiederholung einer Prüfung, so kommt im Hinblick auf die Verwirklichung der Grundrechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein Anordnungsgrund dann in Betracht, wenn die Gefahr des Verlustes speziellen Prüfungswissens droht oder der Beginn der Berufstätigkeit auf ungewisse Zeit hinausgeschoben würde (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 17.11.2010 – 2 ME 329/10 -, n.v., S. 4; Beschluss vom 22.08.2007 - 2 ME 586/07 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18.3.2010 - 15 L 271/10 -, juris; jeweils m.w.N; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 1423; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 908). Es kann dem Prüfling regelmäßig nicht zugemutet werden, auf unabsehbare Zeit, nämlich bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, bereits erarbeitetes Prüfungswissen auf dem aktuellen Stand zu halten (BVerfG, Beschluss vom 25.07.1996 - 1 BvR 638.96 - NVwZ 1997, S. 479, Beschluss vom 12.03.1999 - 1 BvR 355.99 - NVwZ 1999, S. 866). Dieses gilt jedenfalls dann, wenn der Antragsteller nicht binnen einer Frist von sechs Monaten eine Wiederholungsprüfung ablegen kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 5.1.1995 – 22 B 14/95 -, juris; OVG B-Stadt-Brandenburg, Beschl. v. 29.1.2010 – OVG 10 M 13.09 -, juris Rn. 4; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 1424 m.w.N.), weil die Prüfungsbehörde die Prüfung für endgültig nicht bestanden erklärt hat. Diese für die Prüfungsanfechtung entwickelten Grundsätze gelten auch für die hier in Rede stehende Gewährung von Akteneinsicht bei einer mittelbar am Prüfungsverfahren beteiligten Behörde, welche eine Prüfungsanfechtung überhaupt vorbereiten soll; dies umso mehr, als sich die Verfahrenszeiten beider Hauptsacheverfahren andernfalls zumindest teilweise addieren würden.
Die Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung hat die Antragstellerin auch nicht etwa durch zu langes Zuwarten bis zur Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes selbst widerlegt, denn das für die Prüfungsanfechtung zuständige Kammergericht hat die Beiziehung der Akten des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz erst am 26. Juni 2018 per unanfechtbarem Beschluss abgelehnt.
Der Erlass der einstweiligen Anordnung mit dem beantragten Inhalt scheidet jedoch aus, weil die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht hat glaubhaft machen können.
Ein Anspruch auf Akteneinsicht bzw. Auskunft gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 i.V.m. §§ 13 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG scheidet aus, weil zwischen den Beteiligten kein originäres Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 VwVfG besteht, in dessen Rahmen die Akteinsicht als begleitende behördliche Verfahrenshandlung erfolgen soll.
Die Antragstellerin verfügt des Weiteren auch nicht über einen Anspruch auf Akteneinsicht aus sonstigen Rechtsgrundlagen.
In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob die Rechtsgrundlage für das streitgegenständliche Akteneinsichtsbegehren der bereits vor der Einführung des 29 VwVfG gewohnheitsrechtlich anerkannte Anspruch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung über ein Akteneinsichtsgesuch ist, der voraussetzt, dass der Antragsteller ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen kann (BT-Drucks. 7/910, S. 52, 101; Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 29 VwVfG, Rn. 18; d.h. jedes nach vernünftigen Erwägungen durch die Sachlage gerechtfertigte schutzwürdige Interesse (grund-)rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art (Kallerhoff/Mayen, a.a.O., § 29 VwVfG, Rn. 18a).
Alternativ ist in der jüngeren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zu Recht auch ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Akteneinsicht anerkannt, demzufolge die aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und dem Prozessgrundrecht (Art. 19 Abs. 4 GG) ableitbaren Vorwirkungen auf das behördliche Verfahren und dessen Gestaltung es im Einzelfall rechtfertigen können, einen Auskunfts- und Informationsanspruch auch für den Zeitraum eines Vor-Verwaltungsverfahrens anzuerkennen, d.h. unabhängig von einer verwaltungsverfahrensrechtlichen Beteiligtenstellung (BVerwG, Urteil vom 02.07.2003 – 3 C 46/02, NJW 2003, S. 2696 (2697)). Hierfür ist entscheidend, ob eine begehrte und einer Behörde mögliche Auskunfts- bzw. Informationserteilung zum Schutz des grundrechtlich gesicherten Freiheitsraums des jeweiligen Grundrechtsträgers unerlässlich ist (BVerwG, a.a.O., S. 2697). Denn die Freiheitsgrundrechte können in ihrer Funktion als Schutz- oder Leistungsrechte den Staat auch dazu verpflichten, die Ausübung individueller realer Freiheit durch die Erbringung materieller Leistungen zu unterstützen (Remmert, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand: Januar 2019, Art. 19 Abs. 2 GG, Rn. 45). Die Grenzen eines derartigen verfassungsunmittelbaren Anspruchs ergeben sich zum einen daraus, dass unter dem Gesichtspunkt eines berechtigten schutzwürdigen Interesses nur solche Informationen erfasst sind, über die eine Behörde befugtermaßen und in dem Sinne ausschließlich verfügt, dass der Anspruchsteller sie sich nicht mit zumutbaren Anstrengungen auf anderweitige Weise verschaffen kann. Zum anderen darf die Preisgabe nicht die berechtigten Interessen anderer in unvertretbarer Weise beeinträchtigen (BVerwG, a.a.O., S. 2698).
Welche dieser beiden Anspruchsgrundlagen im vorliegenden Fall eingreift, kann offenbleiben, da die Anspruchsprüfung im Kern nach den identischen Kriterien erfolgt, indem sie jeweils darauf abstellt, ob sich aufgrund der Berührung berechtigter bzw. grundrechtlicher Interessen der Antragstellerin eine Verpflichtung des Antragsgegners ergibt, ihr die geforderten Informationen bereitzustellen bzw. Akteneinsicht zu gewähren. Mit diesem Befund korrespondierend kann sich die Antragstellerin auf tatbestandlicher Ebene sowohl auf ein berechtigtes Interesse als auch auf grundrechtliche Leistungs- bzw. Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 GG berufen, weil die beim Antragsgegner beantragte Akteneinsicht der Vorbereitung einer Rüge im Prüfungsanfechtungsverfahren gegenüber einer Prüfungsbehörde dient, die diesbezüglich keine eigenen Akten unterhält.
Ein Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung von Akteneinsicht scheidet nach Auffassung der Kammer allerdings auf der Rechtsfolgenseite aus.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Ermessensreduktion auf null nur dann vorliegt, wenn sich bei Abwägung des berechtigten Interesses an der Akteneinsicht mit entgegenstehenden öffentlichen und ggf. privaten Interessen an der Geheimhaltung jede andere Entscheidung als die Gewährung der Akteneinsicht als unvertretbar und damit rechtswidrig darstellt (vgl. Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 VwVfG, Rn. 10a). Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn der Antragsteller auf Informationen aus den Akten angewiesen ist, um über die Einlegung eines Rechtsmittels sachgerecht entscheiden zu können (Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 29 VwVfG, Rn. 18b). Gleichermaßen besteht ein aus grundrechtlichen Schutz- und Leistungspflichten folgender Anspruch auf Einsicht in die Akten betreffend die Bestellung des Verwaltungsratsmitglieds der niedersächsischen Landesjustizverwaltung (als nicht unmittelbar am Prüfungsverfahren beteiligter Behörde) nur dann, wenn andernfalls eine völlig unzureichende Ausgestaltung des Akteneinsichtsrechts der Antragstellerin vorläge, die sie davon abhielte, eine rechtlich vertretbare Rüge im Prüfungsverfahren geltend zu machen. In Rechtsprechung und Literatur ist nämlich anerkannt, dass der Staat bei der Erfüllung grundrechtlicher Leistungs- und Schutzpflichten über einen weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum verfügt und hiermit korrespondierend keinen optimalen Maximalschutz schuldet, sondern nur einen angemessenen und wirksamen Minimalschutz (Epping, Grundrechte, 6. Auflage 2015, Rn. 127 m.w.N.). Angesichts der den zuständigen staatlichen Stellen eingeräumten weiten Gestaltungsfreiheit bei der Erfüllung der Schutzpflichten ist nur dann korrigierend einzugreifen, wenn die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutz des Grundrechts trifft, die völlig ungeeignet oder völlig unzulänglich sind (Lang, in: BeckOK GG, hrsgg. v. Epping/Hillgruber, Stand: Februar 2019, Art. 2 GG, Rn. 77 m.w.N.; sog. Evidenzkriterium). Ungeachtet der abdrängenden Sonderzuweisung des § 111 BNotO kann die Kammer dabei auch prüfungsspezifische Erwägungen in die gerichtliche Überprüfung der Ablehnung der Akteneinsicht einfließen lassen, weil das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GvG) unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat.
Auf Basis dieses rechtlichen Prüfungsmaßstabs ist ein Akteneinsichtsanspruch der Antragstellerin zu verneinen, weil die Versagung der begehrten Auskünfte die Antragstellerin nicht an der Erhebung einer sachlich vertretbaren Rüge im Prüfungsanfechtungsverfahren hindert. Die Antragstellerin kann die Rechtswidrigkeit des vor dem Kammergericht angefochtenen Bescheides über das Nichtbestehen der notariellen Fachprüfung ersichtlich nicht mit der (mutmaßlich) rechtswidrigen Benennung des Verwaltungsratsmitglieds des Landes Niedersachsen beim Prüfungsamt für die notarielle Fachprüfung begründen.
Nach Auffassung der Kammer spricht bereits vieles dafür, dass die unterstellte Rechtswidrigkeit der Benennung des Verwaltungsratsmitglieds nicht zur Nichtigkeit des Benennungsaktes und damit auch nicht zur Nichtigkeit der Bestellung der Prüfungskommission führte, welche die Klausuraufgaben im ersten Prüfungsdurchgang der Antragstellerin erstellte. Die Benennung des Verwaltungsratsmitglieds stellt nämlich einen auch im Falle seiner Rechtswidrigkeit grundsätzlich wirksamen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG dar, weil sie subjektiv-öffentliche Rechte des Betroffenen regelt, indem sie ihm ein öffentliches Ehrenamt überträgt, aus dem sich u.a. behördliche Aufsichtsbefugnisse (§ 2 Abs. 1 NotFV) und Entschädigungsansprüche (§ 2 Abs. 5 S. 2 NotFV) ergeben. Vor diesem Hintergrund kann die von den Beteiligten aufgeworfene grundsätzliche Rechtsfrage dahinstehen, ob ein allgemeiner Grundsatz existiert, wonach es die rechtliche Wirksamkeit staatlicher Rechtsakte nicht berühren soll, wenn die Wirksamkeit der Bestellung des handelnden Staatsorgans in Frage gestellt ist, solange diese Bestellung nicht in dem hierfür vorgesehenen Verfahren widerrufen oder für ungültig erklärt worden ist, wobei der Widerruf oder die Ungültigkeiterklärung der Bestellung auch in diesem Fall nur ex nunc wirke (so: VG Karlsruhe, Urteil vom 04.03.2013 – 7 K 3335/11, juris Rn. 40 f. m.w.N.).
Die Frage, ob die unterstellte Rechtswidrigkeit der Benennung des Verwaltungsratsmitglieds des Landes Niedersachsen Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit oder Wirksamkeit der Bestellung der Prüfungskommission hat, kann im Übrigen aber dahinstehen. Die organisationsrechtliche Vorschrift des § 7g Abs. 5 S. 1 bis 3 BNotO stellt nämlich keine individualschützende Bestimmung dar. Sie vermittelt der Antragstellerin mit anderen Worten kein subjektiv-öffentliches Recht, auf dessen Verletzung sie einen Anspruch im Verfahren der Prüfungsanfechtung stützen könnte, ein mittelbar daraus resultierendes, außenwirksames Verwaltungshandeln aufzuheben.
Eine Norm vermittelt dann ein subjektives öffentliches Recht, wenn sie nicht lediglich öffentlichen Interessen dient, sondern anhand individualisierender Tatbestandsmerkmale einen geschützten Personenkreis erkennen lässt, der von der Allgemeinheit unterschieden und abgegrenzt werden kann, also die betreffende Rechtsposition dazu geeignet und bestimmt ist, neben den Interessen der Allgemeinheit zumindest auch die des Einzelnen zu schützen (sog. Schutznormtheorie). Mit Blick auf die Aufgabenvielfalt des Verfahrensrechts ist dabei anerkannt, dass der erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Verfahrensfehler und klägerischer Rechtsverletzung nur dann besteht, wenn im Gefüge der Verfahrenshandlungen gerade die einschlägige Verfahrensbestimmung eine Schutzaufgabe für die materiell-rechtliche Position des Klägers hat (VGH Mannheim, Beschluss vom 03.02.2014 – 9 S 885/13, juris Rn. 34). Bei Bestimmungen über die Besetzung von Prüfungsausschüssen, welche unmittelbare Prüfungsentscheidungen gegenüber den Kandidaten treffen, ist dies zu bejahen, weil die lediglich gerichtlich eingeschränkt überprüfbare prüfungsspezifische Wertung der Leistung im Zusammenwirken der Prüfungsausschussmitglieder erfolgt und diese sich in der Beratung gegenseitig beeinflussen und kontrollieren sollen. Ein unzulässiger Einfluss auf diese Wertungen und damit auf das Recht des Kandidaten auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt dann vor, wenn jemand auf das Ergebnis von Wertungen Einfluss nimmt, der dem Prüfungsausschuss nach den vorgegebenen Regelungen nicht angehören soll (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 25.07.1994 – 3 L 585/92, juris Rn. 6).
Die Regelung des § 7g Abs. 5 S. 1 bis 3 BNotO weist einen derartigen drittschützenden Gehalt demgegenüber nicht auf, weil die Benennung des Verwaltungsratsmitglieds im Vorfeld der abschließenden Verwaltungsentscheidung im Prüfungsverfahren liegt, wobei der Verwaltungsrat keinen unmittelbaren Einfluss auf prüfungsspezifische Wertungen nimmt. Anders als die im Prüfungsverfahren in der mündlichen und schriftlichen Prüfung eingesetzten Prüfer (§ 7g BNotO, §§ 4, 12 Abs. 1, 14 NotFV) trifft der Verwaltungsrat nicht Entscheidungen mit unmittelbarer Wirkung gegenüber den Prüfungskandidaten. Diese Vorstellung von der Rolle des Verwaltungsrats hat sich auch in den Regelungen des § 7g Abs. 5 S.1 bis 3 BNotO niedergeschlagen, welche – anders als bei den Prüfern (Abs. 6) und bei der Aufgabenkommission (Abs. 4 S. 3) – keine Anforderungen an die Qualifikationen der Verwaltungsratsmitglieder stellen. Hierin kommt die Erwartung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass das Handeln des Verwaltungsrats keinen unmittelbaren Einfluss auf die Rechtsposition der Prüfungskandidaten zeitigt. Ihm obliegt vielmehr die Fachaufsicht gegenüber der Leitung und der Aufgabenkommission des Prüfungsamtes hinsichtlich der Amtsführung bzw. Aufgabenerledigung im Ganzen, wobei er berechtigt ist, den unter seiner Fachaufsicht stehenden Personen und Einrichtungen Weisungen im Einzelfall zu erteilen (§ 2 Abs. 1 NotFV), etwa, eine bestimmte Prüfungsaufgabe ganz oder teilweise nicht für Prüfungszwecke zu verwenden (Schäfer, in: Schippel/Bracker, BNotO, 9. Auflage 2011, § 7g, Rn. 6). Auch insofern ist jedoch anerkannt, dass die Tätigkeit von Rechts- und Fachaufsichtsbehörden grundsätzlich nicht im Interesse des hiervon u.U. mittelbar betroffenen Einzelnen erfolgt, sondern im öffentlichen Interesse (siehe z.B. für kommunale Rechtsaufsicht: OVG Bbg, Beschluss vom 25.04.1995 – 1 A 24/94; Rn. 24 ff.; für hochschulinterne oder staatliche Rechtsaufsicht: OVG Hamburg, Beschluss vom 03.03.1997 – Bf III 16/95, juris Rn. 56 ff. m.w.N.). Ein Prüfungskandidat wird durch dieses Auslegungsergebnis zu § 7g Abs. 5 S.1 bis 3 BNotO auch nicht rechtsschutzlos gestellt, da er auch Entscheidungen der Aufgabenkommission, denen eine (rechtswidrige) Weisung des Verwaltungsrates zugrunde liegt, etwa die fehlerhafte Auswahl einer Aufgabe, mit der Klage gegen den Prüfungsbescheid anfechten kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 S. 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 2 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 S. 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, S. 11).