Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 28.03.2003, Az.: 2 B 13/03
aufschiebende Wirkung; Entziehung der Fahrerlaubnis; Ermessen; Fahreignung; Fahren ohne Fahrerlaubnis; Fahrerlaubnis; Punktesystem; schriftliche Verwarnung; sofortige Vollziehbarkeit; Verkehrsverstoß; Verkehrszuwiderhandlung; Widerspruch
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 28.03.2003
- Aktenzeichen
- 2 B 13/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 47983
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 40 Anl 13 FeV
- § 4 Abs 2 StVG
- § 4 Abs 3 S 1 Nr 2 StVG
- § 4 Abs 3 S 1 Nr 3 StVG
- § 4 Abs 7 StVG
- § 6 Abs 1 StVG
- § 15b StVZO
- § 80 Abs 5 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Fahrerlaubnisbehörde darf dem Inhaber einer Fahrerlaubnis, für den im Verkehrszentralregister 18 oder mehr Punkte eingetragen sind und der innerhalb der letzten 5 Jahre bereits an einem Aufbauseminar teilgenommen hat, die Fahrerlaubnis entziehen, wenn sie ihn zuvor gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Sätze 2 und 3 StVG schriftlich verwarnt hat.
2. Einer entsprechenden Verwarnung bedarf es auch dann, wenn im Zeitpunkt der Verwarnung tatsächlich bereits 18 oder mehr Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen waren und die Behörde den Inhaber der Fahrerlaubnis - in Übereinstimmung mit der bis zum 31.12.1998 geltenden, einen solchen Hinweis nicht vorsehenden Rechtslage (§ 3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu 15 b StVZO a.F.) - in der Vergangenheit noch nicht darauf hingewiesen hatte, dass bei einem derartigen Punktestand die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen sei. Eine sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis kommt in derartigen "Übergangsfällen" nicht in Betracht.
Gründe
I.
Der Antragsteller war seit dem Jahre 1977 im Besitz der Fahrerlaubnis der (früheren) Klassen 1 und 3, die im April 2000 auf die neuen Klassen A und CE umgestellt wurde. Seit Mitte/Ende der 80er Jahre wurde der Antragsteller wiederholt verkehrsauffällig. So wurde er u.a. (zuletzt) zwischen November 1997 und Oktober 2001 wegen verschiedener Verkehrsverstöße (in der Mehrzahl Geschwindigkeitsüberschreitungen), die insgesamt mit 29 Punkten bewertet wurden, von den zuständigen Straßenverkehrsbehörden insgesamt neunmal - jeweils rechtskräftig - mit Geldbußen, in fünf Fällen zusätzlich mit einem Fahrverbot belegt; darüber hinaus wurde er im Oktober 2000 vom Amtsgericht D. wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis rechtskräftig zu einer Geldstraße verurteilt. Am 27.08.1998 wurde der Antragsteller bei einem Punktestand von seinerzeit 10 Punkten vom Antragsgegner schriftlich verwarnt; in der Zeit vom 11.-25.02.2000 nahm er sodann, nachdem zwischenzeitlich 13 Punkte erreicht worden waren, freiwillig an einem Aufbauseminar für Mehrfachtäter teil und erwirkte dadurch einen Abzug von zwei Punkten. Am 15.01.2001 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt dem Antragsgegner mit, dass die derzeit im Verkehrszentralregister eingetragenen Verkehrszuwiderhandlungen des Antragstellers mit insgesamt 28 Punkten zu bewerten seien. Im Hinblick darauf teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit Schreiben vom 02.02.2001 (zugestellt per Postzustellungsurkunde am 06.02.2001) den aktuellen Punktestand mit, verwarnte ihn letztmalig und empfahl ihm die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung; gleichzeitig wies er darauf hin, dass er die Fahrerlaubnis entziehen müsse, wenn der Antragsteller nach Zustellung dieses Schreibens weitere Verkehrszuwiderhandlungen begehen und die Auswertung aller im Verkehrszentralregister eingetragenen Verkehrszuwiderhandlungen 18 Punkte oder mehr ergeben sollte.
Nachdem der Antragsteller in der Folgezeit erneut - wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und Überholen im Überholverbot - verkehrsauffällig geworden und der im Verkehrszentralregister eingetragene Punktestand ausweislich einer entsprechenden Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 28.11.2002 zwischenzeitlich auf 29 Punkte angewachsen war, entzog ihm der Antragsgegner mit Verfügung vom 03.01.2003 die Fahrerlaubnis. Zur Begründung führte er aus, dass Kraftfahrer, für die 18 oder mehr Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen seien, regelmäßig als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen seien und ihnen deshalb die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt, weil im Verkehrszentralregister Verkehrszuwiderhandlungen des Antragstellers eingetragen seien, die mittlerweile mit insgesamt 29 Punkten (bzw. nach Abzug von zwei Punkten infolge der früheren Teilnahme an einem Aufbauseminar mit 27 Punkten) zu bewerten seien.
Der Antragsteller hat hiergegen Widerspruch erhoben und um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er ist der Auffassung, dass in Fällen der vorliegenden Art eine Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann in Betracht komme, wenn wegen bestimmter Verkehrszuwiderhandlungen 18 Punkte oder mehr im Verkehrszentralregister eingetragen seien und der Betroffene darauf sowie auf die daraus resultierenden Rechtsfolgen rechtzeitig vorher, d.h. bei einem Stand von maximal 17 Punkten, hingewiesen worden sei. An Letzterem fehle es hier, weil er sich nicht daran erinnern könne, dass ihm die vom Antragsgegner angesprochene schriftliche Verwarnung vom 02.02.2001 tatsächlich zugegangen sei. Abgesehen davon sei diese (vom Antragsgegner in seiner Antragserwiderung inhaltlich referierte) Verwarnung auch in der Sache nicht nachvollziehbar, weil es objektiv keinen Sinn gemacht habe, ihn (den Antragsteller) darauf hinzuweisen, dass ihm bei Erreichen von 18 Punkten oder mehr die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse, obwohl zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich bereits 26 Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen gewesen seien. Insoweit hätte der Antragsgegner die Fahrerlaubnis allenfalls bereits zu einem früheren Zeitpunkt entziehen können; für eine (nochmalige) Verwarnung sei dagegen kein Raum mehr gewesen. Angesichts dessen sei er so zu stellen, als ob sein Punktestand maximal 17 Punkte betrage, so dass eine Entziehung der Fahrerlaubnis zum jetzigen Zeitpunkt nicht in Betracht komme.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehungsverfügung des Antragsgegners vom 03.01.2003 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt unter Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Antragstellers, den Antrag abzulehnen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Verwaltungsakt, die - wie hier - kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 7 Satz 2 StVG) entfällt, ganz oder teilweise anordnen. Bei dieser Entscheidung bedarf es einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers andererseits, bei der insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sind. Diese Interessenabwägung fällt hier zulasten des Antragstellers aus, weil keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entziehungsverfügung bestehen.
Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde - ohne dass ihr insoweit ein Ermessensspielraum eingeräumt ist - die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn deren Inhaber Verkehrsverstöße begangen hat, die in das Verkehrszentralregister einzutragen und nach dem sog. Punktsystem (§§ 4 Abs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. s) StVG i.V.m. § 40 FeV und der dazugehörigen Anlage 13) mit 18 oder mehr Punkten bewertet worden sind; in einem solchen Fall gilt der Inhaber der Fahrerlaubnis kraft Gesetzes als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, weil nach der - insoweit auch vom Antragsteller selbst der Sache nach nicht bestrittenen - Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 28.11.2002 für den Antragsteller (zum damaligen Zeitpunkt) insgesamt 29 Punkte (bzw. nach Abzug von zwei Punkten aufgrund der Teilnahme an einem Aufbauseminar im Jahr 2000 27 Punkte) im Verkehrszentralregister eingetragen waren.
Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er auf die Rechtsfolgen, die mit dem Erreichen eines Punktestandes von 18 oder mehr Punkten verbunden sind, vom Antragsgegner nicht bzw. nicht rechtzeitig hingewiesen worden sei. Es trifft zwar im Grundsatz zu, dass die Fahrerlaubnisbehörde, bevor sie die Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG entzieht, den Betroffenen bei Erreichen von 8-13 Punkten (zunächst) schriftlich zu verwarnen und (sodann) bei Erreichen von 14-17 Punkten zur Teilnahme an einem Aufbauseminar aufzufordern hat (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 u. 2 StVG); tut sie dies nicht, wird der Betroffene in den jeweiligen Verfahrensstadien so gestellt, als ob er lediglich neun bzw. 14 Punkte hätte (vgl. im Einzelnen § 4 Abs. 5 StVG). Die Möglichkeit/Verpflichtung, bei einem Punktestand von 14-17 Punkten die Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen, scheidet jedoch dann aus, wenn der Betroffene - wie dies hier beim Antragsteller der Fall war - innerhalb der letzten fünf Jahre bereits an einem solchen Seminar teilgenommen hat; in einem solchen Fall hat die Behörde den Betroffenen vielmehr (erneut) schriftlich zu verwarnen, ihn auf die Möglichkeit einer verkehrspsychologischen Beratung hinzuweisen und ihn darüber zu unterrichten, dass ihm bei Erreichen von 18 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen wird (§ 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Sätze 2 u. 3 StVG). Letzteres hat der Antragsgegner hier mit Schreiben vom 02.02.2001 getan, wobei dem Antragsteller diese Verwarnung ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs am 06.02.2001 durch Postzustellungsurkunde zugestellt - und zwar von dem Zusteller persönlich übergeben - worden ist; angesichts dessen und im Hinblick auf die mit dieser öffentlichen Urkunde verbundene (volle) Beweiskraft (vgl. §§ 182 Abs. 1, 415 Abs. 1, 418 Abs. 1 ZPO) reicht es daher nicht aus, wenn der Antragsteller nunmehr behauptet, „er könne sich nicht daran erinnern, dass ihm die fragliche Verwarnung des Antragsgegners zugegangen sei“. Auch der weitere Einwand des Antragstellers, die Verwarnung vom 02.02.2001 sei „objektiv widersinnig“ und damit im Ergebnis rechtlich unbeachtlich, weil zum damaligen Zeitpunkt bereits 28 Punkte (und damit erheblich mehr als die für die ihm angedrohte Rechtsfolge erforderliche Punktzahl) im Verkehrszentralregister eingetragen gewesen seien, ist nicht begründet. Denn die oben zitierte Vorschrift des § 4 StVG über das sog. Punktsystem und den abgestuften Maßnahmenkatalog der Behörde ist durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24.04.1998 (BGBl. I, S. 747) vollständig neu gefasst worden und erst am 01.01.1999 in Kraft getreten. Demgegenüber war nach der bis dahin geltenden Rechtslage ein (obligatorischer) Hinweis an den Betroffenen im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 StVG n.F., dass ihm bei Erreichen von 18 Punkten die Fahrerlaubnis entzogen werden müsse, nicht vorgesehen; insoweit bestand für die Behörde - bei Erreichen von 14 bzw. 18 Punkten - lediglich die Möglichkeit, zur Klärung der Frage der Befähigung und/oder Eignung des Betroffenen eine entsprechende Kenntnisprüfung oder eine medizinisch-psychologische Begutachtung anzuordnen und weitergehende Maßnahmen vom Ergebnis einer derartigen Prüfung/Begutachtung abhängig zu machen (vgl. § 3 Nr. 2 u. 4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu § 15 b StVZO a.F.). Angesichts dessen war der Antragsgegner entgegen der Auffassung des Antragstellers aus Rechtsgründen gehindert, dem Antragsteller - ungeachtet des zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bereits erreichten Punktestandes - die Fahrerlaubnis bereits im Februar 2001 zu entziehen, sondern war aufgrund der zwischenzeitlich geänderten Rechtslage gehalten, ihn gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Sätze 2 u. 3 StVG n.F. zunächst nochmals - unter gleichzeitigem Hinweis darauf, dass bei weiteren Verkehrszuwiderhandlungen bzw. einem Punktestand von (weiterhin) mehr als 18 Punkten die Fahrerlaubnis zu entziehen sei - schriftlich zu verwarnen.
Erweist sich die angefochtene Entziehungsverfügung demgemäß aller Voraussicht nach als rechtmäßig, so besteht nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch kein Anlass, den Antragsteller ausnahmsweise von den Folgen des - gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG als Regel vorgesehenen - Sofortvollzuges dieser Verfügung zu verschonen.