Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 07.03.2003, Az.: 2 B 17/03
Verpflichtung der Gefahrenabwehrbehörde zur Einweisung eines Obdachlosen in eine Obdachlosenunterkunft; Begriff des "Störers"
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 07.03.2003
- Aktenzeichen
- 2 B 17/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 26777
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOSNAB:2003:0307.2B17.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 96 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG
- § 2 Nr. 1 b SOG
- § 6 Abs. 1 Nds. SOG
Verfahrensgegenstand
Obdachlosenrecht
Prozessführer
Herr A..
Prozessgegner
Stadt B..
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Osnabrück - 2. Kammer -
am 7. März 2003
durch
den Vorsitzenden ...
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 4000 EUR festgesetzt.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht statthaft.
Tatbestand
Der Antragsteller begehrt im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm ab sofort eine Obdachlosenwohnung zuzuweisen.
Der Antragsteller hat bis zum 12.02.2003 im Bereich der Antragsgegnerin zur Untermiete gewohnt und war dort auch gemeldet. Die Abmeldung erfolgte ausweislich des entsprechenden Formulars der Antragsgegnerin am 27.02.2003 rückwirkend zu dem genannten Datum. Der Antragsteller wird bei der Antragsgegnerin unter der Anschrift "ohne festen Wohnsitz 999, C. B." geführt. Nach den Angaben der Antragsgegnerin hat er vom 13.06.2002 bis 31.03.2003 Leistungen der Sozialhilfe gemäß den Regelsätzen bezogen; ferner hat die Antragsgegnerin die Miete bis zum 28.02.2003 bezahlt. Nach den weiteren Angaben der Antragsgegnerin hat der Antragsteller bis zum 16.01.2003 gemeinnützige Arbeit geleistet.
Nach dem Vorbringen des Antragstellers hat dieser bei der Antragsgegnerin die Zuweisung einer Obdachlosenwohnung beantragt, was von deren Mitarbeitern am 27.02. und 03.03.2003 abgelehnt worden ist.
Er sucht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach und trägt vor: Er sei unverschuldet in eine Notlage geraten. Er habe zunächst eine Lehrstelle im Bereich der Antragsgegnerin gehabt, die er habe aufgeben müssen. Er sei kein Clochard, der ständig von Ort zu Ort ziehe. Vielmehr wolle er in B. bleiben, wo auch seine Sozialhilfe gezahlt werde. Die Argumentation der Antragsgegnerin, sie verfüge über keine Obdachlosenwohnungen, sei nicht stichhaltig. Wenn dem so sei, sei sie verpflichtet, entweder entsprechende Wohnungen selbst anzumieten, oder dafür zu sorgen, dass eine Nachbargemeinde einspringe. Es könne nicht angehen, dass er ständig bei Freunden und Bekannten übernachten müsse. Im Übrigen sei das auch tatsächlich nicht mehr möglich.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache in eine Obdachlosenwohnung einzuweisen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, dass die in ihrem Gemeindegebiet begonnene Lehre vom Antragsteller abgebrochen worden sei. Grund für die Kündigung der ursprünglich innegehabten Wohnung in ihrem Bereich sei die Androhung der Zwangsräumung gewesen. Diese wiederum habe nicht ihren Grund in etwaigen Mietrückständen - die Miete habe sie, die Antragsgegnerin, bezahlt - gehabt, sondern darin, dass die Wohnung übermäßig verwohnt worden sei. Als sie von der Androhung der Zwangsräumung gehört habe, habe sie den Antragsteller unverzüglich aufgefordert, sich intensiv um eine anderweitige Unterkunft zu bemühen. Schon in diesem Schreiben habe sie darauf hingewiesen, dass sie selbst nicht über Wohnungen verfüge, die zur Verfügung gestellt werden könnten und er auch nicht damit rechnen könne, in die bisherige Wohnung wieder eingewiesen zu werden. Die Ableistung gemeinnütziger Arbeit ab dem 16.01.2003 habe der Antragsteller mit der Begründung abgelehnt, dass er sich um seine Mutter in D. kümmern müsse und zeitweise auch dort sei. Sie, die Antragsgegnerin, sei bereit, die Kosten einer Fahrkarte nach D. zu übernehmen.
Gründe
Das Gericht entscheidet gemäß § 123 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 80 VwGO wegen der Dringlichkeit durch den Vorsitzenden.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach dem hier allein in Betracht kommenden § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
Hier scheitert der Erlass einer einstweiligen Anordnung an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
Obdachlosigkeit stellt jedenfalls dann, wenn sie nicht auf selbst verantwortlicher, rechtlich anzuerkennender freier Willensentscheidung beruht, und ungeachtet ihrer sozialen bzw. sozialhilferechtlichen Beurteilung auch eine ordnungsrechtlich relevante Gefahrenlage im Sinne der §§ 1 und 11 Nds. SOG dar. Denn sie gefährdet akut Grundrechte und grundrechtlich geschützte Lebensgüter des Obdachlosen, insbesondere dessen Gesundheit und Leben, aber auch sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, namentlich die Menschenwürde. Diese Rechte und Lebensgüter des einzelnen Obdachlosen, der sich nicht selbst helfen kann, gehören zugleich zu den Schutzgütern, deren Gefährdung und Verletzung die Polizei abzuwenden hat (vgl. OVG Bremen, B. v. 01.10.1993 - 1 B 120/93 -, DÖV 1994, 221). Insoweit muss die für die Aufgaben der Gefahrenabwehr zuständige Gemeinde (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SOG) im Rahmen ihrer örtlichen Zuständigkeit (§ 100 Abs. 1 Nds. SOG) die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung dieser Gefahrenlage treffen, die auch darin liegen können, den Störer im Sinne von § 2 Nr. 1 b i.V.m. § 6 Abs. 1 Nds. SOG - um Störer handelt es sich bei Personen ohne Unterkunft - in eine Obdachlosenunterkunft einzuweisen. Allerdings trifft diese Verpflichtung die Gefahrenabwehrbehörde erst dann, wenn der unfreiwillig Obdachlose - dass der Antragsteller unfreiwillig obdachlos geworden ist, unterstellt das Gericht zu seinen Gunsten - nicht selbst in der Lage ist, seine Obdachlosigkeit zu beseitigen. Dies bedeutet, dass der Betroffene zunächst selbst verpflichtet ist, sich intensiv um Unterkunftsmöglichkeiten zu bemühen und erst dann, wenn diese Bemühungen ohne Erfolg bleiben, die zuständige Gemeinde einzutreten hat (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 27.03.1991 - 12 M 23/91 -, NVwZ 1992, 502).
Hier scheitert der Anspruch des Antragstellers daran, dass er die Möglichkeit hat, anderweitig eine Wohnung zu finden, ohne die Antragsgegnerin in Anspruch nehmen zu müssen. Dass der Antragsteller offensichtlich in der Lage ist, ohne die Hilfe der Antragsgegnerin Obdach zu finden, folgt zunächst schon aus dem Verhalten des Antragstellers nach Stellung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei Gericht. In seinem Antrag hatte der Antragsteller erklärt, "ab jetzt" (Antrag von Dienstag, den 04.03.2003) nicht mehr bei Freunden und Bekannten wohnen bzw. übernachten zu können. Im Hinblick darauf hatte das Gericht mit der Antragsgegnerin vereinbart, dass diese bis zur einer Entscheidung der Sache dem Antragsteller Obdach in ihrem Asylbewerberheim gewähren würde. Der Antragsteller hat nach Mitteilung der Antragsgegnerin von diesem Angebot keinen Gebrauch gemacht, was die Vermutung nahe legt, dass er offensichtlich in der Lage ist, anderweitig Unterkunft zu finden.
Ungeachtet dessen ergibt sich die Entbehrlichkeit der Inanspruchnahme der Antragsgegnerin auch daraus, dass der Antragsteller nach dem Vortrag der Antragsgegnerin die Leistung von gemeinnütziger Arbeit mit der Begründung abgelehnt hat, dass er sich um seine Mutter in D. kümmern müsse und zeitweise auch dort sei. Dies aber bedeutet, dass er offensichtlich die Möglichkeit hat, auch bei seiner Mutter in D. Unterkunft zu nehmen, also aus eigenen Kräften seine Obdachlosigkeit beenden kann. Das diesbezügliche Ansinnen an den Antragsteller ist auch nicht unbillig, da er - abgesehen von dem erklärten Willen, in B. leben zu wollen - weder aufgrund eines Arbeitsverhältnisses noch sonst erkennbarer (anderweitiger wirtschaftlicher oder persönlicher) Bindungen auf den Verbleib im Bereich der Antragsgegnerin angewiesen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 4000 EUR festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 20 Abs. 3 und 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.