Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.06.2010, Az.: 5 K 49/08
Zulässigkeit der Verpflichtung einer in Deutschland tätigen Limited mit statuarischen Sitz in London zur Umsatzsteuer
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 03.06.2010
- Aktenzeichen
- 5 K 49/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 37186
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0603.5K49.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG
- § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG
- § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG
- § 13b Abs. 2 S. 1 UStG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Erbringt ein Unternehmer mit statuarischem Sitz in London und Ort der Geschäftsleistung im Inland eine sonstige Leistung, ist er i. S. des Ansässigkeitsbegriffs des § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG, der sich an den Ansässigkeitskriterien des Art. 9 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG und aus Art. 1 Abs. 1 der 8. EG-Richtlinie 79/1072/EWG vom 6.12.1979 orientiert, wonach der nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige als derjenige bezeichnet wird, der in diesem Land weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, nicht im Ausland ansässig, so dass der Leistungsempfänger nicht gemäß § 13b Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG Schuldner der Umsatzsteuer ist.
- 2.
§ 13b Abs. 4 Satz 3 UStG ist gilt nicht für den Fall, dass der leistende Unternehmer (ojektiv) im Inland ansässig ist, sondern nur dann, wenn Zweifel daran bestehen, ob ein (ojektiv) im Ausland ansässiger leistender Unternehmer auch im Inland ansässig ist.
Umsatzsteuer 2006
Zu den Voraussetzungen eines "im Ausland ansässigen Unternehmers" im Sinne des § 13b Abs. 4 Satz 1 UStG
Tatbestand
Streitig ist, ob die Umsatzsteuer für Geschäftsbesorgungsleistungen --bestehend in dem Betrieb eines ...einzelhandels-- von der Klägerin als Leistungserbringerin oder nach § 13 b Umsatzsteuergesetz (UStG) von der Leistungsempfängerin geschuldet wird.
Bei der Klägerin handelte es sich um eine ... 2005 gegründete Private Limited Company mit statuarischem Sitz in London. Sie war in Großbritannien wirtschaftlich inaktiv. Als Direktor war ..., wohnhaft in der A-Strasse in X-Stadt, bestellt.
Die Klägerin meldete bei der Stadt X am 02.08.2005 ein Gewerbe ("Unternehmensberatung, Geschäftsbesorgung auf Rechnung Dritter") an; nach ihren Angaben befinde sich eine Hauptniederlassung in X-Stadt, B-Strasse. In der Gewerbeanmeldung gegenüber der Stadt Y vom 05.08.2005 ("Herstellung von Druckerzeugnissen") erklärte sie eine Hauptniederlassung in X-Stadt, B-Strasse, und eine Betriebsstätte in Y-Stadt, ... . In Z-Stadt meldete sie zum 01.10.2005 den Handel mit Backwaren unter Angabe einer Betriebsstätte in der ... Strasse ... an.
In dem Fragebogen zur steuerlichen Erfassung ausländischer Kapitalgesellschaften erklärte ihr Direktor unter dem 05.08.2005, ihre Geschäftsleitung befinde in X-Stadt.
Die Klägerin wurde ... 2008 --nach Klageerhebung-- im House of Companies gelöscht.
Mit der K.- Limited & Co. KG in ... hatte die Klägerin bereits am 12.11.2005 eine Vereinbarung geschlossen, in der sie sich zum Betrieb eines ...einzelhandels in den Geschäftsräumen der Vertragspartnerin in Z-Stadt gegen ein Entgelt in Höhe der Bruttolohnsumme zzgl. Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung x 1,1 zzgl. Umsatzsteuer verpflichtete. Wegen der Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarung wird auf den Vertrag (Umsatzsteuerakte 2006 - nicht paginiert -) Bezug genommen. Steuerlich wurde die Klägerin ebenso wie die Auftragnehmerin von ... Rechtsanwalt und Steuerberater ... beraten.
Geschäftsbesorgungsleistungen über insgesamt 89.372 EUR (netto) rechnete die Klägerin in monatlichen Rechnungen von Mai bis September 2006 unter Angabe ihrer Anschrift X-Stadt, B-Strasse, gegenüber der L- Limited & Co. KG, vormals K- Limited & Co. KG, ab. Diese 5 Rechnungen enthalten den Hinweis, die Leistungsempfängerin schulde gem. § 13 b UStG die der Höhe nach ausgewiesene Umsatzsteuer. Wegen der Einzelheiten der Rechnungen wird auf die Umsatzsteuerakte für 2006 verwiesen.
In der Umsatzsteuerklärung für 2006 gab die Klägerin an, dass die streitbefangenen Umsätze in Höhe von 89.372 EUR als Bauleistungen im Sinne des § 13 b I S. 1 Nr. 4 UStG nicht der Umsatzsteuer unterfielen.
In dem Umsatzsteuerbescheid vom 21.06.2007 erhöhte der Beklagte die erklärten steuerpflichtigen Umsätze zu 16% um 89.372 EUR, weil die Klägerin als Leistende die hierauf entfallende Umsatzsteuer schulde.
Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsbescheid vom 24.01.2008 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen des § 13 b UStG lägen nicht vor. So habe die Klägerin nicht vorgetragen, dass sich ihr Geschäftssitz im Ausland befände. Die Voraussetzungen des Abschnitts 182 a Absatz 17 der Umsatzsteuerrichtlinien lägen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht vor, da hierdurch eine einvernehmliche Vereinbarung über die Steuerschuldnerschaft nur bei Umsätzen im Sinne des § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG eingeräumt werde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Einspruchsbegründung wird auf den Einspruchsbescheid Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Klage vom 27.02.2008.
Nach Auffassung der Klägerin sei die Leistungsempfängerin Schuldnerin der Umsatzsteuer geworden.
Ob die Klägerin, wie der Beklagte meint, tatsächlich über einen inländischen Ort der Geschäftsleitung verfügt habe und daher im Inland ansässig gewesen sei, sei nicht ohne weiteres feststellbar. So habe sich der Direktor der Klägerin häufig auf Reisen im In- und Ausland befunden. Der Ort der Geschäftsleitung der Kläger sei daher nicht einfach zu ermitteln. Die Angabe einer inländischen Adresse auf einer Rechnung genüge jedenfalls nicht zur Begründung eines inländischen Geschäftsleitungsortes.
Jedenfalls seien Zweifel an den Voraussetzungen des § 13 b Abs. 4 UStG objektiv begründet. So habe die Leistungsempfängerin aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes weder auf einen Sitz, den Ort der Geschäftsleitung, noch auf eine Zweigniederlassung der Klägerin im Inland schließen können. Unstreitig handele es sich bei der Klägerin um eine Gesellschaft englischen Rechts mit statuarischem Sitz in Großbritannien. Eine Zweigniederlassung im handelsrechtlichen Sinne im Inland existiere unstreitig nicht. Es komme mithin allein auf die Frage an, ob die Leistungsempfängerin von einer inländischen Geschäftsleitung der Klägerin ausgehen konnte oder im Zweifel von den Voraussetzungen des § 13 b Abs. 1 Nr. 1 UStG ausgehen musste.
Objektiv konnte die Leistungsempfängerin hierzu folgende Feststellungen treffen: Die Klägerin habe über keine Telefon- und Faxnummer im Inland verfügt. Eintragungen in Telefonbüchern oder in den Gelben Seiten seien nicht vorhanden gewesen. Die verwendete Rechnungsanschrift habe in einem Bürohaus ohne ...einzelhandel gelegen. Dort habe die Klägerin nur einen Arbeitsplatz inne gehabt. Sie habe einen Briefkasten zusammen mit anderen Firmen verwandt. Eine eigene Produktionseinrichtung habe die Klägerin nicht unterhalten. Selbst die zur Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber der Leistungsempfängerin notwendigen Betriebsmittel in Z-Stadt seien von der Leistungsempfängerin bereitgestellt worden und hätten nicht zur Begründung einer inländischen Geschäftsansässigkeit herangezogen werden können.
Über einen regelmäßigen Aufenthalt des Vertreters der Klägerin habe der Vertreter der Leistungsempfängerin keine Informationen verfügt. Von den vorbeschriebenen tatsächlichen Verhältnissen habe sich der damalige Vertreter der Leistungsempfängerin, ..., anlässlich von zwei Besuchen in X-Stadt selbst überzeugen können. Informationen über eine weitergehende tatsächliche Ansässigkeit in Großbritannien hätten der Leistungsempfängerin wohl nicht zur Verfügung gestanden. Aber selbst wenn die bislang ungeprüfte Behauptung des Beklagten zuträfe, dass die Klägerin über einen statuarischen Sitz hinaus in Großbritannien keine weiteren Aktivitäten entfaltet hätte, wäre damit für die Leistungsempfängerin nur feststellbar gewesen, dass zwei sogenannte Briefkastenadressen bestanden hätten.
Diese Umstände hätten Zweifel an der inländischen Ansässigkeit der Klägerin bei der Leistungsempfängerin erzeugen müssen.
Im Übrigen habe der Beklagte gegen das Übermaßverbot verstoßen, da bereits die Leistungsempfängerin die Umsatzsteuer gezahlt habe.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer 2006 unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides vom 21.06.2007 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 24.01.2008 soweit herabzusetzen, wie sie sich unter Minderung der Nettoumsätze zu 16% um 89.372,00 EUR ergibt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte nimmt zur Begründung seines Antrages Bezug auf den Einspruchsbescheid.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Umsatzsteuerbescheid 2006 vom 21.06.2007 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 24.01.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin die Umsatzsteuer auf die von ihr erbrachten sonstigen Leistungen in Höhe von 89.372,00 EUR (netto) schuldet. Die Voraussetzungen für eine Steuerschuldnerschaft der Leistungsempfängerin nach § 13 b UStG liegen nicht vor.
Gemäß § 13 a Abs. 1 Nr. 1 UStG ist Steuerschuldner in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG der Unternehmer.
Gemäß § 13 b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 13 b Abs. 1 Nr. 1 UStG schuldet bei sonstigen Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Ein im Ausland ansässiger Unternehmer ist ein Unternehmer, der weder im Inland noch auf der Insel Helgoland oder in einem der in § 1 Abs. 3 bezeichneten Gebiete einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung hat, § 13 b Abs. 4 Satz 1 UStG. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die Leistung ausgeführt wird, § 13 b Abs. 4 Satz 2 UStG. Ist es zweifelhaft, ob der Unternehmer diese Voraussetzungen erfüllt, schuldet der Leistungsempfänger die Steuer nur dann nicht, wenn ihm der Unternehmer durch eine Bescheinigung des nach den abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen FA nachweist, dass er kein Unternehmer im Sinne des Satzes 1 ist, § 13 b Abs. 4 Satz 3 UStG. Die Geschäftsleitung ist nach § 10 der Abgabenordnung (AO) der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung.
Art. 21 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der 6. Richtlinie des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG), jetzt Art. 194 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL), der durch § 13 b Abs. 1 bis 4 UStG in nationales Recht umgesetzt worden und insoweit gemeinschaftskonform auszulegen ist (vgl. BFH Urteil vom 10.02.2005 V R 56/03, HFR 2005, 1208), erlaubt nur dann den Leistungsempfänger als Steuerschuldner heranzuziehen, wenn der leistende Unternehmer nicht im Inland "ansässig" ist. Da der Begriff "ansässig" somit ein solcher des Gemeinschaftsrechts ist, ist seine Auslegung am Gemeinschaftsrecht auszurichten (vgl. BFH Beschluss vom 26.07.2006 V B 151/05, BFH/NV 2007, 113 m.w.N.). Die Ansässigkeitskriterien ergeben sich aus Art. 9 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 77/388/EWG und aus Art. 1 Abs. 1 der 8. EG-Richtlinie 79/1072/EWG vom 6.12.1979, wonach der nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige als derjenige bezeichnet wird, der in diesem Land weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind.
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall ist die Klägerin aufgrund einer inländischen Geschäftsleitung keine im Ausland ansässige Unternehmerin im Sinne des § 13b Abs. 4 Satz 1 UStG.
Die Klägerin hatte nur ihren statuarischen Sitz in London. Dort übte sie keinerlei Tätigkeit aus. Ihre gesamte wirtschaftliche Tätigkeit entfaltete sie im Inland. Jedenfalls hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt, dass sie auch im Ausland wirtschaftliche Tätigkeiten ausübte. Daher steht zur Überzeugung des Senates fest, dass sich der Ort der Geschäftsleitung der Klägerin im Inland befand. Im Übrigen hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt, dass in der streitbefangenen Zeit ein wesentlicher Teil der Geschäftsleitung im Ausland abgewickelt wurde.
Ist danach davon auszugehen, dass es sich bei der Klägerin um ein (objektiv) im Inland ansässiges Unternehmen handelt, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Leistungsempfängerin möglicherweise Zweifel im Sinne des § 13 b Abs. 4 Satz 3 UStG hinsichtlich der Ansässigkeit der Klägerin im Inland hätte haben müssen. § 13 b Abs. 4 Satz 3 UStG gilt nur für den Fall, dass zweifelhaft ist, ob ein (objektiv) nicht im Inland ansässiger Unternehmer im Inland ansässig ist. Denn letztlich soll nach dem insoweit eindeutigen Wortsinn der Vorschrift der Leistungsempfänger nur Steuerschuldner für die Steuer werden, die auf die Umsätze eines (objektiv) nicht im Inland ansässigen Unternehmers entfällt (vgl. BFH Urteil vom 23. Mai 1990 V R 167/84, BStBl II 1990, 1095; Beschluss vom 31.01.1985 V B 57/84, HFR 1985, 280, zum insoweit gleichlautenden § 51 Abs. 3 Satz 3 UStDV a.F.; FG München Urteil vom 28.06.2006 3 K 4109/04, EFG 2006, 1545).
Mangels Übergang der Steuerschuldnerschaft bleibt die Klägerin als Leistende Steuerschuldnerin.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.