Landgericht Osnabrück
Urt. v. 29.12.2010, Az.: 12 O 2381/10
Schmerzensgeld sowie Feststellung der weitergehenden Ersatzpflicht nach sexuellem Missbrauch
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 29.12.2010
- Aktenzeichen
- 12 O 2381/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 41974
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2010:1229.12O2381.10.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Oldenburg - 12.07.2011 - AZ: 13 U 17/11
- BGH - 04.12.2012 - AZ: VI ZR 217/11
Rechtsgrundlage
- § 823 BGB
In dem Rechtsstreit
...
wegen Schmerzensgeld und Feststellung
hat die 12. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück auf die mündliche Verhandlung vom 29.12.2010 durch die Richterin am Landgericht XXX als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.500 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.09.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 2.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte 68 %, der Kläger 32 %.
- 3.
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den Beklagten vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
- 4.
Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf bis 13.000 €.
Tatbestand
Der am XXX 1976 geborene Kläger, der als Polizist tätig ist, begehrt von dem Beklagten Schmerzensgeld sowie Feststellung der weitergehenden Ersatzpflicht nach sexuellem Missbrauch durch den Beklagten.
Der Beklagte war Nachbar der Großeltern des Klägers. Gemeinsam mit seinem Cousin XXX sagte er einmal zu seiner Großmutter, der Beklagte fasse sie an; die Großmutter tat dies ab.
Am 09.04.2005 zeigte der Kläger bei der Polizei in XXX sexuellen Missbrauch durch den Beklagten an.
Der Kläger behauptet, er sei in der Zeit zwischen 1985 bis 1990 mehrfach durch den Beklagten sexuell missbraucht worden. Der Beklagte habe orale Manipulationen an dem Glied des Klägers vorgenommen, der Kläger habe auf Aufforderung in den Mund des Beklagten uriniert. Der Beklagte habe ihn auch dazu bestimmt, mit harten Gegenständen auf das eregierte Glied des Beklagten zu schlagen.
In der Zeit zwischen dem 29.04.1988 bis 03.05.1988 habe der Beklagte auf der Toilette im ersten Stock der von ihm bewohnten Doppelhaushälfte in der Lindenstraße das Glied des damals elfjährigen Klägers in den Mund genommen und Oralverkehr durchgeführt. Im Januar 1990 habe er auf der Toilette bei einem Rohbau in XXX einen nicht näher bestimmbaren Gegenstand in den Anus des Klägers eingeführt. Er sei weiter vor den Kläger getreten, habe sich hingekniet und den Oralverkehr an dem Kläger durchgeführt. Danach habe er den Kläger bestimmt, ihm in den Mund zu urinieren.
Der Kläger behauptet, er habe bis zu einer Familienfeier am 06.04.2005 das Geschehen vollständig verdrängt. Bei dieser Feier habe seine Schwester offenbart, von dem Beklagten missbraucht worden zu sein, wodurch bei ihm alles wieder hochgekommen sei.
Er behauptet, er leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, er sei antriebesarm und habe das Vertrauen in andere Menschen verloren. Er sei in therapeutischer Behandlung.
Der Kläger hält ein Schmerzensgeld in Höhe von nicht unter 10.000 € für angemessen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nicht unter 10.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus den Vorfällen von 1985 bis 1990 in Lingen zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bestreitet, dass sich die Mißbrauchssituationen so wie vom Kläger behauptet zugetragen hätten. Die Missbrauchssituationen seien nicht so massiv und nicht in der Zeit von 1985 bis 1990 gewesen. Die Folgen bestreitet der Beklagte mit Nichtwissen.
Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Er bestreitet, dass der Kläger das Geschehen bis zu dem Familienfest verdrängt habe. Dies sei bereits wegen der Berufswahl des Klägers unwahrscheinlich.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Für das Ergebnis des Sachverständigengutachtens wird auf das schriftliche Gutachten nebst Ergänzung Bezug genommen. Die Akte der Staatsanwaltschaft Osnabrück XXX war beigezogen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist soweit der Kläger Schmerzensgeld begehrt teilweise begründet, im Übrigen unbegründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten wegen des sexuellen Missbrauchs in der Zeit zwischen dem 29.04. und 03.05.88 sowie des Missbrauchs im Januar 1990 Anspruch auf Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung.
Gemäß Art 229 § 5 EGBGB ist auf das Schuldverhältnis der Parteien das BGB in der bis zum 01.01.2010 geltenden Fassung anzuwenden.
Dass der Beklagte zwischen dem 29.04.1988 und 03.05.1988 auf der Toilette im ersten Stock der von ihm bewohnten Doppelhaushälfte in der XXX das Glied des damals elfjährigen Klägers in den Mund nahm und Oralverkehr durchführte ist unstreitig. Ebenfalls unstreitig ist, dass der Kläger im Januar 1990 auf der Toilette bei einem Rohbau in XXX einen nicht näher bestimmbaren Gegenstand in den Anus des Klägers einführte, vor den Kläger trat, sich hinkniete und den Oralverkehr an dem Kläger durchführte und danach den Kläger bestimmte, ihm in den Mund zu urinieren.
Denn dieser Vortrag des Klägers ist hinreichend bestimmt und substantiiert. Der Vortrag bezeichnet ein konkretes Verhalten, das nach Zeit und Ort von anderen Vorfällen abzugrenzen ist. Das Vorbringen des Beklagten, der Missbrauch habe sich nicht so, nicht so massiv und nicht so lange ereignet, ist pauschal und im Hinblick auf den konkreten Vortrag unbeachtlich. Der Beklagte trägt keinen anderen Sachverhalt vor, daher ist das substantiierte Vorbringen des Klägers zu den zwei konkreten Taten als zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO anzusehen.
Der Beklagte hat damit in zwei Fällen die Gesundheit des Klägers geschädigt, in dem er ihn sexuell missbrauchte.
Der Anspruch ist nicht verjährt. Gemäß Art. 229 § 6 EGBGB ist auf am 01.01.2002 noch nicht verjährte Ansprüche das BGB in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung anzuwenden. So liegt der Fall hier. Der Anspruch war am 1.01.2002 noch nicht verjährt.
Gemäß § 852 BGB a.F. verjährte der Schadensersatzanspruch aus einer unerlaubten Handlung in 3 Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangte. Dabei ist bei beschränkt Geschäftsfähigen auf die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter abzustellen (BGH NJW 89, 2323). Dass die Eltern des Klägers als gesetzliche Vertreter Kenntnis hatten, ist nicht vorgetragen. Damit ist zunächst auf die Kenntnis des Klägers ab Eintritt der Volljährigkeit abzustellen (hierzu auch OLG Hamm NJW 200, 3219). Der Kläger hat aber bewiesen, dass er bei Eintritt der Volljährigkeit bis zum Jahr 2005 das Geschehen verdrängt hat, und daher in diesem Zeitraum keine Kenntnis von der Person des Schädigers und den anspruchsbegründenden Umständen hatte.
Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dr. XXX. Der Sachverständige hat den Kläger (nicht im Beisein dessen Ehefrau) untersucht, und die Ehefrau des Klägers auch zum Verhalten des Klägers befragt. Außerdem hat der Sachverständige die Akte des niedersächsischen Landesamtes für Soziales Jugend und Familie XXX bei der Gutachtenerstattung ausgewertet. Auf dieser Grundlage hat der auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahrene Sachverständige für das Gericht überzeugend dargelegt, dass der Kläger konsequent die erlebte Traumatisierung verdrängt habe. Dabei hat der Sachverständige ausgeführt, dass Verdrängung in der Regel, wenn sie auftritt, kategorial, nicht graduell auftritt. Bei dem Kläger habe auch zur Verdrängung geführt, dass er von seiner Großmutter, der er sich anvertraute, nicht ernst genommen wurde. Der Sachverständige hat auch ergänzend ausgeführt, dass die Verdrängung bereits zur Zeit des Missbrauchs eingesetzt habe.
Ein Glaubhaftigkeitsgutachten war nicht ergänzend einzuholen. Die Beweiswürdigung ist ureigenste Aufgabe des Gerichts. In Ausnahmefällen, etwa bei kindlichen Zeugen kann die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens im Strafverfahren zur Aufklärung geboten sein. Hier sind die Taten als solche unstreitig; der Beklagte hat sich auch nicht auf die Parteivernehmung des Klägers zum Beweis der Behauptung, der Kläger habe die Umstände bereits vor der Familienfeier gekannt, berufen, sondern allein die Einholung des Glaubhaftigkeitsgutachtens angeregt. Der Sachverständige XXX hat dem Gericht bereits ein Gutachten über die Verdrängung durch den Kläger erstattet. Dabei war das Gutachten, das in der Akte XXX erstattet wurde, nur ein Teil der Grundlage der Untersuchung des Sachverständigen. Die vom Beklagten gegen das Gutachten XXX erhobenen Einwände, gegen die Begutachtung haben sich im Gutachten des Dr. XXX nicht niedergeschlagen. So hat insbesonderere der Sachverständige XXX den Kläger alleine, also nicht im Beisein seiner Ehefrau untersucht. Diese Untersuchung ist Grundlage des von ihm erstatteten Gutachtens. Das Gericht ist auch überzeugt, dass der auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahrene Sachverständige anhand der Angaben des zu Untersuchenden in der Lage ist, zu diagnostizieren, ob eine Verdrängung vorliegt, oder nicht. Denn es ist typisch für psychische Erkrankungen und Beschwerden, dass diese anhand der Angaben des Betroffenen diagnostiziert und ggf. behandelt werden; der Einholung von Glaubhaftigkeitsgutachten bedarf es hierzu ergänzend nicht.
Damit steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger zum Zeitpunkt seines 18. Geburtstages keine Kenntnis von dem Missbrauch hatte, die ihn in die Lage versetzt hätte, rechtliche Schritte einzuleiten.
Gemäß Art. 229 § 6 S. 1 EGBGB sind auf die am 01.01.2002 noch nicht verjährten Ansprüche die Vorschriften über die Verjährung des BGB in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung anzuwenden. Danach begann die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Kläger Kenntnis der Tatumstände erlangte gemäß §§ 194, 199 BGB. Die Verjährungsfrist endete damit mit Ablauf des Jahres 2008. Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die Verjährung durch die Erhebung der Klage gehemmt, so dass der Anspruch nicht verjährt ist.
Dass der Kläger noch heute unter den Folgen der Taten leidet, ist bewiesen durch das Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Dr. XXX. Der Sachverständige hat festgestellt, dass der Kläger unter einer posttraumatischen Belastungsstörung nach ICD 10 leide. Er leide unter intrusiven Erinnerungen und zeige ein deutliches Vermeidungsverhalten.
Diese Folgen des Missbrauchs, die Ausführung der Taten, die teilweise mit einem Eindringen in den Körper verbunden waren, den Umstand, dass der Beklagte ausnutzte, ein Freund der Familie zu sein, sowie das Alter des Klägers bei der Begehung der Taten waren bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Das Gericht hat auch berücksichtigt, dass die Taten bereits lange zurückliegen, und der Beklagte die Taten als solche nicht bestreitet. Dabei hat das Gericht die zwei hinreichend bestimmt vorgetragenen Taten berücksichtigt. Die unbestimmt, das heißt ohne Angaben von Ort oder Zeit der Tat, beschriebenen Vorfälle konnten nicht berücksichtigt werden, weil der Vortrag insoweit nicht hinreichend substantiiert ist. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.500 € angemessen.
Der Zinsanspruch beruht auf §§ 288, 291 BGB.
Die weitergehende Klage ist teilweise unzulässig, teilweise unbegründet.
Der Feststellungsantrag ist bereits zu unbestimmt. Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist ein bestimmter Antrag zu stellen. Daran fehlt es hier, soweit der Kläger pauschal die Feststellung begehrt, dass der Beklagte sämtliche materielle und immaterielle Schäden aus den Vorfällen von 1985 bis 1990 in XXX zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht übergegangen sind. Es fehlt an der hinreichend konkreten Bezeichnung von abgrenzbaren Taten. Außerdem ist nicht vorgetragen, inwieweit die Feststellung der Ersatzpflicht für bereits entstandene Schäden, für die der Vorrang der Leistungsklage gilt, so dass ein Feststellungsinteresse nicht besteht, begehrt wird, und inwieweit zukünftige Schäden ersetzt verlangt werden. Diesbezüglich fehlt Vortrag dazu, dass zukünftige Schäden überhaupt eintreten können, insoweit ist die Klage unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, wobei das Gericht das Unterliegen mit dem Feststellungsantrag mit etwa 1.000 € bemessen hat. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 704, 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Wert des Streitgegenstandes war gemäß §§ 48 GKG, 3, 5 ZPO festzusetzen wie erfolgt.