Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.07.1986, Az.: 4 Sa 196/86

Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes; Beleidigende Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber; Grundrecht auf freie Meinungsäußerung; Verletzung des Persönlichkeitsrechts; Zurechnung der Kenntnis eines leitenden Angestellten; Zusammenhangstheorie des Bundes-Arbeits-Gerichts (BAG)

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
04.07.1986
Aktenzeichen
4 Sa 196/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1986, 10621
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1986:0704.4SA196.86.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Celle - 29.10.1985 - Az: 2 Ca 204/85
nachfolgend
BAG - 02.04.1987 - AZ: 2 AZR 418/86

Verfahrensgegenstand

Feststellung und Weiterbeschäftigung

Prozessführer

...

Prozessgegner

die ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Betriebsversammlung ist ein legitimes Forum zur freien Meinungsäußerung, auch für nicht beleidigende Kritik an der Person des Arbeitgebers. Eine Beleidigung liegt jedoch vor, wenn Rechtsverletzungen vorgeworfen werden, die gar nicht stattgefunden haben, sowie bei Vergleichen mit KZ-Methoden.

  2. 2.

    Bei einer kurzen Kündigungsfrist von zwei Wochen kann es jedoch unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zumutbar sein sich ordentlich zu trennen.

In dem Rechtstreit hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 1986
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hofmeister und
die ehrenamtlichen Richter Mathmann und Weigelt
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 29.10.1985 - 2 Ca 204/85 - teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung vom 29.04.1985 rechtswirksam nicht aufgelöst worden ist, im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger trägt 1/4 und die Beklagte 3/4 der Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Der am ... 1945 geborene Kläger ist verheiratet und insgesamt für drei Personen unterhaltspflichtig. Er ist seit dem 1. August 1974 als Wellpappenmaschinenführer zuletzt mit einem Stundenlohn von 15,80 DM brutto bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden im Betriebe der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt ca. 160 Arbeiter und Angestellte. Die Parteien sind tarifgebunden. Die ordentliche Kündigungsfrist des Klägers beträgt nach § 17 Abs. 1 MTV zwei Wochen zum Wochenschluß, weil der Kläger zum Kündigungszeitpunkt das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

2

Im Betriebe der Beklagten ist seit 1978 ein Betriebsrat gebildet. Der Kläger war an dieser Bildung seinerzeit maßgeblich beteiligt. Er ist aus den früheren Betriebsratswahlen, die als Persönlichkeitswahlen durchgeführt worden sind, jeweils mit der größten Stimmenzahl hervorgegangen. 1984 entstand während der Wahl Streit über die Frage, ob eine Persönlichkeitswahl oder eine Listenwahl stattfand. Darüber gab es einen gerichtlichen Streit durch zwei Instanzen. Der Kläger hatte sich in der Annahme, es finde Persönlichkeitswahl statt, auf den letzten Platz der Vorschlagsliste der ... setzen lassen. Die Wahl wurde dann jedoch aufgrund gerichtlicher Entscheidung als Listenwahl durchgeführt. Auf die Liste der ... entfielen 97 Stimmen, auf die der Konkurrenzliste 34 Stimmen. Damit war der Kläger nicht gewählt. Um ihn jedoch wieder in den Betriebsrat, dessen Vorsitzender er stets gewesen war, zu bringen, traten schließlich so viele über die Liste in den Betriebsrat gewählte oder als Ersatzmänner in Betracht kommende zurück, daß der Kläger als Ersatzmann nachrücken konnte. Dem Betriebsrat gehörten deshalb zwei Mitglieder der Konkurrenzliste und drei Mitglieder der Liste der ... an. In seiner konstituierenden Sitzung wählte der Betriebsrat dann jedoch ein Mitglied der Konkurrenzliste, den Zeugen L., zum Vorsitzenden. Im Anschluß an die Sitzung trat eines der drei über die ... Liste in den Betriebsrat gekommenen Mitglieder aus der ... aus.

3

Am 28. Januar 1985 erhielt der Kläger eine schriftliche Abmahnung (Bl. 172 d. A.), der der Kläger entgegentrat. Seine Einwendungen wurden zu seiner Personalakte genommen.

4

Zum 1. September 1984 hatte die Beklagte einen neuen technischen Werkleiter, den Zeugen K., eingestellt. Dieser ist nach Auffassung der Beklagten leitender Angestellter im Sinne des § 5 BetrVG, ihm sind zwei Produktionsleiter unterstellt, er ist verantwortlich für die ordnungsgemäße Gesamtproduktion im Hinblick auf Qualität und zeitgerechte Ausführung. Er ist Vorgesetzter des Klägers, jedoch besitzt er keine Einstellungs- und Entlassungsbefugnis, andererseits hat er den Tatbestand, der zur Abmahnung des Klägers im Januar 1985 führte, selbst mit festgestellt und das Abmahnungsschreiben diktiert, es jedoch von einem der Geschäftsführer, denen er direkt unterstellt ist, unterschreiben lassen.

5

Am 18. April 1985 fand eine Betriebsversammlung statt, an der etwa 80 Belegschaftsmitglieder einschließlich des Werkleiters K. und der Geschäftsführer Lö. und R. der Beklagten teilnahmen.

6

Nachdem der Betriebsratsvorsitzende L. seinen Bericht erstattet hatte, der nicht vorher förmlich vom Betriebsrat beschlossen war, meldete sich der Kläger zu Wort und griff zunächst den Betriebsratsvorsitzenden an. Anschließend wandte er sich an die Geschäftsführung und kam auf den Betriebsleiter K. zu sprechen. Der äußerte sich unter anderem wie folgt:"Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Geschäftsleitung fragen, insbesondere Herrn Lö., welche Aufgaben hat der technische Werksleiter Herr K. Er ist doch nicht nur dazu da, - den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter zu erhöhen. - die Mitarbeiter einzuschüchtern, - das Abmahnwesen aufzubauschen und - Persönlichkeitsrechte zu verletzen." Der Kläger sagte aber auch, daß der Werkleiter sicher fachlich qualifiziert sei, sein menschliches Verhalten gegenüber den Mitarbeitern sei jedoch unmöglich.

7

Der Kläger erklärte ferner, alle diese Feststellungen könne er beweisen und Zeugen bringen. Als Beispiel führte der Kläger an, ein Mitarbeiter habe eine zwei Minuten lange Teepause gemacht und sei von Herrn K. angefaucht worden, er möchte sich an die Arbeit machen. Als weiteres Beispiel führte er an, ein anderer Mitarbeiter sei zur Werksleitung bestellt worden, und dieser Mitarbeiter habe ihn auch als Betriebsratsmitglied seiner Wahl zur Begleitung mitgenommen. Der Werkleiter habe dies nicht zugelassen. Der Kläger äußerte weiter, soweit sei es hier schon wieder gekommen, er appelliere an die Geschäftsleitung, daß diese ihrer Fürsorgepflicht nachkomme, eine solche habe sie nun einmal, sie müsse derartige Machenschaften unterbinden, oder werde so ein Vorgehen noch unterstützt. Zum Geschäftsführer Lö gewandt, äußerte er dann noch, das könne er ruhig aufschreiben. Dem Kläger wurde, weil eine erhebliche Unruhe in der Betriebsversammlung entstand, dann vom Betriebsratsvorsitzenden L. das Wort entzogen.

8

Diesen Auftritt des Klägers in der Betriebsversammlung nahm die Beklagte zum Anlaß, den Betriebsrat um Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Klägers zu ersuchen. Sie wandte sich mit Schreiben vom 26. April 1985 (Bl. 98 und 100 d. A.) an den Betriebsrat und führte als weiteren Kündigungsgrund an, daß der Kläger Herrn K. in einem Gespräch vorgeworfen habe, "er bedient sich bei seiner Arbeit KZ-Methoden". Der Betriebsrat tagte am 29. April 1985 und hörte auch den Kläger. Darüber verhält sich die Sitzungsniederschrift vom 29. April 1985 (Bl. 99 d. A.), derzufolge der Kläger zu der Passage "er bedient sich bei seiner Arbeit KZ-Methoden" gesagt hat, daß er "KZ-Methoden" zwar Herrn K. gegenüber geäußert habe. Diese Äußerung jedoch falsch von Herrn K. interpretiert sei. Mit Schreiben vom 29. April 1985 (Bl. 32 d. A.) stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG mehrheitlich zu.

9

Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 29. April 1985 (Bl. 5 d. A.) das Arbeitsverhältnis fristlos auf.

10

Gegen diese Kündigung wandte sich der Kläger mit seiner am 3. Mai 1985 bei dem Arbeitsgericht Celle eingegangenen Klage.

11

Der Kläger ist der Auffassung, daß ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung nicht vorliege. Seine Äußerungen auf der Betriebsversammlung stellten keine Beleidigung der Geschäftsleitung oder des Werkleiters K. dar. Ferner behauptete er, der Beschluß des Betriebsrats sei nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, weil die Ersatzmitglieder vom Betriebsratsvorsitzenden nicht entsprechend den Listen hinzugezogen worden seien. Dies habe die Beklagte auch gewußt. Er bestreitet, dem Werkleiter am 27. und/oder 28. März 1985 vorgeworfen zu haben, dieser bediene sich "KZ-Methoden". Richtig sei allein, daß er eine ähnliche Äußerung im Januar 1985 Herrn K. gegenüber gemacht habe im Zusammenhang mit der unberechtigten Abmahnung. Im übrigen sei für diese Vorwürfe ohnehin die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Es sei auch unwahrscheinlich, daß der Werkleiter die behaupteten Äußerungen zunächst reaktionslos hingenommen habe.

12

Schließlich ergebe auch eine Interessenabwägung unter Einbeziehung von mehr als 10 Jahren unbeanstandeter Arbeit, daß die fristlose Kündigung eine unangemessene Reaktion darstelle.

13

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29.04.1985 rechtswirksam nicht aufgelöst ist,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger ab der positiven Entscheidung gemäß Klageantrag 1) tatsächlich als Wellpappenmaschinenführer zu den bisherigen Arbeitsbedingungen in ihrem Betrieb weiterzubeschäftigen.

14

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Sie ist der Auffassung, daß die Zustimmung des Betriebsrats ordnungsgemäß erteilt sei. Sie habe sich auf die schriftliche Zustimmung des Betriebsratsvorsitzenden und des Schriftführers des Betriebsrats verlassen. Wer im einzelnen vom Betriebsratsvorsitzenden zur Sitzung hinzugezogen sei, entziehe sich ihrer Kenntnis, darauf habe sie auch keinerlei Einflußmöglichkeiten.

16

Sie stellt sich auf den Standpunkt, der Kläger habe durch seine Äußerungen auf der Betriebsversammlung und seine Äußerungen gegenüber Herrn K. sowohl die beiden Geschäftsführer als auch den Werkleiter K. in besonders grober Weise beleidigt und in ihrer Ehre herabgesetzt. Deshalb sei es ihr nicht zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen.

17

Der Kläger habe nämlich durch seine Äußerungen auf der Betriebsversammlung vom 18. April 1985 die Behauptung aufgestellt, die Geschäftsführer der Beklagten hätten K. nur zu dem Zweck eingestellt, um gegenüber Arbeitnehmern ungesetzliche Maßnahmen durchzusetzen, nämlich diese zu abnormen Höchstleistungen anzutreiben, und zwar unter Verletzung von Persönlichkeitsrechten und der Menschenwürde und mit menschenschinderischen Methoden, wobei K. sich zu diesen Dingen hergegeben habe. Die Beispiele, die der Kläger gebracht habe, könnten seine ungeheuerlichen Thesen nicht stützen. Zu den Fällen Y. (Teepause von zwei Minuten) und V. (Hinzuziehung des Klägers als Betriebsratsmitglied seines Vertrauens) macht die Beklagte nähere Ausführungen, für die auf die Seiten 10 bis 12 in ihrem Schriftsatz vom 10. Juli 1985 und auf den Schriftsatz vom 11. Oktober 1985 verwiesen wird.

18

Die Beklagte hält den Auftritt des Klägers auf der Betriebsversammlung nicht etwa für eine einmalige Entgleisung, sondern für ein geplantes Vorgehen. Dies zeige sich schon daraus, daß der Kläger sich kurz zuvor dem Werkleiter K. gegenüber ohne ersichtlichen Anlaß in übelster weise beleidigend geäußert habe.

19

K. habe den Kläger bereits am 27. November und 4. Dezember 1984 bei ungerechtfertigten Pausen angetroffen und deshalb Veranlassung gehabt, ihn an seine Arbeit zu schicken. Am 27. März 1985 habe K. den Kläger im Papierlager angetroffen, das in einiger Entfernung vom Arbeitsplatz des Klägers an der Wellpappenanlage sich befinde und wo der Kläger keine Arbeit zu verrichten gehabt habe. Der Kläger habe sich mit dem Zeugen S. unterhalten. K. habe den Kläger aufgefordert, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Den Einwand des Klägers, er habe dem Arbeitskollegen S. auf dessen Wunsch beim Rollenabladen geholfen, habe K. nicht gelten lassen, weil der Kläger zum Helfen nicht beauftragt gewesen sei und weil zweitens die leichte Arbeit des Abladens der leeren Papierrollen seit eh und je von einem Arbeitnehmer allein gemacht werde. Der Kläger habe dabei zu K. gesagt: "Das, was Sie hier machen, sind doch KZ-Methoden."

20

Am nächsten Tage sei der Kläger von sich aus noch einmal zu K. gegangen und sei auf den Vorfall vom Vortage zurückgekommen. Er habe sich bei K. beschwert und zu ihm gesagt: "Das ist ja wie im KZ, wie man hier behandelt wird."

21

Erst einen Tag vor der Betriebsversammlung vom 18. April 1985 habe K., als über die kommende Betriebsversammlung gesprochen worden sei, die Geschäftsführer von den Vorgängen am 27. und 28. März 1985 informiert. Im Verlaufe seiner Anhörung vor dem Betriebsrat habe der Kläger im übrigen seine "KZ-Äußerungen" gegenüber K. zugegeben, wie sich aus dem Sitzungsprotokoll vom 29. April 1985 ergebe. Die Beklagte meint, gröber, als es der Kläger gegenüber K. getan habe, könne jemand, der in einem Betriebe der Bundesrepublik Deutschland eine Vorgesetztenfunktion auszuüben habe, überhaupt nicht beleidigt werden. Eine solche Beleidigung eines angestellten Vorgesetzten sei aber auch zugleich eine Beleidigung des Arbeitgebers, nämlich der Beklagten.

22

Durch seine Äußerungen habe der Kläger sowohl die Geschäftsführer als auch den Betriebsleiter ihren menschlichen und sittlichen wert in übelster weise herabgemindert. Der Kläger habe dies auch planmäßig und mit Vorbereitung getan. Dies ergebe sich schon aus seinem Hinweis, der Geschäftsführer könne das ruhig aufschreiben. Der Kläger habe auch durch seine ungerechtfertigten Äußerungen die Autorität des Werkleiters K. als Vorgesetzter untergraben und das Ansehen der Beklagten als Arbeitgeberin herabgesetzt. Auch sei der Betriebsfriede gestört, zumindest gefährdet.

23

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluß vom 18. Juni 1985 (Bl. 39 d. A.) durch Vernehmung des technischen Betriebsleiters K. und des Betriebsratsvorsitzenden L. als Zeugen. Auf die Sitzungsniederschrift vom 15. Oktober 1985 (Bl. 107 bis 111 d. A.) wird Bezug genommen.

24

Durch Urteil vom 29. Oktober 1985 hat das Arbeitsgericht Celle die Klage abgewiesen, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 10.933,60 DM festgesetzt.

25

In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG sei ordnungsgemäß erfolgt. Zwei Ersatzmitglieder, nämlich eins für den Kläger und eins für das verhinderte Betriebsratsmitglied B., seien hinzugezogen worden. Deshalb müsse von der Richtigkeit der Beschlußfassung ausgegangen werden. Selbst dann, wenn der Betriebsrat bezüglich der Ladung von Ersatzmitgliedern Fehler unterlaufen sein sollten, gelte zugunsten der Beklagten der Grundsatz des Vertrauensschutzes.

26

Die Kündigung sei auch gerechtfertigt. Der Kläger habe nämlich durch sein Verhalten berechtigten Anlaß zur fristlosen Kündigung gegeben. Der Kläger habe durch seine Äußerungen auf der Betriebsversammlung vom 18. April 1985 und seine Äußerungen gegenüber dem Werkleiter K. am 27./28. März 1985 sowohl die Geschäftsführer der Beklagten als auch den Werkleiter K. in grober Weise beleidigt.

27

Beide Vorgänge stünden auch in einem so engen sachlichen Zusammenhang und seien von gleich zu gewichtendem Gehalt, daß die Beklagte die Kündigung selbst dann noch auf die Vorgänge vom 27. und 28. März 1985 stützen könne, wenn sie von diesen Vorgängen bereits zu einem außerhalb der 2-Wochen-Frist liegenden Zeitpunkt Kenntnis erlangt haben sollte.

28

Eine grobe Beleidigung sei eine besonders schwere, den Angesprochenen kränkende Beleidigung, d.h. eine bewußte und gewollte Ehrenkränkung. Dabei komme es nicht auf die strafrechtliche Wertung an, sondern darauf, ob dem Arbeitgeber nach dem gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei. Dabei seien auch die Umstände zu berücksichtigen, die zur Beleidigung geführt haben. Gemessen an diesen Voraussetzungen seien die Äußerungen des Klägers auf der Betriebsversammlung in der Zusammenschau mit den Äußerungen des Klägers gegenüber dem Werkleiter K. grobe Beleidigungen, für die es keine Entschuldigung gebe.

29

Die klägerischen Äußerungen enthielten den Vorwurf, daß die Geschäftsführer einen Werkleiter engagiert hätten und beschäftigten, der den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter erhöhe, die Mitarbeiter einschüchtere, das Abmahnwesen aufbausche und Persönlichkeitsrechte verletze sowie, wie der Kläger noch selbst hinzugefügt habe, die Betriebsratsarbeit behindere. Seine Behauptungen würden auch keinen Rückhalt in den vom Kläger geschilderten Vorkommnissen haben. Das gelte selbst dann, wenn die vom Kläger angesprochenen Vorfälle sich so zugetragen hätten, wie es der Kläger darstelle. Seine Äußerungen seien ersichtlich provokant und ehrverletzend, was nicht zuletzt aus der vom Kläger dazu abgegebenen Erklärung bezüglich der Verschärfung des Betriebsklimas hervorgehe.

30

Hinzu komme, daß der Kläger den Werkleiter K. in einer überaus gehässigen und niederträchtigen Weise beleidigt habe, indem er ihm aus nichtigem Anlaß am 27. März 1985 entgegengeworfen habe: "Das, was Sie hier machen, sind doch KZ-Methoden," und am 28. März 1985 derartiges wiederholt habe mit den Worten: "Das ist ja wie im KZ, wie man hier behandelt wird."

31

Die Kammer sei auch davon überzeugt, daß der Kläger diese Äußerungen gemacht habe, weil sie keine Veranlassung habe, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen K. zu zweifeln. Sie werde dadurch in ihrer Auffassung bestärkt, daß der Kläger selbst angegeben habe, daß er das Wort "KZ" mit irgendeinem Zusatz Herrn K. gegenüber schon einmal gebraucht habe. Dies zeige, daß der Kläger mit derartig schicksalsbeladenen Worten offenbar recht leichtfertig umzugehen bereit sei. Gerade in einem Ort, der nur wenige Kilometer vom Konzentrationslager ... entfernt liege, über dessen Eingangstor die unsäglich zynischen Worte "Arbeit macht frei" gestanden haben, bedeute es für einen Menschen, der auch nur geringe Kenntnisse über die grauenhaften Vorgänge in den Konzentrationslagern gehabt habe, was bei dem Bildungsstand des Klägers vorauszusetzen sei, den Ausdruck höchster Verachtung für eine menschliche Niedrigkeit eines anderen, wenn er diesen mit Ausdrücken belegt, wie es der Kläger getan habe.

32

Diese Äußerungen des Klägers seien auch weder durch Wahrnehmung berechtigter Interessen noch durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt, denn beides finde seine Grenzen sowohl im Recht der persönlichen Ehre als auch in den Grundregeln des Arbeitsverhältnisses, insbesondere in der Pflicht des Arbeitnehmers zu loyalem Verhalten dem Arbeitgeber und seinen Vorgesetzten gegenüber. Das Gericht verkenne nicht, daß diese Verhaltensgebote das Recht des Arbeitnehmers, berechtigte Kritik zu üben, nicht ausschlössen. Aber auch derartige Kritik habe jedoch in Form und Art angemessen zu sein. Diese Voraussetzungen erfüllten die Äußerungen des Klägers auf der Betriebsversammlung nicht. Der Kläger habe nämlich durch beide Äußerungskomplexe die Grenzen in so erheblichem Maße überschritten und dies zum Teil betriebsöffentlich, so daß es dafür keinerlei Entschuldigung gebe. Das Verhalten des Klägers sei auch derart schwerwiegend, daß es einer Abmahnung nicht bedurft habe.

33

Auch unter Berücksichtigung der Interessen des Klägers aufgrund seines Alters und seiner langen Betriebszugehörigkeit komme bei der Schwere der Verfehlungen nur eine fristlose Kündigung in Betracht. Der Kläger habe nämlich durch sein Verhalten in so erheblichem Maße seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und dadurch das in einem Arbeitsverhältnis unbedingt notwendige Vertrauensverhältnis derartig gestört, daß sich die Beklagte berechtigterweise ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist vom Kläger habe trennen dürfen.

34

Da der Kläger im Kündigungsprozeß unterliege, stehe ihm auch ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzprozesses nicht zu.

35

Dieses Urteil ist dem Kläger am 8. Januar 1986 zugestellt worden. Seine Berufungsschrift ist am 7. Februar 1986 und deren Begründung am 7. März 1986 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen.

36

Der Kläger rechtfertigt seine Berufung nach Maßgabe seines Begründungsschriftsatzes vom 7. März 1986 (Bl. 160 ff d. A.), auf den Bezug genommen wird.

37

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils nach dem Schlußantrag des Klägers erster Instanz zu erkennen.

38

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 29.10.1985 - ArbG Celle 2 Ca 204/85 - zurückzuweisen.

39

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 15. April 1986 (Bl. 182 ff d. A.), auf den ebenfalls Bezug genommen wird.

40

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluß vom 18. Juni 1986 (Bl. 241 ff d. A.) durch Vernehmung der Zeugen G., Y., B., F., F., S., Li., W. und K.

41

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 30. Juni 1986 (Bl. 248 bis 265 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

42

Die Berufung in dieser vermögensrechtlichen Streitigkeit ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes offenkundig 800,00 DM übersteigt.

43

Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden.

44

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (AP Nr. 2 zu § 554 ZPO) muß sich die Rechtsmittelbegründung zwar mit allen angefochtenen Teilen des Urteils befassen. Sind mehrere Ansprüche betroffen, so muß zu jedem einzelnen Anspruch dargelegt werden, warum die Entscheidung des Gerichts für unrichtig gehalten wird.

45

Wird zu einem Anspruch nichts vorgetragen, so ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig.

46

Der Kläger hat zur Rechtfertigung seines Beschäftigungsanspruches in der Berufungsbegründung nichts vorgetragen.

47

Diese Anforderungen können jedoch dann nicht gestellt werden, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs von der Begründetheit des anderen Anspruchs praktisch unmittelbar abhängt. Deshalb braucht eine Berufungsbegründung, die die Abweisung einer Kündigungsschutzklage ordnungsgemäß angreift, nicht noch ausdrücklich Gründe dafür anzuführen, weshalb sie auch die damit im sogenannten uneigentlichen Eventualverhältnis stehende Zahlungsklage angreift (vgl. BAG AP Nr. 27 zu § 72 ArbGG Streitwertrevision). Derartiges ist zwar bisher nur für das Verhältnis Kündigungsschutzklage zur Zahlungsklage höchstrichterlich anerkannt, muß aber auch für die Kündigungsschutzklage und Beschäftigungsklage gelten, weil das BAG seit der Entscheidung des Großen Senats vom 27. Februar 1985 (GS 1/84) davon ausgeht, daß jede Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung durch eine Entscheidung der Instanzgerichte die Beschäftigungspflicht in der Regel auslöst, es sei denn, daß der Arbeitgeber für eine Nichtbeschäftigung erhebliche Gründe darlegt. Dies gilt hier um so mehr, weil auch das Arbeitsgericht den Klagantrag zu 2) nur deshalb abgewiesen hat, weil es die fristlose Kündigung für wirksam hielt, ohne noch eine weitere Begründung dafür zu liefern.

48

Deshalb ist die Berufung insgesamt zulässig.

49

Die Berufung hat auch hinsichtlich des Feststellungsanspruchs Erfolg, weil die Beklagte zur Gewißheit des Landesarbeitsgerichts einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu beweisen vermochte.

50

Entgegen der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist die Kammer davon ausgegangen, daß die Pflichtverletzung eines Betriebsratsmitglieds aus dem Arbeitsvertrag genauso schwer wiegt wie die gleiche Pflichtverletzung eines anderen Arbeitnehmers aus seinem Dienstverhältnis (vgl. KR-Etzel § 15 KSchG Randnummer 26 a; GK-Kraft § 103 BetrVG Randziffer 12). Alles andere liefe auf eine nicht gerechtfertigte und daher verbotene Begünstigung (§ 78 BetrVG) des Amtsträgers hinaus. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, daß betriebsverfassungsrechtliche Amtsträger gerade aufgrund ihrer Betriebsratstätigkeit leichter in Gefahr geraten könnten, ihre arbeitsvertraglichen Pflichten (z.B. durch beleidigende Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber) zu verletzen. Dem ist vielmehr entgegenzuhalten, daß betriebsverfassungsrechtliche Amtsträger durch § 15 KSchG in Verbindung mit § 103 BetrVG in ausreichendem Maße vom Gesetzgeber vor ungerechtfertigten Kündigungen geschützt werden und das Betriebsratsamt keinen Freibrief für beleidigende Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Vorgesetzten gewährt.

51

Da die Feststellung des Arbeitsgerichts, daß der Betriebsrat ordnungsgemäß zugestimmt hat, von der Berufung nicht angegriffen ist, bedurfte es auch keiner Überprüfung der vagen Vermutungen des Klägers, daß an der Beschlußfassung andere Ersatzmitglieder als die, die nach den Listen heranzuziehen gewesen seien, teilgenommen hätten.

52

Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts ist das Landesarbeitsgericht nicht davon überzeugt, daß der Kläger auf der Betriebsversammlung die Geschäftsführer oder den Werkleiter K. grob beleidigt hat. Mit dem BAG (AP Nr. 4 zu § 1 KSchG) geht auch das Landesarbeitsgericht davon aus, daß die Betriebsversammlung ein legitimes Forum zur freien Meinungsäußerung ist zu allen Angelegenheiten, die den Betrieb berühren und für die der Betriebsrat zuständig ist. Dazu ist auch Kritik erlaubt und notwendig, nicht nur an den Zuständen, sondern auch, was damit unvermeidlich verbunden ist, an den Personen, die für diese Zustände verantwortlich sind, einschließlich des Arbeitgebers und der von ihm zur Leitung des Betriebes bestellten Personen sowie der Mitglieder des Betriebsrates. Deshalb reicht es nicht aus, wenn die Kritik in provokanter Form vorgetragen wird, was hier mit Sicherheit der Fall war.

53

Der Kläger hat zwar, wie sich aus der Aussage des Betriebsratsvorsitzenden und Zeugen L. ergibt, auch behauptet, man würde hier wie ein Hund an die Arbeit getrieben werden, eine Äußerung, die auch nach Überzeugung des Landesarbeitsgerichts für sich allein und in dem vom Kläger aufgestellten Kontext beleidigenden Charakter hat. Zu dieser Äußerung ist jedoch der Betriebsrat ausweislich des Anhörungsschreibens nicht gehört worden, so daß die Beklagte darauf ihre Kündigung nicht stützen kann. Dieser Punkt ist vielmehr infolge Nichtanhörung präkludiert.

54

Das gleiche gilt für die Behauptung, die der Kläger selbst aufgestellt hat, der Zeuge K. würde die Betriebsratsarbeit behindern. Damit hat der Kläger eine Straftat im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG behauptet, ohne dafür einen Rechtfertigungsgrund zu haben. Gerade das von ihm in der Betriebsversammlung dafür herangezogene Beispiel "V." wird selbst von der Berufung nicht als Behinderung der Betriebsratsarbeit, sondern als zu Recht erfolgte Zurückweisung des Klägers bezeichnet. Es handelte sich nämlich nicht um eine Angelegenheit, bei der ein Arbeitnehmer nach den Vorschriften des Gesetzes ein Betriebsratsmitglied seines Vertrauens hinzuziehen kann. Es war kein Personalgespräch, keine dienstliche Beurteilung und keine Beschwerde des Arbeitnehmers V., sondern ein dienstliches Gespräch über die Organisation im Lager, das auf Wunsch des Arbeitnehmers V. mit Herrn K. geführt werden sollte.

55

Nach Überzeugung des Landesarbeitsgerichts stellt es keine grobe Beleidigung weder des Zeugen K. noch der Geschäftsführer dar, wenn der Kläger behauptet hat, daß Herr K. den Leistungsdruck auf die Mitarbeiter erhöhe und das Abmahnwesen aufbausche. Hierbei handelt es sich um überspitzte Äußerungen, für die der Kläger hinreichende Rechtfertigungsgründe hatte, dies insbesondere dann, wenn vor Eintritt des Werkleiters K. Abmahnungen im Betrieb der Beklagten kaum vorkamen und sich jetzt häuften und wenn Herr K., wie im Falle "Y." zum Beispiel, aber auch beim Kläger selbst, es nicht duldet, daß sich Arbeitnehmer außerhalb der Pausen von ihrem Arbeitsplatz entfernen oder nicht arbeiten. Wenn der Kläger dies als eine Erhöhung des Leistungsdrucks bezeichnet, so entspricht dies einem gängigen Vokabular aus der gewerkschaftlichen Presse und stellt ein subjektives Empfinden des Klägers dar, das jedenfalls noch durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt ist. Auch wenn der Kläger ohne nähere Ausführungen schlußfolgert, daß Herr K. die Mitarbeiter einschüchtere, was auch durch von ihm veranlaßte Abmahnungen geschehen kann, dann erscheint dies der Kammer ebenfalls nicht ausreichend, um daraus eine grobe Beleidigung des Herrn K. entnehmen zu können.

56

Gewichtiger erscheint jedoch der vom Kläger erhobene Vorwurf, der Zeuge K. würde Persönlichkeitsrechte verletzen. Gerade bei der Sensibilisierung auch der Arbeitnehmer und der Öffentlichkeit für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte stellt dies einen schweren Vorwurf gegen Herrn K. dar. Er ist auch nach Überzeugung der Kammer ehrverletzend. Da nach Aussagen des Klägers und der Zeugin G. nicht festgestellt werden konnte, daß der Kläger auf der Betriebsversammlung auch die Behauptung aufgestellt hat. Herr K. habe Frau G. von der Toilette geholt, hat das Landesarbeitsgericht geprüft, ob der Kläger zu solch einem massiven Vorwurf berechtigt war. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Zeuge K. die Zeugin G. im Vorraum der Damentoilette angetroffen, als sie dort eine Zigarette rauchte. Unstreitig ist aufgrund einer Betriebsvereinbarung, die pikanterweise die Unterschrift des damaligen Betriebsratsvorsitzenden Ku. trägt, das Rauchen in den Betriebsräumen strengstens verboten. Für Raucher steht ausschließlich der Pausenraum zur Verfügung. Da gemäß § 77 Abs. 1 BetrVG der Arbeitgeber verpflichtet ist, auch diese Betriebsvereinbarung durchzuführen, war der Zeuge K. berechtigt, dem hier berechtigten Verdacht nachzugehen, die Zeugin G. würde unerlaubt auf der Toilette rauchen. Selbst wenn er, wie die Zeugin G. behauptet hat, die Tür zum Vorraum der Damentoilette geöffnet hat, dann hat er damit noch nicht das Persönlichkeitsrecht der Zeugin G. verletzt. Das könnte nur dann der Fall sein, wenn die Zeugin G. in diesem Moment nicht nur ihre Hände, sondern empfindlichere Körperteile gewaschen hätte. Ein derartiger Fall lag aber hier nicht vor, so daß der Rechtfertigungsversuch des Klägers für diese Behauptung nach Auffassung der Kammer als gescheitert angesehen werden muß. Die Äußerung des Klägers kann auch nicht als Wahrnehmung berechtigter Interessen angesehen werden, selbst wenn sich die Zeugin G. beim Kläger wegen dieses Nachspürens beschwert hat. Der Kläger als langjähriger Betriebsratsvorsitzender hätte dies entweder im Betriebsrat zur Sprache bringen müssen oder die Zeugin G. auf ihr Beschwerderecht nach § 84 BetrVG hinweisen müssen, nicht jedoch ohne Rücksprache mit dem angeblichen Verletzer des Persönlichkeitsrechts ungeschützt derartige Behauptungen auf einer Betriebsversammlung aufstellen dürfen. Damit hat der Kläger auch nach Überzeugung der Kammer den Zeugen K. beleidigt. Er hat ihm Rechtsverletzungen vorgeworfen, die gar nicht stattgefunden haben, und dafür einen Sachverhalt im Prozeß herangezogen, der zwar pressewirksam eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen könnte, der aber nach seinem konkreten Ablauf auch nicht den Anschein bot, daß der Betriebsleiter K. hier ein Persönlichkeitsrecht einer Arbeitnehmerin verletzt hat. An der Vorsätzlichkeit dieses ehrverletzenden Angriffs hat die Kammer keinen Zweifel, er ergibt sich schon aus der Massierung der Vorwürfe und dem Hinweis an die Geschäftsleitung, sie möge ihre Fürsorgepflicht für die übrigen Arbeitnehmer wahren, die durch rechts- und gesetzwidrige Eingriffe des Werkleiters verletzt würden.

57

Soweit der Kläger den Ausdruck "Machenschaften" benutzt hat, kann das Gericht darin keine Beleidigung erblicken, obwohl auch die Benutzung dieses Ausdrucks auf eine ausdrückliche Geringschätzung des Werkleiters schließen läßt. Machenschaften sind Intrigen, Ränke oder geheime Abmachungen (Wahrig, Deutsches Wörterbuch). Sie werden üblicherweise als üble Machenschaften aufgefaßt, stellen jedenfalls aber keine grobe Beleidigung dar.

58

Auch das Landesarbeitsgericht ist überzeugt davon, daß der Kläger am 27. und 28. März dem Werkleiter K. vorgeworfen hat, er bediene sich KZ-Methoden. Auch das Landesarbeitsgericht hat keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen K. für diese von ihm geschilderten Vorfälle.

59

Der Versuch des Klägers, den Nachweis zu führen, daß er am 27. März eine derartige Äußerung gar nicht gemacht haben könnte, weil sie sonst entweder von den Zeugen S. oder F. hätte gehört werden müssen, ist als gescheitert anzusehen. Beide Zeugen haben zwar bekundet, derartiges nicht gehört zu haben, doch haben beide auch auf den auch im Lager herrschenden großen Lärm durch die Wellpappenanlage hingewiesen und nicht zu bestätigen vermocht, daß sie sich in einer derartigen Nähe zum Kläger und dem Zeugen K. befunden haben, daß sie etwa gewechselte Worte hätten hören müssen. Der Zeuge S. hat sich durch das Lager in anderer Richtung entfernt, F. hat ihn gar nicht mehr gesehen, als der Kläger und der Zeuge K. aus dem Lager heraus in den Fabrikationsraum kamen und der Kläger den Zeugen F. heranrief, auch ein Indiz dafür, daß F. nicht in unmittelbarer Nähe gestanden haben kann, so daß noch hinreichend Zeit gewesen ist, daß der Kläger im Hinausgehen aus dem Lagerraum zum Zeugen K. die inkriminierte Äußerung tun konnte.

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Unterstützend kommt hinzu, daß der Kläger auch bei seiner Anhörung vor dem Betriebsrat diesen allerdings undatierten Vorwurf gar nicht in Abrede genommen hat, sondern nach dem Protokoll der Betriebsratssitzung nur geäußert haben soll, diese Äußerung sei von Herrn K. falsch interpretiert. Schließlich kommt hinzu, daß der Kläger selbst einräumt, eine derartige Äußerung einmal, wenn auch in einem anderen von ihm nicht näher geschilderten Zusammenhang, im Januar 1985 gemacht zu haben, so daß derartige Äußerungen jedenfalls zu seinem allgemeinen Sprachgebrauch gehören.

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Insoweit schließt sich das Landesarbeitsgericht der Bewertung dieser Vorfälle durch das Arbeitsgericht an, wenn dieses ausführt, daß ein Mann wie der Kläger, der im politischen Leben steht und von dem anzunehmen ist, daß er, insbesondere wenn er selbst Reisen zur Gedenkstätte ... organisiert, nicht nur geringe Kenntnis über die grauenhaften Vorgänge in den Konzentrationslagern hat, wußte, daß dieses ein Ausdruck höchster Verachtung für einen anderen Menschen darstellt, genauso wie der Vergleich polizeilichen Vorgehens mit Gestapo-Methoden eine grobe Beleidigung darstellt (vgl. LG Hechingen, NJW 1984, Seite 1766; Schönke-Schröder-Lenkner, StGB, 22. Auflage, § 185 Randnummer 13 m.w.N.) ist auch der Vergleich der Betriebsführung durch den Zeugen K. mit der Art, wie im KZ Zwangsarbeit unter erniedrigenden Umständen durchgeführt wurde, eine unglaubliche Beleidigung eines Vorgesetzten, der deshalb auch nach Überzeugung der Kammer zu Recht rechtzeitig (§ 77 b StGB) bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Lüneburg zum Aktenzeichen 25 Js 11423/85 Strafantrag gestellt hat.

62

Von diesem Vorfall hat die Beklagte erst am 17. April 1985 gelegentlich der Vorbereitung der Geschäftsleitung für die Betriebsversammlung Kenntnis erlangt. Dies ist nach den Aussagen des Zeugen K. glaubhaft, zumal er für die Verzögerung der Weitergabe an die Geschäftsleitung plausible Gründe genannt hat. Besonders erschwerend hält es das Landesarbeitsgericht, daß der Kläger diese Äußerung nicht nur gelegentlich im Rahmen einer möglichen Verärgerung, weil er erneut vom Werkleiter K. an einem Platz erwischt worden ist, der nicht sein Arbeitsplatz war, geäußert hat, sondern kühlen Kopfs am nächsten Tag extra zum Zeugen K. ging, um auf den Vorfall vom Vortage zu sprechen zu kommen, und dort diese Äußerung inhaltlich wiederholt hat.

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Obwohl die Geschäftsleitung deshalb erst am 17. April davon positive Kenntnis erlangt hat, so daß an sich die 2-Wochen-Frist gewahrt wäre, geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß sich die Beklagte die Kenntnis ihres nach eigenen Bekundungen leitenden Angestellten hier wie eigene Kenntnis zurechnen lassen muß, so daß insoweit die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt ist. Die Kenntnis von Vorgesetzten, die selbst keine Entlassungsbefugnis haben, ist nur dann erheblich, wenn sie eine ähnlich selbständige Stellung wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Stellvertreter haben und nicht nur zur Meldung, sondern vorab auch zur Feststellung der für eine außerordentliche Kündigung maßgebenden Tatsachen verpflichtet sind (vgl. BAG EzA Nr. 8, 15 zu § 626 BGB n.F.). Ein Arbeitgeber muß sich die Kenntnis eines in seiner Funktion dem Arbeitgeber angenäherten Vorgesetzten nach Treu und Glauben jedenfalls dann zurechnen lassen, wenn dessen Stellung im Betrieb nach den jeweiligen Umständen erwarten läßt, er werde dem Kündigungsberechtigten den Kündigungssachverhalt mitteilen. Daß der Zeuge K. sich an sich auch für verpflichtet hielt, diesen Sachverhalt unverzüglich zu melden, hat er indirekt eingestanden dadurch, daß er ausführte, weshalb er aus höchstpersönlichen Gründen, nämlich wegen des Laufs seiner Probezeit, gezögert hat, diesen Vorfall der Geschäftsleitung zu melden. Da der Zeuge K. Sachverhalte ermittelte und weitergab, die eine Abmahnung des Klägers rechtfertigen sollten, ist er aufgrund seiner vertraglichen Stellung als leitender Angestellter, der unmittelbar der Geschäftsführung untersteht, auch verpflichtet gewesen, aufgrund seiner quasi Arbeitgeberstellung, daß er den kündigungsberechtigten Geschäftsführern diesen Kündigungssachverhalt unverzüglich mitteilt.

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Dem Arbeitsgericht ist zuzustimmen, wenn es ausführt, daß nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. EzA a.a.O. Nr. 37) der Arbeitgeber eine Kündigung auf frühere Vorgänge, die als Kündigungsgründe gemäß § 626 Abs. 2 BGB an sich verfristet sind, nur stützen kann, wenn diese Vorgänge mit den innerhalb der Ausschlußfrist bekannt gewordenen derart im Zusammenhang stehen, daß die neuen Vorgänge ein weiteres und letztes Glied in der Kette der Ereignisse bilden, die zum Anlaß der Kündigung genommen worden sind. Unsachliche und beleidigende Vorwürfe gegen den Werkleiter K. stellen in erster Linie seine Äußerungen vom 27. und 28. März 1985 dar. Aber auch das Verhalten des Klägers und die menschliche Disqualifizierung des Vorgesetzten K. in der Betriebsversammlung könnten zwar Glied in einer gedachten Kette sein, doch schließt sich das Landesarbeitsgericht der Kritik von Herschel an der o.g. Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts an, der insbesondere rügt, daß eine derartige Zusammenhangstheorie das Gericht hindere, den Lebenssachverhalt, der zur Kündigung führt, ganzheitlich zu würdigen, wie es seine Pflicht ist. Das Gericht meint auch, daß das Minus an Billigkeit, das durch jene Präklusivfrist zugunsten der Rechtssicherheit bewirkt wird, zu groß werden würde. Besonders bedenklich ist, daß durch die Eliminierung bestimmter Vorfälle der Tatbestand, der die Kündigung rechtfertigen soll, verkürzt wird. Das Gericht teilt auch nicht die Befürchtung, daß dadurch ohne Rücksicht auf § 626 Abs. 2 BGB eine fristlose Kündigung auf Vorfälle gestützt werden kann, mit denen der Kündigende schon lange ausgeschlossen ist. Dies trifft nämlich auch bei der vom Bundesarbeitsgericht angenommenen Zusammenhangstheorie zu.

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Das Landesarbeitsgericht geht deshalb mit dem Arbeitsgericht davon aus, daß die Beklagte ihre Kündigung auch unterstützend, wobei das Schwergewicht zweifelsfrei bei den Gründen, die außerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB liegen, stützen kann.

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[xxxxx]tarifliche Frist von 2 Wochen zum Wochenschluß gilt, wie das Bundesarbeitsgericht dies generell für die Kündigung von Betriebsratsmitgliedern schon früher ausgesprochen hat (vgl. BAG AP Nr. 57 zu § 626 BGB).

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Legt man diese Zumutbarkeitsgrenze zugrunde und berücksichtigt zum einen die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers, zum anderen seine nicht unerheblichen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber drei Personen, zum weiteren den Umstand, daß er natürlich als Betriebsratsmitglied, der sich für andere Arbeitnehmer einsetzen will, viel eher in die Gefahr gerät, mit dem Arbeitgeber in Konfrontation zu geraten, schließlich den Umstand, daß der Zeuge K. dafür gesorgt hat, daß der Kläger im Januar 1985 eine unberechtigte Abmahnung bekommen hat, weil es unstreitig geworden ist und auch vom Zeugen K. eingeräumt wurde, daß der Passus im Abmahnungsschreiben vom 28. Januar 1985 (Bl. 172 d. A.) nicht stimmt, daß er sich davon überzeugen konnte, daß noch nicht einmal eines von allen vorhandenen (Kreismessern) gereinigt wurde. Der Zeuge hat eingeräumt, daß nur stichprobenweise geprüft worden ist und daß der Kläger in der Tat einen Teil der Messer gereinigt hatte, bzw. daß ihm dies nicht zu widerlegen sei. Dann ergibt sich bei der Kürze der für die Zumutbarkeitsprüfung in Frage kommenden Zeit von gut 2 Wochen, daß es der Beklagten, auch zur Disziplinierung und Aufrechterhaltung der Autorität des Werkleiters K. zugemutet werden konnte, den Kläger noch für die Dauer dieser kurzen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Es war nicht unabweisbar, daß der Kläger nur fristlos hätte gekündigt werden können. Auch bei einem Arbeitnehmer, der nicht Funktionsträger gewesen ist, wäre es der Beklagten in gleicher Weise zumutbar, sich von diesem bei einer so kurzen Kündigungsfrist ordentlich zu trennen. Auch dies hätte die Autorität des Werkleiters in keiner Weise tangiert. Deshalb ergibt eine (fiktive) Interessenabwägung, daß eine fristlose Kündigung als Ultima ratio nicht geboten erschien.

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Deshalb war auch insoweit das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und auf den Klagantrag zu 1) hin zugunsten des Klägers zu erkennen.

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Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg, soweit der Kläger auch seine Weiterbeschäftigung verlangt.

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Das Gericht hat schon Zweifel, ob nicht die Entscheidung des Große Senats vom 27. Februar 1985 eine unzulässige Rechtsfortbildung darstellt. Es schließt sich insoweit der Entscheidung der 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (3 Sa 101/85 vom 7. Februar 1986; DB 1986, Seite 1126; zustimmend LAG Berlin, 9 Ta 6/86 vom 6. Juni 1986) und der Kritik von Mayer-Maly (JZ 1986, Seite 557 ff) an.

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Unabhängig davon würde aber auch nach der Entscheidung des Großen Senats ein Regelfall nicht vorliegen, weil es diesem Arbeitgeber nur dann zugemutet werden kann, den Kläger weiterzubeschäftigen, wenn unanfechtbar feststeht, daß das Arbeitsverhältnis durch die streitbefangene Kündigung nicht beendet worden ist. Die Beklagte hat zwar ihren Antrag, insoweit die Zwangsvollstreckung auszuschließen, in zweiter Instanz nicht wiederholt, doch treffen die Gründe, die die Beklagte schon in erster Instanz dafür vorgetragen hat, wenigstens teilweise weiterhin zu. Es würde für die Beklagte und insbesondere für den Betriebsleiter K. zu einer erheblichen Beeinträchtigung kommen, wenn der Kläger vorläufig, zumal als Betriebsrat, weiterbeschäftigt würde. Dies erscheint der Kammer erst dann zumutbar, wenn die Rechtsfrage, ob das Arbeitsverhältnis definitiv weiter fortbesteht oder nicht, geklärt ist.

72

Die Berufung war daher insoweit zurückzuweisen.

73

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

74

Da sich der Wert des Streitgegenstandes nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils nicht geändert hat, verbleibt es gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG beim erstinstanzlichen Streitwert.

75

Die Zulassung der Revision für beide Klaganträge beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG.

76

Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.

77

Die Revisionsschrift muß innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils, die Revisionsbegründung innerhalb eines Monats nach Einlegung der Revision bei dem Bundesarbeitsgericht, Graf-Bernadotte-Platz 3, 3500 Kassel eingehen.

78

Die Revisions- und die Revisionsbegründungsschrift müssen von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

79

Die Revisionsschrift, die Revisionsbegründungsschrift und die sonstigen wechselseitigen Schriftsätze im Revisionsverfahren sollen 7fach - für jeden weiteren Beteiligten ein Exemplar mehr - eingereicht werden.