Verwaltungsgericht Lüneburg
v. 23.09.2008, Az.: 3 A 142/07

Altersrentendifferenzschaden; Besatzungsschaden; Rente; Unfallrente

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.09.2008
Aktenzeichen
3 A 142/07
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2008, 45925
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2008:0923.3A142.07.0A

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Ausgleich von Besatzungsschäden bleibt das Besatzungsschädenabgeltungsgesetz auch nach seiner ersatzlosen Aufhebung im Mai 2008, weil es von den Behörden aufgrund selbst erklärter Verwaltungspraxis und Selbstbindung durch seine weitere Anwendung jetzt "normgleiche Wirkung" entfaltet.

  2. 2.

    Eine Entschädigung für den Verlust oder die Minderung der "Erwerbsfähigkeit" ist zu begrenzen auf die Zeit, in der der Betreffende dem Erwerbsleben überhaupt noch zur Verfügung steht. Mit dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ist der unfallbedingte und auszugleichende Schaden nicht mehr unter Berücksichtigung des "fiktiven Erwerbseinkommens" zu ermitteln, sondern unter Berücksichtigung des "fiktiven Ruhegehaltes".

  3. 3.

    Treffen im Ruhestandsalter des Geschädigten Unfallrente und Ersatz des "Altersrentendifferenzschadens" nach dem Besatzungsschädenabgeltungsgesetz zusammen, findet die Regelung des § 93 GVB VI entsprechende Anwendung, und die Entschädigung wird gekürzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe von Rentenleistungen nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden.

2

Der Kläger wurde am 8. Oktober 1938 geboren. Am 24. April 1947 wurde er durch einen Angehörigen der britischen Streitkräfte bei einem Verkehrsunfall verletzt. Der Schädelbasisbruch verheilte, die Armnervenlähmung links blieb. Mit Bescheid der Stadt Münster wurde dem Kläger eine laufende Entschädigung wegen Minderung bzw. Aufhebung der Erwerbsfähigkeit auf der Grundlage einer Quote von 2/3 des erzielbaren Einkommens eines Dachdeckergesellen gewährt.

3

Zur Zeit eines Freiheitsentzuges stürzte der Kläger am 27. Juni 1985 von einem Gerüst zehn Meter tief (Fersenbeinbruch und Schulterverletzung rechts). Aufgrund des Unfalles bezieht der Kläger eine Unfallrente.

4

Bereits in der Vergangenheit gab es Streit darüber, ob die Rente nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden gekürzt werden kann wegen der gewährten Unfallrente. Mit Urteil des OVG Münster vom 8. Dezember 2005 wurde für die Zeit von Januar 1992 bis Ende November 1998 entschieden, dass die Unfallrente in voller Höhe auf die Entschädigungsrente anzurechnen sei, so dass sich die Entschädigungsrente in Höhe der Unfallrente entsprechend verringere.

5

Wegen des Erreichens des gesetzlichen Rentenalters wurde die Entschädigung nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden für die Zeit ab 1. November 2003 neu berechnet. Im Bescheid vom 2. März 2007 errechnete die Beklagte einen erstattungsfähigen Altersrentendifferenzschaden in Höhe von monatlich 44,38 EUR. Dazu wurde ausgeführt: Aufgrund einer Proberentenberechnung der deutschen Rentenversicherung ergebe sich eine Altersrente in Höhe von Brutto 1 159,30 EUR. Für die Zeit vom 1. November 2003 bis zum 30. Juni 2007 betrage die Unfallrente monatlich 1 092,73 EUR. Bei voller Anrechnung ergebe sich ein Differenzbetrag von 66,57 EUR, der entsprechend der früheren Regelung zu 2/3 in Ansatz gebracht werde. Daraus errechne sich der monatliche Betrag von 44,38 EUR.

6

Der Kläger legte Widerspruch ein. Er überreichte eine Berechnung der deutschen Rentenversicherung nach § 93 SGB VI. Da nach § 93 SGB VI nur eine teilweise Anrechnung stattfindet, wenn eine Rente aus eigener Versicherung mit einer Unfallrente zusammentrifft, errechnete die deutsche Rentenversicherung für die Zeit ab 1. November 2003 eine zu gewährende monatliche Bruttorente von 832,48 EUR.

7

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2007 wurde die Gewährung einer höheren Rente jedoch abgelehnt, weil § 93 SGB VI beim Kläger keine Anwendung finde.

8

Der Kläger hat am 25. Juli 2007 Klage erhoben, weil die volle Anrechnung der Verletztenrente nicht rechtmäßig sei.

9

Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 1. November 2003 über die gewährte Entschädigung in Höhe von monatlich 44,38 EUR hinaus eine weitere Entschädigung von monatlich 510,61 EUR zu gewähren (Gesamtbetrag: monatlich 554,99 EUR) und den Bescheid der Beklagten vom 2. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2007 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegen steht.

10

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

11

Sie entgegnet: Ein Anspruch auf weitere Leistungen bestehe nicht, weil das OVG Münster mit Bindungswirkung entschieden habe, dass die Unfallrente in voller Höhe auf die Entschädigung nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden anzurechnen sei. § 93 SGB VI sei vorliegend nicht anwendbar, weil der Kläger keine Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalte, sondern eine Entschädigungsleistung nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichten Umfang begründet.

14

Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte verpflichtet wird, ihm für die Zeit vom 1. November 2003 bis zum 30. Juni 2007 über die gewährte Entschädigung von monatlich 44,38 EUR hinaus eine weitere Entschädigung von monatlich 510,61 EUR zu gewähren - Gesamtbetrag also monatlich 554,99 EUR (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Bescheid der Beklagten vom 2. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2007 ist aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

15

Die Klage ist allerdings erfolglos, soweit es den über den 30. Juni 2007 hinausgehenden Zeitraum betrifft. Denn die Unfallversicherung in Höhe von monatlich 1 092,73 EUR, die mit zur Grundlage der Berechnung der Entschädigungshöhe gemacht worden ist, umfasst nur den Zeitraum vom 1. November 2003 bis zum 30. Juni 2007 (Mitteilung der Landesunfallkasse vom 03.05.2005, Bl. 1420 VV, ergänzt mit Schreiben vom 14.02.2006, Bl. 1540 VV, Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 2.3.2007). Für die Zeit ab Juli 2007 ist dem Gericht eine Berechnung nicht möglich, so dass eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten nicht ausgesprochen werden kann.

16

Hierzu ist auszuführen:

17

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist - letztlich - das Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden - BeSchAbgG -. Dieses Gesetz ist allerdings durch Art. 25 des Gesetzes zur Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Finanzen und zur Änderung des Münzgesetzes (BGBl. 2008 Teil I, 810) im Mai 2008 ersatzlos aufgehoben worden. Jedoch geht der Gesetzgeber nach der Begründung des Aufhebungsgesetzes (insoweit BT-Drs. 717/07 Seite 35) davon aus, dass die bisher gewährten Rentenzahlungen von der Aufhebung unberührt bleiben. Im Hinblick auf Härtefälle des § 40 BeSchAbgG ist "im Interesse der Gleichbehandlung ... im Rahmen der Selbstbindung an der bisherigen Verwaltungspraxis festzuhalten und die wenigen noch denkbaren Fälle weiterhin in diesem Sinne zu behandeln". Der Vertreter der Beklagten hat auch in der mündlichen Verhandlung erklärt, Leistungen entsprechend dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden würden auch zukünftig gewährt. Die Rentengewährung und Rentenberechnung erfolge nunmehr entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers beim Aufhebungsgesetz im Interesse der Gleichbehandlung (Art. 3 GG) durch Selbstbindung an das (bisherige) Besatzungsschädenabgeltungsgesetz. Rechtsgrundlage für den Anspruch ist deshalb letztlich das Besatzungsschädenabgeltungsgesetz, das auch nach seiner Aufhebung durch Selbstbindung und Verwaltungspraxis "normgleiche Wirkung" entfaltet (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2007, § 114 Rn. 42).

18

Da vorliegend die Beklagte aus den Gründen des Einzelfalles ohnehin nur verpflichtet werden kann, dem Kläger die begehrte weitere Entschädigung bis zum 30. Juni 2007 zu gewähren, mag offenbleiben, ob für diesen Zeitraum nicht noch das Besatzungsschädenabgeltungsgesetz unmittelbare Rechtsgrundlage ist.

19

Nach §§ 4, 15 Abs. 2, 18 Abs. 1, 19 Abs. 1 BeSchAbgG hat der Kläger Anspruch auf eine Rente. Das ist zwischen den Parteien unstreitig. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 BeSchAbgG wird eine Entschädigung für Vermögensnachteile gewährt, die dem Verletzten dadurch entstehen, dass seine Erwerbsfähigkeit aufgehoben oder gemindert worden ist oder seine Bedürfnisse vermehrt worden sind. Nach § 18 Abs. 1 BeSchAbgG bemisst sich die Entschädigung wegen Aufhebung der Erwerbsfähigkeit nach dem Einkommen, das der Verletzte durch seine Arbeit voraussichtlich hätte erzielen können, wenn der Schadensfall nicht eingetreten wäre. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit bemisst sich die Entschädigung nach dem Betrag, um den das Einkommen, das der Verletzte durch seine Arbeit erzielt oder erzielen könnte, geringer ist als das Einkommen, das er ohne den Schadensfall durch seine Arbeit hätte erzielen können. Eine Entschädigung für Verlust oder Minderung der "Erwerbsfähigkeit" ist freilich zu begrenzen auf die Zeit, in der der Betreffende dem Erwerbsleben überhaupt noch zur Verfügung steht. Mit dem Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ist der unfallbedingte und auszugleichende Schaden nicht mehr unter Berücksichtigung des "fiktiven Erwerbseinkommens" zu ermitteln, sondern unter Berücksichtigung des "fiktiven Ruhegehaltes" ( Urt. der Kammer v. 08.04.2008 - 3 A 6/07 -). Es ist ein "Altersrentendifferenzschaden" auszugleichen. Der Eintritt in das Rentenalter ist eine Änderung der Verhältnisse, die für die Gewährung wiederkehrender Entschädigungsleistungen maßgebend sind, und diese Änderung führt zu einer entsprechenden Anpassung der vorher gewährten Entschädigung nach § 57 BeSchAbgG.

20

In der hiernach vorgegebenen Weise ist die Beklagte vorgegangen, und sie hat in ihrem Bescheid vom 2. März 2007 aufgrund einer Proberentenberechnung der deutschen Rentenversicherung eine Altersrente in Höhe von Brutto 1 159,30 EUR ermittelt. Hiervon hat sie - was die Zeit vom 1. November 2003 bis zum 30. Juni 2007 angeht - die Unfallrente von monatlich 1 092,73 EUR in voller Höhe abgezogen. Der verbleibende Betrag von 66,57 EUR ist - da die Entschädigung nach einer Quote von 2/3 bemessen wird - auf 44,38 EUR vermindert worden.

21

Die Anrechnung der Unfallrente in voller Höhe ist fehlerhaft. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 93 SGB VI.

22

Für den Fall, dass für denselben Zeitraum ein Anspruch auf eine (Alters-)Rente aus eigener Versicherung und auf eine Verletztenrente besteht, trifft § 93 SGB VI besondere Bestimmungen. Danach wird die (Alters-)Rente gekürzt nach Maßgabe des § 93 Abs. 3 SGB VI. Dem liegt die Erwägung zugrunde, Doppelleistungen für denselben Zweck zu verhindern. Die Altersrente hat im weiteren Sinne Einkommensersatzfunktion. Arbeitnehmer erhalten ihre durch Beiträge finanzierte Rente nicht aus Fürsorgegründen, sondern weil sie am Ende ihres Arbeitslebens eine ihrer Lebensarbeitsleistung entsprechende Rente durch Beiträge (als "Alterslohn") verdient haben, die nach Eintritt des Rentenalters an die Stelle des früher erzielten Arbeitsentgeltes oder Arbeitseinkommens tritt. Der Rentner wird so in die Nachbarschaft des Lohnempfängers gerückt ( BSG, Urt.v. 31.03.1998 - B 4 RA 49/96 R -, juris). Demgegenüber hat die Unfallrente verschiedene Funktionen: Sie hat Lohnersatzfunktion und soll insoweit einen Verdienstausfall des Geschädigten ausgleichen. Sie soll daneben aber auch unfallbedingten Mehraufwand, immaterielle Schäden und erhöhte Anstrengungen des Unfallgeschädigten auffangen, abdecken und entschädigen ( BSG, Urt.v. 10.04.2003 - B 4 RA 32/02 R -, juris). Der Gedanke, zu verhindern, dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden, führt dazu, dass die Unfallrente unter Berücksichtigung ihrer verschiedenen Zwecke in einen anrechungsfähigen und einen anrechnungsfreien Teil zu zergliedern ist. Soweit die Unfallrente Lohnersatzfunktion hat, führt dies zur Verminderung der Altersrente. Insoweit haben die Unfallrente und die Altersrente die gleiche Funktion. Der Teil der Unfallrente indes, der die immateriellen Schäden an Körper und Gesundheit des Verletzten ausgleichen soll, kann auf die Altersrente nicht angerechnet werden und führt nicht zu deren Verkürzung. Dieser Teil ist dem Betreffenden ungekürzt zu belassen, weil die Altersrente keine immateriellen Schäden ausgleichen soll und im Hinblick auf immaterielle Schäden keine Doppelversorgung festzustellen ist ( BSG, Urt.v. 05.09.2007 - B 11b AS 15/06 R -, juris; BAG, Urt.v. 19.07.1983 - 3 AZR 241/82 -, NJW 1984, 83; Urt.v. 29.07.2003 - 3 AZR 425/02 -, NJOZ 2005, 2402; BSG, Beschl.v. 26.06.2007 - B 4 R 1/07 S -, juris). Wenn der Gesetzgeber in § 93 SGB VI geregelt hat, dass die gesetzliche Rente gekürzt wird, die Unfallrente aber ungekürzt bestehen bleibt, eine "umgekehrte" Kürzung hingegen nicht vorgesehen ist, ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich angesichts des weiten gesetzgeberischen Ermessensspielraumes.

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Demgegenüber betont der Bundesgerichtshof (Urt.v. 03.12.2002 - VI ZR 304/01 -, juris) entgegen der dargestellten festen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes und Bundesarbeitsgerichtes, die Unfallrente habe "ausschließliche Lohnersatzfunktion" und keinen konkret fassbaren "immateriellen" Bestandteil. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung könnte dies im vorliegenden Fall die Folge haben, dass - wenn eine "Doppelversorgung" vermieden werden soll - die "Altersrente" und der darin enthaltene "Altersrentendifferenzschadenersatz" nach dem Besatzungsschädenabgeltungsgesetz um den vollen Betrag der Unfallrente zu kürzen wäre. Der Ansicht des Bundesgerichtshofes folgt die Kammer jedoch nicht. Sie wird dem Funktionswandel der Verletztenrente nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seiner Entscheidung vom 7. Nov. 1972 (1 BvL 4/71, 1 BvL 17/71, 1 BvL 10/72, 1 BvR 355/71, NJW 1973, 502 [BVerfG 07.11.1972 - 1 BvR 338/68]) erkannt, dass in den leichteren Fällen der Verletztenrente in der Regel keine Verdienstminderung gegenübersteht, und auch in mittelschweren Fällen die Verdienstminderung regelmäßig nicht ins Gewicht fällt; "insoweit kommt der Verletztenrente oder einem großen Teil von ihr wirtschaftlich die Funktion des Ersatzes von Vermögensschaden nicht zu". In dem Kammerbeschluss vom 8. Febr. 1995 (1 BvR 753/94, juris) hat das Bundesverfassungsgericht weiter darauf hingewiesen, dass § 93 SGB VI verhindern will, dass

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der Teil der Verletztenrente, von dem angenommen wird, dass er keine Lohnersatzfunktion hat, sich rentenmindernd auswirkt. Damit sollte insgesamt eine Verbesserung für Schwerverletzte gegenüber dem bis dahin geltenden Recht erreicht werden (Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung - Rentenreformgesetz 1992, BTDrucks. 11/4124 <S. 174>). Da der Freibetrag regelmäßig der Änderung der Lebensverhältnisse angepasst wird, wird nunmehr nicht nur bei leichter Verletzten, sondern auch bei Schwerstverletzten zumindest ein Teil des immateriellen Schadens und nicht nur der Verdienstausfall durch die Gesamtrente ausgeglichen.

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Angesichts dessen ist dem Standpunkt des Bundesgerichtshofes in seinem Urteil vom 3. Dezember 2002 (a.a.O.):

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Eine Absicht des Gesetzgebers, der Verletztenrente, über die bestehende Rechtslage hinausgehend, eine grundsätzlich neue Funktion - und sei es auch nur für einen Teilbetrag - zuzuweisen, ist nicht erkennbar. Dafür geben weder die gesetzliche Regelung noch die Gesetzesmaterialien etwas her.

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von der Kammer hier nicht zu folgen.

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Im vorliegenden Fall ist § 93 SGB VI allerdings nicht unmittelbar anwendbar. Denn es geht bei genauer Betrachtung nicht um das Verhältnis von Unfallrente und Altersrente (aus eigener Versicherung), sondern um das Verhältnis von Unfallrente zu einer Entschädigung nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden. Das Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden sieht eine Anrechnung der Unfallrente auf die Entschädigung überhaupt nicht vor, und es verweist auch nicht auf § 93 SGB VI.

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Jedoch ist § 93 SGB VI entsprechend (analog) für Fälle der vorliegenden Art heranzuziehen. Dabei wird nicht verkannt, dass die Entschädigung nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden nicht gleichgesetzt werden kann mit einer "Rente aus eigener Versicherung", von der der Wortlaut des § 93 SGB VI ausgeht. Indes ist zu berücksichtigen, dass die Entschädigung des "Altersrentendifferenzschadens" wirtschaftlich an das (fiktive) Ruhegehalt des Geschädigten anknüpft. Die Entschädigung wird gezahlt als "Rentenausgleich" in Höhe der Differenz zwischen der Rente, die der Geschädigte als gesunder Mensch hätte erreichen können und derjenigen (niedrigeren oder fehlenden) Rente, die er infolge des Besatzungsschadens (nur oder nicht) hat erreichen können. Die "Entschädigung des Altersrentendifferenzschadens" nach dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden tritt "an die Stelle der Altersrente" aus eigener Versicherung. Die Entschädigung ist gleichsam "Rentenersatz" statt des "Lohnersatzes" aus der Zeit vor dem Rentenalter. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die nach dem Besatzungsschädenabgeltungsgesetz gewährte Rente wegen Einkommensminderung (vor dem Rentenalter) ebenso wie der Altersrentendifferenzschadenersatz (nach Eintritt des Rentenalters) "allein" Lohnersatzfunktion bzw. Rentenersatzfunktion hat; die Entschädigung nach dem Besatzungsschädenabgeltungsgesetz soll nicht "zusätzlich" auch immaterielle Schäden und erhöhte Anstrengungen des Unfallgeschädigten auffangen, abdecken und entschädigen. Dies geht aus § 18 BeschAbgG eindeutig hervor. Insoweit ist im Hinblick auf "immaterielle" Schäden eine "doppelte" Entschädigung hier nicht festzustellen. Die in § 93 SGB VI geregelte Konfliktlage ist deshalb auch in Fällen der vorliegenden Art gegeben, weil es um das Zusammentreffen von "Altersrente" ("Altersrentendifferenzschadenersatz") und Unfallrente geht.

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Aus alledem folgt, dass der mit der Klage geltend gemachte Anspruch für die Zeit vom 1. November 2003 bis zum 30. Juni 2007 gerechtfertigt ist. Denn die Rentenversicherung hat mit Schreiben vom 29. März 2007 mitgeteilt, dass sich bei einer fiktiven Altersrente von 1 159,30 EUR und einer Unfallrente von 1 092,73 EUR aufgrund des § 93 SGB VI eine verbleibende Rente in Höhe von 832,48 EUR (brutto) ergibt. Hiervon müssen Krankenversicherung und Pflegeversicherung nicht mehr abgezogen werden, da der Kläger in der Krankenkasse freiwillig versichert ist (Widerspruchsbescheid Seite 2 unten). 2/3 von 832,48 EUR ergeben 554,99 EUR. Da die Beklagte bereits durch ihren Bescheid vom 2. März 2007 i.d.F. des Widerspruchsbescheides 44,38 EUR gewährt hat, ist Beklagte zu verpflichten, dem Kläger eine weitere Entschädigung von monatlich 510,61 EUR (Differenz zum Gesamtbetrag von 554,99 EUR) zu gewähren.

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Der Verpflichtung der Beklagten steht das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster vom 8. Dezember 2005 nicht entgegen. Dieses Urteil hatte nach den dort im Prozess gestellten Anträgen (lediglich) die Zeit bis zum 30. November 1998 zum Gegenstand. Wegen des Erreichens des gesetzlichen Rentenalters durch den Kläger am 1. November 2003 haben sich die Verhältnisse grundsätzlich geändert, so dass nach § 57 BeSchAbgG die Entschädigung neu zu berechnen gewesen ist. Mit dem Erreichen des Rentenalters hat sich auch die Rechts- und Sachlage im Sinne des § 121 VwGO geändert, so dass das rechtskräftige Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster seitdem keine weitere materielle Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO mehr entfaltet (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 121 Rn. 28). Der Streitgegenstand ist jetzt ein anderer als derjenige, mit dem sich das Oberverwaltungsgericht Münster auseinanderzusetzen hatte. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass das Oberverwaltungsgericht Münster - da der Kläger das Rentenalter noch nicht erreicht hatte - keine Veranlassung hatte, die unmittelbare oder entsprechende Vorschrift des § 93 SGB VI zu prüfen.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.