Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 03.04.2006, Az.: 3 B 165/06

Pflegegeldkürzung bei aus finanziellen Gründen nicht unterhaltsverpflichteten Großeltern als Pflegepersonen i.R.d. wirtschaftlichen Jugendhilfe; Zulässigkeit eines durch Auswechseln des ursprünglichen Antragstellers geänderten Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
03.04.2006
Aktenzeichen
3 B 165/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 32505
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2006:0403.3B165.06.0A

Fundstellen

  • FamRB 2007, 191-192
  • JAmt 2006, 248-250
  • NJW 2007, X Heft 8 (amtl. Leitsatz)
  • NJW 2007, 940-941 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZfF 2007, 21
  • ZfF 2007, 86-88

Verfahrensgegenstand

Pflegegeldkürzung bei Großeltern als Pflegepersonen nach dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe

Amtlicher Leitsatz

(KICK vom 08.09.2005, BGBl. I S. 2729) Sind Großeltern, die ein Enkelkind i.S.v. §§ 27, 33 SGB VIII pflegen, aus finanziellen Gründen nicht unterhaltsverpflichtet, kommt eine Pflegegeldkürzung gemäß § 39 Abs. 4 S. 4 SGB VIII allenfalls hinsichtlich des immateriellen Erziehungsbeitrages in Betracht.

Tenor:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin im Rahmen der mit Bescheid vom 12.01.2006 gewährten Hilfe zur Erziehung ab April 2006 wirtschaftliche Jugendhilfe in Höhe von weiteren 294,00 EUR monatlich zu bewilligen und an die Beigeladene auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung höheren Pflegegeldes nach §§ 33, 39 SGB VIII.

2

Sie wurde am 26.09.1995 mit 15 Jahren Mutter einer Tochter namens E.. Aufgrund ihres jugendlichen Alters befand sich E. nahezu seit ihrer Geburt im Haushalt ihrer Großmutter, der Beigeladenen, und wird von dieser bis heute betreut. Das Personensorgerecht hat die Antragstellerin. Mit Bescheid vom 27.11.2000 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII für ihre Tochter ab 25.05.2000. Das Pflegegeld in Höhe von seinerzeit 987,00 DM monatlich wurde direkt an die Beigeladene als Pflegeperson überwiesen. Mit Bescheid vom 09.01.2001 wurde das monatliche Pflegegeld ab 01.01.2001 auf 1.014,00 DM erhöht. Mit Bescheid vom 16.12.2002 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 33 SGB VIII nicht mehr vorlägen und wies darauf hin, dass ab 01.01.2003 gemäß §§ 11, 16 BSHG der Lebensunterhalt ihrer Tochter nur noch in Höhe des doppelten Sozialhilferegelsatzes in Form von Verwandtenpflege sichergestellt werde. Die bisher gewährte Vollzeitpflege werde eingestellt. Im Rahmen einer Besitzstandswahrung werde allerdings weiterhin der bisher gezahlte Pflegesatz geleistet. Dieser werde bei zukünftigen Erhöhungen solange nicht angepasst, bis der doppelte Sozialhilferegelsatz die Höhe der jetzigen Leistung erreicht habe. Dementsprechend wurden der Beigeladenen ab 01.01.2003 jeweils monatlich 582,00 EUR direkt überwiesen.

3

Mit Bescheid vom 12.01.2006 gewährte die Antragsgegnerin der Antragstellerin gemäß §§ 27, 33 SGB VIII für ihre Tochter ab 01.02.2006 wiederum Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege in Höhe von 288,00 EUR monatlich. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass die Änderung der gewährten Hilfe aufgrund einer Änderung des SGB VIII durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe vom 08.09.2005 (BGBl. I, S. 2729) notwendig geworden sei. Mit Schreiben vom selben Tag wurde dies der Beigeladenen mitgeteilt.

4

Die Beigeladene erhält nach einem Bescheid der ARGE Salzgitter vom 09.02.2006 vom 01.03. bis 31.08.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 550,53 EUR. Bei der Berechnung wurde die Regelleistung für die erwerbsfähige Beigeladene sowie die Hälfte der monatlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 205,53 EUR berücksichtigt. Am 23.01.2006 wandte sich die Beigeladene zunächst an den Oberbürgermeister der Antragsgegnerin. Mit Schreiben vom 02.02.2006 erhob diese Widerspruch gegen das Schreiben vom 12.01.2006 und forderte die Antragsgegnerin auf, weiterhin monatlich "Verwandtenpflege" in Höhe von 582,00 EUR zu bewilligen. Diese Leistung sei ihr im Rahmen einer Besitzstandswahrung mit Bescheid vom 16.12.2002 zugesprochen worden. Die Voraussetzungen für diesen Bescheid seien weiterhin gegeben. Es bestehe keinerlei Veranlassung und auch kein Grund, die Leistungen plötzlich und kurzfristig um nahezu 300,00 EUR monatlich zu kürzen. Sie pflege und versorge ihre Enkeltochter vollständig in ihrem Haushalt und sei auf diese Leistungen dringend angewiesen. Sie sei ledig und beziehe lediglich Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 27.02.2006 teilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen mit, dass ihr als Pflegemutter mit Schreiben vom 12.01.2006 lediglich die Höhe des neuen Betrages zur Kenntnis gegeben worden sei. Bei diesem Schreiben handele es sich jedoch nicht um einen Verwaltungsakt, so dass ein Widerspruch unzulässig sei.

5

Bereits am 24.02.2006 hat zunächst die Beigeladene einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Ergänzend trägt sie vor, sie berufe sich auf Vertrauensschutz bzw. die Grundsätze der Besitzstandswahrung. Ihre Enkeltochter erhalte keine Unterhaltszahlungen von den Eltern. Die Mutter von E. sei Hausfrau ohne eigenes Einkommen und habe nach ihrer Hochzeit zwei weitere minderjährige Kinder. Ihre Enkeltochter besuche die 4. Klasse der Grundschule und habe eine Empfehlung für das Gymnasium erhalten. Für diese werde das staatliche Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR gezahlt. Der Satz von 582,00 EUR sei sachlich gerechtfertigt, weil sie keinen Barunterhalt erhalte und auch den Naturalunterhalt vollständig übernommen habe.

6

Auf Hinweis des Gerichts hat die Antragstellerin das erhobene Verfahren übernommen. Mit Beschluss vom 03.04.2006 ist ihre Mutter beigeladen worden.

7

Die Antragstellerin beantragt (sinngemäß),

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen für eine Vollzeitpflege betr. E. B. in Höhe von weiteren 294,00 EUR monatlich zu gewähren.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

9

Zur Begründung trägt sie vor, der Antrag sei unzulässig, da die Antragstellerin das Bestehen eines Anordnungsanspruches weder dargelegt noch glaubhaft gemacht habe. Im Übrigen sei gegen den Bescheid vom 12.01.2006 bisher nicht Klage erhoben worden, weshalb dieser bestandskräftig geworden sei. Dementsprechend stehe einer weitergehenden Forderung die Bestandskraft des Bescheides entgegen, weshalb ein Anspruch auf höhere Leistungen auch nicht über eine einstweilige Anordnung erreicht werden könne. Darüber hinaus stehe der Antragstellerin auch kein Anspruch auf die Gewährung höheren Pflegegeldes zu. Mit Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes bestehe die Möglichkeit, auch dann Hilfe zur Erziehung zu gewähren, wenn diese Aufgabe von unterhaltspflichtigen Verwandten übernommen werde. Daher gewähre sie nunmehr der Antragstellerin nach §§ 27 Abs. 2a, 33 SGB VIII Hilfe zur Erziehung. Die nach § 39 SGB VIII erforderliche Sicherstellung des notwendigen Unterhaltes des Kindes außerhalb des Elternhauses erfolge grundsätzlich durch das Pflegegeld, welches als monatlicher Pauschalbetrag gewährt werde. Dieser Pauschalbetrag werde durch das Land Niedersachsen festgesetzt und bestehe aus den materiellen Aufwendungen in Höhe von 496,00 EUR einschließlich eines Mietanteiles von zur Zeit 131,00 EUR und einem einheitlichen Erziehungsbeitrag von zur Zeit 207,00 EUR. Der Pauschalbetrag könne nach § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII angemessen gekürzt werden, wenn die Pflegeperson unterhaltspflichtig sei. Dieses sei bei der Beigeladenen als Großmutter ohne weiteres der Fall. Im Rahmen der Entscheidung über die mögliche Kürzung des Pauschalbetrages sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es gerade unterhaltspflichtigen Personen zuzumuten sei, die Betreuung auch bei geringeren Leistungen durchzuführen. Auf der anderen Seite sei die Grenze des Zumutbaren einzuhalten. Vorliegend betreffe die Kürzung den Wegfall des Erziehungsbeitrages und eine Reduzierung der materiellen Aufwendungen um einen Prozentsatz, der im Verhältnis der gesamten materiellen Aufwendungen zum im Pflegegeld enthaltenen Mietanteil stehe. Die prozentuale Kürzung sei grundsätzlich dann vorzunehmen, wenn die Pflegeperson das Kind in ihrer Wohnung aufnehme und dabei keine zusätzlichen Mietkosten entstehen. Dementsprechend sei der übliche Pauschalbetrag in Höhe von 703,00 EUR (496,00 EUR materielle Aufwendungen + 207,00 EUR Erziehungsbeitrag) um den Erziehungsbeitrag (207,00 EUR) + 26,41% der materiellen Aufwendungen (131,00 EUR/496,00 EUR = 131,00 EUR) und um die Hälfte des Kindergeldes (77,00 EUR) zu kürzen. Danach ergebe sich als Pauschalbeitrag für eine unterhaltspflichtige Pflegeperson eine Summe in Höhe von 288,00 EUR. Im Fall der Antragstellerin seien auch keine Gründe ersichtlich gewesen, warum von der regelmäßigen Kürzung bei unterhaltspflichtigen Pflegepersonen abzuweichen gewesen wäre. Im Übrigen übersteige das Pflegegeld im vorliegenden Fall auch die mögliche Hilfe zum Lebensunterhalt um 33,84 EUR. Hinzu komme, dass im Gegensatz zur Hilfe zum Lebensunterhalt auch noch einige einmalige Leistungen gewährt würden, so dass der Abstand zur Sozialhilfe gewahrt sei. Es sei nicht Aufgabe des Pflegegeldes, finanzielle Interessen der Pflegeeltern zu erfüllen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Beratung.

11

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg. Der Antrag ist nach Änderung durch Auswechseln der ursprünglichen Antragstellerin, der nunmehr Beigeladenen, durch die allein anspruchsberechtigte Antragstellerin (vgl. VG Göttingen, Urt. v. 24.05.2005 - 2 A 424/03 -) analog § 91 Abs. 1 VwGO, welche die Kammer für sachdienlich hält, zulässig.

12

Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern, oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß den §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO hat der Antragsteller sowohl seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.

13

Bei im Rahmen des gerichtlichen Eilrechtsschutzes nur möglicher und zulässiger summarischer Prüfung hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch, d.h. das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches auf die von ihr geltend gemachte weitere wirtschaftliche (Jugend)Hilfe in Höhe von 294,00 EUR monatlich im Rahmen der ihr mit Bescheid vom 12.01.2006 dem Grunde nach bewilligten Hilfe zur Erziehung glaubhaft gemacht. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass gegen den Bescheid vom 12.01.2006 keine Klage erhoben wurde. Denn bei dem hier begehrten Pflegegeld als Leistung zum Unterhalt eines Kindes in Vollzeitpflege handelt es sich um einen "Annexanspruch" zum Anspruch auf Hilfe zur Erziehung des Personensorgeberechtigten (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.09.1996 - 5 C 31.95 -, FEVS 47, 433 ff.). Dieser Anspruch ist nicht als rentengleiche Dauerleistung zu qualifizieren, sondern entsteht jeden Monat neu (vgl. BVerwG, Urt. v. 08.06.1995 - 5 C 30.93 -, FEVS 46, 94 ff.). Dementsprechend hindert die Bestandskraft des Bescheides vom 12.01.2006 einen Anordnungsanspruch, der lediglich ab dem Monat der gerichtlichen Entscheidung anerkannt werden kann, nicht.

14

Nach Ansicht der Kammer steht der Antragstellerin im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens jedenfalls gemäß §§ 27, 33, 39 SGB VIII (i.d.F. v. 08.09.2005, BGBl. I, S. 2729) wirtschaftliche Jugendhilfe in der von ihr begehrten Höhe von insgesamt 582,00 EUR monatlich zu. Die von der Antragsgegnerin vorgenommene Kürzung der bisher bewilligten Leistung auf 288,00 EUR monatlich entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben.

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Die Antragsgegnerin gewährt der Antragstellerin aufgrund des Bescheides vom 12.01.2006 seit dem 01.02.2006 Hilfe zur Erziehung durch Vollzeitpflege ihrer Tochter bei ihrer beigeladenen Großmutter. Damit hat die Antragsgegnerin gemäß § 39 Abs. 1 SGB VIII auch den notwendigen Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses sicherzustellen, welcher auch die Kosten der Erziehung erfasst. Sie hat auf diese Weise von der durch § 27 Abs. 2a SGB VIII durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz (v. 08.09.2005, BGBl. I, S. 2729) hervorgehobenen Möglichkeit der Bewilligung von Hilfe zur Erziehung auch bei Vollzeitpflege durch Großeltern Gebrauch gemacht. Gemäß § 39 Abs. 2, 4 SGB VIII soll der gesamte regelmäßig wiederkehrende Bedarf des Kindes durch laufende Leistungen auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten gedeckt werden, sofern sie einen angemessenen Umfang nicht übersteigen. Diese Leistungen sollen in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalles abweichende Leistungen geboten sind, § 39 Abs. 4 Satz 1, 3 SGB VIII. Nach der durch das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz eingefügten Bestimmung des § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII kann der monatliche Pauschalbetrag angemessen gekürzt werden, wenn die Pflegeperson unterhaltsverpflichtet ist.

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Auf dieser Grundlage ist der monatliche Pauschalbetrag in Bezug auf ein 10jähriges Kind für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auf insgesamt 703,00 EUR festgesetzt worden (vgl. Preisliche Fortschreibung des monatlichen Pauschalbetrages bei Vollzeitpflege in der Jugendhilfe - §§ 39, 33 SGB VIII - in NDV 2005, 491). Dabei beträgt der Anteil für materielle Aufwendungen 496,00 EUR und beinhaltet einen Anteil für Unterkunftskosten (einschl. Heizkosten) in Höhe von 131,00 EUR. Der Erziehungsbeitrag ist in Höhe von 207,00 EUR festgesetzt worden. Von der Gesamtsumme in Höhe von 703,00 EUR ist gemäß § 39 Abs. 6 SGB VIII die Hälfte des Kindergeldes, d.h. 77,00 EUR, anzurechnen. Diese Beträge sind nach der gesetzgeberischen Wertung in § 39 Abs. 1 SGB VIII erforderlich, um den notwendigen Unterhalt eines Kindes außerhalb des Elternhauses sicherzustellen (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 28.10.1998 - 4 L 3289/89 -, recherchiert in Juris). Damit steht Pflegeeltern ohne Berücksichtigung von Kindergeld grundsätzlich eine Summe von 626,00 EUR für den notwendigen Unterhalt des Pflegekindes i.S.v. § 39 Abs. 1 SGB VIII zur Verfügung.

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Im Fall der Antragstellerin ist die Kürzung dieses Betrages auf 288,00 EUR nicht gerechtfertigt. Zwar ist in dem neu formulierten § 39 Abs. 4 Satz 4 SGB VIII bestimmt, dass der monatliche Pauschalbetrag angemessen gekürzt werden kann, wenn die Pflegeperson unterhaltsverpflichtet ist. Damit wird ein Bezug zu der neuen Regelung in § 27 Abs. 2a SGB VIII hergestellt. Zu Sinn und Zweck dieser neuen Regelungen wird in der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/3676 zu Nr. 14b, § 39, S. 36) Folgendes ausgeführt:

"Mit der klarstellenden Regelung in § 27 Abs. 2a ist sichergestellt, dass auch künftig Großeltern die Aufgabe von Pflegeeltern im Rahmen von Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 33 übernehmen können, wenn die Leistungsvoraussetzungen nach § 27 vorliegen und der Hilfebedarf auf diese Weise gedeckt werden kann. Andererseits kann nicht in Abrede gestellt werden, dass Großeltern aufgrund ihrer engen verwandtschaftlichen Beziehung zu dem Kind oder Jugendlichen und der daraus resultierenden Unterhaltspflicht auch eine von der Rechtsordnung anerkannte Pflichtenposition haben und deshalb von der staatlichen Gemeinschaft nicht ohne weiteres dieselbe finanzielle Honorierung für ihre Betreuungs- und Erziehungsleistungen innerhalb der Verwandtschaft erwarten dürfen wie Pflegepersonen, die dem Kind oder Jugendlichen nicht so eng verbunden sind. Deshalb ist vorgesehen, dass das Jugendamt das Pflegegeld in solchen Fällen nach der Besonderheit des Einzelfalls geringer bemessen kann."

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Damit ist zum einen klargestellt, dass die Frage, ob und in welcher Höhe bei unterhaltspflichtigen Pflegeeltern eine Kürzung des Pflegegeldes vorgenommen wird, nach den Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles zu entscheiden ist. Vor diesem Hintergrund verbietet sich eine generalisierende Betrachtungsweise wie sie die Antragsgegnerin hier vorgenommen hat. Darüber hinaus trägt der Gesetzgeber der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Rechnung (vgl. u.a. Urt. v. 12.09.1996, a.a.O.), in dem er maßgeblich auf die aus der engen verwandtschaftlichen Beziehung der Großeltern zu dem Kind resultierende Unterhaltspflicht abstellt, welche nunmehr im Einzelfall eine Kürzung des Pflegegeldes rechtfertigen kann. Die aus den §§ 1601, 1602, 1615a BGB resultierende (gegenüber der Unterhaltspflicht der Eltern nachrangige) Unterhaltspflicht der Großeltern besteht jedoch nur dann, wenn diese aufgrund ihrer eigenen Einkommensverhältnisse in Bezug auf die Zahlung von Unterhalt leistungsfähig sind (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 28.10.1998, a.a.O.).

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Im vorliegenden Verfahren dürfte unstreitig sein, dass die Beigeladene als Pflegeperson insoweit in keinster Weise leistungsfähig ist, da diese für ihre Person lediglich Leistungen nach dem SGB II bezieht, bei deren Berechnung neben dem Regelbetrag auch lediglich ihr hälftiger Anteil für Unterkunft und Heizung berücksichtigt wird. Dementsprechend ist sie gegenüber ihrer Enkeltochter - entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin - nicht unterhaltspflichtig. Bei dieser Sachlage kommt nach Ansicht der Kammer eine Kürzung des in dem Pauschalbetrag enthaltenen Anteils für materielle Aufwendungen in Höhe von 496,00 EUR nicht in Betracht. Vielmehr ist dieser Betrag im vorliegenden Verfahren um 74,53 EUR aufzustocken. Denn § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII bestimmt, dass die laufenden Leistungen (lediglich dann) in einem monatlichen Pauschalbetrag gewährt werden sollen, soweit nicht nach der Besonderheit des Einzelfalles abweichende Leistungen geboten sind. Im vorliegenden Verfahren beträgt der Anteil des Pflegekindes an den Unterkunfts- und Heizkosten 205,53 EUR. Insoweit ist von angemessenen Unterkunfts- und Heizkosten auszugehen, da auch die ARGE Salzgitter bei der Bewilligung von SGB II-Leistungen an die Beigeladene diesen Betrag angesetzt hat. Da der Pauschalanteilsbetrag von 496,00 EUR lediglich Unterkunftskosten in Höhe von 131,00 EUR enthält, ist dieser Betrag entsprechend auf 570,53 EUR aufzustocken.

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Zwar dürfte in Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Großeltern oder ein Großelternteil aus finanziellen Gründen nicht unterhaltspflichtig sind, eine Kürzung des sozusagen immateriellen Erziehungsbeitrages in Höhe von 207,00 EUR grundsätzlich in Betracht kommen. Ist bei dem Pflegekind jedoch ein erzieherischer Bedarf zu decken, was bei der Bewilligung von Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII anzunehmen ist, hält die Kammer jedoch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens selbst beim Einsatz von dem Kind aufgrund von Verwandtschaft nahe stehenden Pflegepersonen eine gänzliche Kürzung nicht für zulässig. Auf dieser Grundlage und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Kürzung des Pflegegeldes um die Hälfte des ursprünglichen Betrages ohne Vorankündigung und Anhörung der Antragstellerin und abgesehen vom Hinweis auf die Änderung des SGB VIII ohne nähere Begründung erfolgt ist, ist der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung jedenfalls der lediglich 11,47 EUR höhere ursprüngliche Betrag von 582,00 EUR monatlich zu bewilligen bzw. der bereits gewährte Betrag von 288,00 EUR um weitere 294,00 EUR monatlich aufzustocken. Nach welchen Maßstäben das Pflegegeld bei aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse unterhaltspflichtigen Großeltern im Einzelfall gekürzt werden kann, ist demgegenüber hier nicht zu entscheiden.

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Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist auch ein Anordnungsgrund, d.h. die materielle Eilbedürftigkeit der Regelung, glaubhaft. Denn die nunmehr verheiratete und zwei Kinder im Alter von fünf und fast zwei Jahren erziehende Antragstellerin verfügt nach den Verwaltungsvorgängen über kein eigenes Einkommen, welches sie einsetzen könnte, um ihrer Unterhaltspflicht gegenüber ihrer Tochter gerecht zu werden. Insoweit wirkt sich der dringende Bedarf ihrer Tochter in Bezug auf die Deckung des Lebensunterhaltes auf die Feststellung des Anordnungsgrundes des von der Antragstellerin gestellten einstweiligen Rechtsschutzantrages aus.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.