Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 28.04.2006, Az.: 2 B 176/06
Alter; Altersgrenze; Berufsfreiheit; Flugmedizin; flugmedizinischer Sachverständiger; Flugsicherheit; Gutachter; Sachverständiger; Sicherheit; Sicherheitsinteresse
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 28.04.2006
- Aktenzeichen
- 2 B 176/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 53175
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 24e Abs 6 S 2 LuftVZO
- Art 12 GG
- Art 80 Abs 1 GG
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Verfahrenskosten.
Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf die Verlängerung seiner Anerkennung als flugmedizinischer Sachverständiger der Klasse 1 gemäß § 24e Abs. 6 LuftVZO über den 30.04.2006 hinaus. Der am E. geborene Antragsteller hat die Altersgrenze des § 24e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO, wonach die Anerkennung längstens bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres des flugmedizinischen Sachverständigen verlängert werden kann, überschritten.
Die Festsetzung einer Altersgrenze in § 24e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO ist nach summarischer Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verfassungsgemäß. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass die Altersgrenze von 68 Jahren für flugmedizinische Sachverständige gegen das Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG verstößt. Die Höchstaltersgrenze greift auf der Stufe der subjektiven Zulassungsvoraussetzungen in die Freiheit der Berufswahl ein. Nach der Drei-Stufen-Theorie des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG, Urt. v. 11.06.1958 - 1 BvR 596/56 -, BVerfGE 7, 377, 400 ff.) ist der Eingriff in das Grundrecht nur gerechtfertigt, wenn er dem Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgutes dient, verhältnismäßig ist und keine übermäßige, unzumutbare Belastung enthält (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 04.05.1983 - 1 BvL 46/80, 1 BvL 47/80 -, BVerfGE 64, 72 zur Verfassungsmäßigkeit einer Altersgrenze für Prüfingenieure für Baustatik). Nach diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben geht die Kammer nach vorläufiger Prüfung davon aus, dass ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut hier in dem Interesse der Allgemeinheit an einer sorgfältigen und zuverlässigen Arbeit der flugmedizinischen Sachverständigen vorliegt. Die von den flugmedizinischen Sachverständigen durchgeführten Tauglichkeitsuntersuchungen sind eine wichtige Voraussetzung für die Erteilung von Lizenzen für erlaubnispflichtiges Luftfahrtpersonal (vgl. § 20 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 LuftVZO i.V.m. JAR-FCL 3 deutsch, sowie §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 26 Abs. 1, 26a LuftVZO). Die Tauglichkeit des Luftfahrtpersonals ist wiederum eine wesentliche Grundlage der Sicherheit des Luftverkehrs. Deshalb kommt einer sorgfältigen und zuverlässigen Untersuchung des Luftfahrtpersonals durch die Fliegerärzte eine besondere Bedeutung zur Gewährleistung eines sicheren Luftverkehrs zu, insbesondere, da hier Gefahren für Leib und Leben durch die Tätigkeit von nicht oder nicht hinreichend tauglichen Personen unmittelbar bestehen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich dem Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung zu einer Altersgrenze für Prüfingenieure (BVerfG, Beschl. v. 04.05.1983, a.a.O.) insoweit angeschlossen, als eine unverhältnismäßige Zulassungsbeschränkung nicht vorliege, wenn der Gesetzgeber die Zulassung zu einem Beruf, bei dem jedes Versagen zu einer erheblichen Gefährdung von Leben und Gesundheit der Bevölkerung führen könne, über das Alter hinaus untersage, in dem erfahrungsgemäß die körperlichen und geistigen Kräfte erheblich nachzulassen begännen und die berufliche Tätigkeit des Menschen im Allgemeinen ihre natürliche Grenze gefunden habe (zu einer Altersgrenze von 70 Jahren). Flugmedizinische Sachverständige üben eine vergleichbare, staatlich gebundene Berufstätigkeit aus. Bezogen auf die Altersgrenze für Vertragsärzte von 68 Jahren nach § 95 Abs. 7 SGB V hat das Bundesverfassungsgericht bereits in einem Beschluss vom 31.03.1998 (1 BvR 2167/93 u. 1 BvR 2198/93, NJW 1998, 1776) ausgeführt, dass damit Gefährdungen, die von älteren, nicht mehr voll leistungsfähigen Vertragsärzten für die Gesundheit der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten ausgehen, ausgeschlossen werden. Die Tätigkeit als Vertragsarzt stelle hohe Anforderungen an die volle körperliche und geistige Leistungsfähigkeit. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass die Gefahr einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit zunehmenden Alter größer werde. Entsprechendes gilt für die Tätigkeit der flugmedizinischen Sachverständigen, die bei der Tauglichkeitsuntersuchung ebenfalls ärztlich tätig werden.
Insoweit ist es dem Gesetzgeber im Rahmen seines Ermessens nicht verwehrt, einer generalisierenden Regelung den Vorzug vor einer Prüfung der individuellen Leistungsfähigkeit eines jeden flugmedizinischen Sachverständigen zu geben. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit lässt in der Regel mit zunehmenden Alter nur unmerklich nach, wobei das Ausmaß des Nachlassens im Allgemeinen erst dadurch erkennbar wird, dass es zu Fehlleistungen kommt, die im Interesse der Sicherheit des Luftverkehrs vermieden werden sollen (vgl. zur Einführung einer Altersgrenze für Sachverständige VGH Mannheim, Beschl. v. 18.09.1990 - 14 S 1252/90 -, NVwZ-RR 1991, 192). Dass für eine individuelle Prüfung der Leistungsfähigkeit von flugmedizinischen Sachverständigen die bestehenden Verwaltungsstrukturen erweitert und Prüfungsmaßstäbe entwickelt werden müssten, kommt hinzu (vgl. zur Altersgrenze nach § 95 Abs. 7 SGB V, HessLSG, Urt. v. 15.03.2006 - L 4 KA 32/05 -, Juris).
Die Festsetzung der Altersgrenze in § 24e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO auf das vollendete 68. Lebensjahr ist verhältnismäßig. Sie steht im Einklang mit den langjährig gewonnenen Erfahrungen, wonach der Durchschnitt der Berufstätigen gerade im siebten Lebensjahrzehnt eine Abnahme der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit erfährt (VGH Mannheim, Beschl. v. 18.09.1990, a.a.O.). Jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist für die Kammer nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber nach neueren Erkenntnissen gezwungen war, sein Ermessen dahin auszuüben, eine höhere Altersgrenze festzulegen. Sofern es dafür tragfähige Anhaltspunkte gibt, wäre dieser Frage ggf. im Hauptsacheverfahren nachzugehen. Die höhere Lebenserwartung zu Beginn dieses Jahrhunderts spricht möglicherweise dafür. Einstweilen ist aber davon auszugehen, dass insbesondere für die besonders verantwortungsvolle und mitunter fachlich schwierige Tätigkeit des flugmedizinischen Sachverständigen eine Altersgrenze von 68 Jahren nicht unverhältnismäßig ist. Sie führt auch nicht zu übermäßigen, unzumutbaren Belastungen.
§ 24e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO verstößt ferner nicht gegen Art. 80 Abs. 1 GG. Eine Verordnungsermächtigung muss danach Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung in einem Gesetz bestimmen. Das ist im Hinblick auf die Altersgrenze des § 24e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO in § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 LuftVG nach vorläufiger Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz geschehen. Diese Verordnungsermächtigung erstreckt sich nicht nur auf das Luftfahrtpersonal an sich, sondern auch auf die Anforderungen an die Befähigung und Eignung „dieser Personen“ sowie das Verfahren zur Erlangung der Erlaubnisse und Berechtigungen. Die notwendige Befähigung und Eignung haben nur taugliche Bewerber um eine Lizenz (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 LuftVG i.V.m. § 20 Abs. 1, Abs. 2, §§ 24 Abs. 1, 26, 26a LuftVZO i.V.m. JAR-FCL 3 deutsch). Das Verfahren zur Erlangung der Erlaubnisse sieht den Nachweis der Tauglichkeit durch ein Tauglichkeitszeugnis vor (§ 24a - d LuftVZO). Die Untersuchungen werden von flugmedizinischen Sachverständigen bzw. flugmedizinischen Zentren durchgeführt, die jeweils das Tauglichkeitszeugnis ausstellen, sofern es nicht vom Luftfahrt-Bundesamt ausgestellt wird (§ 24d Abs. 1 LuftVZO). In diesem Regelungszusammenhang darf auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung in § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 LuftVG nicht nur die Zulassung von flugmedizinischen Sachverständigen und flugmedizinischen Zentren geregelt werden, sondern als weitere Voraussetzung für die Tätigkeit auch eine Altersgrenze. Es darf vom Verordnungsgeber also festgelegt werden, ob mit dem Erreichen eines bestimmten Alters die Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Fliegerarzt nicht mehr vorliegen. Die Altersgrenze in § 24e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO trifft in der Sache daher keine andere Regelung als weitere Voraussetzungen für die Anerkennung als flugmedizinischer Sachverständiger (vgl. § 24e Abs. 2 - 4 LuftVZO).
Die Altersgrenze in § 24e Abs. 6 Satz 2 LuftVZO ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil eine rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Übergangsregelung fehlen würde. Vielmehr gibt es in § 110 Abs. 1 LuftVZO eine Übergangsregelung, wonach fliegerärztliche Untersuchungsstellen nach § 24e Abs. 1 LuftVZO a.F. im Umfang ihrer bisherigen Anerkennung als flugmedizinische Sachverständige befristet auf drei Jahre weiterhin anerkannt werden. Aus dem Verweis auf § 24e Abs. 6 LuftVZO n.F. in § 110 Abs. 1 Satz 2, wonach die Altersgrenze bei einer Verlängerung gilt, kann der Antragsteller nach vorläufiger Prüfung für sich nichts herleiten. Denn er ist bereits F. Jahre alt. Er die Altersgrenze bereits um mehr als drei Jahre überschritten und die Übergangsregelung in Anspruch genommen. Drei Jahre für den Übergang dürften sich nach einstweiliger Prüfung nach verfassungsrechtlichen Maßstäben als verhältnismäßig erweisen und dem Vertrauensschutz hinreichend Rechnung tragen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.05.1983, a.a.O., zu einer Übergangsregelung von drei Jahren für Prüfingenieure).
Entscheidungen der JAA sind kein geltendes Recht. Die von dem Antragsteller behauptete Aufhebung einer Altersbegrenzung für Fliegerärzte in den JAR bedeutet im Übrigen lediglich, dass es jedem Mitgliedsstaat überlassen bleibt, eine Altersbegrenzung einzuführen oder davon abzusehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert ist in Anwendung der §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG nach dem Ermessen des Gerichts in Höhe der geschätzten Vorteile des Antragstellers bei einer einstweiligen Fortführung seiner flugmedizinischen Tätigkeit festgesetzt worden.