Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.03.2006, Az.: 6 A 386/03

Abschiebungsschutz; Abschiebungsverbot; Asyl; Asylbewerber; Ausländer; Gutachten; Montenegro; posttraumatische Belastungsstörung; Serbien; Verfolgungsgrund; Widerruf; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
28.03.2006
Aktenzeichen
6 A 386/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53376
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Absehen von einem Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG wegen posttraumatischer Belastungsstörung.

Tatbestand:

1

Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit aus dem Kosovo. Sie wenden sich dagegen, dass die Beklagte die Feststellung, es bestehe ein Abschiebungsverbot, widerrufen hat.

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Die Kläger reisten nach eigenen Angaben erstmals im Jahre 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten erfolglos Asyl- und Asylfolgeanträge. Eigenen Angaben zufolge kehrten sie im Jahre 1997 in ihre Heimat zurück und reisten im darauf folgenden Jahr wieder in die Bundesrepublik ein. Nach ihrer Wiedereinreise stellten sie einen weiteren Folgeantrag, auf den die 7. Kammer des erkennenden Gerichts mit Urteil vom 7. Juni 1999 die Beklagte dazu verpflichtete festzustellen, dass für die Kläger die Voraussetzungen des Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) vorliegen. Dem kam die Beklagte mit Bescheid vom 12. Juli 1999 nach.

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Unter dem 28. März 2003 gab die Beklagte den Klägern Gelegenheit, zum eingeleiteten Widerrufsverfahren Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme legten die Kläger nicht vor.

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Daraufhin widerrief die Beklagte mit zwei Bescheiden vom 9. September 2003 die Feststellung zu § 51 AuslG und stellte darüber hinaus fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht gegeben seien.

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Gegen die am 16. September 2003 zugestellten Bescheide haben die Kläger am 30. September 2003 Klage erhoben. Sie machen im Wesentlichen geltend, die Kläger zu 1. und 2. litten aufgrund ihrer Erlebnisse im Kosovo unter psychischen Problemen.

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Die Kläger beantragen,

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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. September 2003 im Hinblick auf die Kläger zu 1. und zu 2. aufzuheben.

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Soweit sie zunächst auch die Aufhebung des die Klägerin zu 3. betreffenden Bescheides beantragt hatten, haben die Kläger die Klage zurückgenommen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid.

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Das Gericht hat die Kläger zu 1. und 2. in der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2005 informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Außerdem hat das Gericht ein psychiatrisches Gutachten eingeholt zu der Frage, unter welcher psychischen Erkrankung der Kläger zu 1. leidet und welche Ursachen und Folgen die Erkrankung hat. Wegen der Feststellungen des Gutachters Dr. B., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, wird auf das Gutachten verwiesen (Bl. 202 ff. der Gerichtsakte).

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen nimmt das Gericht auf den Inhalt der Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug.

Entscheidungsgründe

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Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

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Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Der die Kläger zu 1. und 2. betreffende Bescheid ist rechtswidrig und verletzt beide Kläger in ihren Rechten. Die Beklagte durfte die Feststellung, dass für diese Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG gilt, nicht widerrufen.

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Dem Widerruf steht die Regelung in § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Mit dieser Regelung, die dem Art. 1 C Nrn. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention nachgebildet ist und den Regelungsgehalt dieser Vorschriften in sich aufnimmt, wird die gesetzliche Pflicht zum Widerruf durchbrochen. Der unbestimmte, gerichtlich voll überprüfbare Rechtsbegriff der „zwingenden, auf früheren Verfolgungen beruhenden Gründe" lässt die Berücksichtigung humanitärer Gründe zu. In Betracht kommen ausschließlich Gründe, die ihre Ursache in einer früheren Verfolgung haben. Damit soll der psychischen Sondersituation Rechnung getragen werden, in der sich ein Asylbewerber befindet, der ein besonders schwer wiegendes, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten hat und dem es deshalb selbst lange Jahre danach ungeachtet der veränderten Verhältnisse nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (vgl. Nds. OVG, Urt. vom 28.06.2002 - 8 LB 10/02 -; Hessischer VGH, Beschl. vom 28.05.2003, InfAuslR 2003, 400; Marx, AsylVfG, 6. Aufl., § 73 Rn.127; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: April 2006, § 73 AsylVfG, Rn. 29, 32; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 73 AsylVfG Rn. 10 f.; ebenso bereits zum inhaltsgleichen § 16 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG a. F.: VGH Baden-Württemberg, Urt. vom 12.02.1986, NVwZ 1986, 957 [VGH Hessen 15.05.1986 - 10 OE 77/83]).

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Die Kläger zu 1. (I.) und zu 2. (II.) können sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe in dem dargelegten Sinn berufen.

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I. Der Kläger zu 1. leidet zur Überzeugung des Gerichts unter einer verfolgungsbedingten posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund dieser Erkrankung liegt ein besonders schwer wiegendes, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal vor, das die Rückkehr des Klägers in das Kosovo unzumutbar macht und damit dem angegriffenen Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegensteht.

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1. Der Facharzt Dr. B. kommt in seinem psychiatrischen Gutachten vom 12. Dezember 2005 zu dem Ergebnis, dass der Kläger zu 1. jedenfalls aufgrund der im Jahre 1998 erlittenen gewalttätigen Übergriffe serbischer Sicherheitskräfte, aber auch wegen weiterer Erlebnisse in seinem Heimatland, die entweder retraumatisierend gewirkt hätten oder als zusätzliche Traumata angesehen werden müssten, unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Das Gericht ist auch unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks, den es in den mündlichen Verhandlungen von dem Kläger gewonnen hat, von der Richtigkeit der fachärztlichen Feststellungen zum Krankheitsbild und den daraus resultierenden Folgen überzeugt (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Liegt eine fachärztliche Stellungnahme vor, die dem Ausländer eine posttraumatische Belastungsstörung bescheinigt, so kann das Gericht regelmäßig mangels hinreichender eigener Sachkunde die Bescheinigung nicht von sich aus als nicht aussagekräftig ansehen (vgl. Nds. OVG, Beschl. vom 14.09.2000 - 11 M 2486/00 -). Anders ist es nur dann, wenn die ärztliche Stellungnahme nicht nachvollziehbar ist, weil sie insbesondere keine den anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen genügende Begründung enthält, weil sie von anderen, nicht offensichtlich unzureichenden ärztlichen Bescheinigungen abweicht oder weil sie nicht erkennen lässt, dass objektiv bestehende, diagnoserelevante Zweifel berücksichtigt wurden (vgl. VG Braunschweig, Urt. vom 19.03.2004 - 6 A 66/03 -, AuAS 2004, 226 ff.). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben.

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Das Gutachten des Facharztes ist unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den mündlichen Verhandlungen in sich schlüssig und nachvollziehbar. Den Feststellungen liegen die international anerkannten Diagnoseschemata zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen zu Grunde; auch im Übrigen entspricht die Begründung des Facharztes, an dessen Fachkunde keine Zweifel bestehen, den anerkannten wissenschaftlichen Erfordernissen (vgl. z. B. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: Leitlinien Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik - Posttraumatische Belastungsstörung, www.uni-duesseldorf.de/AWMF; Projektgruppe „Standards zur Begutachtung psychotraumatisierter Menschen“: Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen; Lindstedt in: Asylpraxis, Band 7, S. 97 ff.).

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Durchgreifende Bedenken ergeben sich insbesondere nicht aus der Tatsache, dass der Vortrag des Klägers zu den Erlebnissen in seiner Heimat uneinheitlich geblieben ist. Das Gutachten setzt sich mit den Ungereimtheiten im Vortrag des Klägers auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass diese auf ein krankheitsbedingtes Vermeidungsverhalten bzw. eine durch die Erkrankung verursachte Gedächtnisfunktionsstörung zurückzuführen sein können. Das Gericht hat auf der Grundlage dieser gutachterlichen Ausführungen und des durch die Befragung des Klägers gewonnenen persönlichen Eindrucks die Überzeugung gewonnen, dass jedenfalls die vom Gutachter zur Begründung seiner Diagnose herangezogenen Darstellungen des Klägers der Wahrheit entsprechen. Soweit sich Widersprüche im Vergleich zur Darstellung dieser Ereignisse durch seine Ehefrau und in den schriftlichen Ausführungen seines Prozessbevollmächtigten ergeben, ist dies zur Überzeugung des Gerichts im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Ehefrau an den fraglichen Geschehnissen nicht selbst beteiligt gewesen ist und der Kläger im Vorfeld der schriftlichen Darlegungen nicht unmittelbar in seiner Muttersprache befragt worden war.

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2. Aufgrund der psychischen Erkrankung des Klägers sind die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG erfüllt.

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a. Die dem Kläger attestierte posttraumatische Belastungsstörung beruht auf einer früheren Verfolgung. Sie ist nach den überzeugenden Ausführungen in dem vorliegenden fachärztlichen Gutachten auf die im Jahre 1998 erlittenen gewalttätigen Übergriffe serbischer Sicherheitskräfte zurückzuführen. Darüber hinaus ist es im Zusammenhang mit Übergriffen serbischer Sicherheitskräfte auf albanische Volkszugehörige zu weiteren Erlebnissen gekommen, die nach den Ausführungen des Gutachters entweder retraumatisierend gewirkt haben oder als zusätzliche Traumata angesehen werden müssen. Die psychische Erkrankung des Klägers beruht damit auf der Gruppenverfolgung, der die ethnischen Albaner - und damit auch die Kläger - nach dem Urteil des Gerichts vom 7. Juni 1999 seinerzeit im Kosovo ausgesetzt waren. Die dargelegten Übergriffe sind jedenfalls Ausdruck der damals im Kosovo herrschenden gruppengerichteten politischen Verfolgung, auf deren Grundlage den Klägern Abschiebungsschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG gewährt wurde. Die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG setzt nicht voraus, dass in dem vorangegangenen Asylverfahren aufgrund der Verfolgungsmaßnahmen, auf die die psychische Sondersituation des Ausländers zurückzuführen ist, eine individuelle politische Verfolgung festgestellt wurde. Weder der Wortlaut noch der Zweck der Regelung, nach der die Widerrufspflicht allein wegen der verfolgungsbedingten psychischen Sondersituation ehemals Verfolgter durchbrochen werden soll, gibt Raum für eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereichs.

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b. Auf der Grundlage der ihm bescheinigten posttraumatischen Belastungsstörung ist festzustellen, dass der Kläger ein besonders schwer wiegendes Verfolgungsschicksal hat und dieses derart nachhaltig fortwirkt, dass von einer psychischen Sondersituation des Klägers auszugehen ist, die ihm die Rückkehr in das Kosovo unzumutbar macht. Die Entstehungsgeschichte des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG und die mit einer verfolgungsbedingten Traumatisierung regelmäßig zumindest für den Fall der Rückkehr verbundenen schwerwiegenden psychischen Folgen sprechen dafür, dass eine im Heimatland des Erkrankten verfolgungsbedingt ausgelöste posttraumatische Belastungsstörung stets, also ohne dass daneben die Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes für den Fall der Rückkehr ausdrücklich festgestellt werden muss, zur Unzumutbarkeit der Rückkehr im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG führt (vgl. auch Marx, aaO., § 73 Rn. 130; Salomons/Hruschka, ZAR 2005, 1, 3, 7, jeweils m.w.N.).

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Unabhängig davon droht dem Kläger aufgrund seiner psychischen Erkrankung im Falle einer Rückkehr in die Heimat aber auch eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Dr. B. hat in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt, es dürfte ein aussichtsloses Unterfangen sein, bei dem Kläger im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland eine Retraumatisierung zu vermeiden; in diesem Fall sei mit einer deutlichen Zunahme von Angst bis hin zu einem Suizid zu rechnen. Die mit der Retraumatisierung einhergehende Reaktualisierung der traumatischen Erlebnisse führt nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen dazu, dass sich das Symptombild der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene voll oder gesteigert entfaltet (s. nur XENION - Psychotherapeutische Beratungsstelle für politisch Verfolgte -, Psychische Reaktionen nach Extrembelastungen bei traumatisierten Kriegsflüchtlingen, Stellungnahme vom 13.07.1999; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 407). Retraumatisierungen bewirken eine Chronifizierung des Krankheitsbildes und verschlechtern damit anhaltend den Gesundheitszustand des Traumatisierten (Schlüter-Müller, Stellungnahme vom 20.05.2005 zu den Beschlüssen des OVG NRW vom Dezember 2004). Durch Retraumatisierung entstehen also jedenfalls schwerwiegende neue seelische Verletzungen, sodass dem Kläger bei einer Rückkehr in die Heimat schon aus diesem Grund eine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben droht. Das Gericht kann daher offen lassen, ob posttraumatische Belastungsstörungen im Kosovo nach aktuellem Stand adäquat behandelbar und von den Patienten insbesondere finanzierbar sind (vgl. dazu z. B. VG Oldenburg, Urt. vom 27.01.2004 - 12 A 550/03 -).

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Die Beklagte kann auch nicht erfolgreich einwenden, der Kläger sei nicht gezwungen, sich an den Ort der erlittenen Traumatisierung zu begeben, er könne sich vielmehr in einem anderen Ort Serbien und Montenegros niederlassen. Auf der Grundlage der vorliegenden fachärztlichen Stellungnahme lässt sich die Gefahr einer Retraumatisierung nicht auf einen bestimmten Ort im Kosovo eingrenzen.

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Bezogen auf die übrigen Landesteile Serbien und Montenegros (außerhalb des Kosovo) ist außerdem nicht ersichtlich, dass der Kläger die erforderlichen Leistungen des Gesundheitssystems ohne erhebliche Verzögerungen und für ihn finanzierbar in Anspruch nehmen könnte. Kostenlos können Bürger aus dem Kosovo in den übrigen Landesteilen von Serbien und Montenegro nur dann behandelt werden, wenn sie bei einer Kommunalbehörde registriert oder als Ausgesiedelte, Flüchtlinge oder Vertriebene anerkannt sind; anderenfalls müssen sie die Kosten der medizinischen Versorgung selbst tragen (Deutsche Botschaft Belgrad, Auskünfte vom 12.08.2003 an das VG Aachen, vom 13.02.2004 an das VG Minden, vom 10.06.2004 an das VG Hannover, vom 06.08.2004 an das VG Stade und vom 22.05.2003 an den Hessischen VGH; UNHCR, Auskunft vom 29.03.2003 an das VG Koblenz; VG Braunschweig, Urt. vom 08.07.2005 - 6 A 327/04 -). Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger einen solchen Status derart zeitnah erreichen könnte, dass die in seinem Fall erforderliche Behandlung und Medikation sichergestellt wäre.

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Zwar besteht für serbisch-montenegrinische Staatsangehörige wie den Kläger grundsätzlich Niederlassungsfreiheit auf dem gesamten Territorium der Republik Serbien. In der Praxis ist dieser Anspruch jedoch selbst nach der durch diplomatische Rücksichtnahmen geprägten Formulierung des Auswärtigen Amtes „nicht immer problemlos durchsetzbar“ (Auskunft vom 08.02.2005 an das VG Bremen; entsprechend auch UNHCR, aaO.). Nicht nur albanische Volkszugehörige, sondern auch Angehörige anderer ethnischer Minderheiten müssen nach Angabe des Auswärtigen Amtes „mit erheblichem Widerstand der zuständigen Kommunalbehörden rechnen, der im Einzelfall nur durch Beschreitung des Rechtswegs überwunden werden kann“. Dies soll selbst für mittellose Serben gelten. Daneben ist die in der Vergangenheit wohl großzügiger gehandhabte Registrierung als aus dem Kosovo stammender „intern Vertriebener“ für die Personen ausgeschlossen worden, die nicht unmittelbar aus dem Kosovo umsiedeln, sondern - was für den Kläger zutreffen würde - aus Drittstaaten zurückkehren (Auswärtiges Amt, aaO.).

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II. Auch die Klägerin zu 2. leidet unter schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigungen, die durch Verfolgung entstanden sind und derentwegen ihr die Rückkehr in ihr Heimatland nicht zuzumuten ist.

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Dr. B. stellt in seinem Gutachten nachvollziehbar fest, es spreche alles für die Annahme, dass die Klägerin zu 2. unter einer hohen psychischen Belastung leide, die infolge intrapsychischer Abwehr für sie und ihre Mitmenschen unkenntlich gemacht werde. Dies deckt sich mit dem Eindruck, den das Gericht insbesondere im Rahmen der Befragungen in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat; in der Verhandlung vom 17. Februar 2005 hat die Klägerin - wenn auch zurückhaltend - selbst auf ihre psychischen Belastungen hingewiesen.

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Nach der fachärztlichen Stellungnahme und dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in den mündlichen Verhandlungen gewonnen hat, ist es hinreichend wahrscheinlich, dass zwischen den festgestellten psychischen Belastungen der Klägerin und den Erlebnissen der Kläger vor der Ausreise ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Dem Gutachten lässt sich entnehmen, dass die Belastungen auf die eigenen Erlebnisse im Kosovo (insbesondere während der verfolgungsbedingten Flucht der Familie) und die verfolgungsbedingte schwere Erkrankung ihres Mannes zurückzuführen sind. Dass derart einschneidende Erlebnisse von Flucht und Misshandlung, wie sie die Kläger glaubhaft geschildert haben, sowie die hierdurch hervorgerufenen tiefgreifenden psychischen Beeinträchtigungen des Ehemannes auch bei der Klägerin zu 2. zu schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigungen geführt haben, ist jedenfalls nachvollziehbar. Dass die Klägerin sich wegen der psychischen Probleme - soweit ersichtlich - bislang nicht in ärztliche Behandlung begeben hat, steht der Annahme einer verfolgungsbedingt schwerwiegenden psychischen Belastung schon wegen ihrer fachärztlich diagnostizierten intrapsychischen Abwehrhaltung nicht entgegen.

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Das Gericht kann daher offen lassen, ob allein die verfolgungsbedingte psychische Erkrankung ihres Ehemannes das Bundesamt dazu verpflichten würde, auch für die Klägerin gemäß § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG von dem Widerruf abzusehen.

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III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung der §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 und Abs. 1 VwGO sowie 83b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 711, 708 Nr. 11 ZPO.