Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.06.2017, Az.: 1 B 26/17
Einwendung; Fälligkeit; Mahnung; Minderung; Pfändungs- und Einziehungsverfügung; Vollstreckungsurkunde
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 19.06.2017
- Aktenzeichen
- 1 B 26/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 53610
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 1 VwVGDV ND
- § 2 Abs 2 Nr 4 VwVG ND
- § 23 Abs 4 VwVG ND
- § 45 VwVG ND
- § 50 VwVG ND
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung.
Die Antragsteller sind seit August 2015 Pächter über den Betrieb der Hallenbadgastronomie in den Räumen des Sole-Waldschwimmbades in I.. Das Schwimmbad wird von der Betriebsgenossenschaft N. I. e. G. betrieben. Mit der Antragsgegnerin besteht ein Pachtvertrag, nach dessen § 3 der Pachtzins zunächst auf 41,70 Euro monatlich zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer festgesetzt wird und mit Beginn 01.01.2017 die Pacht 417,00 Euro monatlich zuzüglich der jeweils gültigen Mehrwertsteuer beträgt. Zwischen den Parteien ist streitig, ob und inwieweit die Antragsgegnerin den Antragstellern den Zugang zur sog. Wasserbar und damit die Einnahmemöglichkeit über den Verkauf von Speisen und Getränken an Schwimmbadbesucher hätte verschaffen müssen. Dazu kommen weitere Streitpunkt wie eine zu geringe Lufttemperatur in den Gasträumen.
Nachdem die Antragsteller mit anwaltlichem Schreiben vom 22.11.2016 eine „Pachtkürzung“ angekündigt hatten, überwiesen sie schließlich im Januar 2017 nur 248,12 Euro als Anteil des monatlichen Pachtzinses an die Antragsgegnerin.
Unter dem 12.01.2017 mahnte die Stadtkasse der Antragsgegnerin als Vollstreckungsbehörde die Antragsteller und forderte sie zur Zahlung des ausstehenden Betrages von 248,11 Euro auf. Der Vertreter der Antragsteller beantragte mit Schreiben vom 24.01.2017 bei der Stadtkasse vorläufigen Vollstreckungsschutz, was die Stadtkasse unter dem 26.01.2017 ablehnte.
Unter dem 01.02.2017 richtete die Antragsgegnerin an die Sparkasse O. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung. Aus dieser geht hervor, dass gegen die Antragsteller als Vollstreckungsschuldner eine öffentlich-rechtliche Forderung in Höhe von 301,11 Euro besteht und wegen dieser Forderung die gegenwärtigen und künftigen Ansprüche der Vollstreckungsschuldner gegen die Sparkasse O. als Drittschuldnerin gepfändet werden. Ausweislich der Anlage zu der Pfändungs- und Einziehungsverfügung setzt sich der geforderte Betrag aus einer Hauptforderung in Höhe von 248,11 Euro sowie Nebenforderungen in Höhe von 53,00 Euro zusammen.
Am 10.02.2017 haben die Antragsteller eine Anfechtungsklage gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 01.02.2017 erhoben, die hier unter dem Aktenzeichen 1 A 25/17 anhängig ist, und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie weisen darauf hin, dass sie aus ihrer Sicht zu Recht den Pachtzins gekürzt hätten. Der Pachtvertrag mit der Antragsgegnerin stelle außerdem keine ausreichende Vollstreckungsgrundlage dar, weil sich insbesondere aus § 14 Ziffern 3 und 4 des Pachtvertrages ergebe, dass für Streitigkeiten aus dem Vertrag das Amtsgericht I. anzurufen sei. Ohne eine vorherige zivilgerichtliche Entscheidung sei die Antragsgegnerin nicht berechtigt, das Konto der Antragsteller zu pfänden. Die Vollstreckungsvoraussetzungen lägen auch im Übrigen nicht vor. Die Antragsteller hätten keinen Bescheid oder eine anderweitige Abrechnung über den ausstehenden Pachtzins erhalten, es fehle also an einer Vollstreckungsurkunde im Sinne von § 3 Abs. 1 NVwVG. Im Übrigen sei die Geldforderung in Höhe des gekürzten Betrages nicht fällig gewesen.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung der Antragsgegnerin vom 01.02.2017 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Die Antragsgegnerin macht geltend, dass die Pacht für den Monat Januar 2017 in voller Höhe fällig gewesen sei. Sie habe die Antragsteller unter dem 12.01.2017 gemahnt und zugleich die Vollstreckung angedroht. Die Durchschrift der Mahnung befinde sich nicht in der Akte, weil die Mahnung maschinell erstellt worden sei und lediglich das Mahndatum zur Forderung gespeichert werde. In dem Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf vorläufige Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens vom 26.01.2017 seien die Antragsteller nochmals zur Zahlung aufgefordert worden, ihnen sei eine letzte Frist bis zum Forderungsausgleich bis zum 31.01.2017 bestimmt worden. Mit diesem Schreiben seien nochmals Vollstreckungsmaßnahmen angedroht worden.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 01.02.2017 ist zulässig und begründet.
Das Aussetzungsinteresse der Antragsteller überwiegt das Vollzugsinteresse, weil nach summarischer Prüfung der Rechtmäßigkeit der Pfändungs- und Überweisungsverfügung ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen.
Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Pfändungs- und Einziehungsverfügung als Vollstreckungsmaßnahme sind §§ 45, 50 NVwVG. Diese wird sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen, weil die Vollstreckungsvoraussetzungen für die der Verfügung zugrunde liegende Forderung der Antragsgegnerin aus dem Pachtvertrag mit den Antragstellern nicht vorliegen. Es fehlt an einer Vollstreckungsurkunde (1.). Im Übrigen dürften auch die Einwendungen der Antragsteller gegen die Pachtforderung im Verfahren der Verwaltungsvollstreckung beachtlich sein (2.).
1. Neben Leistungsbescheiden, die auf eine Geldzahlung gerichtet sind, sind die Kommunen als Vollstreckungsbehörden (§ 6 Abs. 1 NVwVG) nach dem Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz auch befugt, Geldforderungen aus anderen Vollstreckungsurkunden im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchzusetzen.
Vollstreckungsurkunde im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 4 NVwVG ist auch eine Zahlungsaufforderung wegen einer privatrechtlichen Geldforderung, wenn durch Verordnung nach § 2 Abs. 3 NVwVG zugelassen ist, dass solche Geldforderungen im Vollstreckungsverfahren vollstreckt werden dürfen. Diese ist hier der Fall. § 1 Abs. 1 Buchst. f DVO-NVwVG bestimmt ausdrücklich, dass privatrechtliche Geldforderungen aus Vermietung, Verpachtung und sonstiger Überlassung von eigenen Grundstücken, Grundstücksteilen, Gebäuden, Räumen, Anlagen oder Einrichtungen im Wege der Verwaltungsvollstreckung vollstreckt werden können. Die auf die Zahlung des vertraglich vereinbarten monatlichen Pachtzinses für die Überlassung der Hallenbadgastronomie in dem in § 1 des Pachtvertrages zwischen den Beteiligten vom 24.08.2015 beschriebenen Umfang ist eine solche privatrechtliche Geldforderung.
Gegen die Anwendung des Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes spricht nicht, dass der Pachtvertrag zwischen den Beteiligten in § 14 Nr. 3 vorsieht, dass bei streitigen Fragen aus dem Vertrag die Vertragspartner bei Anrufung der ordentlichen Gerichte eine Klärung in einem Schiedsverfahren anzustreben haben. Nach dieser Regelung sind streitige Fragen wegen der Zahlung fälliger Pachtbeträge ausdrücklich ausgenommen. Auch § 14 Nr. 4 des Pachtvertrages, nach dem Gerichtstand für alle Streitigkeiten aus dem Vertrag das Amtsgericht I. ist, steht der Vollstreckung der Pachtforderung aus diesem Vertrag für den Monat Januar 2017 durch die Antragsgegnerin im Wege des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens nicht entgegen. Die Frage, ob die Antragsgegnerin zum Erlass einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung befugt war und diese Verfügung rechtmäßig ist, ist keine Streitigkeit aus dem Pachtvertrag. Sie betrifft die Vollstreckung der Forderung. Die Befugnis ergibt sich aus dem Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz und kann nicht durch vertragliche Regelung abbedungen werden.
Hier fehlt es indes an einer Vollstreckungsurkunde im Sinn von § 2 Abs. 2 Nr. 4 NVwVG. Wie ausgeführt ist nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 NVwVG i. V. m. § 1 Abs.1 Buchst. f DVO-NVwVG ist Vollstreckungsurkunde die Zahlungsaufforderung wegen einer privatrechtlichen Geldforderung aus der Verpachtung von eigenen Grundstücken. Das bloße zivilrechtliche Bestehen der Forderung genügt nach dem Wortlaut der Regelung nicht. Eine solche Zahlungsaufforderung hat die Antragsgegnerin nicht an die Antragsteller gerichtet. Sie hat vielmehr sogleich aufgrund der Teilzahlung des Pachtzinses für Januar 2017 die Stadtkasse mit der Vollstreckung des Restbetrages betraut, ohne hierfür die rechtliche Grundlage geschaffen zu haben. Die Stadtkasse wiederum hat die Antragsteller sogleich unter dem 12.01.2017 gemahnt und die Vollstreckung angedroht.
2. Es sprechen auch weitere Gründe gegen die Durchsetzung der Pachtforderung im Wege der Verwaltungsvollstreckung.
Nach § 3 NVwVG darf die Vollstreckung erst beginnen, wenn (1.) gegen den Leistungsbescheid oder gegen die andere Vollstreckungsurkunde kein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung eingelegt werden kann, (2.) die Geldforderung fällig ist, (3.) der Vollstreckungsschuldnerin oder dem Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung durch eine Mahnung angedroht worden ist, es sei denn, dass diese nach § 4 nicht erforderlich ist, und (4.) die in der Mahnung bestimmte Zahlungsfrist verstrichen ist. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Antragssteller der Pachtforderung für Januar 2017 nach §§ 581, 536 BGB zu Recht wegen Vorliegens eines Rechts- oder Sachmangels der Pachtsache die rechtsvernichtende Einwendung der Minderung entgegengestellt haben mit der Rechtsfolge, dass die Forderung von Anfang an erlischt. Wenn dies der Fall wäre, bestünde die Geldforderung (ganz oder teilweise) nicht und könnte damit auch (ganz oder teilweise) nicht fällig werden.
Die Frage, ob die rechtsvernichtende Einwendung der Minderung zu Recht erhoben worden ist, ist im zivilgerichtlichen Verfahren und nicht im hier anhängigen Verfahren zu klären. Für derartige Fälle hat der Gesetzgeber entsprechende Vorsorge getroffen und in § 23 Abs. 4 NVwVG bestimmt, dass die Vollstreckung einer Zahlungsaufforderung nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 NVwVG einzustellen ist, sobald die Vollstreckungsschuldnerin oder der Vollstreckungsschuldner schriftlich oder zur Niederschrift Einwendungen erhebt. Die Vollstreckungsschuldnerin oder der Vollstreckungsschuldner ist hierüber zu belehren. Bereits getroffene Vollstreckungsmaßnahmen sind unverzüglich aufzuheben, wenn der Vollstreckungsgläubiger nicht binnen eines Monats nach Geltendmachung der Einwendungen wegen seiner Ansprüche vor den ordentlichen Gerichten Klage erhoben oder den Erlass eines Mahnbescheids beantragt hat (§ 23 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 NVwVG).
Hier fehlt es bereits an der Belehrung nach § 23 Abs. 4 Satz 2 NVwVG, die nach Auffassung des Gerichts spätestens auf die schriftliche Ankündigung der Minderung mit anwaltlichem Schreiben vom 22.11.2016 zu erteilen gewesen wäre. Die (rechtsvernichtende) Einwendung der Minderung haben die Antragsteller mit diesem Schreiben auch erhoben. Die Antragsgegnerin hätte die Pfändungs- und Überweisungsverfügung damit nicht mehr erlassen dürfen, sondern hätte das Vollstreckungsverfahren einstellen müssen. § 23 Abs. 4 Satz 4 NVwVG verweist sie für die Vollstreckung sodann auf die Vollstreckung nach Maßgabe der Zivilprozessordnung.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstands ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ Beilage 2013, 57 ff.).