Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 03.07.2017, Az.: 2 A 103/16

Differenzhypothese; Ersatzpflicht

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
03.07.2017
Aktenzeichen
2 A 103/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53935
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Berechnung der Höhe der Ersatzforderung nach § 47 a BAföG ist die Differenzhypothese anzuwenden (wie BVerwG, Urteil vom 27.10.2016 - 5 C 55/15).

Tatbestand:

Die Tochter des Klägers studiert an der Beklagten seit dem Wintersemester 2013/2014 allgemeine Sprachwissenschaften/englische Philologie. Für dieses Studium beantragte sie Ausbildungsförderungsleistungen.

Mit Bescheid vom 31. Januar 2014 bewilligte die Beklagte der Tochter des Klägers für den Bewilligungszeitraum Oktober 2013 bis September 2014 zunächst Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von monatlich 230,00 €. Unter dem 28. Februar 2014 stellte die Auszubildende für ihren Vater einen Aktualisierungsantrag. Dieser gab dabei auf Formblatt 7 an, im Jahre 2014 Arbeitslosengeld in Höhe von 12.524,00 € zu erhalten. Eine am 20. Februar 2014 erhaltene Nachzahlung von Arbeitslohn für mehrere Jahre  in Höhe von 5.000,00 € gab der Kläger hierbei ebenso wenig an wie den Umstand, dass er ab dem 26. Mai 2014 Arbeitslohn in Höhe von insgesamt 15.199,76 € im Jahr 2014 bezogen hat.

Mit Bescheid vom 31. März 2014 bewilligte die Beklagte daraufhin für den Bewilligungszeitraum Oktober 2013 bis September 2014 Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von monatlich 333,00 €.

Für den Folgebewilligungszeitraum aktualisierte die Beklagte aufgrund eines Antrags der Tochter des Klägers unter Berücksichtigung von dessen im Formblatt 7 gemachten Angaben auch für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis September 2015 das Einkommen. Arbeitslohn des Klägers rechnete sie hierbei nicht an. Mit Bescheid vom 30. Juni 2015 bewilligte die Beklagte der Tochter des Klägers für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis September 2015 450,00 € monatlich Ausbildungsförderungsleistungen.

Nachdem die Beklagte von dem zusätzlichen Einkommen des Klägers erfahren hatte, berechnete sie mit Bescheiden vom 9. November 2015 die der Auszubildenden zustehenden Ausbildungsförderungsleistungen neu. Für den Bewilligungszeitraum Oktober 2013 bis Juli 2014 errechnete sie eine monatliche Förderungsleistung in Höhe von 234,00 €, für die Zeit von August bis September von je 127,00 € und für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis September 2015 eine solche in Höhe von 157,00 € monatlich.

Mit Bescheid vom 11. Februar 2016 machte die Beklagte daraufhin gegenüber dem Kläger einen Ersatzanspruch in Höhe von 4.918,00 € zzgl. Zinsen geltend. Zur Begründung führte sie an, ihr Anspruch ergebe sich aus § 47 a Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG -. Möglicherweise habe der Kläger sogar vorsätzlich falsche Angaben zu seinem Einkommen gemacht, auf jeden Fall habe er es unterlassen, ihr, der Beklagten, eine Änderungsanzeige zu seinem Einkommen zukommen zu lassen. Sie habe der Tochter des Klägers Ausbildungsförderungsleistungen in der Zeit von Oktober 2013 bis September 2015 in Höhe von 9.396,00 € gewährt. Bei korrekter Angabe seines Einkommens hätten seiner Tochter jedoch nur 4.478,00 € zugestanden. Die Differenz in Höhe von 4.918,00 € habe der Kläger ihr zu ersetzen.

Hiergegen hat der Kläger am 11. März 2016 Klage erhoben.

Zu deren Begründung trägt er vor, die Beklagte sei nicht befugt, ihm gegenüber einen Schadensersatzanspruch festzusetzen. Die von der Beklagten vorgenommene Vergleichsberechnung sei nicht nachvollziehbar. Er habe auch die erforderlichen Angaben gemacht. Die Auszahlung einer Lohnnachzahlung sei für ihn nicht erkennbar gewesen. Er sei schließlich auch mangelhaft angehört worden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegen und weist darauf hin, dass die Lohnnachzahlung (Abfindung) für mehrere Jahre im Kalenderjahr 2014 aus der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung vom 20. Februar 2014 eindeutig ersichtlich gewesen ist. Eindeutig ersichtlich sei auch der Lohnbezug ab dem 26. Mai 2014 gewesen.

Auf Frage des Gerichts teilt die Beklagte den der Tochter des Klägers ohne Aktualisierung seines Einkommens zustehenden Ausbildungsförderungsbetrag für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis September 2015 mit 251,00 € mit.

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nur im tenorierten Umfang begründet. Nur soweit die Beklagte vom Kläger mehr als 3.624,00 € zzgl. Zinsen zurückverlangt, ist ihr Bescheid rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der Ersatzforderung der Beklagten gegen den Kläger ist § 47 a Satz 1 BAföG; Rechtsgrundlage der Zinsforderung ist Satz 2 der Vorschrift. Gemäß § 47 a Satz 1 BAföG haben der Ehegatte oder Lebenspartner oder die Eltern des Auszubildenden den Betrag, der nach § 17 Abs. 1 und 2 für den Auszubildenden als Förderbetrag zu Unrecht geleistet worden ist, dem Land zu ersetzen, wenn diese Personen die Leistung von Ausbildungsförderung an den Auszubildenden dadurch herbeigeführt haben, dass sie vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I unterlassen haben.

Der Kläger hat es mindestens fahrlässig unterlassen, eine Anzeige nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I im Hinblick auf sein Einkommen bei der Beklagten abzugeben. Nach dieser Vorschrift hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält

1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,

2. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen.

In dem von ihm am 28. Februar 2014 unterschriebenen Formblatt 7 (Aktualisierungsantrag) hat der Kläger die sich aus der Lohnsteuerbescheinigung 2014 vom 20. Februar 2014 ergebende Abfindung respektive Lohnnachzahlung in Höhe von 5.000,00 € nicht angegeben. Zugunsten des Klägers unterstellt das Gericht, dass der Kläger am 28. Februar 2014 noch nicht im Besitz der Lohnsteuerbescheinigung vom 20. Februar 2014 gewesen ist, so dass ihm Vorsatz bzgl. einer Falschdeklarierung seines Einkommens nicht unterstellt wird. Er hätte allerdings, da der Bezug von 5.000,00 € Lohnnachzahlung eine Änderung in den Verhältnissen darstellt, die für die Leistung erheblich sind, der Beklagten hierüber Anzeige erstatten müssen. Dass er dies nicht getan hat, ist mindestens fahrlässig, da dem Kläger aufgrund der Erläuterung in Zeile 63 des Formblattes hätte klar sein können und müssen, dass er diese Angaben zu machen gehabt hat.

Gleiches gilt für den Bezug Arbeitslohn ab dem 26. Mai 2014. Mag der Kläger bei Ausfüllen des Aktualisierungsantrags vom 25. Mai 2014 hierzu noch keine Angaben gemacht haben können, so war er aufgrund der Lohnsteuerbescheinigung vom 27. Mai 2015 jedoch in der Folge verpflichtet, die Beklagte über diese zusätzlichen Einnahmen zu informieren. Dass er dies nicht tat, geschah fahrlässig.

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist die Beklagte befugt, diesen Anspruch durch Bescheid festzusetzen. Das Gericht folgt der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27.10.2016 - 5 C 55/15 -, juris, Rn. 11), wonach eine Ermächtigung zum Erlass eines Leistungsbescheides anzunehmen ist, wenn eine öffentlich-rechtlich begründete Ersatzpflicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer öffentlich-rechtlich ausgestalteten Auskunftspflicht des Ersatzpflichtigen steht.

Bestehen demnach rechtlich Bedenken an dem Anspruch der Beklagten dem Grunde nach nicht, so greifen solche jedoch im Hinblick auf die geltend gemacht Höhe des Anspruchs durch.

Denn der Kläger hat nach § 47 a Satz 1 nur den Betrag zu ersetzen, der für den Auszubildenden als Förderungsbetrag zu Unrecht geleistet worden ist. Diesen Betrag hat die Beklagte dergestalt berechnet, dass sie der der Tochter des Klägers bewilligten Ausbildungsförderung diejenige Leistung gegenüber gestellt hat, die ihr bei korrekter Einkommensangabe im Aktualisierungsverfahren zugestanden hätte. Dies entspricht nicht den von der Kammer geteilten Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O., Rn. 20 ff.).

Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass im Rahmen des deliktischen Schadensersatzanspruchs nach § 47 a S. 1 BAföG die zivilrechtliche Differenzhypothese bei unerlaubten Handlungen heranzuziehen ist. Dies bedeutet, dass ein Vergleich anzustellen ist zwischen der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte. Dies bedeutet für den zu entscheidenden Fall, dass es bei korrekter Einkommensangabe durch den Kläger nicht zu einer Aktualisierung seines Einkommens gekommen wäre. In diesem Fall hätte das Einkommen des Klägers nach § 24 Abs. 1 BAföG auf der Basis der Einkommensverhältnisse im vorletzten Kalenderjahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums erfolgen müssen. Nach dieser Maßgabe hätte der Tochter des Klägers für den Bewilligungszeitraum Oktober 2013 bis September 2014 Ausbildungsförderung in Höhe von 230,00 € monatlich zugestanden. Dies ergibt sich aus dem ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 31. Januar 2014. Für den Bewilligungszeitraum Oktober 2014 bis September 2015 hätte sich nach den von der Beklagten auf Nachfrage des Gerichts gemachten Angaben ein monatlicher Förderbetrag in Höhe von 251,00 € ergeben. Diese hätte die Beklagte auskehren müssen, wenn der Kläger Falschangaben nicht gemacht bzw. eine Änderungsanzeige nicht fahrlässig unterlassen hätte. Über die Monate der genannten Bewilligungszeiträume hinaus ergibt sich zwischen den der Tochter des Klägers bewilligten Leistungen in Höhe von 9.396,00 € und denjenigen, die ihr auf der Grundlage einer Berechnung nach § 24 Abs. 1 BAföG zugestanden hätten, in Höhe von 5.772,00 € eine Differenz von lediglich 3.624,00 €. Nur in dieser Höhe ist der Anspruch der Beklagten begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 S. 1, 188 S. 2 VwGO und berücksichtigt das Maß des gegenseitigen Obsiegens und Unterliegens.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.