Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.04.2012, Az.: 13 U 235/11

Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses für eine Unterlassungsklage gegen ehrverletzende Äußerungen in einem Anwaltsschriftsatz

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.04.2012
Aktenzeichen
13 U 235/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 14657
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:0419.13U235.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 16.09.2011

Fundstellen

  • NJW 2012, 8
  • NJW-RR 2012, 1189-1190

Tenor:

Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten zu 1 wird das Urteil der 8. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Verden vom 16. September 2011 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

I. Die Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) macht im Wege der einstweiligen Verfügung Unterlassungsansprüche gegen die Verfügungsbeklagten (im Folgenden: Beklagte) geltend. Dem liegt ein vorgerichtliches anwaltliches Schreiben zugrunde, das der Beklagte zu 2 als Rechtsanwalt namens und in Vollmacht des Beklagten zu 1 u. a. an die Klägerin versandt hat, in dem Schadensersatzansprüche in Höhe von rd. 1.700.000 € geltend gemacht werden. In diesem Schreiben werden u. a. die Formulierungen "Verlogenheit und Durchtriebenheit der für die B. GmbH (Anmerkung des Senats: Der hiesigen Klägerin) handelnden Personen" sowie "Machenschaften der B. GmbH" verwendet, gegen die die Klägerin sich wendet. Das Landgericht hat die Klage gegen den Beklagten zu 2 abgewiesen und der Klage gegen den Beklagten zu 1 stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten zu 1.

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Von einer weiteren Darstellung des Sach- und Streitstands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 542 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

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II. Die zulässige Berufung des Beklagten zu 1 hat Erfolg. Der im Berufungsverfahren noch anhängige Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten zu 1 besteht nicht. Wie bereits in dem Hinweisbeschluss vom 10. Januar 2012 ausgeführt, haben die Klägerin wie auch das Landgericht übersehen, dass es der vorliegenden Ehrenschutzklage am Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können ehrenkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, in aller Regel nicht mit Ehrenschutzklagen abgewehrt werden. Das sogenannte Ausgangsverfahren soll nämlich nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden. Vielmehr sollen die Parteien in einem Gerichtsverfahren sowie außergerichtlichen Schreiben, die deren konkreter Vorbereitung dienen, alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird. Deshalb fehlt in derartigen Fällen für eine Ehrenschutzklage grundsätzlich das Rechtschutzbedürfnis (st. Rspr., vgl. z. B. BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 - VI ZR 79/11, juris Rn. 7; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 - VI ZR 14/07, juris Rn. 12; BGH, Urteil vom 16. November 2004 - VI ZR 298/03, juris Rn. 18). Dies gilt lediglich nicht bei "wissentlich unwahren oder leichtfertig unhaltbaren" (so BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15. Dezember 2008 - 1 BvR 1404/04, juris Rn. 18) bzw. "bewusst unwahren oder auf der Hand liegend falschen" Tatsachenbehauptungen (so BGH, Urteil vom 28. Februar 2012 - VI ZR 79/11, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 - VI ZR 14/07, juris Rn. 14, 21 f., im Ergebnis allerdings jeweils offengelassen) sowie - im Falle von Meinungsäußerungen - bei Schmähkritik (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. September 2006 - 1 BvR 1898/03, juris Rn. 8 f., 14; BGH, aaO.).

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Nach dieser Maßgabe fehlt dem Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung das Rechtschutzbedürfnis.

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a) Das streitgegenständliche, von dem Beklagten zu 2 verfasste Schreiben vom 14. August 2011 diente der konkreten Vorbereitung eines etwaigen Gerichtsverfahrens. Mit diesem anwaltlichen Schreiben sind gegenüber der Klägerin angebliche Ansprüche des Beklagten zu 1 in Höhe von 1.685.166,02 € geltend gemacht worden.

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b) Die streitgegenständlichen Äußerungen, gegen die die Klägerin sich vorliegend wendet, stellen Meinungsäußerungen dar. Streitgegenständlich ist zunächst die Äußerung, die für die Klägerin handelnden Personen seien verlogen und durchtrieben. Damit wird eine generelle Charaktereigenschaft aller für die Klägerin tätigen Personen behauptet. Diese Behauptung ist nicht dem Wahrheitsbeweis zugänglich, vielmehr ist sie von den Elementen der Stellungnahme, des Meinens und Dafürhaltens geprägt. Gleiches gilt für die im Weiteren streitgegenständliche Formulierung "Machenschaften der Klägerin".

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c) Die beanstandeten Äußerungen des Beklagten stellen keine im Rahmen eines vorgerichtlichen Schriftverkehrs unzulässige Schmähung dar.

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Eine Äußerung nimmt den Charakter einer Schmähung erst dann an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person des Gegners im Vordergrund steht und sie jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der Person des Gegners besteht; eine für den Betroffenen herabsetzende Wirkung reicht nicht aus (st. Rspr., vgl. z. B. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 - VI ZR 14/07, juris Rn. 22).

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Diese, lediglich im Ausnahmefall vorliegenden, Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Entscheidend für diese rechtliche Bewertung ist, dass die streitgegenständlichen Formulierungen einen Sachbezug aufweisen, da sie im Kontext zu dem Inhalt und Anliegen des Schreibens vom 14. August 2011 stehen. In dem Schreiben wird dargelegt, dass dem Beklagten zu 1 gegen die Klägerin eine Forderung in Höhe von 1.685.166,02 € zustehe. Diese Forderung wird - zusammengefasst - damit begründet, dass die - durch ihren jetzigen Verfahrensbevollmächtigten vertretene - Klägerin infolge gesetzes- und vertragswidrigen Verhaltens dem Beklagten zu 1 Schaden in einem erheblichen Ausmaß zugefügt habe. Dies wird in dem Schreiben im Einzelnen detailliert ausgeführt und begründet. Die streitgegenständlichen Äußerungen stellen sich demgemäß lediglich als zusammenfassende Bewertung des (angeblichen) Verhaltens der Klägerin dar, wie es in dem Schreiben auf den vorherigen Seiten ausgeführt worden ist. Darauf, ob dieses Vorbringen in der Sache richtig ist, kommt es im vorliegenden Prüfungspunkt nicht an. Entscheidend ist insoweit lediglich, dass die streitgegenständlichen Äußerungen in einem sachlichen Kontext zu dem weiteren Inhalt des Schreibens vom 14. August 2011 stehen. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 3. April 2012 in diesem Zusammenhang eingewandt hat, dass die streitgegenständlichen Formulierungen in dem genannten Schreiben ohne weiteres hätten weggelassen werden können, ohne dass dieses seinen Sinn verloren hätte, ist das als solches zwar richtig. Der Senat pflichtet der Klägerin auch bei, dass dieser Umstand durchaus geeignet ist, die streitgegenständlichen Formulierungen in die Nähe einer Schmähkritik zu rücken. Indes ist nach Auffassung des Senats die Grenze hierzu vorliegend noch nicht überschritten. Entscheidend ist für den Senat weiterhin, wie bereits in dem Hinweisbeschluss vom 10. Januar 2012 ausgeführt, dass die Äußerungen in einem unmittelbaren Sachzusammenhang zu dem eigentlichen Inhalt des Schreibens stehen, indem sie diesen im Sinne einer Art "Gesamtbewertung" zusammenfassen. Die Art und Weise dieser "Zusammenfassung" ist auch nach Einschätzung des Senats überzogen und grenzwertig, eine - wie ausgeführt, nur im Ausnahmefall anzunehmende - Schmähkritik ist hierin aber noch nicht zu sehen.

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2. Die vorstehenden Ausführungen gelten in rechtlicher Hinsicht entsprechend, soweit der Beklagte zu 2 gemäß seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 9. September 2011 das streitgegenständliche Schreiben auch an den Senat für Verkehr in B. sowie den Landkreis Diepholz übersandt hat.

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Ansprüche auf Unterlassung ehrverletzender Äußerungen sind nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls ausgeschlossen, wenn die Äußerung als Anzeige gegenüber einer Behörde abgegeben wird, um diese zur Überprüfung eines bestimmten Verhaltens zu veranlassen (vgl. z. B. OLG Hamm, Urteil vom 15. Mai 1995 - 13 U 16/95, juris Rn. 21; OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Juni 2006 - 14 U 9/06, juris Rn. 17).

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So liegt es hier. Der Senat für Verkehr in B. und der Landkreis Diepholz sind unstreitig Aufsichtsbehörden der Klägerin und damit dazu bestimmt, etwaiges Fehlverhalten dieser zu überprüfen.

14

3. Die Erwägungen oben unter Ziffer 2 gelten in gleicher Weise, soweit der Beklagte zu 2 das streitgegenständliche Schreiben an die Gesellschafter der Klägerin, nämlich sowohl an die Gemeinden S., W. und T. (jeweils zu 30 % beteiligt) als auch angeblich - was der Beklagte zu 1 bestreitet - an die W. GmbH (zu 10 % beteiligt) versandt hat.

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Bei den Gesellschaftern einer juristischen Person handelt es sich ebenfalls um Stellen, die zur Beseitigung von angeblichen Missständen innerhalb der Gesellschaft berufen sind. Dafür, sich an derartige Stellen zu wenden, besteht in mindestens ebensolcher Weise ein Interesse des Betroffenen, wie in Bezug auf Aufsichtsbehörden o. ä. (vgl. dazu auch Wenzel/Burghardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 10, Rdnr. 37): Dass die W. GmbH im Unterschied zu den weiteren Gesellschaftern der Klägerin privatrechtlich organisiert ist, ist nach dieser Maßgabe rechtlich ohne Belang.

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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.