Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.04.2012, Az.: 9 W 62/12
Besorgnis der Befangenheit eines Richters wegen Entscheidung über einen einstweiligen Verfügungsantrag durch Beschluss nach vorheriger Anordnung einer mündlichen Verhandlung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 25.04.2012
- Aktenzeichen
- 9 W 62/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 15213
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:0425.9W62.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 06.03.2012
Rechtsgrundlagen
- § 42 ZPO
- § 922 ZPO
- § 936 ZPO
- Art 103 Abs. 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Ein Richter, der hinsichtlich eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zunächst eine mündliche Verhandlung und das persönliche Erscheinen der Parteien anordnet sowie dem Antragsgegner eine Frist zur Stellungnahme setzt, dann aber, zumal vor Ablauf der Stellungnahmefrist, ohne diese Verhandlung durchzuführen und den Antragsgegner auf den beabsichtigten Verfahrenswechsel hinzuweisen, eine einstweilige Verfügung durch Beschluss erlässt, beschneidet durch diese Vorgehensweise Parteirechte und Einflussnahmemöglichkeiten derart gravierend, dass der Benachteiligte den Eindruck sachwidriger Voreingenommenheit gewinnen kann.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 29. März 2012 wird der Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 6. März 2012 geändert.
Das Ablehnungsgesuch des Antragsgegners gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... wird für begründet erklärt.
Beschwerdewert: 13.750 €.
Gründe
Die gemäß § 46 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.
Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Darunter sind Gründe zu verstehen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber. Nicht erforderlich ist, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., Rdnr. 9 zu § 42 m. z. N.).
Solche Gründe bestehen hier, denn der abgelehnte Richter hat durch seine Verfahrensweise bei dem Antragsgegner den Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung erweckt.
Zwar konnte der Antragsgegner diesen Eindruck entgegen seiner Auffassung nicht schon daraus gewinnen, dass der abgelehnte Richter in dem vorliegenden, auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung von Positionen (u. a.) des Antragstellers als Mitglied einer Erbengemeinschaft im Grundbuch gerichteten Verfahren Hinweise erteilt hat, wie ein Antrag zur Erreichung des (erkennbaren) Begehrs sachgerechterweise zu formulieren sei. Dieses Vorgehen steht vielmehr im Einklang mit §§ 938, 273 ZPO. Dabei ist es auch unbedenklich (geschweige denn indiziell im Hinblick auf eine sachwidrige Voreingenommenheit), dass derartige Hinweise, sofern hinreichend dokumentiert, einseitig erteilt worden sind, solange sich das Verfahren im Stadium der Prüfung befand, ob eine Verfügung im Beschlusswege erlassen werden sollte, denn in diesem Verfahrensstadium ist die Gegenseite, die der erstrebten Eilregelung nicht - gleichsam vorgewarnt - entgehen können soll, nicht zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund gibt auch die vom Antragsgegner beanstandete dienstliche Äußerung (Bl. 50 d. A.) zu dem Ablehnungsgesuch keinen Anlass zur Besorgnis einer Befangenheit, denn sie bringt entgegen dessen Verständnis nicht zum Ausdruck, dass der Abgelehnte dem Antragsteller ungeachtet der Begründetheit seines Begehrs zum Erfolg verhelfen will, sondern erkennbar nur, dass das Gericht bei der Wahl des einstweiligen Regelungsinhaltes zur Durchsetzung eines in der Sache begründeten Begehrens ein Ermessen hat.
Jedoch konnte der Antragsgegner von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger Betrachtung deswegen an der Unbefangenheit des abgelehnten Richters zweifeln, weil dieser zunächst nach §§ 922 Abs. 1 S. 1. Var. 1, 936 ZPO eine mündliche Verhandlung und das persönliche Erscheinen der Parteien angeordnet sowie dem Antragsgegner eine Frist zur Stellungnahme gesetzt hat, dann aber ohne diese Verhandlung durchzuführen, vor Ablauf der Stellungnahmefrist und ohne den Antragsgegner auf den beabsichtigten Wechsel der Verfahrensweise hinzuweisen, die einstweilige Verfügung durch Beschluss erlassen hat. Durch dieses Vorgehen ist der Antragsgegner in der Ausübung seiner prozessualen Rechte, insbesondere des verfassungsrechtlich garantierten Rechtes auf Gewährung rechtlichen Gehörs, derart gravierend behindert worden, dass er den Eindruck sachwidriger Voreingenommenheit gewinnen konnte. Dabei ist das Vorgehen des abgelehnten Richters im konkreten Fall entgegen der dem angefochtenen Beschluss der Kammer zugrunde liegenden Auffassung nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung grundsätzlich ohne vorherige Anhörung des Verfügungsgegners möglich ist. Wenn von einer solchen Verfahrensweise nämlich erklärtermaßen kein Gebrauch gemacht, sondern dem Gegner ausdrücklich rechtliches Gehör gewährt werden soll, widerspricht es dem Gebot eines fairen Verfahrens grundlegend, einer Partei, ohne sie darauf auch nur hinzuweisen, die dergestalt eingeräumte Verteidigungschance wieder zu entziehen und entgegen der eigenen Ankündigung unter Zugrundelegung allein des Vortrags des Gegners zu entscheiden. Das zum Nachteil des Antragsgegners von dem gebotenen Verfahren bei dem Erlass einer einstweiligen Verfügung gravierend abweichende Vorgehen des Abgelehnten stellt aus dessen Sicht auch bei verständiger Betrachtungsweise einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß in Form der Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs dar (vgl. Zöller/Vollkommer, aaO., Rdnr. 24 m. w. N.).
Wie vorzugehen wäre, wenn sich in einem einstweiligen Verfügungsverfahren nach Bestimmung eines Verhandlungstermins herausstellen sollte, dass schon vor der Hauptverhandlung der Erlass einer Regelung unabdingbar geboten ist (dem könnte ggf. durch eine vorläufige Regelung bis zur Verhandlung Rechnung getragen werden), ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens betreffend die Richterablehnung nicht zu prüfen. Auf ein derartiges Erfordernis hat der abgelehnte Richter auch nicht abgestellt. Jedenfalls war es schwerwiegend verfahrensfehlerhaft, dem Antragsgegner das ihm eingeräumte rechtliche Gehör schlicht wieder zu entziehen.
Dass dem Antragsteller darüber hinaus offensichtlich ein weiterer telefonischer Hinweis vom 30. Januar 2012 erteilt worden ist (vgl. dessen Schriftsatz vom selben Tage, Bl. 11 d. A.), ohne dass (anders als hinsichtlich des ersten Hinweises vom 26. Januar 2012, Bl. 2 Rs. d. A.) dessen Stattfinden und sein Inhalt in den Akten dokumentiert worden ist (was ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des im Widerspruchs- oder in einem etwaigen Rechtsmittelverfahren nachzuholenden rechtlichen Gehörs bedenklich erscheint), kommt hinzu.
Ob es zudem angezeigt ist, die eine Beschlussverfügung erstreitende Partei auf die Notwendigkeit der Vollziehung des Titels (§ 929 ZPO) hinzuweisen, kann nach dem Vorstehenden dahinstehen.