Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 20.04.2012, Az.: 10 WF 129/12

Beiordnung eines bezirksfremden Prozessbevollmächtigten zu den kostenrechtlichen Bedingungen eines im Bezirk des Verfahrensgerichts zugelassenen Rechtsanwalts für einen Berufsbetreuten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.04.2012
Aktenzeichen
10 WF 129/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 13923
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2012:0420.10WF129.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - AZ: 622 F 51/12

Fundstellen

  • FamRZ 2012, 1161
  • JurBüro 2012, 378-379
  • NJW-RR 2012, 1093-1094

Amtlicher Leitsatz

Einem Antragsteller, für den ein Berufsbetreuer u.a. für den Aufgabenkreis Rechts-/Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt ist, kann für ein einfach gelagertes Familienstreitverfahren (hier Abänderung eines Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses auf "Null" aufgrund durch wenige Dokumente belegbarer Leistungsunfähigkeit) ein am außerbezirklichen Wohnort des Antragstellers ansässiger Verfahrensbevollmächtigter nur zu den kostenrechtlichen Bedingungen eines im Bezirk des Verfahrensgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet werden.

In der Familiensache
...
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers gegen den die Beiordnung im Rahmen bewilligter Verfahrenskostenhilfe auf die kostenrechtlichen Bedingungen eines Rechtsanwalts mit Niederlassung im Bezirk des Verfahrensgerichts beschränkenden Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 7. Februar 2012 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht W. und die Richter am Oberlandesgericht G. und H. am 20. April 2012
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und hält sich aufgrund einer Duldung in Deutschland auf. Durch das Amtsgericht Göttingen ist für ihn ein Betreuer u.a. für die Aufgabenkreise Vermögenssorge sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt. Der Antragsteller erhält ausschließlich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wobei die Kosten der Unterkunft sowie die Krankenversicherung direkt bezahlt werden und er neben Gutscheinen einen monatlichen Barbetrag von rund 40 € ausgezahlt erhält.

2

Im Verfahren 622 FH 8233/11 VU ist er vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Hannover durch das Land Niedersachsen (im weiteren: der Antragsgegner) aus übergegangenem Recht seines minderjährigen Sohnes D. A. auf Kindesunterhalt in Höhe der nachUnterhaltsvorschußgesetz geleisteten bzw. zukünftig zu leistenden Beträge in Anspruch genommen worden. Mit Beschluß vom 3. November 2011 ist der begehrte Unterhalt antragsgemäß festgesetzt worden. Der Unterhaltsfestsetzungsbeschluß ist dem Antragsteller am 30. November 2011 zugestellt worden.

3

Mit am 22. Dezember 2011 eingegangenem Schriftsatz seiner - in seinem Aufenthaltsort Göttingen niedergelassenen - Verfahrensbevollmächtigten hat er unter Berufung auf fehlende Leistungsfähigkeit die - auch rückwirkende - Abänderung der Unterhaltstitulierung vom 3. November 2011 auf 0,00 € beantragt. Zugleich hat er für das Abänderungsverfahren um Verfahrenskostenhilfe (VKH) unter Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten nachgesucht.

4

Das Amtsgericht hat - sobald die erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nachgereicht worden war - dem Antragsteller für das Abänderungsverfahren VKH bewilligt und ihm seine Verfahrensbevollmächtigten zu den Bedingungen eines im Bezirk des Verfahrensgerichts niedergelassenen Rechtsanwaltes beigeordnet. Gegen diese Einschränkung in dem dem Antragsteller über seine Verfahrensbevollmächtigten am 15. Februar 2012 zugestellten Beschluß richtet sich die am 20 Februar 2012 eingegangen Beschwerdeschrift; darin heißt es "erheben wir gegen den Beschluß ... Beschwerde, soweit die Beiordnung des Unterzeichnenden zu den kostenrechtlichen Bedingungen eines Rechtsanwalt[s] mit Niederlassung im Bezirk des Verfahrensgerichtes erfolgt ist". Zur Begründung wird darauf abgestellt, der Antragsteller wohne in Göttingen und damit am Kanzleiort seiner Verfahrensbevollmächtigten; die Fahrtkosten zu der notwendigen Besprechung mit einem etwaigen Verfahrensbevollmächtigten am Sitz des Verfahrensgerichtes könne der Antragsteller nicht aufbringen. "Darüber hinaus müßte er für die Wahrnehmung des Termins in der mündlichen Verhandlung für seinen Prozeßbevollmächtigten die Fahrtkosten und das Abwesenheitsgeld aufbringen, was angesichts seiner finanziellen Verhältnisse völlig unmöglich ist".

5

Das Amtsgericht hat eine Stellungnahme der Bezirksrevisorin vom 8. März 2012 eingeholt. Die Bezirksrevisorin hält darin die Beschwerde für zulässig aber nicht begründet. Sie verweist darauf, daß das Betreiben des vorliegenden Verfahrens in den Wirkungskreis des für den Antragsteller bestellten Berufsbetreuers fällt, der einen Rechtsanwalt am Gerichtsort unproblematisch schriftlich unterrichten könnte. Insofern lägen die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes nicht vor, so daß eine Ausnahme vom Mehrkostenverbot des § 78 Abs. 3 FamFG nicht geboten sei. Daher müsse es bei der kostenrechtlich eingeschränkten Beiordnung bleiben.

6

Mit Versäumnisbeschluß vom 26. März 2012 hat das Amtsgericht, nachdem der Antragsgegner im angeordneten schriftlichen Vorverfahren dem Antrag nicht entgegengetreten war, dem Abänderungsantrag entsprochen. Der Versäumnisbeschluß ist dem Antragsgegner am 3. April 2012 zugestellt worden; über einen etwaigen dagegen gerichteten Einspruch ist bislang nichts bekannt.

7

Das Amtsgericht hat parallel dazu rechtliches Gehör zur Stellungnahme der Bezirksrevisorin gewährt, mit Beschluß vom 12. April 2012 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte dem Oberlandesgericht vorgelegt. Der Einzelrichter hat die Sache zur Entscheidung auf den Senat übertragen.

8

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist als eine solche der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers auszulegen und als solche zulässig (vgl. zum Beschwerderecht des Rechtsanwaltes gegen seine eingeschränkte Beiordnung BGH - Beschluß vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 1/06 - NJW 2006, 3783 = FamRZ 2007, 37 = RPfleger 2007, 83 = [...]).

9

2. Sie kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Zutreffend hat bereits die Bezirksrevisorin darauf hingewiesen, daß im Streitfall die Voraussetzungen für eine Beiordnung der auswärtigen Anwälte ohne kostenrechtliche Einschränkung nicht gegeben sind.

10

a. Allerdings richtet sich die die Anwaltsbeiordnung vorliegend nicht - wie von der Bezirksrevisorin angenommen - nach§ 78 FamFG. Der Antragsteller betreibt in diesem Verfahren gemäß § 240 FamFG die Abänderung eines Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses nach § 253 FamFG. Dabei handelt es sich um eine Unterhaltssache nach § 231 Nr. 1 FamFG und somit eine Familienstreitsache (§ 112 Nr. 1 FamFG). Für diese ist in § 113 Abs. 1 FamFG die Anwendbarkeit u.a. der § 76 bis 96 FamFG ausgeschlossen und die Geltung der allgemeinen Vorschriften der ZPO angeordnet, darunter des hier einschlägigen § 121 ZPO.

11

b. Der vorgenommenen kostenrechtlichen Einschränkung steht nicht bereits durchgreifend entgegen, daß die beigeordneten Verfahrensbevollmächtigten einer derartigen Zustimmung nicht ausdrücklich zugestimmt haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Beschluß vom 10. Oktober 2006 - XI ZB 1/06 - a.a.O.) beinhaltet der von Rechtsanwälten außerhalb des Bezirks des Verfahrensgerichts vermittelte Antrag ihrer Beiordnung konkludent ein entsprechendes grundsätzliches Einverständnis.

12

c. Gemäß § 121 Abs. 3 ZPO kann ein nicht im Bezirk des Verfahrensgerichts niedergelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstehen.

13

aa. Im Rahmen der vorzunehmenden Prüfung beiordnungshindernder "weiterer Kosten" ist zunächst ein Vergleich erforderlich zwischen den (maximalen) Kosten, die bei Beiordnung eines Rechtsanwalts im Bezirk des Verfahrensgerichts entstehen, und den zu erwartenden Kosten bei Beiordnung des konkreten bezirksfremden Anwalts.

14

Dabei haben der Ort der Niederlassung bzw. der Wohnort des Rechtsanwaltes allein insofern Auswirkungen auf die Rechtsanwaltsgebühren und können damit zu "weiteren Kosten" führen, als es sich um Gebühren nach den Nr. 7003 - 7006 VV RVG handelt. Im Hinblick auf Geschäftsreisen kann der Rechtsanwalt Fahrtkosten (Nr. 7003 und 7004 VV RVG), Tage- und Abwesenheitsgeld (Nr. 7005 VV RVG) sowie Auslagenerstattung (Nr. 7006 VV RVG) geltend machen.

15

Eine Geschäftsreise liegt nach Vorbemerkung 7 Abs. 2 VV RVG vor, wenn das Reiseziel außerhalb der (politischen) Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet.

16

Der Gerichtsbezirk des Amtsgerichts Hannover umfaßt neben der Landeshauptstadt Hannover selbst auch die politischen Gemeinden Hemmingen, Laatzen, Langenhagen und Seelze. Insofern können auch bei Beiordnung eines bezirksansässigen Rechtsanwaltes anläßlich eines Termins vor dem Amtsgericht Hannover durchaus Gebühren nach Nr. 7003 ff. VV RVG entstehen. Im vorliegenden Fall ist allerdings offenkundig, daß die Kosten anläßlich einer Geschäftsreise aus den genannten Gemeinden im Bezirk des Amtsgerichts Hannover, die sich über Entfernungen von höchstens rund 20 km erstrecken kann, stets wesentlich geringer ausfallen als solche von dem Kanzleisitz der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers im mehr als 100 km entfernten Göttingen aus.

17

bb. Ein Anfall "weiterer Kosten" im Sinne von § 121 Abs. 3 ZPO wäre auch dann auszuschließen, wenn nach Nr. 7003 ff. VV RVG entstehende Mehrkosten durch mit der Beiordnung des bezirksfremden Anwaltes zugleich verbundene Einsparungen an anderer Stelle im Ergebnis kompensiert würden.

18

Als derartige im Rahmen der Gesamtbetrachtung beachtliche Kosten kommen in Betracht zum einen notwendige Reisekosten des Beteiligten selbst zu einem erforderlichen vorbereitenden Termin mit seinem Anwalt am Ort des Verfahrensgerichts, zum anderen diejenigen Kosten, die bei Vorliegen besonderer Umstände durch die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes am Wohnort des Beteiligten zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 121 As. 4 ZPO anfallen können.

19

Unter den Umständen des Streitfalles kann keiner der beiden genannten Gesichtspunkte die uneingeschränkte Beiordnung der bezirksfremden Verfahrensbevollmächtigten rechtfertigen.

20

Bereits Umfang und Inhalt der Antragsschrift samt beigefügter Anlagen belegen deutlich, daß es sich vorliegend um einen tatsächlich wie rechtlich äußerst einfach gelagerten Fall handelt. Zwar obliegt es dem auf den Mindestunterhalt eines minderjährigen Kindes in Anspruch genommenen Antragsteller, seine unterhaltsrechtlich beachtliche Leistungsunfähigkeit vorzutragen und ggf. unter Beweisantritt zu stellen. Dies war ausweislich der zutreffend ergangenen Säumnisentscheidung jedoch unschwer mit einer nur eine DIN A 4-Seite füllenden Begründung sowie der Beifügung von sechs Seiten Ablichtungen möglich. Insofern ist es auch nicht recht nachvollziehbar, warum der - auch in der Vergangenheit bereits über einen qualifizierten Berufsbetreuer verfügende - Antragsteller den unschwer belegbaren Einwand gänzlich fehlender Leistungsfähigkeit nicht bereits bei seiner außergerichtlichen Inanspruchnahme bzw. im Rahmen des vorausgegangenen Vereinfachten Verfahrens zur Unterhaltsfestsetzung ähnlich substantiiert erheben konnte. Weiter ist nicht ohne weiteres ersichtlich, daß unter dem Gesichtspunkt verfahrenskostenhilferechtlicher Mutwilligkeit vorliegend überhaupt die Voraussetzungen für eine Bewilligung von VKH vorlagen. Jedenfalls aber war es bei der gegebenen Sachlage unschwer möglich, einen in Hannover ansässigen Rechtsanwalt durch den Antragsteller selbst bzw. dessen gerade auch für derartige Tätigkeiten bestellten Betreuer schriftlich oder fernmündlich für die erforderliche Vertretung ausreichend zu informieren.

21

Unter den dargelegten Umständen des Streitfalles ist zugleich auch das Vorliegen besonderer Umstände ausgeschlossen, die vorliegend die Beiordnung eines Verkehrsanwaltes gemäß § 121 Abs. 4 ZPO erfordern könnten.

22

d. Unbehelflich ist schließlich auch, soweit die Verfahrensbevollmächtigten den Antragsteller mit nicht erfüllbaren Zahlungsverpflichtungen belastet wähnen. Vielmehr wird der Antragsteller selbst durch die gebührenrechtliche Einschränkung der Beiordnung seiner Verfahrensbevollmächtigten in keiner Weise belastet. Die erfolgte Beiordnung hat gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vielmehr gerade die Wirkung, daß die Verfahrensbevollmächtigten gegenüber dem Antragsteller Ansprüche auf Vergütung nicht geltend machen können - das schließt insbesondere auch eine Geltendmachung von Gebühren nach Nrn. 7003 - 7006 VV RVG aus.