Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 28.03.1995, Az.: 19 UF 43/94
Anspruch auf Unterhalt des Ehegatten nach einer Scheidung; Verletzung der ehelichen Treuepflicht; Vorsätzliche Behinderung des Umgangsrechts; Versagung eines Unterhaltsanspruchs
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 28.03.1995
- Aktenzeichen
- 19 UF 43/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 30373
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1995:0328.19UF43.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Sulingen - 08.02.1991 - AZ: 5 F 27/87
- AG Sulingen - 02.02.1994 - AZ: 5 F 14/92
Rechtsgrundlage
- § 1579 Nr. 6 BGB
Fundstellen
- FamRZ 1995, 1489-1491 (Volltext mit red. LS)
- NJW-RR 1996, 646-647 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Abänderung eines Unterhaltstitels
Der 19. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. März 1995
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Sulingen vom 2. Februar 1994 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß das angefochtene wie folgt neu gefaßt wird:
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Sulingen vom 8. Februar 1991 - 5 F 27/87 - dahin abgeändert, daß der Beklagte an die Klägerin mit Wirkung ab 20. Mai 1992 nur noch 350 DM monatlich und mit Wirkung ab 7. Mai 1993 keinen Unterhalt mehr zu zahlen hat.
Die Kosten des gesamten Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg; soweit der Tenor des angefochtenen Urteils offenbare Schreibfehler wie das Datum des abzuändernden Urteils und des vollständigen Wegfalls der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten aufweist, ist der Senat von Amts wegen nach § 319 ZPO verfahren.
Das Amtsgericht hat im Ergebnis zutreffend den Unterhaltsanspruch der Klägerin nach Maßgabe der Zustellung der Widerklage und des die Widerklage erweiternden Schriftsatzes als verwirkt gemäß § 1579 Nr. 6 BGB angesehen. Der Unterhaltsanspruch des geschiedenen bedürftigen Ehegatten beruht auf dem Gedanken der ehelichen Solidarität, und stellt sich für die im einzelnen geregelten Fälle wie Alter, Krankheit oder Kindesbetreuung als Nachwirkung der Ehe dar. Dementsprechend verliert seinen Unterhaltsanspruch ein Ehepartner, der sich ganz bewußt von jeglichen ehelichen Bindungen gelöst hat (vgl. BGH FamRZ 1983, 569, 572). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. FamRZ 1987, 356 f) ist jedes klar bei einem Ehegatten liegende schwerwiegende Fehlverhalten geeignet, die Voraussetzungen des § 1579 Nr. 6 BGB zu erfüllen. Als schwerwiegendes Fehlverhalten kommt danach nicht nur eine Verletzung der ehelichen Treuepflicht in Betracht, sondern - da diese mit der Scheidung endet - auch eine sonstige Verletzung einer auch nach Beendigung der Ehe noch bestehenden und in ihr wurzelnden Pflicht, wie etwa die massive und absichtliche Behinderung des Umgangsrechts betreffend ein aus der Ehe hervorgegangenes Kind (vgl. OLG Celle FamRZ 89, 1194, 1195). Ein solches schwerwiegendes Fehlverhalten ist vorliegend darin zu sehen, daß die Klägerin nach dem Freitod der Tochter ... den Beklagten vom Ableben der gemeinsamen Tochter nicht informiert hat, ihn von allen im Zusammenhang mit der Beisetzung erforderlichen Maßnahmen ausgeschlossen und den Nachlaß eigenmächtig an sich genommen hat sowie durch ihr Prozeß vorbringen den Eindruck zu erwecken versucht hat, daß den Beklagten die Verantwortung für den Selbstmord der Tochter treffe, wohl wissend, daß ausweislich des ihr von Anfang an bekannten Abschiedsbriefes der Tochter allein deren Partnerschaftsprobleme Ursache für ihren Suizid waren.
Dieses Fehlverhalten der Klägerin ist ebenso einseitig wie schwerwiegend. Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg darauf, daß der Beklagte von anderer Seite über den Selbstmord der Tochter informiert worden sei. Das konnte nämlich die Klägerin nicht wissen. Wäre der Beklagte nicht von dritter Seite informiert worden, hätte er vom Tode der Tochter wenn überhaupt erst aus der von der Klägerin veröffentlichten - und seinen Namen nicht enthaltenden - Traueranzeige erfahren. Die Klägerin hat darüber hinaus in Reaktion auf den vom Beklagten erhobenen Verwirkungseinwand dessen Verhältnis zur verstorbenen Tochter durch Wiedergabe eines acht Jahre alten Jugendamtsberichts in einer Weise charakterisiert, die dem Leser einen Zusammenhang zwischen früheren Selbstmordversuchen der Tochter und dem jetzt erfolgten Selbstmord aufdrängt, wenn nämlich aus dem Bericht zitiert wird:
"... hat zweimal, einen Suizid versucht, wofür die familiäre Situation und das Verhalten des Vaters ausschlaggebend waren. ... gab dazu an, daß ihr Vater ihr immer wieder gesagt und gezeigt habe, daß sie unerwünscht war und daß sie nichts tauge. Dieses Verhalten war für sie der Anlaß, Tabletten einzunehmen."
Dieses Verhalten der Klägerin wiegt umso schwerer, als sie von Anfang an vom Inhalt des von der Polizei aufgefundenen Abschiedsbriefes informiert war. In diesem Brief ist mit keinem Wort vom Beklagten die Rede, und zwar weder direkt noch indirekt. Vielmehr richtet sich der Brief ausschließlich an den Freund der Tochter, der sich von ihr trennen wollte.
Die Klägerin hat sich dann, nachdem das für sie ungünstige Gutachten der ... Klinik ... vorlag, und obwohl der Senat schon in der Beschwerdeentscheidung vom 6. Oktober 1992 - 19 WF 150/92 - sein Verständnis für die vom Amtsgericht der Einstellung der Zwangsvollstreckung zugrundegelegte, Auffassung zum Ausdruck gebracht hat, dazu hinreißen lassen, die Tagebuchaufzeichnungen der verstorbenen Tochter ... aus dem Jahre 1985/1986 vorzulegen, in denen der Beklagte massiv angegriffen wird. Auch dieses Verhalten der Klägerin ist schlechthin nicht zu rechtfertigen, wie der Senat schon in der weiteren Beschwerdeentscheidung vom 16. Juni 1993 - 19 WF 106/93 - zum Ausdruck gebracht hat.
Diesen Beschluß hat die Klägerin zum Anlaß genommen, unter dem 17. Juli 1993 einen persönlichen Brief an den Senat zu richten, dessen Inhalt durch die auszugsweise Wiedergabe und die zulässige Bezugnahme im übrigen seitens des Beklagten Teil des Streitstoffes geworden ist. Aus, diesem Brief geht nicht nur hervor, daß die Klägerin den Beklagten mit voller Absicht von jeder Anteilnahme am Tod der Tochter ausgeschlossen hat. Vielmehr wird auch deutlich, daß das Verhalten der Klägerin gegenüber dem Beklagten ausschließlich von Verachtung und Haß geprägt ist, der über das Grab hinausreicht. Wenn die Klägerin schließlich sogar metaphysische Instanzen anruft ("Der Jüngste Tag wird kommen") in der Hoffnung, "daß jeder seine gerechte Strafe von Gott erhält", wird deutlich, daß ihr Unterhaltsbegehren offenbar vornehmlich auf dem Bedürfnis nach Rache für tatsächlich oder vermeintlich erlittenes Unrecht basiert. Aber auch dann, wenn dem Beklagten das alleinige Verschulden am Scheitern der Ehe zur Last fällt - was der Senat angesichts der von der Klägerin nur unsubstantiiert erhobenen Vorwürfe ("Martyrium") nicht feststellen kann -, stellt sich das Vorgehen der Klägerin als einseitiges und schwerwiegendes Fehlverhalten dar, weil sie den Beklagten gegenüber dem Gericht und den Prozeßbevollmächtigten - und ersichtlich auch "vielen lieben Menschen in ... (ihrem) Bekanntenkreis" - aufs heftigste angreift und in seiner Ehre herabsetzt, gleichzeitig aber Unterhalt nach Maßgabe der ehelichen Lebensverhältnisse verlangt und ihn damit zu einem bloßen, Objekt herabwürdigt ähnlich dem im Schriftsatz vom 22. Februar 1995 zitierten Bankautomaten.
Die von der Klägerin vorgebrachten Beschimpfungen des Beklagten
"Er war immer ein geldgieriger haßsüchtiger Vater ..."
und
"Für ihn kam der Tod seiner Tochter gerade recht, konnte er doch endlich mal wieder Geld an sich reißen."
sind, zumal die Parteien seit 1986 getrennt leben, beim Senat auf großes Befremden gestoßen angesichts der Prozeßsituation - immerhin nimmt die Klägerin den Beklagten auf Erhöhung des vormals ausgeurteilten Unterhalts in Anspruch - und der Tatsache, daß sie eigenmächtig den Nachlaß der Tochter an sich genommen und sogar Verfügungen darüber getroffen hat.
Dem Beklagten ist unter diesen Umständen nach Maßgabe der Widerklage nicht zuzumuten, weiter Unterhalt an die Klägerin zu zahlen. Der Senat hat dabei durchaus bedacht, daß die Parteien eine 22-jährige Ehe geführt haben, in deren Verlauf die Klägerin vier Kinder geboren hat. Indes ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, daß der Beklagte während dieser Zeit für den Unterhalt seiner früheren Familie aufgekommen ist und auch nach Trennung und Scheidung nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Klägerin jahrelang Unterhalt in Höhe von mehreren 10.000 DM gezahlt hat, ganz abgesehen von der. Auskehrung des auf die Klägerin entfallenden Zugewinnanteils von über 120.000 DM.
Vor allem aber ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin seit Jahren hartnäckig ihre Erwerbspbliegenheit verletzt und damit zusätzlich ihre Verpflichtung zu nachehelicher Solidarität aufgekündigt hat.
Die Klägerin ist ausweislich des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens der ...-Klinik ... vom 22. Februar 1993 im Hinblick auf - aus orthopädischer Sicht - leichtere und leichte Arbeiten als vollschichtig erwerbsfähig anzusehen. Die von der Klägerin dagegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.
Die Erkrankung des Sohnes ... ist erst im Sommer 1992 erstmals aufgetreten; sie stand einer Erwerbstätigkeit der Klägerin bis dahin also nicht entgegen.
Soweit sich die Klägerin für die Zeit davor auf eine umfassende Betreuungsbedürftigkeit des Kindes beruft, ist dieses Vorbringen gänzlich unsubstantiiert und wird insbesondere nicht getragen von dem in Bezug genommenen, Gutachten des Kinderhospitals ... 16. Mai 1990, wonach immerhin "eine Abwesenheit der Mutter während der Schulzeit akzeptiert werden sollte" (Bd. I Bl. 60). Die Klägerin hätte sich daher entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats, die sich auf die Rechtsprechung des BGH stützt (vgl. BGH FamRZ 1983, 456, 458) ab August 1987 - nachdem ... 8 Jahre alt geworden war - durch Aufnahme einer stundenweise Tätigkeit um die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben bemühen müssen.
Soweit der Senat der Klägerin in dem vorangegangenen Verfahren 19 UF 37/91 Prozeßkostenhilfe für ihre damals beabsichtigte und jetzt den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildende Anschlußberufung bewilligt hat, war dies nur Ausfluß der Rechtslage, wonach angesichts des damaligen Streitstandes die beweisbedürftige, Behauptung der Klägerin, erwerbsunfähig zu sein, der Verneinung der Erfolgsaussicht i.S. des § 114 ZPO entgegenstand.
Auch die behaupteten psychischen Beschwerden stehen einer Erwerbstätigkeit der Klägerin nicht entgegen. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang herangezogenen "verschiedenen Prozesse, die sie zu führen gezwungen war" (Bd. I Bl. 53), sind als Ursache jedenfalls ab Dezember 1991, nachdem der Beklagte seine Berufung in dem genannten Vorverfahren zurückgenommen hatte, ungeeignet, während das vorliegende Verfahren von der Klägerin eingeleitet worden ist.
Soweit die Klägerin schließlich wegen angeblich psycho-vegetativer Erschöpfungszustände und endoreaktiver Depressionen erwerbsunfähig zu sein behauptet, steht einer Berufung auf eine solche Erkrankung entgegen, daß die Klägerin sich damit erst 1991 und in die ausschließliche Behandlung ihrer Hausneurologin begeben hat, und zwar ohne daß bisher eine Besserung eingetreten ist. Sie muß sich daher unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als sei durch rechtzeitige und zutreffende Therapie eine psychisch bedingte Erwerbsunfähigkeit gar nicht erst eingetreten oder jedenfalls behoben.
Der Senat hat schließlich, was zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 1579 BGB gehört, geprüft, ob im Falle der Versagung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin die Belange des Sohnes ... gewahrt sind. Das ist der Fall.
Zum einen hat der Sachverständige Dr. ... in Ergänzung seines schriftlichen Gutachtens bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat sein Gutachten überzeugend dahin erläutert, daß zwar ... unter einer schweren, derzeit nicht ordnungsgemäß behandelten Herzerkrankung leidet, daß er aber nicht der ununterbrochenen Beaufsichtigung oder Betreuung durch die Klägerin bedarf; dem steht ersichtlich auch schon entgegen, daß ... die Schule besucht, ohne daß die Klägerin ihn ständig begleitet oder am Unterricht teilnimmt. Daraus folgt, daß die Klägerin zumindest während der Schulzeit einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte; denn es macht keinen Unterschied, ob sie erforderlichenfalls zur Hause oder an ihrem Arbeitsplatz verständigt wird, wenn der Sohn ihrer Hilfe bedarf. Auch die Schulferien stehen dem nicht entgegen, weil sich auch für diese Zeit - von dem der Klägerin dann zustehenden Urlaub abgesehen - Regelungen finden lassen, wenn die gebotenen Anstrengungen unternommen werden.
Zum anderen fällt auch die Klägerin, was einer Versagung ihres Unterhaltsanspruchs entgegenstehen würde (vgl. BGH FamRZ 1989, 1279, 1281) nicht etwa der Sozialhilfe zur Last. Vielmehr könnte sie, da ihr Wohnbedarf durch die ihr gehörende Eigentumswohnung gedeckt ist, durch, eine Halbtagstätigkeit jedenfalls ihren notwendigen Bedarf decken, was keiner näheren Berechnungen bedarf.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.