Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 26.09.2008, Az.: 7 B 182/08
Zum Begriff der Regelstudienzeit im Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3c WPflG; Dualer Bildungsgang; Einberufung; Studium im Praxisverbund; Zurückstellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 26.09.2008
- Aktenzeichen
- 7 B 182/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 45052
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2008:0926.7B182.08.0A
Rechtsgrundlage
- § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3c WPflG
Amtlicher Leitsatz
Regelstudienzeit eines dualen Bildungsganges im Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3c WPflG ist die Gesamtdauer der Ausbildung unter Einschluss der Zeiten der betrieblichen Ausbildung.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2 500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antrag begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Einberufung zum Grundwehrdienst zum 1. Oktober 2008.
Der am B. 1988 geborene Antragsteller wurde mit Bescheid des Kreiswehrersatzamtes Braunschweig vom 31. Mai 2007 wehrdienstfähig gemustert. Gleichzeitig wurde er wegen seiner Schulausbildung (Abitur) bis einschließlich 30. Juni 2008 vom Wehrdienst zurückgestellt.
Am 22. Mai 2008 schloss der Antragsteller mit der Volkswagen AG einen "Vertrag für Studierente im Praxisverbund- StiP- (Studium in Verbindung mit einem Berufsabschluss)". Nach dem Inhalt dieses Vertrages zielt die Ausbildung auf den erfolgreichen Abschluss als Elektroniker für Automatisierungstechnik und als Bachelor of Engineering. Weiter heißt es in dem Vertrag, dass die Studien- und Praktikantenzeit am 18. August 2008 beginnt und grundsätzlich mit erfolgreichem Abschluss der letzten Hochschulprüfung, spätestens jedoch nach Ablauf der vereinbarten Regelstudienzeit (gegebenenfalls zuzüglich eines Semesters) endet. Nach einer Bescheinigung der Volkswagen AG erstreckt sich die gewerbliche Berufsausbildung über circa 18 Monate, das an der Fachhochschule Wolfenbüttel-Braunschweig zu absolvierende Studium regelmäßig über sechs "Semester zuzüglich der Zeit der Prüfungsarbeiten. Die gesamte Ausbildung "ohne Störereignisse dauere voraussichtlich bis zum 31. März 2013.
Unter dem 14. Juli 2008 beantragte der Antragsteller, ihn mit Rücksicht auf die beabsichtigte Ausbildung vom Wehrdienst zurückzustellen. Mit Bescheid vom 17. September 2008 lehnte das Kreiswehrersatzamt Braunschweig den Zurückstellungsantrag ab. Ein Zurückstellungsgrund nach § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3c Wehrpflichtgesetz sei nur gegeben, wenn die Einberufung des Wehrpflichtigen einen zum vorgesehenen Diensteintritt begonnenen dualen Bildungsgang unterbrechen würde, dessen Regelstudienzeit acht Semester nicht überschreite. Da die am 18. August 2008 begonnene Ausbildung des Antragstellers voraussichtlich am 31. März 2013 ende, dauere die Gesamtstudienzeit sieben Monate und 14 Tage länger als die vom Gesetzgeber vorgesehenen acht Semester. Mit Bescheid des Kreiswehrersatzamtes Braunschweig vom 18. September 2008 wurde der Antragsteller zum neunmonatigen Grundwehrdienst ab 1. Oktober 2008 einberufen. Gegen die Bescheide legte der Antragsteller jeweils Widerspruch ein.
Am 24. September 2008 hat der Antragsteller bei Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Entgegen der Annahme des Kreiswehrersatzamtes überschreite der von ihm begonnene duale Bildungsgang eine Regelstudienzeit von acht Semestern nicht. Die gesetzliche Regelung unterscheide zwischen Studium und betrieblicher Ausbildung. Mit Regelstudienzeit im Sinne der Vorschrift sei nur die Zeit des Studiums des dualen Bildungsganges gemeint. Diese betrage in seinem Falle sechs Semester zuzüglich der Zeit für die Prüfungsarbeit. Hätte der Gesetzgeber mit der zeitlichen Zäsur von acht Semestern für die Anerkennung eines besonderen Härtegrundes die gesamte Länge des dualen Bildungsganges bezeichnen wollen, hätte er nicht von Regelstudienzeit, sondern von Gesamtdauer gesprochen. Das gesetzgeberische Ziel der Vorschrift könne nicht erreicht werden, wenn die Gesamtdauer des dualen Bildungsganges nur acht Semester betragen dürfe. Denn in diesem Zeitraum sei ein dualer Bildungsgang in aller Regel nicht zu absolvieren.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes Braunschweig vom 18. September 2008 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung vertieft sie die in dem Bescheid vom 18. September 2008 genannten Gründe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, aber unbegründet.
Unter Berücksichtigung der in § 35 Satz 1 Wehrpflichtgesetz (WPflG) bestimmten sofortigen Vollziehung des Einberufungsbescheides kann die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Einberufungsbescheid gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nur angeordnet werden, wenn der angefochtene Einberufungsbescheid erkennbar rechtswidrig ist oder bei offenen Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs das private Interesse des Antragstellers, der Einberufung zunächst nicht Folge leisten zu müssen, das vom Gesetzgeber grundsätzlich als vorrangig anerkannte öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Einberufung des Antragstellers nicht vor. Umstände, die der zum 1. Oktober 2008 verfügten Einberufung des Antragstellers zum Grundwehrdienst entgegenstehen und insbesondere eine Zurückstellung vom Wehrdienst gebieten würden, sind nicht gegeben.
Gemäß § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG soll ein Wehrpflichtiger auf Antrag zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde. Eine besondere Härte liegt gemäß § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3c WPflG in der Regel vor, wenn die Einberufung des Wehrpflichtigen einen zum vorgesehenen Diensteintritt begonnenen dualen Bildungsgang (Studium mit studienbegleitender betrieblicher Ausbildung), dessen Regelstudienzeit acht Semester nicht überschreitet und bei dem das Studium spätestens drei Monate nach Beginn der betrieblichen Ausbildung aufgenommen wird, unterbrechen würde. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil der am 18. August 2008 begonnene duale Bildungsgang des Antragstellers ohne Störereignisse am 31. März 2013 endet, damit auf eine Gesamtdauer von vier Jahren, sieben Monaten und 14 Tagen angelegt ist und somit die vorgesehene Regelstudienzeit von acht Semestern überschreitet. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist für die maßgebliche Regelstudienzeit nicht nur die Dauer der Ausbildung an der Fachhochschule in den Blick zu nehmen. Denn Regelstudienzeit eines dualen Bildungsganges im Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3c WPflG ist die Gesamtdauer der Ausbildung unter Einschluss der Zeiten der betrieblichen Ausbildung. Das ergibt sich aus folgendem:
Duale Studiengänge der von dem Antragsteller betriebenen Art sind durch den Erwerb eines Berufsabschlusses in einem anerkannten Ausbildungsberuf während des Studiums - etwa an einer Fachhochschule - gekennzeichnet. In dualen Studiengängen werden zwei Ausbildungen nebeneinander durchgeführt. Das Ziel dieser besonderen Ausbildungsform ist die Erlangung von zwei verschiedenen Abschlüssen, nämlich sowohl des Facharbeiterbriefes in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf als auch eines Hochschulgrades, hier des Bachelor of Engineering. Der bloße Wortlaut des § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3c WpflG erlaubt keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob zur Regelstudienzeit eines dualen Bildungsganges auch die Zeiten der betrieblichen Ausbildung zählen. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung zur Rechtslage vor Einfügung des § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3c WPflG ausgeführt, dass die dualen Studiengänge integrierte Gesamtausbildungen darstellten, die vom Fachhochschulstudium stärker geprägt seien als von der betrieblichen Ausbildung. Das Studium beanspruche mehr Zeit und verleihe die höherwertige Qualifikation. Sein erfolgreicher Abschluss werde bereits bei Eingehen des Berufsausbildungsverhältnisses ebenfalls angestrebt. Das Studium habe daher auch in Anbetracht der gesetzlichen Zurückstellungstatbestände das höhere Gewicht (vgl. Urt. vom 24.10.2007 - 6 C 9/07 -, juris Rn. 23). An anderer Stelle dieses Urteils ist ausgeführt, dass der aus einem betrieblichen und einem Hochschulteil bestehende duale Studiengang als Einheit zu betrachten sei, die durch das Hochschulelement geprägt werde, weshalb es folgerichtig sei, mit der Semesterzählung auch dann sofort zu beginnen, wenn das Fachhochschulstudium der betrieblichen Ausbildung erst mit gewissem zeitlichen Abstand folge. Der Begriff "Semester" stehe dem nicht entgegen, weil er allgemein im Sinne von Ausbildungshalbjahr verstanden werden könne (a.a.O., Rn. 30).
Dass die vorstehenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts auf den hier streitigen Zurückstellungstatbestand des § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3c WPflG zu übertragen sind, ergibt sich aus den Motiven des Gesetzgebers. Der erstmals duale Bildungsgänge ausdrücklich regelnde Zurückstellungstatbestand wurde durch Artikel 1 Nr. 10c des Wehrrechtsänderungsgesetzes 2008 vom 31. Juli 2008 (BGBl. 2008, I, 1629) in das Gesetz aufgenommen. Die Gesetz gewordene Fassung stellt einen politischen Kompromiss dar, der auf Empfehlung des Verteidigungsausschusses zustande gekommen ist (vgl. BTDrucks 16/8640). Die Regelung stellt sich (mindestens auch) als eine Reaktion des Gesetzgebers auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2007 (a.a.O.) dar. In Konsequenz dieser Entscheidung waren Auszubildende im dualen Studiengang ausschließlich nach den für Studierende geltenden Vorschriften und somit erst mit dem Eintritt in das dritte Semester zurückzustellen. Das Gericht hatte seine Entscheidung auch auf Gründe der Wehrgerechtigkeit gestützt und darauf hingewiesen, dass bei integrierten Ausbildungen "die Regelstudienzeit...unter Einschluss der betrieblichen Ausbildung" (!) bis zu zehn Semester betrage. Wegen der gesetzlichen Höchstaltersgrenze könnte ein Wehrpflichtiger, der nach Erreichen des 20. Lebensjahres eine derartige Ausbildung beginne und absolviere, dann nicht mehr zur Ableistung des Grundwehrdienstes herangezogen werden. Eine Heranziehung sei dann nur möglich, wenn der Wehrpflichtige bei Eintritt in die Ausbildung jünger oder die Regelstudienzeit kürzer sei (a.a.O., Rn. 26 f.). Der Gesetzgeber hat sich ganz offenbar diese Überlegungen zu Eigen gemacht und deshalb die anfängliche Zurückstellung bei dualen Bildungsgängen auf die Fälle begrenzt, in denen die Regelstudienzeit einschließlich der betrieblichen Ausbildung acht Semester nicht überschreitet. Bemühungen des Bundesrates, den Schutz dahingehend zu erweitern, dass duale Ausbildungsgänge mit Regelstudienzeiten von bis zu elf Semestern die Rückstellung rechtfertigen, weil auch mit einer so ausgestalteten Regelung für Studierende dualer Bildungsgänge die Heranziehung vor der Grenze von 25 Jahren regelmäßig möglich bleibe, hatten im Gesetzgebungsverfahren keinen Erfolg: Die auf den entsprechenden Antrag des Freistaates Sachsen durch den Bundesrat in seiner Sitzung vom 23. Mai 2008 beschlossene Anrufung des Vermittlungsausschusses (BR-Plenarprotokoll 844, S. 143 C) führte im Vermittlungsausschuss zur Bestätigung des Gesetzesbeschlusses (Beschl. vom 4. Juni 2008, BRDrucks 410/08). Der Gesetzgeber hat damit ersichtlich verhindern wollen, dass Absolvierende dualer Bildungsgänge über die Höchstaltersgrenze von 25 Jahren zurückgestellt werden müssen, wenn sie diese Ausbildung (deutlich) nach Vollendung des 20. Lebensjahres beginnen. Dies ist nur gewährleistet, wenn auch die Dauer der betrieblichen Ausbildung in die Regelstudienzeit eingerechnet wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird unter Berücksichtigung von Ziff. 52.4des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ( NVwZ 2004, 1327 ff.) gemäß § 53 Abs. 3 i.V.m. § 53 Abs. 1 und GKG für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte des Auffangwertes von 5 000,00 EUR, mithin auf 2 500,00 EUR festgesetzt.