Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 15.04.2004, Az.: 7 A 3458/03

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
15.04.2004
Aktenzeichen
7 A 3458/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 43467
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2004:0415.7A3458.03.0A

Amtlicher Leitsatz

Einem Mitglied der RDR und des Schüler- und Studentenbundes FESCI steht in den nördlichen von den Rebellen gehaltenen Landesteilen der Elfenbeinküste eine zumutbare inländische Fluchtalternative zur Verfügung, wenn er dort Familienangehörige hat, die ihn unterstützen.

Gründe

1

Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.

2

Es kann offen bleiben, ob die Behauptung des Klägers, es sei im Auftrag von führenden Mitgliedern des Schüler- und Studentenbundes ... versucht worden ihn zu töten, weil er sich geweigert habe, sich nach Ausbruch des Bürgerkrieges für die "Verteidigung der Elfenbeinküste" besonders zu engagieren, glaubhaft ist bzw. es sich um ein den ivorischen Staat zurechenbares Verhalten handelt. Auch bedarf keiner Beurteilung, ob der Kläger wegen seiner Verwandtschaft mit einem wegen regimekritischer Ansichten im November 2002 getöteten Onkel sowie einem Kommandeur der Rebellen, der sein Cousin sein soll, politische Verfolgung zu befürchten hat.

3

Bei seiner Ausreise am 19. Juli 2003 und im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung stand dem Kläger in dem von den Rebellen der ... bzw. Forces Nouvelles eingenommenen Gebiet im Norden der Elfenbeinküste jedenfalls eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

4

Dies setzt voraus, dass (1.) in einem Teil des Territoriums des Verfolgerstaates eine politische Verfolgung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann und dort (2.) sonst keine unzumutbaren Nachteile drohen, die am Herkunftsort so nicht bestünden (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315342 ff.; BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1999 - 9 C 15.99 - BVerwGE 109, 353355 f.)

5

1. a.

Nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 22. April 2003 gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Angehörige der ... in den nördlichen von den Rebellen gehaltenen Gebieten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt werden. Das Institut für Afrikakunde hat in der Auskunft an das erkennende Gericht vom 31. März 2003 zudem dargelegt, dass dort so etwas wie ein Schutzraum für RDR-Angehörige und -Sympathisanten bestehe. Auch amnesty international (Auskunft vom 3. April 2003 an das erkennende Gericht) stellt, soweit es das von der MPCI gehaltene Gebiet betrifft, keine zu erwartenden Verfolgungsmaßnahmen dar. Für diese im Wesentlichen übereinstimmenden Einschätzungen spricht, dass die ... und die ... das gemeinsame Ziel haben, die Situation der moslemischen Bevölkerung zu verbessern (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2003 - 9 LA 310/03 -S. 3; Beschluss vom 1. Oktober 2003 - 9 LA 273/03 -S. 3).

6

Der Kläger ist nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung Mitglied der RDR. Dass für ihn etwas anderes gelten könnte, weil er auch hervorgehobenes Mitglied der FESCI gewesen ist, vermag das Gericht nicht zu erkennen. Denn diese Organisation hat sich in Sympathisanten der Partei des Präsidenten Gbagbo (FPI) und Unterstützer der RDR aufgespalten (vgl. Auskunft von amnesty international an das VG Hannover vom 19. Dezember 2002). Hieraus ist zu entnehmen, dass der Parteizugehörigkeit mehr Gewicht beizumessen ist als der Mitgliedschaft in der FESCI.

7

Im Falle des Klägers kommt hinzu, dass er mit wichtigen Persönlichkeiten der Rebellenbewegung bekannt ist. Er hat nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung mit ..., dem früheren Vorsitzenden der ... und jetzigen Führer der ..., vier Jahre zusammengearbeitet. Dieser würde ihn deshalb gut kennen. Außerdem hat der Kläger vorgebracht, dass ein Cousin Kommandeur der Rebellen in Sakassou sei. Dieser stamme ebenfalls aus Boundiali. Er habe früher häufig Kontakt mit ihm gehabt, weil dessen Kaserne in der Nähe seines Studentenwohnheims liege. Ferner hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er aus seiner Zeit bei der ... die Vertreter der ... in Frankreich und Belgien kenne.

8

Die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Befürchtung des Klägers, man würde im Hinblick auf sein Engagement bei der ... verlangen, dass er die Rebellen aktiv unterstütze und ihn im Falle seiner Weigerung als Spion des Südens betrachten, teilt das Gericht nicht.

9

Die oben genannten Auskünfte, die sich gerade speziell zu möglichen politischen Verfolgungsmaßnahmen von ...-Mitgliedern im Norden der Elfenbeinküste verhalten, erwähnen dies nicht. Dies wäre aber naheliegend gewesen wäre, wenn die vom Kläger behaupteten Gefahren tatsächlich bestehen würden. Es würde sich dann nämlich um ein Problem handeln, dass alle zuvor im Süden politisch Aktiven betrifft.

10

Der diesbezügliche in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag des Klägers war deshalb in entsprechender Anwendung der §§ 98 VwGO, 412 ZPO abzulehnen. Die von ihm aufgeworfene Frage beantwortet sich nach dem Vorstehenden bereits aus den vorhandenen Erkenntnismitteln hinreichend eindeutig (vgl. allgemein: BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 - 9 B 518.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60, S. 58).

11

Außerdem bestehen auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass Mitglieder der RDR im Norden der Elfenbeinküste als Spione der Regierung des Südens angesehen werden könnten. Denn diese Partei steht in Opposition zu Präsident Gbagbo. Im Falle des Klägers ist zudem insbesondere auf Grund seiner bereits erwähnten Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten der Rebellen bekannt, dass er kein Unterstützer der Regierung ist. Er hat beim Bundesamt außerdem vorgetragen, dass er sich innerhalb der ... für Angehörige der Dioula aus dem Norden verwandt habe (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 8). Er gibt auch an, dass ihm im Süden gerade vorgeworfen worden sei, die Rebellen zu unterstützen. Beim Bundesamt hat der Kläger die von ihm in der mündlichen Verhandlung in den Vordergrund gestellte Befürchtung auch nicht geäußert. Er hat vielmehr vor allem angegeben, er rechne damit, zwangsrekrutiert zu werden (vgl. Anhörungsprotokoll a.a.O.). Der Kläger ist zudem Anfang 2003 im Norden des Landes gewesen, um dort seine Mutter aufzusuchen.

12

b.

Es bestand zudem weder im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers am 19. Juli 2003 noch besteht derzeit die reale Gefahr, dass die Regierung Gbagbo im Norden wieder die Macht übernimmt. Zwischen der Regierung und den Rebellen ist bereits am 18. Oktober 2002 ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen worden (vgl. Auskunft von amnesty international an das VG Hannover vom 19. Dezember 2002), welches auch weitgehend befolgt worden ist (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Oldenburg vom 22. April 2003). Die von französischen Friedenstruppen überwachte faktische Zweiteilung des Landes hält seither an (vgl. UNHCR, Bericht vom Januar 2004). Ende Januar 2003 ist in Linas-Marcoussis bei Paris zwischen den Bürgerkriegsparteien eine Friedensvereinbarung zustande kommen, die u.a. eine Beteiligung der Rebellen der ... an der Regierung der Nationalen Versöhnung mit sieben Ministern vorsieht (vgl. Auskunft des Institut für Afrikakunde an das VG Oldenburg vom 31. März 2003). Anfang Juli 2003 ist der Bürgerkrieg mit den Rebellen offiziell beendet worden (vgl. US Departement of State, Bericht vom 25. Februar 2004, S. 1).

13

2.

Die Fluchtalternative im Norden der Elfenbeinküste ist für den Kläger sowohl im Zeitpunkt der Ausreise als auch der mündlichen Verhandlung zumutbar gewesen. Insoweit gilt der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1999 a.a.O.S. 356).

14

a.

Ein unzumutbarer Nachteil liegt etwa vor, wenn der Betroffene in dem verfolgungsfreien Gebiet nicht über das wirtschaftliche Existenzminimum verfügt. Dieses ist nicht gegeben, wenn der Ausländer nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten weder durch eigene Arbeit noch durch Zuwendungen Dritter das zu seinem Lebensunterhalt unbedingt notwendige erlangen kann. Bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise darf die Verweisung auf einen verfolgungssicheren Ort nicht zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führen oder auf ein bloßes Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums hinauslaufen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 1 B 128.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 326).

15

Nach der Auskunft des Instituts für Afrikakunde vom 31. März 2003 an das erkennende Gericht ist die Versorgungslage in einigen der von den Rebellen gehaltenen Gebieten extrem angespannt. Es wird dementsprechend die Einschätzung vertreten, dass zahlreiche Menschen erheblichen Risiken für Leib und Leben ausgesetzt seien. Auch amnesty international (Auskunft an das VG Oldenburg vom 3. April 2003) ist der Auffassung, dass für Rückkehrer in den nördlichen Gebieten des Landes kein gesichertes Existenzminimum bestehe. Nach einem Bericht der taz vom 19. September 2003 sind die Rebellengebiete verarmt. Wegelagerei sei üblich. Die FAZ vom 19. September 2003 erwähnt dementsprechend, dass dort Anarchie und Bandentum um sich greife. Das Auswärtige Amt (vgl. Sicherheitshinweise vom 21. Januar 2004) warnt vor Reisen in den Nordteil der Elfenbeinküste. Der UNHCR (a.a.O.) weist darauf hin, dass die Rebellengebiete in einen Zustand der Rechtlosigkeit verfallen seien. Es bestehe die Gefahr, dass sich die humanitäre Situation dort weiter verschlechtere. Für Hilfsorganisationen sei dieser Teil des Landes nicht erreichbar.

16

Angesichts der bereits geschilderten politischen Stabilisierung ist allerdings davon auszugehen, dass sich die wirtschaftliche Situation auch in den nördlichen Gebieten leicht verbessert hat. Anhaltspunkte für weitreichende Hungersnöte vermag das Gericht den vorhandenen Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen.

17

Das Gericht geht unter Berücksichtigung dieser Umstände davon aus, dass Ivorer, die im Nordteil der Elfenbeinküste keine persönlichen Bindungen haben, grds. nicht in der Lage sind, sich dort eine ausreichende Existenzgrundlage zu verschaffen (vgl. Urteil vom 4. Februar 2004 - 7 A 241/03 -).

18

Im Falle des Klägers ist dagegen maßgeblich, dass seine Familie in Boundiali, einer Stadt im Norden der Elfenbeinküste, lebt. Dort wohnt - wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat - seine Mutter mit zahlreichen Familienangehörigen zusammen, die sie unterstützen. Es handelt sich hierbei um den Großvater des Klägers, sowie Onkel, Tanten und Cousins. Der Großvater des Klägers ist Vorbeter der Stadt. Einige Onkel und Cousins haben Arbeit. Beim Bundesamt hat der Kläger angegeben, dass es seiner Mutter in Boundiali sehr gut gegangen sei (vgl. Anhörungsprotokoll, S. 5). Außerdem ist auch in diesem Zusammenhang auf die oben unter 1 a. dargestellten persönlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen des Klägers zu den Rebellen hinzuweisen.

19

b.

Die Gefahr einer Zwangsrekrutierung durch die Rebellen ist nicht beachtlich wahrscheinlich. Zwar haben solche Maßnahmen in den nördlichen Gebieten stattgefunden (vgl. US Departement of State a.a.O., S. 2). Indes ist zu berücksichtigen, dass die bürgerkriegsbedingten Kampfhandlungen schon im Zeitpunkt der Ausreise des Klägers eingestellt waren und der Bürgerkrieg offiziell für beendet erklärt worden ist. Der Kläger hat es sogar schon Anfang 2003 gewagt, seine Mutter in Boundiali aufzusuchen. Außerdem kann er, wie ausgeführt, auf die Unterstützung der mit ihm bekannten bzw. verwandten Persönlichkeiten der Rebellen zählen. Der Kläger hat die Gefahr einer Zwangsrekrutierung in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr hervorgehoben.

20

c.

Das Gericht erachtet es auch als zumutbar, wenn der Kläger im Süden der Elfenbeinküste wegen eines Aufenthalts im Norden des Landes als Unterstützer der Rebellen angesehen würde. Eine Rückkehr in die regierungskontrollierten Gebiete wird von dem Kläger nach den vorstehenden Ausführungen gerade nicht erwartet. Der Vorwurf, mit den Rebellen zusammenzuarbeiten, ist ihm dort nach seinem Vortrag auch ohnehin schon gemacht worden.