Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 31.03.2004, Az.: 13 B 826/04

Anlassbeurteilung; Fachhochschuldozent; Stellenbesetzung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
31.03.2004
Aktenzeichen
13 B 826/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50881
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antragsgegnerin wird untersagt, die für einen Professor (BesGr. C 3) oder für einen Fachhochschuldozenten (BesGr. A 15 BBesO) für Organisations- und Einsatzwissenschaften ausgeschriebene Stelle am Fachbereich Polizei - Abteilung Hann. Münden - mit dem Beigeladenen zu besetzen bis zum Ablauf eines Monats, nachdem über den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 20.01.2004 entschieden worden ist.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Übertragung der Stelle eines Fachhochschuldozenten (BesGr. A 15 BBesO) auf den Beigeladenen.

Der Antragsteller steht als Polizeioberrat (BesGr. A 14 BBesO) im Dienst des Landes Niedersachsen. Seit dem 1.02.2002 ist er mit dem Ziel der Versetzung an die Niedersächsische Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege - Fachbereich Polizei Abteilung Hann. Münden - abgeordnet. Er ist dort wie bereits in früheren Verwendungen als Dozent tätig. Der Beigeladene steht ebenfalls als Polizeioberrat im Dienst des Landes Niedersachsen. Auch er ist Dozent am Fachbereich Polizei - Abteilung Hann. Münden - der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege.

Im Februar 2002 wurde die Stelle eines Professors/Professorin (BesGr. C 3) bzw. eines Fachhochschuldozenten/einer Fachhochschuldozentin (BesGr. A 15) am Fachbereich Polizei der Niedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege ausgeschrieben. Auf die Ausschreibung gingen zehn Bewerbungen bei der Antragsgegnerin ein, darunter die des Antragstellers und des Beigeladenen. Nach Ablauf der Ausschreibungsfrist bildete die Antragsgegnerin eine Berufungskommission, die feststellte, dass keiner der Bewerber die Voraussetzungen für eine Professur nach § 51 NHG (a. F.) erfüllte. Sie führte daher die Besetzungsangelegenheit als Verfahren zur Auswahl eines Fachhochschuldozenten weiter. Dabei lud sie die Bewerber zu einem Auswahlgespräch. Außerdem mussten die Bewerber, die bei dem Auswahlgespräch einen guten Eindruck hinterlassen hatten, eine Probevorlesung abhalten. Dienstliche Beurteilungen der Bewerber holte die Antragsgegnerin nicht ein.

Mit Schreiben vom 20.01.2004 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass die Auswahl auf den Beigeladenen gefallen sei und beabsichtigt sei, diesem den Dienstposten zu übertragen. Gegen diese Entscheidung erhob der Antragsteller Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.

Am 20.02.2004 hat der Antragsteller um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt er unter anderem vor: Die hier zu beurteilende Auswahlentscheidung betreffe eine nach der Besoldungsgruppe A 15 BBesO bewertete Stelle eines Polizei- bzw. Kriminaldirektors in der Funktion eines Fachhochschuldozenten. Deshalb seien nicht die Vorschriften über die Ernennung eines Professors nach dem Niedersächsischen Hochschulgesetz anzuwenden, sondern die für beamtenrechtliche Auswahlentscheidungen maßgeblichen Bestimmungen des Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 NBG. Danach sei eine Auswahlentscheidung vorzunehmen, die auf der Grundlage einer Bewertung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung basiere. Die Bewertung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung geschehe aber regelmäßig durch eine entsprechende dienstliche Beurteilung. Eine aktuelle dienstliche Beurteilung oder eine vergleichbare Leistungserhebung habe der Auswahlentscheidung aber nicht zu Grunde gelegen. Die Auswahlentscheidung allein auf der Grundlage eines strukturierten Auswahlgesprächs und einer Auswahlvorlesung genüge nicht den Anforderungen, die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an die Auswahlentscheidung gestellt würden. Das Auswahlverfahren leide außerdem an dem Mangel, dass die früheren dienstlichen Leistungen überhaupt keine Rolle gespielt hätten.

Der Antragsteller beantragt,

der Antragsgegnerin vorläufig bis zum Ablauf eines Monats, nachdem über seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.01.2004 entschieden worden ist, zu untersagen, die Stelle eines Professors/Professorin Besoldungsgruppe C 3 oder eines Fachhochschuldozenten/Fachhochschuldozentin Besoldungsgruppe A 15 BBesO an der Fakultät Polizei mit dem Beigeladenen zu besetzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie trägt vor: Die Auswahlentscheidung sei nicht ermessensfehlerhaft ergangen. Die bei ihr lehrenden Polizeivollzugsbeamten seien wegen ihrer Tätigkeit als Fachhochschuldozenten von den Regelbeurteilungen der Beurteilungsrichtlinien für den Polizeivollzugsdienst ausgenommen. Deshalb könne für diesen Personenkreis auf dienstliche Beurteilungen nicht zurückgegriffen werden. Für den Fall der Besetzung eines Dienstpostens bei ihr, der Antragsgegnerin, habe das Niedersächsische Innenministerium durch Erlass vom 13.04.2000 vorgegeben, die Bewerberauswahl anstelle einer dienstlichen Beurteilung auf der Grundlage eines qualifizierten und strukturierten Auswahlgesprächs und gegebenenfalls zusätzlich einer Auswahlvorlesung durchzuführen.

Dass diese Vorgaben den sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 NBG ergebenden Erfordernissen genügten, habe das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 6.03.2003 - 5 ME 244/02 - festgestellt.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er tritt dem Antrag wie folgt entgegen: Die Stelle sei nicht laufbahnbezogen, sondern übergreifend ausgeschrieben, nämlich auch als „klassische“ Professorenstelle. Das Auswahlverfahren müsse diese Besonderheit berücksichtigen. Dienstliche Beurteilungen könnten deshalb nicht der Maßstab für die Bewertung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung und die darauf beruhende Auswahlentscheidung sein. Das Auswahlverfahren mit Lehrveranstaltung und anschließendem Fachgespräch gewährleiste am besten die vergleichende Feststellung der Eignung für die ausgeschriebene Stelle. Dies entspreche für die Besetzung von Stellen, die durch Lehraufgaben gekennzeichnet seien, allgemein anerkannten Bewertungs- und Beurteilungsgrundsätzen. Man dürfe ohne weiteres davon ausgehen, dass die Bewerberinnen und Bewerber, die überhaupt zu Probelehrveranstaltungen eingeladen worden seien, alle grundsätzlich hervorragend geeignet seien, und die Auswahlentscheidung maßgeblich auf der Grundlage des Eindrucks im Zuge von Vorlesung und Gespräch getroffen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte, den Auswahlvorgang und die Personalakten des Antragstellers und des Beigeladenen Bezug genommen.

II.

Der auf den Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO gerichtete Antrag ist zulässig und begründet.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die begehrte einstweilige Anordnung erweist sich als eilbedürftig. Die Antragsgegnerin beabsichtigt, dem Beigeladenen den in Rede stehenden Dienstposten zu übertragen. Hiervon hat sie im Verhältnis zu dem Antragsteller allein im Hinblick auf das vorliegende Eilverfahren Abstand genommen.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO iVm §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung erweist sich das Auswahlverfahren als fehlerhaft. Das ergibt sich aus folgendem:

Der Beamte hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens. Er kann lediglich beanspruchen, dass über seine Bewerbung ohne Rechtsfehler entschieden und von praktizierten ermessensbindenden Richtlinien nicht zu seinem Nachteil grundlos abgewichen wird. Dazu zählt insbesondere, dass der Dienstherr nicht zum Nachteil des Beamten vom Grundsatz der Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 Abs. 1 NBG) abweicht. Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung einer Auswahlentscheidung des Dienstherrn beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet hat, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Die Ermessensausübung des Dienstherrn bei der Entscheidung über eine Beförderung hat sich am Leistungsgrundsatz zu orientieren. Dabei ist den jeweils letzten, hinreichend aktuellen dienstlichen Beurteilungen regelmäßig besonderes Gewicht beizumessen.

Diesen Maßgaben wird die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin nicht gerecht.

Das von der Antragsgegnerin auf der Grundlage eines Auswahlgesprächs und einer zusätzlichen Probevorlesung durchgeführte Auswahlverfahren genügt den sich aus dem Prinzip der Bestenauslese ergebenden Erfordernissen nicht. Die Auswahlentscheidung verstößt gegen Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 NBG, weil sie ohne eine aktuelle Bewertung von Leistung und Eignung der vor der Auswahlentscheidung ausgeübten dienstlichen Tätigkeit in Form einer aktuellen Anlassbeurteilung und damit ohne Zugrundelegung eines richtigen und vollständigen Sachverhalts ergangen ist.

Da die umstrittene Auswahlentscheidung dazu führen soll, den am besten geeigneten Bewerber für das Amt eines Fachhochschuldozenten (BesGr. A 15) zu bestimmen, ist es erforderlich, die bisher ausgeübte und in dem angestrebten Amt auch auszuübende Tätigkeit der Bewerber als Dozenten hinreichend zu berücksichtigen und der Bewertung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu Grunde zu legen. Dies hätte z. B. durch Unterrichtsbesuche und auf ihnen beruhende dienstliche Anlassbeurteilungen geschehen können. Auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht ist in seinem von der Antragsgegnerin zur Stützung ihrer Rechtsauffassung angeführten Beschluss vom 6.03.2003 (5 ME 244/02) davon ausgegangen, dass in Fällen, in denen sich Polizeibeamte, die bereits als Fachhochschuldozenten tätig sind, um ein höherwertiges Amt in der Funktion eines Fachhochschuldozenten bewerben, eine Auswahlentscheidung auf der Grundlage einer Anlassbeurteilung zu erfolgen hat (Seite 10 des Entscheidungsabdrucks).

Von der Einholung von Anlassbeurteilungen durfte die Antragsgegnerin auch nicht deshalb absehen, weil die ausgeschriebene Stelle alternativ als Planstelle der Besoldungsgruppe C 3 und als Stelle eines Fachhochschuldozenten der Besoldungsgruppe A 15 ausgeschrieben worden ist. In dem in Rede stehenden Auswahlverfahren ging es nämlich letztendlich allein um die Bestellung eines Bewerbers als Fachhochschuldozent der Besoldungsgruppe A 15 BBesO, da keiner der in die engere Auswahl gekommenen Bewerber aus dem Polizeibereich den gesetzlichen Anforderungen für eine Berufung in ein Professorenamt genügte. Das Auswahlverfahren war deshalb nach den oben aufgeführten, sich aus Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 NBG ergebenden Erfordernissen für beamtenrechtliche Auswahlentscheidungen auszugestalten.

Das strukturierte Auswahlgespräch und die Probelehrveranstaltungen, denen sich der Antragsteller und der Beigeladene unterziehen mussten, sind auch nicht geeignet, die einzuholenden Anlassbeurteilungen zu ersetzen. So ist der in einem Auswahlgespräch und auch der in einer einmaligen Probevorlesung gewonnene Eindruck von der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der Bewerber nur von relativ begrenzter Aussagekraft. Der in solchen Veranstaltungen gewonnene Eindruck kann das Bild von einem Bewerber nur abrunden und die Beurteilungsgrundlage erweitern (vgl. Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 5.11.2002 - 5 ME 201/02 - m. w. N.). Eine dienstliche Beurteilung und die Auswertung der in einer solchen dienstlichen Beurteilung getroffenen Erkenntnisse können auf diese Weise nicht ersetzt werden.

Dass das Niedersächsische Innenministerium durch Erlass vom 13.04.2000 bestimmt hat, dass bei der Besetzung von Dienstposten bei der Antragsgegnerin die Bewerberauswahl anstelle einer dienstlichen Beurteilung auf der Grundlage eines qualifizierten und strukturierten Auswahlgesprächs und gegebenenfalls zusätzlich einer Probevorlesung erfolgt, kann den festgestellten Ermessensfehler nicht ausräumen. Das Erfordernis zur Einholung aktueller dienstlicher Beurteilungen in einem beamtenrechtlichen Auswahlverfahren ergibt sich aus den angeführten gesetzlichen Bestimmungen und steht nicht zur Disposition durch Verwaltungsvorschriften. Im übrigen ist das Absehen von der Einholung von Anlassbeurteilungen im Stellenbesetzungsverfahren nicht von den einschlägigen Laufbahnvorschriften gedeckt. Denn § 30 Abs. 1 Satz 1 PolNLVO sieht vor, dass von Regelbeurteilungen für Polizeivollzugsbeamte abgesehen werden kann, soweit die Beurteilungsrichtlinien des Innenministeriums dies bestimmen. Für „Beurteilungen aus besonderem Anlaß“ gilt dies aber nicht, wie sich aus § 30 Abs. 1 Satz 2 PolNLVO ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.