Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.03.2004, Az.: 7 A 3832/03
Absetzbarkeit; Angemessenheit; Einkommen; Grundsicherung; Kabelanschluss; Kabelanschlussgebühr; Kabelanschlussgebühren; Kranken-Zusatzversicherung; Krankenversicherung; Krankenzusatzversicherung; Lebenshaltungskosten; Lebensunterhalt; Medikament; Telefonanschluss; Unterkunft; Unterkunftskosten; Vermögen; Zusatz-Krankenversicherung; Zusatzkrankenversicherung; Zusatzversicherung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.03.2004
- Aktenzeichen
- 7 A 3832/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50990
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 37 BSHG
- § 76 Abs 2 S 3 BSHG
- § 1 GSiG
- § 3 GSiG
- § 34 Abs 1 SGB 5
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Private Kranken-Zusatzversicherungen sind nicht nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG vom Einkommen absetzbar.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem GSiG.
Die alleinstehende, 1935 geborene Klägerin bewohnt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten eine 3-Zimmer-Wohnung mit Kabelanschluss. Hierfür ist ein Mietzins von 700 DM zuzüglich 170 DM an Nebenkosten monatlich vereinbart. Dies entspricht einem Betrag von 444,82 EUR. In den Nebenkosten sind keine Abfallgebühren enthalten, die gesondert zu zahlen sind. In den Nebenkosten sind aber die Heizkosten enthalten. Nach der vorgelegten Nebenkostenabrechnung wurde für die Position "Heizung/Wasser/Kanal" der Jahresbetrag von 481,92 EUR angesetzt, monatlich mithin 40,16 EUR.
Die Klägerin verfügt über eine Haftpflichtversicherung mit einem Quartalsbeitrag von 19,93 EUR, einer Hausratsversicherung mit einem Quartalsbeitrag von 5,52 EUR sowie einer Zusatz-Krankenversicherung mit einem Monatsbeitrag von 20,81 EUR. Nach einem Attest ihrer Augenärztin benötigt die Klägerin nicht verschreibungspflichtiges hornhautunterstützendes Gel und Benetzungsmittel. Außerdem verfügt die Klägerin über einen Telefon-Festnetzanschluss, wofür die Deutsche Telekom monatlich 11,49 EUR berechnet.
An Einkommen verzeichnet die Klägerin 279,87 EUR Witwenrente, 527,53 EUR Altersrente und 36,92 EUR für eine Zusatzrente.
Die Klägerin beantragte Ende November 2002 Leistungen nach dem GSiG.
Mit Bescheid vom 10.01.2003 lehnte die Stadt Holzminden den Antrag der Klägerin ab, weil ihr Einkommen den festgestellten Bedarf übersteigen würde. Die Stadt setzte als angemessene Unterkunftskosten lediglich einen Betrag von 308,00 EUR an und berücksichtigte auch nicht die Kranken-Zusatzversicherung.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Sie führte aus, die Kranken-Zusatzversicherung übernehme vor allem die Kosten für eine Brille, die die Klägerin alle 2 Jahre aufgrund einer Augenerkrankung benötige. Auch müssten die Abfallgebühren und die Kabelanschlusskosten mit berücksichtigt werden; hinzu komme, dass die Klägerin monatliche Ausgaben für Augentropfen und Gel in Höhe von 10,67 EUR habe. Als Mehrbedarf sei weiterhin die Grundgebühr für den Telefonanschluss einzustellen. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes sei sie, die Klägerin, auf ein Telefon angewiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2003, zugestellt durch Einschreiben, wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat am 11.09.2003 Klage erhoben.
Sie trägt vor: Im Rahmen des GSiG dürften hinsichtlich der Angemessenheit der Unterkunft nicht so hohe Maßstäbe wie nach dem BSHG angesetzt werden. Es seien die vollen Unterkunftskosten zuzüglich der Abfallgebühren und der Kabelkosten zu berücksichtigen. Ein Umzug in eine preisgünstigere Wohnung sei ihr Aufgrund ihres Alters nicht mehr zuzumuten. Im Hinblick auf die Kosten für neue Brillen und für Zahnersatz sei die Krankenzusatzversicherung ebenfalls angemessen. Zu berücksichtigen sie weiterhin der Medikamentenbedarf, der von der Krankenversicherung nicht abgedeckt werde. Wegen ihres Gesundheitszustandes benötige sie auch ein Telefon.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 10.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2003 ihr Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Er verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides und seines Widerspruchsbescheides.
Alle Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.
Weiterhin haben sich alle Beteiligten mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.
Weiterhin ergeht im Einverständnis der Beteiligten die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem GSiG.
Zwar erfüllt die Ende März 19935 geborene Klägerin mit fast 69 Jahren die altersmäßigen Voraussetzungen des § 1 Nr. 1 GSiG. Sie hat jedoch nur Anspruch auf Leistungen, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus Ihrem Einkommen und Vermögen beschaffen kann, § 2 Abs. 1 Satz 1 GSiG. Ihre Einnahmen reichen jedoch aus, um ihren notwendigen Lebensunterhalt zu decken.
Vom Netto-Einkommen in Höhe von insgesamt 844,32 EUR sind lediglich gem. § 3 Abs. 2 GSiG iVm. 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG die Kosten für die Hausrats- und Haftpflichtversicherung abzusetzen. Diese Beträge in Höhe von monatlich zusammen 12,16 EUR hat der Beklagte in voller Höhe jedoch bereits im Rahmen seiner Bedarfsberechnung berücksichtigt. Das verbleibende Einkommen in Höhe von 832,16 EUR reicht aus, um den Bedarf der Klägerin zu decken. Die Kosten für die gesetzliche Krankenversicherung hat der Beklagte bereits dadurch berücksichtigt, indem er vom Netto-Einkommen der Klägerin ausgegangen ist.
Die Kosten für die Kranken-Zusatzversicherung sind hingegen nicht nach dieser Vorschrift vom Einkommen abzusetzen.
Beiträge für private Versicherungen sind vom Einkommen abzusetzen, wenn diese nach Art und Höhe angemessen sind. Eine Kranken – Zusatzversicherung in Höhe von 20,81 EUR ist nicht angemessen.
Zwar sind Beiträge zu privaten Versicherungen zu berücksichtigen, soweit die Beiträge nach Grund und Höhe angemessen sind. Bei der "Angemessenheit" ist von den objektiven Verhältnissen auszugehen, d.h. es ist zu fragen, ob eine derartige Versicherung in der Bevölkerung, insbesondere bei den unteren Einkommensschichten, üblich zur Absicherung der dadurch abgedeckten Risiken ist. Das ist bei der hier in Rede stehenden Kranken-Zusatzversicherung nicht der Fall. Darüber hinaus sind monatliche Beiträge in Höhe von 20,81 EUR auch der Höhe nach nicht mehr angemessen. Die Klägerin begründet den Nutzen dieser Versicherung in erster Linie damit, dass sie alle zwei Jahre eine neue Brille benötige. Im hier zu entscheidenden Zeitraum wurden die notwendigen Brillengläser noch von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen, so dass insoweit keine Kosten anfielen. Abgesehen davon, dass bei neuen Gläsern das alte Brillengestell weiterverwendet werden kann, waren neue Brillengestelle auch weit unter den innerhalb von zwei Jahren anfallenden Kosten für die Zusatzversicherung zu erhalten.
Auf der Bedarfsseite sind allerdings für einen großen Teil des hier zu entscheidenden Zeitraumes von Ende November 2002 bis zum 27.08.2003 (Erlass des Widerspruchsbescheides) die vollen Unterkunftskosten anzusetzen.
Die Frage der Angemessenheit von Unterkunftskosten wird in Verfahren nach dem BSHG und dem GSiG, bei fehlenden anderweitigen Anhaltspunkten nach der rechten Spalte zu § 8 WoGG beurteilt.
Zwar sind die Unterkunftskosten der Klägerin unangemessen hoch. Die Kammer geht - sowohl in Verfahren nach dem BSHG als auch nach dem GSiG - bei fehlenden anderweitigen Anhaltspunkten (z.B. einem Mietspiegel) bei der Frage der Angemessenheit von der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG aus. Bei der Mietpreisstufe 2 für Holzminden ist danach eine Kaltmiete zuzüglich Nebenkosten aber ohne Heizkosten bis zu einem Betrag von 280 EUR für einen 1-Personen-Haushalt angemessen. Zwar ging die Stadt Holzminden im Bescheid vom 10.01.2003 selbst von angemessenen Kosten in Höhe von 308 EUR aus. Die Unterkunftskosten der Klägerin liegen aber weit über beiden Sätzen.
Die tatsächlichen Unterkunftskosten werden solange anerkannt, bis ein preisgünstigerer Wohnraum gefunden ist. Die Suchfrist beträgt 6 Monate.
Nach der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts sind jedoch die tatsächlichen Unterkunftskosten solange anzuerkennen, wie es einem Hilfesuchenden nicht gelingt, eine preisgünstigere Wohnung zu finden. In der Regel ist dabei dem Hilfeempfänger eine 6-monatige Suchfrist zuzubilligen.
Erstmals durch den Bescheid vom 10.01.2003 wurde die Klägerin darüber in Kenntnis gesetzt, dass ihre Unterkunftskosten unangemessen hoch sind. Unter Berücksichtigung der o.a. Suchfrist waren daher bis einschließlich Juli 2003 die tatsächlichen Unterkunftskosten anzusetzen, wobei auch die Abfallgebühren (und möglicherweise auch die Kabelanschlussgebühren) mit zu berücksichtigen waren. Erst ab August sind lediglich nur noch die angemessenen Unterkunftskosten zuzüglich angemessener Heizkosten (wobei von dem in der vorgelegten Abrechnung genannten Betrag noch die Wasser/Abwasserbeträge und die Energiekosten für die Warmwasserzubereitung abzusetzen wären) zu berücksichtigen.
Allerdings kommt es letztendlich darauf nicht mehr an. Selbst unter Berücksichtigung von Miet-, Neben- und Heizkosten in Höhe von zusammen 444,82 EUR monatlich zuzüglich 9,50 EUR monatlich an Abfallbeseitigungsgebühren überschreitet das Einkommen der Klägerin ihren Bedarf.
Es ergibt sich folgende Bedarfsberechnung:
ab 11/2002 | ab 07/2003 | |
Regelsatz | 293,00 EUR | 296,00 EUR |
Zuschlag iHv. 15 v.H. nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 GSiG | 43,95 EUR | 44,40 EUR |
tats. Unterkunftskosten einschl. | 454,32 EUR | 454,32 EUR |
zusammen | 792,27 EUR | 794,72 EUR. |
Mit ihrem bereinigten monatlichen Einkommen i.H.v. 832,16 EUR liegt die Klägerin nach alledem um 39,89 EUR bzw. 37,44 EUR über den Bedarfssatz nach dem GSiG.
Kabelanschlussgebühren sind allgemeine Lebenshaltungskosten. Ausnahmsweise, wenn der Vermieter den Kabelanschluss verlangt, sind diese Gebühren als Unterkunftskosten in die allgemeine Bedarfsberechnung einzustellen.
Kabelanschlussgebühren sind grundsätzlich den allgemeinen Lebenshaltungskosten zuzuordnen. Nur ausnahmsweise dann, wenn der Vermieter einen Kabelanschluss bei Abschluss des Mietvertrages verlangt und der Mieter auch durch Verhandlungen den Vermieter nicht von dieser Forderung hat abbringen können, sind sie als Unterkunftskosten in die Bedarfsberechnung mit einzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.09.2001 - 5 C 6.01 -). Dafür, dass die Kabelgebühren nicht zur Disposition der Klägerin gestanden haben, liegen indes keine Anhaltspunkte vor.
Letztlich kommt es aber auch darauf nicht mehr an. Nach dem vorgelegten Mietvertrag (§ 3 Abs. 2 Nr. 12 sind die Kabelanschlussgebühren (monatlich nach der vorgelegten Rechnung der Kabel Deutschland 14,13 EUR) Bestandteil der Nebenkostenabschläge von 170 DM bzw. 86,92 EUR monatlich und damit in der o.a. Berechnung bereits berücksichtigt. Selbst wenn sie zusätzlich noch bei den Unterkunftskosten eingestellt werden könnten, würde das Einkommen der Klägerin auch im Zeitraum bis einschließlich Juli 2003 den Bedarf noch voll abdecken können. Und für die Zeit ab August 2003 können wie oben ausgeführt demgegenüber sowieso nur maximal 280 EUR monatlich zuzüglich angemessener Heizkosten bei den Kosten der Unterkunft berücksichtigt werden, weil ein höherer Betrag nicht angemessen ist. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb ein Umzug der Klägerin nicht zuzumuten sein könnte. Ein Alter von 68 Jahren steht jedenfalls für sich genommen einen Umzug nicht entgegen. Ab August 2003 überschreitet nach alledem das Einkommen den notwendigen Bedarf erheblich.
Telefongebühren und Ausgaben für nicht verschreibungspflichtige Medikamente werden bei der Bedarfsberechnung nach dem GSiG nicht berücksichtigt.
Weitere Positionen wie die Telefongrundgebühren und Ausgaben für nicht verschreibungspflichtige Medikamente können bei der Bedarfsberechnung nach dem GSiG nicht berücksichtigt werden. Was als Bedarf in die Berechnung eingestellt werden kann, regelt § 3 GSiG abschließend. Sollte der Zuschlag von 15 v. H. auf den Regelsatz nicht ausreichen, um einen besonderen weiteren Bedarf zu decken, müsste sich die Klägerin zwecks ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt ggf. an den örtlichen Träger der Sozialhilfe wenden.
Vorsorglich weist das Gericht aber schon jetzt daraufhin, dass grundsätzlich die Kosten für einen Telefonanschluss auch nach dem BSHG aus dem Regelsatz zu bestreiten sind. Dafür, dass ausnahmsweise bei der Klägerin ein besonderer Bedarf für ein Telefon besteht, liegen keine Anhaltspunkte vor. Rezeptfreie Medikamente können zwar nach der Neufassung des § 37 BSHG nicht mehr als Krankenhilfe übernommen werden. Denkbar ist allerdings, dass ein laufender Bedarf an derartigen Medikamenten möglicherweise nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG eine abweichende Bemessung des Regelsatzes rechtfertigen könnte. Dies käme aber nur dann in Betracht, wenn zum Einen die Medikamente medizinisch erforderlich wären und zum anderen der Arzt trotz der Vorschrift des § 34 Abs. 1 SGB V diese Medikamente auch nicht ausnahmsweise verordnen dürfte. Da aber diese Fragen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, bedürfen sie hier auch keiner abschließenden Klärung.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.