Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 25.03.2004, Az.: 6 B 1108/04

Antragsfrist; Aussetzung; Aussetzungsantrag; Eilantrag; Gebührenbescheid; Rundfunkgebühr; Vollziehung; vorläufiger Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
25.03.2004
Aktenzeichen
6 B 1108/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50516
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die in § 80 Abs. 6 VwGO normierten Voraussetzungen des vorläufigen Rechtsschutzes sind als Zugangsvoraussetzungen und nicht als bloße Sachentscheidungsvoraussetzungen zu verstehen. Sie müssen daher im Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags bei Gericht vorliegen und können nicht nachgeholt werden.

2. Die Angemessenheit einer Frist nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.

Gründe

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I. Mit Leistungsbescheid vom 4. Februar 2004 setzte der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin für den Zeitraum von Februar 2003 bis April 2003 angeblich rückständige Rundfunkgebühren in Höhe von 48,45 Euro zuzüglich eines Säumniszuschlages in Höhe von 5,11 Euro und damit einen Gesamtbetrag in Höhe von 53,56 Euro fest und teilte ihr zu ihrer Information mit, dass ihr Gebührenkonto unter Einbeziehung des festgesetzten Betrages bis einschließlich Januar 2004 eine fällige Gebührenschuld in Höhe von insgesamt 198,91 Euro aufweise. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 22. Februar 2004, welches mit „Antrag auf Aussetzung der Vollziehung“ überschrieben war, Widerspruch; dieses Schreiben ging dem Antragsgegner nach eigenen Angaben am 10. März 2003 zu. Zur Begründung machte die Antragstellerin dabei im Wesentlichen geltend, sie sei zum 1. Juni 2002 von A. nach B. in die Wohnung ihres Freundes umgezogen und nutze seither nur noch die dort vorhandenen Rundfunkempfangsgeräte; eigene Geräte besitze und nutze sie hier nicht mehr, und zwar auch nicht in einem Pkw, zumal sie weder einen solchen noch einen Führerschein habe. Dies habe sie dem Antragsgegner auch bereits Anfang Februar 2003 im Rahmen einer „Kündigung“ mitgeteilt. Überdies stelle eine Vollstreckung des Bescheides für sie eine unbillige Härte dar, weil sie auf Grund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage sei, die festgesetzten Gebühren zu zahlen. Eine Kopie dieses Schreibens werde sie mit gleicher Post an das Verwaltungsgericht zur Begründung ihres Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Form einer Aussetzung der Vollziehung übersenden. Über den Widerspruch der Antragstellerin wurde bislang nicht entschieden.

2

Am 5. März 2004 hat die Antragstellerin darüber hinaus bei dem beschließenden Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht sie unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 22. Februar 2004 im Wesentlichen geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Gebührenbescheides; außerdem stelle die Vollziehung eine unbillige Härte für sie dar, weil sie gegenwärtig nur eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 296,00 Euro erhalte.

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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 22. Februar 2004 gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 4. Februar 2004 anzuordnen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Zur Begründung hatte der Antragsgegner zunächst geltend gemacht, der Antrag sei unzulässig, weil die Antragstellerin den nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO erforderlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO bei ihm noch nicht gestellt habe. Das Gericht hat den Antragsgegner diesbezüglich mit Verfügung vom 24. März 2004 darauf hingewiesen, dass das Schreiben der Antragstellerin vom 22. Februar 2004 möglicherweise doch als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 4 und 6 VwGO gewertet werden könne. Der Antragsgegner hat daraufhin mit Schriftsatz vom 25. März 2004 erklärt, er werde die Vollziehung des angefochtenen Gebührenbescheides für die Dauer des laufenden Widerspruchsverfahrens aussetzen. Nach wie vor sei aber festzustellen, dass die Antragstellerin ihm zuvor keine angemessene Frist für eine sachliche Bescheidung ihres Aussetzungsantrages eingeräumt habe.

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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. März 2004 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

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II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 VwGO durch den Einzelrichter.

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Der Antrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 22. Februar 2004 gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 4. Februar 2004 zu verstehen und als solcher nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO dem Grund nach statthaft.

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Der Antrag ist jedoch abzulehnen, weil die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO nicht vorliegen. Nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in einem Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO - wie er hier vorliegt - nur „zulässig“, wenn der Antragsteller zuvor bei der Behörde die Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO beantragt hat und die Behörde diesen Antrag ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Dies gilt gemäß § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO nur dann nicht, wenn die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat (Nr. 1) oder eine Vollstreckung droht (Nr. 2). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das mit diesen Regelungen vorgeschriebene, dem gerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorgeschaltete behördliche Aussetzungsverfahren nicht als bloße Sachentscheidungsvoraussetzung anzusehen ist mit der Folge, dass diesbezügliche Mängel im gerichtlichen Verfahren noch behoben werden könnten. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine sog. Zugangsvoraussetzung, die im Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrages bei Gericht erfüllt sein muss. Liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO in diesem Zeitpunkt nicht vor, ist der Antrag mithin von vornherein ohne Sachprüfung abzulehnen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29. April 1992 - 12 B 10465/92 - NVwZ-RR 1992, 589; VG Trier, Beschluss vom 19. Januar 1998 - 2 L 1755/97 - NVwZ-RR 1999, 414; Schoch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner [Hrsg.], VwGO, Kommentar, Stand: 9. Ergänzungslieferung, September 2003, § 80 Rn. 343 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen). Danach kann der Antrag der Antragstellerin hier keinen Erfolg haben.

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Zwar hat die Antragstellerin - entgegen der vom Antragsgegner zunächst vertretenen Auffassung - mit ihrem Schreiben vom 22. Februar 2004 bei dem Antragsgegner auch einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 6 Satz 1, Satz 2 Nr. 1, Abs. 4 VwGO gestellt. Dass die Antragstellerin mit ihrem Schreiben vom 22. Februar 2004 tatsächlich auch bei dem Antragsgegner einen solchen Antrag stellen wollte, ergibt sich trotz des im Übrigen nicht gänzlich eindeutigen Wortlauts ihres Schreibens letztlich mit hinreichender Gewissheit daraus, dass sie ihr an den Antragsgegner gerichtetes Schreiben deutlich mit „Antrag auf Aussetzung der Vollziehung“ überschrieben und im weiteren Verlauf ausdrücklich geltend gemacht hat, die Vollziehung des angefochtenen Gebührenbescheides stelle für sie auf Grund ihrer finanziellen Verhältnisse eine „außergewöhnliche“ Härte dar (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3, 2. Alt. VwGO). Eine solche Erklärung muss bei einer verständigen, nicht formal am Wortlaut haftenden Auslegung (vgl. § 133 BGB) aus Sicht eines objektiven Empfängers, zumal aus Sicht des Antragsgegners als Behörde, als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 4 VwGO verstanden werden; hierin keinen solchen Antrag zu sehen, würde die an die Klarheit einer Erklärung eines nur durchschnittlich rechtskundigen Bürgers zu stellenden Anforderungen zweifellos überspannen.

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Der Antragsgegner hatte über diesen Antrag jedoch in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrages der Antragstellerin bei Gericht am 5. März 2004 noch nicht entschieden, und auch die Voraussetzungen nach § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO, unter denen eine solche vorherige Entscheidung des Antragsgegners ausnahmsweise hätte entbehrlich sein können, lagen jedenfalls zu diesem - maßgeblichen - Zeitpunkt noch nicht vor.

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Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO lagen nicht vor, weil bei Eingang des Eilantrages bei Gericht noch keine angemessene Frist verstrichen war, innerhalb derer eine sachliche Entscheidung des Antragsgegners über den Aussetzungsantrag der Antragstellerin geboten gewesen wäre. Wie die „Angemessenheit“ der Länge einer solchen Frist zu bemessen ist, hängt immer von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und entzieht sich einer schematischen Beurteilung. Sicher dürfte nur sein, dass eine entsprechende Anwendung der dreimonatigen Frist nach § 75 Satz 2 VwGO im Hinblick auf die Besonderheiten des gerichtlichen Eilverfahrens nicht in Betracht kommt. Als Höchstgrenze dürfte vielmehr in der Regel, jedenfalls bei rechtlich oder tatsächlich schwierig gelagerten Sachverhalten, eine Anlehnung an die einmonatige Widerspruchs- und Klagefrist gemäß §§ 70 Abs. 1 und 74 VwGO angenommen werden können (vgl. VG Trier, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist hingegen festzustellen, dass der unter dem 22. Februar 2004 abgefasste Aussetzungsantrag der Antragstellerin dem Antragsgegner nach eigenen Angaben erst am 10. März 2004 und damit überhaupt erst fünf Tage nach Eingang des auf den selben Tag datierten Eilantrages der Antragstellerin bei Gericht zugegangen ist. Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Aussetzungsantrag bei dem Antragsgegner bereits am gleichen Tag wie der Eilantrag bei Gericht eingegangen ist, so liegt doch jedenfalls offen auf der Hand, dass bei einer solchen Fallgestaltung keine angemessene Frist zwischen behördlichem Aussetzungsantrag und gerichtlichem Eilantrag vergangen sein kann. Dies würde schließlich sogar dann gelten, wenn der behördliche Aussetzungsantrag noch am Sonntag, den 22. Februar 2004 oder, eine reguläre Postlaufzeit von drei Tagen unterstellt (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, § 4 Abs. 1 VwZG), am Mittwoch, den 25. Februar 2004 bei dem Antragsgegner eingegangen wäre. Denn auch dann wären zwischen dem behördlichen Aussetzungsantrag und dem gerichtlichen Eilantrag keine zwei Wochen verstrichen. Eine derart knapp bemessene Frist dürfte in aller Regel nicht angemessen im Sinne von § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 VwGO sein und wäre es hier auch nicht gewesen, zumal die Angelegenheit angesichts der Höhe des festgesetzten Betrages nicht von überragender Dringlichkeit gewesen ist.

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Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen nach § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO nicht vor. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass eine Vollstreckung des angefochtenen Gebührenbescheides im Sinne dieser Vorschrift „droht“. Dies setzt voraus, dass aus Sicht eines objektiven Betrachters konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchsetzung des Bescheides vorliegen; hierfür genügt ein allgemein gehaltener Hinweis auf die Möglichkeit der Vollstreckung nicht (vgl. Schoch, a.a.O., Rn. 349 m.w.N.; so auch OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16.05.2001 - 1 M 39/01 - Leitsätze und Fundstellennachweis in juris Web). Über einen solchen allgemeinen Hinweis geht der Hinweis auf die unter Umständen einzuleitende Vollstreckung in dem streitigen Gebührenbescheid vom 4. Februar 2004 jedoch nicht hinaus, und auch sonst ist hierfür nichts ersichtlich.

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Abschließend weist das Gericht lediglich vorsorglich darauf hin, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner nach eigenen Angaben die Beendigung des Bereithaltens eines Rundfunkempfangsgerätes zum 1. Juni 2002 erst im Laufe des Monats Februar 2003 angezeigt hat und ihre diesbezügliche Rundfunkgebührenpflicht danach wohl unabhängig von der Richtigkeit ihrer weiteren Angaben frühestens mit Ablauf des Monats Februar 2003 enden kann (§ 4 Abs. 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages), der angefochtene Gebührenbescheid daher jedenfalls für diesen Monat in der Sache nicht zu beanstanden sein dürfte.