Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 03.09.2008, Az.: 3 U 70/08

Gebührenanspruch eines Rechtsanwalts bei außergerichtlicher Tätigkeit in Form von Verhandlungen über den Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen; Anwendung der Grundsätze für die Wertbestimmung bei der einstweiligen Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen auf die Bemessung der anwaltlichen Gebührenforderung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
03.09.2008
Aktenzeichen
3 U 70/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 22259
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2008:0903.3U70.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - 12.03.2008 - AZ: 2 O 166/07

Fundstellen

  • AGS 2009, 63-64 (Volltext mit red. LS)
  • HRA 2008, 11
  • OLGReport Gerichtsort 2009, 366-367
  • RVGreport 2008, 422-423 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • zfs 2008, 647-649 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts bei außergerichtlicher Tätigkeit richtet sich auch dann nach Nr. 2300 VVRVG (und nicht nach Nr. 3309), wenn die Tätigkeit Verhandlungen über den Verzicht auf Vollstreckungsmaßnahmen betrifft.

  2. 2.

    Für die Bemessung des der anwaltlichen Gebührenforderung zu Grunde zu legenden Gegenstandswertes können insoweit die Grundsätze, die die Rechtsprechung für die Wertbestimmung bei der einstweiligen Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen entwickelt hat, angewendet werden.

In dem Rechtsstreit
...
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 27. August 2008
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... sowie
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12. März 2008 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim teilweise geändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels des Beklagten insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.650,52 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. März 2007 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger 4/10, der Beklagte 6/10. die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger zu 3/10, dem Beklagten zu 7/10 auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

I.

Der Kläger macht gegenüber dem Beklagten Gebührenansprüche aus abgetretenem Recht der Rechtsanwälte W. in Höhe von 6.124,57 EUR geltend, die auf einer Tätigkeit des Sozius H. für den Beklagten beruhen.

2

Der Beklagte war seit mehr als 40 Jahren Kunde der Sparkasse X. Diese hatte wegen erheblicher Zahlungsrückstände mit Schreiben vom 2. Juni 2006 (Bl. 13 d.A.) die dem Beklagten gewährten Kredite in Höhe von rd. 1.720.000 EUR gekündigt. Nach vorausgegangenem Schriftwechsel zwischen der Sparkasse X. und Rechtsanwalt H., in dessen Rahmen Rechtsanwalt H. für den Beklagten u.a. die Berechtigung der Sparkasse zur Kreditkündigung in Zweifel gezogen hatte (vgl. u.a. Bl. 60 d.A.), kam es am 25. August 2008 in den Räumen der Sparkasse zu einem Gespräch zwischen dem Beklagten und der Sparkasse, an dem auch Rechtsanwalt H., der den Termin vermittelt hatte, teilnahm. Hierbei wurde zwischen den Kreditvertragsparteien eine Regelung des Inhalts getroffen, dass die Sparkasse bis zum Ende des Jahres 2006 auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Beklagten in die jenem gehörenden, zugunsten der Sparkasse belasteten Immobilien verzichtete, der Beklagte seinerseits bis zum Jahresende durch den Verkauf von Immobilien einen Teilbetrag von 800.000 EUR erlösen und zur Kreditrückführung verwenden und darüber hinaus in den Monaten ab September 2006 jeweils Abschlagszahlungen in Höhe von 9.000 EUR leisten sollte (vgl. im Einzelnen Bestätigungsschreiben der Sparkasse vom 25. August 2006, Bl. 58 d.A.). Ob die Vereinbarungen seitens des Beklagten eingehalten und erfüllt worden sind, ist unbekannt.

3

Rechtsanwalt H. rechnete seine Tätigkeit für den Beklagten unter dem 28. August 2006 ab. Unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes von (bis zu) 850.000 DM machte er eine 1,3 Gebühr gemäß Nr. 2300 des Gebührenverzeichnisses zum RVG geltend. Zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer ergab sich hieraus ein Honorarbetrag in Höhe von 6.124,57 EUR, wie er mit der Klage geltend gemacht worden ist. Der der Rechnung zugrunde gelegte Gegenstandswert orientierte sich an dem Betrag von 800.000 DM, den der Beklagte bis Ende 2006 an die Sparkasse zahlen sollte, sowie den vier weiteren Raten von jeweils (mindestens) 9.000 DM.

4

Der Beklagte hat den Ausgleich der Rechnung des Rechtsanwalts H. mit der Begründung verweigert, die mit der Sparkasse getroffene Vereinbarung beruhe nicht auf der Mitwirkung von Rechtsanwalt H., sie sei vielmehr bereits tags zuvor von ihm telefonisch mit Mitarbeitern der Sparkasse getroffen worden. Im Übrigen habe Rechtsanwalt H. bei dem Gespräch nichts beigetragen. Rechtsanwalt H. habe schließlich das ihm übertragene Mandat schlecht erfüllt. Der damalige Liquiditätsengpass des Beklagten habe darauf beruht, dass dessen Steuerberater K. mit den vom ihm zu fertigen Steuererklärungen in Rückstand gewesen sei.

5

Rechtsanwalt H. hätte daher richtigerweise den Steuerberater verklagen müssen.

6

Das Landgericht hat dem Kläger aus abgetretenem Recht einen Betrag in Höhe von 5.219,77 EUR zuzüglich Zinsen zuerkannt. Rechtsanwalt H. stehe für seine Tätigkeit eine 1,3 Gebühr gemäß § 2300 VVRVG zu, allerdings nur nach einem Gegenstandswert von 644.000 EUR. Soweit ein Aufschub von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgehandelt worden sei, richte sich der Gegenstandswert nach dem Wert des Grundstücks, in das vollstreckt werden solle. Bei einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung sei jedoch ein Abschlag von 1/5 vorzunehmen. Darüber hinaus seien weitere 4 x 1.000 EUR als Gegenstandswert erhöhend zu berücksichtigen, da statt der darlehensvertraglich geschuldeten Rate von 8.000 EUR eine monatliche Zahlung von (mindestens) 9.000 EUR vereinbart worden sei.

7

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, der weiterhin behauptet, die mit der Sparkasse getroffenen Regelungen seien bereits durch ihn ausgehandelt gewesen und der darüber hinaus unter Anknüpfung an eine erstinstanzlich auch vom Landgericht zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf die Auffassung vertritt, die Tätigkeit des Rechtsanwalts H. sei wie eine Tätigkeit des Anwalts in einer Vollstreckungssache mit einer 0,3 Gebühr gemäß Nr. 3309 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG abzurechnen.

8

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger hat auf die Berufung des Beklagten nicht erwidert. im Verhandlungstermin ist er trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen. Der Beklagte hat daraufhin beantragt,

durch Versäumnisurteil zu entscheiden.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

11

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig, sie hat jedoch nur teilweise Erfolg. Soweit der Senat auf die Berufung des Beklagten hin das angefochtene Urteil teilweise geändert und die Klage abgewiesen hat, beruht dies auf der Säumnis des Klägers. im Übrigen erfolgt die Zurückweisung des Rechtsmittels des Beklagten durch streitige Endentscheidung, § 539 Abs. 2 S. 2 ZPO.

12

1.

Der vom Kläger aus abgetretenem Recht (Abtretungsurkunde Bl. 12 der Akten) geltend gemachte Gebührenanspruch des Rechtsanwalts H. richtet sich nach Nr. 2300 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG. Danach erhält der Anwalt für die außergerichtliche Tätigkeit eine Geschäftsgebühr, die das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information und die Mitwirkung bei der Gestaltung eines Vertrages abdeckt. Diese Geschäftsgebühr beläuft sich auf 0,5 - 2,5 der einfachen Gebühr, wobei eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden darf, wenn die Tätigkeit des Anwalts umfangreich oder schwierig war.

13

Soweit der Beklagte mit seiner Berufungsbegründung erneut unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus dem Jahr 2000 (24 U 56/99 vom 18. April 2000) die Auffassung vertritt, die Tätigkeit des Anwalts sei der des Anwalts in Vollstreckungssachen gleichwertig und nach Nr. 3309 nur mit einer Gebühr von 0,3 zu vergüten, überzeugt dies den Senat nicht. Schon der - allerdings noch unter der Geltung der Bundesrechtsanwaltsgebührensordnung - vom Oberlandesgericht Düsseldorf gewählte Ausgangspunkt, wonach die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts nicht besser als die des Prozessanwalts vergütet werden könne, trifft jedenfalls für das jetzt geltende Rechtsanwaltsvergütungsgesetz nicht zu. Die Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf findet in der gesetzlichen Regelung keine Stütze. Im Gegenteil belegt der Gebührentatbestand der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VVRVG, der einen Gebührenrahmen von bis zu 2,5 der einfachen Gebühr vorsieht, dass gerade die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts in besonderer Weise honoriert werden kann. Auch inhaltlich lässt sich aus dem Vergleich zwischen der Tätigkeit des Rechtsanwalts, der im Rahmen der Vollstreckung tätig wird, mit derjenigen, die der Anwalt im Zusammenhang mit einer außergerichtlichen Auseinandersetzung durch Verhandlungen führt, keine Beschränkung des Gebührenanspruchs herleiten. denn im Regelfall wird der Rechtsanwalt, der im Rahmen der Vollstreckung tätig wird, diesen Auftrag als Annex zu einer vorausgegangenen, die gleiche Angelegenheit betreffenden Tätigkeit erfüllen, aus der ihm weitere Gebührenansprüche, insbesondere für die Einarbeitung in den Sachverhalt erwachsen sind. Gerade diese Einarbeitung in den Sachverhalt muss aber auch derjenige Anwalt, der außergerichtliche Verhandlungen führt, leisten. Dies rechtfertigt es, demjenigen Anwalt, der sich für den Schuldner außergerichtlich gegen dessen Inanspruchnahme wendet, Gebühren nach Nr. 2300 VVRVG zuzuerkennen (vgl. ebenso etwa MüllerRabe in Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 17. Aufl., Nr. 3309 VV, Anmerkung 372).

14

2.

Der von Rechtsanwalt H. beanspruchte Gebührensatz von 1,3, der der Regelgebühr der Nr. 2300 VVRVG entspricht, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass Rechtsanwalt H. insoweit die Kriterien des § 14 RVG, wonach der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren den Gebührensatz unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen hat, missachtet hätte.

15

3.

Die Anwaltsgebühr ist allerdings - und insoweit hat das Rechtsmittel des Beklagten teilweise Erfolg - nur nach einem Gegenstandswert von 344.000 EUR zu berechnen.

16

a)

Grundsätzlich richtet sich der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit nach § 23 RVG. Danach bestimmt sich die Gebühr des Anwalts, der im gerichtlichen Verfahren tätig wird, nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Wertvorschriften. Diese gelten entsprechend für die Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, wenn der Gegenstand der Tätigkeit des Anwalts auch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein könnte, § 23 Abs. 1 Satz 1, 3 RVG.

17

b)

Vorliegend ist die von Rechtsanwalt H. entfaltete außergerichtliche Tätigkeit mit der Tätigkeit eines Anwalts im Rahmen der Zwangsvollstreckung jedenfalls vergleichbar. Denn Ziel der anwaltlichen Tätigkeit war es, für den Beklagten einen Zahlungsaufschub zu erreichen und die zwangsweise Verwertung seiner Immobilien abzuwenden. Dies rechtfertigt es, für die Bemessung des Gegenstandswertes die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Auszugehen ist daher von der in Rede stehenden, fällig gestellten Forderung der Sparkasse, die sich auf rd. 1,72 Mio. EUR belief. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass, soweit es um einen Aufschub der Forderung und die vorübergehende Einstellung von Vollstreckungsmaßnahmen geht, hiervon ein Bruchteil - in der Regel 1/5 - in Ansatz zu bringen ist (vgl. etwa Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 3 Rn. 145. BGH vom 28. Mai 1991 - IX ZR 181/90). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich ein der Abrechnung zugrunde zu legender Gegenstandswert von 344.000 EUR.

18

c)

Hiernach errechnet sich der Honoraranspruch des Rechtsanwalts H., wie er vom Kläger aus abgetretenem Recht geltend gemacht wird, wie folgt:

Gegenstandswert:344.000 EUR
1,3 Geschäftsgebühr §§ 13, 14,Nr. 2300 VVRVG3.127,80 EUR
Post und TelekommunikationNr. 7002 VVRVG20,00 EUR
Zwischensumme netto3.147,80 EUR
16% MehrwertsteuerNr. 7008 VVRVG503,65 EUR
Zahlbetrag3.651,45 EUR
19

III.

Der Zinsanspruch des Klägers rechtfertigt sich aus §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 BGB.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nrn. 2, 10. 711, 713 ZPO.

21

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