Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 07.11.2006, Az.: 13 A 6195/06

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.11.2006
Aktenzeichen
13 A 6195/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44489
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2006:1107.13A6195.06.0A

Amtlicher Leitsatz

Bei Widerufsentscheidungen nach dem 01.01.2005 liegt der Widerruf im Ermessen des Bundesamtes, wenn der zu widerrufende Bescheid älter als 3 Jahre ist.

Tenor:

  1. Der Bescheid des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 22.08.2006 wird aufgehoben.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldner können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Kläger, ein Ehepaar, wenden sich gegen den Widerruf der Feststellung, dass bei Ihnen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

2

Sie sind serbische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit und stammen aus dem Kosovo. Aufgrund einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover (Gerichtsbescheid vom 18.07.1994 - 13 A 422/94 -) stellte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 02.03.1995 fest, dass bei den Klägern die Voraussetzungen des (damaligen) § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Rest-Jugoslawien vorliegen.

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Ende Februar 2006 leitete das jetzige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Widerrufsverfahren ein. Nach vorheriger Anhörung der Kläger widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 22.08.2006 die Feststellungen hinsichtlich § 51 Abs. 1 AuslG und verneinte auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG. Ermessenserwägungen wurden nicht getroffen. Der Bescheid wurde als Einschreiben am 23.08.2006 zur Post gegeben.

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Am 06.09.2006 haben die Kläger Klage erhoben.

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Sie tragen vor: Der Widerruf sei nicht unverzüglich erfolgt. Die Rückkehr in die Heimat stelle eine unzumutbare Härte für die Kläger dar.

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Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 22.08.2006 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

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Sie tritt der Klage entgegen. § 73 Abs. 2a AsylVfG sei auf den Fall der Kläger nicht anzuwenden.

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Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung und mit einer Entscheidung des Berichterstatters anstelle der Kammer einverstanden erklärt.

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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO, und gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter.

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Zu Recht hat allerdings das Bundesamt festgestellt, dass Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bei den Klägern nicht mehr gegeben sind. Dies ergibt sich aus den zutreffenden Gründen des Bescheides des Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22.08.2006, auf den gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Zwar regelt § 73 Abs. 1 AsylVfG seit der Neufassung nicht mehr den Widerruf der Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG, sondern spricht nur von den Feststellungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG. Diese Neufassung erfolgte jedoch lediglich im Hinblick auf die redaktionelle Anpassung an das neue Aufenthaltsgesetz, welches das Ausländergesetz ablöste. Die Feststellungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG entsprechen den früheren Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG. Der Gesetzgeber wollte keinesfalls die Feststellungen zum früheren Ausländergesetz nunmehr von der Widerrufssonderreglung des Asylverfahrensgesetzes ausgeschlossen wissen (vgl. auch zu dieser Frage auch VG Frankfurt, Urt. v. 31.10.2005 - 9 E 2509/05.A - zit. n. Juris, dort lfd. Nr. 21).

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Auch greifen die Einwände der Kläger - der Widerruf sei nicht rechtzeitig erfolgt - nicht durch. Ob der Widerruf nun unverzüglich erfolgte oder nicht, kann dabei dahingestellt bleiben. Ein Widerruf wird nicht dadurch rechtswidrig, dass er nicht unverzüglich geschehen ist. Die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf wurde nicht im Interesse des Ausländers in das Gesetz aufgenommen, sondern liegt ausschließlich im öffentlichen Interesse an der alsbaldigen Beseitigung einer einem Ausländer nicht mehr zustehenden Rechtsposition (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 73 AsylVfG, Rdnr. 21 m.w.N.). Denn durch einen Verstoß gegen die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf wird er nicht im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO in seinen Rechten verletzt. Subjektive Rechte in diesem Sinne sind gegeben, wenn die betreffende Regelung nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern zumindest auch Individualrechten zu dienen bestimmt ist (VG Düsseldorf, Urteil vom 25.02.2004, 7 K 2389/01 A, zit. n. Juris, vgl. weiterhin BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 1969 - 2 BvR 23/65 -, BVerfGE 27, 297 (307). Um dies zu beurteilen, bedarf es im Einzelfall einer differenzierten Bewertung des betreffenden Tatbestandsmerkmals (BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 (128). Hier ergibt aber die Prüfung vor allem im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Norm, dass das Tatbestandsmerkmal der Unverzüglichkeit in § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG allein öffentlichen Interessen und nicht der Wahrung von Rechten des Asylberechtigten dient. Dieses Merkmal ist mit der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 26. Juni 1992 der vorhandenen Regelung zum Widerruf und der Rücknahme positiver Entscheidungen zu Art. 16a Abs. 1 GG bzw. § 51 Abs. 1 AuslG angefügt worden. Angesichts des erklärten Ziels der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes, die Asylverfahren weiter zu beschleunigen, um den Aufenthalt nicht anerkannter bzw. nicht (mehr) anzuerkennender Personen schnellstmöglich beenden zu können, vgl. BT-Drucksache 12/2062, S. 24 ff., kann die Begründung einer Pflicht des Bundesamtes zum "unverzüglichen" Widerruf nur dahingehend verstanden werden, dass die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. die positive Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG bei Vorliegen der Voraussetzungen für den Widerruf ausschließlich im öffentlichen Interesse, zum Zwecke der Entlastung der Bundesrepublik Deutschland als Aufnahmestaat, schnellstmöglich beseitigt werden soll. Dass durch diese Regelung private Interessen des durch die ursprünglich positive Entscheidung des Bundesamtes Begünstigten geschützt werden sollen, ist im Hinblick auf dessen typischerweise gegebenes Interesse an einer längstmöglichen Aufrechterhaltung seines Status nicht erkennbar (VG Düsseldorf, a.a.O.; BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1997 - 9 B 280/97 -, NVwZ-RR1997, 741 f; OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 1996 -19 A 1770/96.A -,VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 26. März 1997 - A 14 S 2854/96 -, AuAS 1997, 162 f.). Des Weiteren unterliegt der auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Widerruf der Asylanerkennung und Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, auch nicht der einjährigen Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. August 2000 - 13 A 1383/00.A -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. Januar 2000 - 6 A 12169/99.OVG -, AuAS 2000, 82 .f.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. August 2003 - A 6 S 820/03 -, NVwZ-Beilage I 12/2003, 101; VG Düsseldorf, Urteil vom 25.02.2004 - 7 K 2389/01A, zit. n. Juris).

15

§ 73 Abs. 1 AsylVfG beinhaltet eine abschließende Sonderregelung der Voraussetzungen eines Widerrufs der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Als Spezialnorm geht diese Vorschrift der allgemeinen Regelung des § 49 VwVfG vor und ein ergänzender Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 49 VwVfG, insbesondere des Absatzes 6 dieser Vorschrift, kommt nicht in Betracht. Ein Widerruf nach dieser Vorschrift unterliegt nach alledem nicht der einjährigen Ausschlussfrist (so auch Hailbronner, Ausländerrecht, § 73 AsylVfG, Rdnr. 5 und 21 m.w.N.). Eine ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist ausgeschlossen, wenn die jeweilige Spezialvorschrift eine ausdrückliche inhaltsgleiche oder entgegengesetzte Regelung zwar nicht trifft, aber eine abschließende Problemlösung für sich in Anspruch nimmt. Soweit Sonderregeln für den Widerruf - wie hier die des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - bestehen, kommt es mithin darauf an, ob sie eine Ergänzung durch die Jahresfrist zulassen oder aber abschließend sind. Dies ist nach Sinn und Zweck der Regelung im Wege der Auslegung zu ermitteln (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Dezember 1994 - 22 B 1042/94 -, NVwZ RR 1995, 607 (608); Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 48 Rz. 202 u. 208; VG Düsseldorf, a.a.O.).

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Hier ergibt die Auslegung, dass es sich bei § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG um eine abschließende Spezialregelung handelt, die sich von den allgemeinen Vorschriften über den Widerruf grundlegend unterscheidet. Dies gilt nicht nur insoweit, als § 73 AsylVfG - anders als die im behördlichen Ermessen stehenden Entscheidungen nach §§ 48, 49 VwVfG - eine - zumindest seit 01.01.2005 noch in den ersten drei Jahren - gebundene Entscheidung darstellt, sondern auch für die einzelnen Widerrufsvoraussetzungen. Insbesondere enthält die Vorschrift mit dem Tatbestandsmerkmal der "Unverzüglichkeit" eine eigene zeitliche Komponente, die allerdings, wie oben dargelegt, nicht (auch) den Ausländer zu schützen bestimmt ist und daher bei einem Verstoß keine Verletzung eigener Rechte im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO begründet. Würde man zu Gunsten desjenigen, dessen Statusentscheidung widerrufen werden soll, über § 48 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 VwVfG eine zeitliche Begrenzung der Widerrufspflicht annehmen, würde das oben dargestellte gesetzgeberische Ziel, die nicht länger gerechtfertigte Asylanerkennung bzw. Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG zwecks Entlastung der Bundesrepublik Deutschland als Aufnahmestaat zu beseitigen, zumindest teilweise unterlaufen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass Vertrauensschutz, der mit § 48 Abs. 4 VwVfG in erster Linie bezweckt ist, bei der gebundenen Entscheidung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG eine weitaus geringere Rolle spielt als bei einer Ermessensentscheidung. Wenn die Voraussetzungen der Asylberechtigung bzw. der zu seinen Gunsten getroffenen Feststellung zu § 51 Abs. 1 AuslG entfallen sind, muss der Betroffene grundsätzlich, so auch hier, jederzeit mit einem Widerruf rechnen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. August 2000 - 13 A 1383/00.A -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20. Januar 2000 - 6 A 12169/99.OVG -, AuAS 2000, 82 f.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. August 2003 - A 6 S 820/03 -, NVwZ-Beilage I 12/2003, 101; VG Düsseldorf, a.a.O.). Etwas anderes folgt nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, (Urteil vom 19. September 2000 - 9 C 12/00 -,BVerwGE 112, 80 ff(88 ff.), wonach § 73 Abs. 2 AsylVfG die Rücknahme einer rechtswidrigen Anerkennung nach Art. 16a GG und § 51 Abs. 1 AuslG nicht abschließend regelt, sondern Raum für eine ergänzende Anwendung des § 48 VwVfG lässt. Diese Rechtsprechung bezieht sich nur auf die Rücknahmevorschrift des § 73 Abs. 2 AsylVfG, die - anders als der Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - gerade keine eigene zeitliche Komponente enthält. Abgesehen davon hat das Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung auch nicht die Frage erörtert, ob die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Rücknahmeentscheidung ergänzend anwendbar ist, sondern entschieden, dass die Bestimmungen des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts über die Rücknahme eines Verwaltungsakts (§ 48 VwVfG) neben der spezialgesetzlichen Regelung in § 73 Abs. 2 AsylVfG gelten und damit - als weitere Ermächtigungsgrundlage - eine Rücknahme der Asylanerkennung unter Umständen auch dann ermöglichen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 AsylVfG nicht erfüllt sind (vgl. VG Düsseldorf, a.a.O., OVG NRW, Beschluss vom 18. April 2002 - 8 A 1405/02.A -).

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Gleichwohl musste die Klage Erfolg haben. Denn die Beklagte hat das nach § 73 Abs. 2a AsylVfG seit 01.01.2005 erforderliche Ermessen bislang nicht ausgeübt.

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Nach der nunmehr geltenden Vorschrift des § 73 Abs. 2a AsylVfG liegt der Widerruf von Anerkennungen oder positiven Feststellungen zu Abschiebehindernissen, bei der eine frühere Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine positive Entscheidung weiterhin noch vorliegen, nicht zu einem - in zeitlichem Zusammenhang zur Prüfung stehenden - Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren geführt hat, nunmehr im Ermessen der Beklagten. Diese Ermessensbestimmung wurde zum 01.01.2005 eingeführt, ohne dass das Gesetz Übergangsbestimmungen enthält. Die Beklagte hat die Neuregelung nach alledem für alle ihre ab 2005 zu treffenden Entscheidungen anzuwenden.

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Zu Unrecht ist die Beklagte der Ansicht, im Fall der Kläger sei noch kein Ermessen auszuüben gewesen.

20

Sie beruft sich dabei u.a. auf eine Entscheidung des VGH Mannheim vom 04.05.2006 - S 1122/05 -. Diese Entscheidung bezog sich jedoch auf einen Widerruf, den die Beklagte vor dem 01.01.2005 ausgesprochen hatte und der lediglich bis zu diesem Datum keine Bestandskraft erreicht hatte. Es entspricht in diesen Fällen auch der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts, dass trotz der Vorschrift des § 77 Abs. 1 AsylVfG nunmehr nachträglich keine Ermessensentscheidung von der Beklagten gefordert werden kann (statt vieler: Gerichtsbescheid vom 22.09.2006 -13 A 1730/05 - , a.A. VG Köln, Urt. v. 10.06.2005 - 18 K 4074/04.A, zit. n. Juris = NVwZ-RR 2006, 67 ff.).Im vorliegenden Fall erging der angefochtene Bescheid aber nicht vor dem 31.12.2004, sondern erst nach dem 01.01.2005. Zu diesem Zeitpunkt lag die Feststellung, dass bei den Klägern die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, schon länger als drei Jahre zurück, ohne dass die Beklagte spätestens zum Ablauf des 3-Jahres-Zeitraumes ein Widerrufsverfahren eingeleitet hatte.

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Es trifft allerdings zu, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner von der Beklagten zitierten Entscheidung vom 10.5.2005 - 22 B 05.30217 - (ebenso wie im am gleichen Tag ergangenen weiteren Urteil in Sachen - 23 B 05.30190 -), obwohl es in diesen Verfahren ebenfalls "nur" um Entscheidungen der Beklagten vor dem 31.12.2004 ging, die Ansicht vertreten hat, dass für am 01.01.2005 bestandskräftig abgeschlossene Anerkennungsverfahren frühestens erst ab 01.01.2008 ein Widerruf im Ermessen der Beklagten liege. Dieser Ansicht hat sich auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht Lüneburg im Beschluss vom 03.04.2006 - 9 LA 270/05 - (Asylmagazin 2006, Heft 6, S. 25) angeschlossen.

22

Das Gericht vermag dieser Ansicht aber nicht zu folgen.

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Zwar geht § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG davon aus, dass - bevor der Widerruf zu einer Ermessensentscheidung wird - innerhalb der ersten drei Jahre nach Unanfechtbarkeit der positiven Entscheidung (Anerkenntnis als Asylberechtigter oder Feststellung von Abschiebehindernissen nach § 51 Abs. 1 AuslG bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG) von der Beklagten eine Prüfung, ob nunmehr die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme vorliegen, durchgeführt und trotz dieser Prüfung nicht zeitnah der Ausgangsbescheid aufgehoben wurde. Ob bereits vor Februar 2006 (Einleitung des Widerrufsverfahrens, das zu dem hier angefochtenen Verwaltungsakt geführt hat) bereits schon einmal vom Bundesamt die alte Entscheidung vom 02.03.1995 daraufhin überprüft wurde, ob sie zu widerrufen ist, lässt sich nicht feststellen. Spätestens ab Ende 1999/Anfang 2000 hätte seitens der Beklagten eine solche Prüfung durchgeführt werden müssen. Anzeichen dafür finden sich jedoch nicht in den vorgelegten Verwaltungsvorgängen. Letztendlich kann diese Frage aber auch offen bleiben. Denn das Gericht ist der Ansicht, dass nach Ablauf von drei Jahren auch dann ein Widerruf zu einer Ermessensentscheidung wird, wenn entgegen § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG von der Beklagten zuvor noch keine Prüfung vorgenommen wurde (wohl anderer Ansicht VG des Saarlandes, Urteil vom 06.09.2006 - 10 K 22/06.A -, zit. n. Juris, dort lfd. Nr. 17 - 19). Denn sonst könnte die Beklagte einfach durch Nichtbeachtung und Unterlassen der vorgeschriebenen Prüfung das "Umkippen" der Widerrufs- und Rücknahmevorschriften von einer "Ist-Vorschrift" in eine "Kann-Vorschrift" beliebig verhindern. Dies liegt ersichtlich nicht in der Intention des Gesetzes.

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Den von der Beklagten zu ihren Gunsten zitierten Entscheidungen wäre allerdings dann zu folgen, wenn nunmehr seit 01.01.2005 erstmals der Beklagten überhaupt eine Überprüfung von positiven Entscheidungen aufgegeben worden wäre (hiervon scheint das OVG Münster in seiner Entscheidung vom 04.04.2006 - 9 A 3538/05.A -(zit. n. Juris, dort lfd. Nr. 89) auszugehen. In einem solchen Fall wäre es in der Tat wohl gerechtfertigt, der Beklagten eine Frist bis zu 3 Jahren einzuräumen, ihre alten positiven Entscheidungen zu überprüfen. Denn in einem solchen Fall hätte die Beklagte ihre Altfälle zuvor nicht überprüfen müssen und die von § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG vorausgesetzte Prüfung wäre tatsächlich erstmals im Rahmen des aktuellen Widerrufsverfahrens erfolgt. Aber der Umstand, dass im Absatz 2a Satz 1 des § 73 AsylVfG nun ausdrücklich eine Prüfung vom Gesetzgeber angesprochen wird, lässt die Annahme, damit sei eine Prüfungsverpflichtung auch erstmals eingeführt, nicht zu. Wie sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Dr. 15/420, 112) ergibt, wurde die Überprüfung ausdrücklich im Gesetz deshalb erwähnt, weil in der Praxis die Vorschriften über den Widerruf bislang weitgehend leergelaufen waren. § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG lautete in seiner bis 31.12.2004 geltenden Fassung wie folgt: "Die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen, sind unverzüglich zu widerrufen, wenn ..." (Hervorhebung durch das Gericht). Die Beklagte hatte mithin auch vor dem 01.01.2005 eine Pflicht, die anerkannten Fälle ständig weiterhin unter Kontrolle zu halten und regelmäßig zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Anerkennung bzw. Feststellung weiter vorliegen. Denn ihrer Pflicht, die alten positiven Entscheidungen bei einem Wegfall der Voraussetzungen wieder aufzuheben, konnte die Beklagte nur dann nachkommen, wenn sie ihre bisherigen positiven Bescheide auch immer wieder daraufhin überprüfte. Dass die Beklagte dies in vielen Fällen tatsächlich nicht getan hat - wie sich auch aus der Gesetzesbegründung zum neuen Absatz 2a ergibt - ändert nichts an dem Umstand, dass diese Pflicht zur Überprüfung gleichwohl bestand. Die Beklagte hatte mithin im Fall der Kläger dieses Verfahrens weit über drei Jahre Gelegenheit, die Frage eines eventuellen Widerrufs zu prüfen. Entweder hat sie in der Vergangenheit diese Prüfung schon durchgeführt und war seinerzeit zu dem Schluss gekommen, dass Widerrufsgründe nicht vorliegen. Oder aber sie war bis zur Einleitung des hier streitigen Widerrufsverfahrens dieser Pflicht rechtswidrig nicht nachgekommen .In beiden Fällen greift nun zum Schutz der Kläger § 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG mit der Umwandlung der zwingende Pflichtentscheidung in eine Ermessensentscheidung ein.

25

Letztendlich - wenn man meint, der vorstehenden Auslegung des § 73 AsylVfG nicht folgen zu können - ergäbe sich das selbe Ergebnis auf Grund der Erwägungen des VG Frankfurt in seinem Urteil vom 31.10.2005 - 9 E 2509/05.A - (zitn. n. Juris). Dort heißt es u.a.:

26

"Hingegen bezieht sich § 73 Abs. 2 a AsylVfG nicht ausdrücklich auf die Fälle, in denen - wie hier - die in der Vorschrift erwähnte Prüfung nicht stattgefunden hat, weil eine solche Prüfung nach alter Rechtslage nicht ausdrücklich vorgesehen war. Eine Regelung für diese Fälle trifft das AsylVfG auch nicht an anderer Stelle. Insofern liegt nach Auffassung der Kammer eine planwidrige Regelungslücke vor; denn der Gesetzgeber hat andererseits durch § 77 Abs. 1 AsylVfG klar und ohne jede Einschränkung zum Ausdruck gebracht, dass § 73 Abs. 2 a AsylVfG in dieser Fassung anzuwenden ist. Diese Regelungslücke kann nach Auffassung der Kammer nur im Weg einer analogen Anwendung des § 73 Abs. 2 a AsylVfG in diesen Fällen geschlossen werden. Dafür spricht nicht nur die Überlegung, dass es als evident sach- und gleichheitswidrig erschiene, in allen Fällen, in denen die Prüfung nach Abs. 2 a nach Maßgabe der alten Rechtslage nicht stattgefunden hat, die vom Gesetzgeber eingeräumte Möglichkeit einer Ermessensentscheidung über einen etwaigen Widerruf um weitere 3 Jahre bis zu der dann nach Abs. 2 a erforderlich werdenden Prüfung durch das Bundesamt aufzuschieben (befürwortend offenbar BayVGH, Urteile vom 10. Mai 2005 - 23 B 05.30217 - und vom 30. Mai 2005 - 23 B 05.30189 ), obwohl im Einzelfall weit mehr als 3 Jahre nach dem Eintritt der Bestandskraft der zu widerrufenden Bescheide vergangen sein können und im Fall des Klägers auch vergangen sind. Vielmehr entspricht in diesen Fällen allein eine entsprechende Anwendung des § 73 Abs. 2 a AsylVfG den mit der Einfügung dieser Regelung verfolgten Intentionen des Gesetzgebers (so auch VG Köln a. a. O.). Rechtsfolge einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift ist, dass nach Ablauf von drei Jahren nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ausgangsentscheidung auch unabhängig von der Durchführung der in Abs. 2 a vorgesehenen Prüfung ein Widerruf nur noch im Weg einer Ermessensentscheidung möglich ist. Dies ergibt sich im Einzelnen aus folgenden Erwägungen: Der Gesetzgeber wollte mit seiner Neuregelung und der Einführung einer obligatorischen Prüfpflicht nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit einer asylrechtlichen Entscheidung den Vorschriften über den Widerruf, die in der Praxis weitgehend leergelaufen seien, mehr Bedeutung verleihen (so die Begründung der Bundesregierung, BT-Drucksache 15/420 vom 07. Februar 2003, S. 112). Daneben trägt die in § 73 Abs. 2 a AsylVfG aufgenommene 3-Jahres-Frist jedoch auch dem Umstand Rechnung, dass Asylberechtigten und anderen Personen, die die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen, nach Ablauf von drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis erteilt wird, sofern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nicht mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung entfallen sind ( § 26 Abs. 3 AufenthG ). Auch diese Regelung wurde durch das Zuwanderungsgesetz eingeführt und trat zum 01. Januar 2005 in Kraft. Den von diesen Bestimmungen betroffenen Personen sollte mit der gesetzlichen Gesamtregelung eine Perspektive für eine dauerhafte Lebensplanung in Deutschland eröffnet werden (so die Begründung der Bundesregierung, a. a. O., S. 80). Die 3-Jahres-Frist des § 73 Abs. 2 a AsylVfG verfolgt mithin auch den Zweck, zu einer Verfestigung der aufenthaltsrechtlichen Stellung der betroffenen Asylberechtigten schon nach Ablauf von drei Jahren beizutragen, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Widerruf der asylrechtlichen Entscheidung bis zu diesem Zeitpunkt nicht vorliegen. § 26 Abs. 3 AufenthG knüpft diese Perspektive der Betroffenen jedoch nicht an die Prüfpflicht des Bundesamts und ihre Erfüllung, sondern verleiht den betroffenen Asylberechtigten ganz unabhängig davon sogar einen Anspruch auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis, der notfalls auch im Klageweg durchgesetzt werden kann. Dieser durch § 26 Abs. 3 AufenthG seit dem 01. Januar 2005 begründeten Rechtsstellung der Asylberechtigten wäre in Altfällen nicht hinreichend Rechnung getragen, wollte man § 73 Abs. 2 a AsylVfG für diese Fälle nur dahin verstehen, dass die Vorschrift lediglich die Prüfpflicht des Bundesamts statuierte mit der Folge, dass Entscheidungen über einen Widerruf erst nach Ablauf von weiteren drei Jahren seit dem 1. Januar 2005 im Ermessen des Bundesamts stehen könnten, in allen Widerrufsverfahren, die vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen wurden oder werden, ein Widerruf hingegen wie schon nach alter Rechtslage generell nur als gebundene Entscheidung ergehen könnte. Im Hinblick auf die mit dem Zuwanderungsgesetz verfolgten Ziele erscheint vielmehr allein eine entsprechende Anwendung der Vorschrift dahingehend sachgerecht, dass auch im Fall von asylrechtlichen Entscheidungen, die bereits zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des § 73 Abs. 2 a AsylVfG seit drei Jahren oder länger unanfechtbar waren, ein Widerruf unabhängig von einer vorgängigen Prüfung durch das Bundesamt lediglich im Ermessensweg erfolgen kann (so ausdrücklich auch VG Köln, a. a. O.). Dafür spricht auch, dass die Regelung in § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG unverändert erhalten geblieben ist. Danach ist unverzüglich nach Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ein Widerruf der Asylberechtigung oder der Feststellung eines Abschiebungsverbots vorzunehmen. Es bestand also schon für die Altfälle ein Gebot der möglichst raschen Entscheidung zum Status von Asylberechtigten. Zwar begründete dieses Gebot keine subjektiven Rechte der Betroffenen, sondern statuierte nur eine objektive Rechtspflicht der Behörde. Die Einfügung des Abs. 2 a in § 73 AsylVfG verleiht nun dieser immer schon bestehenden Verpflichtung des Bundesamts auch eine subjektivrechtliche Komponente, indem schon nach Ablauf von drei Jahren ein Widerruf lediglich unter Beachtung der Regelung zur Betätigung pflichtgemäßen Ermessens ermöglicht wird. Damit wird ein ansonsten berechtigter Widerruf zugunsten des durch einen längeren Aufenthalt in Deutschland gekennzeichneten Asylberechtigten zusätzlich erschwert; denn unter dieser zeitlichen Voraussetzung muss das Bundesamt bei seiner Entscheidung trotz Wegfalls der Voraussetzungen für den Fortbestand der Asylberechtigung auch die für einen weiteren Aufenthalt des Asylberechtigten in Deutschland sprechenden Belange in die Entscheidung einbeziehen, selbst wenn sie nicht das Niveau der Unzumutbarkeit im Sinne des § 73 Abs. 1 S. 3 AsylVfG erreichen. Würde man § 73 Abs. 2 a AsylVfG auf Fälle wie denjenigen des Klägers nicht anwenden, würde dies zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung im Vergleich mit denjenigen führen, die ihre Asylanerkennung erst nach dem 1. Januar 2005 erhalten. Bei ihnen würde schon ein dreijähriger Bestand der Asylanerkennung zur relativen Verfestigung ihres Aufenthaltsstatus führen, auch wenn die Voraussetzungen für den Fortbestand der Asylanerkennung als solche nicht mehr vorliegen sollten. Demgegenüber müssten Asylberechtigte, die wie der Kläger für einen weit längeren Zeitraum als drei Jahre unangefochten - und trotz des Unverzüglichkeitsgebots in § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG - den Status eines Asylberechtigten innehatten, nochmals weitere drei Jahre warten, bis sie den Schutz der Ermessensregelung des § 73 Abs. 2 a S. 3 AsylVfG erlangen könnten. Ein hinreichender sachlicher Grund für eine derartige Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich, insbesondere nicht im Hinblick auf das unverändert gebliebene Unverzüglichkeitsgebot des § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG."

27

Von der Ausübung des Ermessens kann auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden. Zwar liegen bei den Kläger wie oben bereits ausgeführt, durchaus Widerrufsgründe vor. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich - auch die Beklagte hat dafür nichts vorgetragen - dass im Fall der Kläger deshalb von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen wäre.

28

Das Gericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht durch eigene Erwägungen ersetzen, § 114 VwGO. Um der Beklagten Gelegenheit zu geben, die ausstehende Ermessensentscheidung nachzuholen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben. Rein vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass die Beklagte bei einem entsprechenden Abwägungsergebnis erneut den Widerruf aussprechen kann.

29

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.