Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 23.11.2006, Az.: 6 A 7543/05

Abschiebung; Abschiebung; Abschiebungshindernis; Abschiebungsschutz; Anerkennung; Asyl; Asylantrag; Asylberechtigung; Asylwiderruf; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltstitel; auflösende Bedingung; Aufschiebende Wirkung; Ausreise; befristeter Aufenthaltstitel; Befristung; Erlöschen; Ermessen; Flüchtling; Irak; Klageerhebung; politische Verfolgung; Rücknahme; Suspensiveffekt; Unwirksamkeit; Verlängerung; Widerruf

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.11.2006
Aktenzeichen
6 A 7543/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53351
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Widerruf des Aufenthaltstitels setzt in den Fällen des § 73 Abs. 1 AsylVfG voraus, dass der Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bestandskräftig geworden ist.

2. Die Verwaltungsvorschrift in Nr. 52.1.4.0 Satz 1 Nds. Vorl. VV-AufenthG (Fassung 2005), wonach schon vor Ergehen einer Entscheidung über die Anfechtungsklage gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes die Rücknahme des Aufenthaltstitels "mit einer entsprechenden auflösenden Bedingung" verfügt werden kann, geht von einem unzutreffenden Verständnis der aufschiebenden Wirkung einer Klage aus.

Tatbestand:

1

Die Kläger wenden sich gegen den Widerruf der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse.

2

Der am ......19.. in Arbil geborene Kläger zu 1) ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Die am ......199. und am ......199. ebenfalls in Arbil geborenen Klägerinnen zu 2) und 3) sind seine Töchter. Die Klägerinnen zu 2) und 3) reisten zusammen mit ihrer Mutter, der Ehefrau des Klägers zu 1), im ....... 199. in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) lehnte mit Bescheid vom 19.03.1997 den Asylantrag zwar ab, gewährte ihnen aber Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, weil ihnen wegen der Asylantragstellung im Ausland im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland Irak politische Verfolgung drohe. Die Klage auf Gewährung von Asyl wies das VG Oldenburg mit Urteil vom 06.01. 1999 (3 A 1507/97) ab. Der Kläger zu 1) reiste ebenfalls im ....... 199. zusammen mit seinem am .....198. geborenen Sohn H. B. D. in das Bundesgebiet ein. Seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter lehnte das Bundesamt zwar mit Bescheid vom 21.04.1997 ab, gewährte ihm aber zugleich Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, weil er illegal aus seinem Heimatland Irak ausgereist sei und in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt habe. Die auf Gewährung von Asyl gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Hannover mit Urteil vom 25.05.1998 (6 A 2747/97) ab.

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Den Klägern wurden nach der bestandskräftigen Gewährung von Abschiebungsschutz Aufenthaltsbefugnisse erteilt. Am 17.12.2002 verlängerte die Beklagte die dem Kläger zu 1) erteilte Aufenthaltsbefugnis bis zum 16.12.2004, die den Klägerinnen zu 2) und 3) erteilten Aufenthaltsbefugnisse wurden am 08.05.2003 jeweils bis zum 07.05.2005 verlängert.

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Während der Gültigkeitsdauer dieser Aufenthaltsbefugnisse widerrief das Bundesamt nach Anhörung mit Bescheid vom 23.11.2004 den mit Bescheiden vom 21.04.1997 (Kläger zu 1.) und vom 19.03.1997 (Klägerinnen zu 2. und 3.) gewährten Abschiebungsschutz und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vorliegen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung dieses Bescheides Bezug genommen. Die Kläger haben gegen den Bescheid am 02.12.2004 beim Verwaltungsgericht Hannover Klage erhoben (6 A 6968/06), über die noch nicht entschieden worden ist.

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Die Beklagte verlängerte auf den Antrag des Klägers zu 1) vom 06.12.2004 die ihm erteilte Aufenthaltsbefugnis bis zum 05.05.2005 und hielt dazu in einem Vermerk fest, dass der Kläger zu 1) einen Anspruch auf Verlängerung habe, weil der Widerrufsbescheid des Bundesamtes noch nicht rechtskräftig sei. Auf den Antrag des Klägers zu 1) vom 26.04. 2005 verlängerte die Beklagte die Aufenthaltserlaubnis bis zum 25.04.2007. Die Klägerinnen zu 2) und 3) hatten am 26.04.2005 ebenfalls die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse beantragt, diese wurden daraufhin von der Beklagten ebenfalls bis zum 25.04.2007 verlängert.

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Nach Anhörung widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 31.10.2005 - zugestellt am 03.11.2005 - die den Klägern erteilten Aufenthaltserlaubnisse mit Wirkung für die Zukunft und forderte sie zur Ausreise aus dem Bundesgebiet innerhalb der gesetzten Frist von einem Monat auf. Für den Fall der Nichtbeachtung der Ausreisefrist, die im Fall der fristgerechten Klageerhebung einen Monat nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Verfügung betrage, wurde ihnen die Abschiebung in den Irak angedroht. Die Beklagte versah den Bescheid mit der Nebenbestimmung, dass der Bescheid als aufgehoben gelte, wenn der Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, rechtskräftig zurückgenommen werde. Den Antrag der Ehefrau bzw. Mutter der Kläger vom 26.04.2005 auf Verlängerung ihrer bis zum 07.05.2005 gültigen Aufenthaltserlaubnis lehnte die Beklagte zugleich ab. Dazu heißt es im Wesentlichen, die Rechtsstellung der Kläger als Flüchtlinge sei mit der Bekanntgabe des Widerrufsbescheides des Bundesamtes unwirksam geworden. Dass sie dagegen Klage erhoben hätten, sei unerheblich. Nach Nr. 52.1.4.0 der vorläufigen Nds. Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 31.03. 2005 könne der Aufenthaltstitel unter einer entsprechenden auflösenden Bedingung bereits vor Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Bundesamtes über den Widerruf des Abschiebungsschutzes erfolgen. Der alsbaldige Widerruf unter einer auflösenden Bedingung sei geboten, um eine weitere Verfestigung des Aufenthalts und einen ansonsten möglichen Familiennachzug zu verhindern. Wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage werde den Klägern der Reiseausweis belassen, auch sei die Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit weiterhin zulässig. Das öffentlichen Interesse am Widerruf der Aufenthaltserlaubnis überwiege das private Interesse der Kläger an dessen Bestand. Sie hielten sich zwar seit nahezu neun Jahren im Bundesgebiet auf. Den Lebensunterhalt hätten sie aber seit ihrer Einreise durchgängig aus öffentlichen Mitteln bestritten. Nachweise über eine zwischenzeitliche Erwerbstätigkeit seien nicht vorgelegt worden. Auch Integrationsleistungen, wie z.B. Tätigkeiten im öffentlichen Interesse, seien nicht nachgewiesen worden. Dass der Kläger zu 1) den Sprachkurs „Deutsch als Fremdsprache - Basiswissen Deutsch“ absolviert habe, stelle keine besondere Integrationsleistung dar. Die Kläger seien zudem noch in einem Alter, in dem ihnen die Wiedereingliederung in die Verhältnisse ihres Heimatlandes Irak zugemutet werden könne.

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Die Kläger haben am 09.11.2005 Klage erhoben. Das Verfahren der Ehefrau bzw. Mutter der Kläger wird nach Abtrennung (Beschluss vom 16.03.2006) unter dem Az.: 6 A 2112/ 06 geführt.

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Die Kläger tragen vor: Die Beklagte sei nicht berechtigt, die ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse zu widerrufen, weil sie den Widerrufsbescheid des Bundesamts fristgerecht mit der Klage angefochten hätten. Angesichts der aufschiebenden Wirkung dieser Klage sei ihre Anerkennung als Flüchtlinge weder erloschen noch unwirksam geworden. Der Kläger zu 1) sei auch ab April 2006 erwerbstätig, sein Nettoeinkommen belaufe sich mittlerweile auf insgesamt .... Euro im Monat. Auch die Ehefrau bzw. Mutter der Kläger sei erwerbstätig. Die letzte Lohnabrechnung der Firma I. Gebäudeservice (August 2006) weise einen Auszahlungsbetrag von ..... Euro aus.

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Die Kläger beantragen,

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den Bescheid der Beklagten vom 31.10.2005 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und führt ergänzend aus, die Flüchtlingsanerkennung sei bereits mit der Bekanntgabe des Widerrufsbescheides des Bundesamtes vom 23.11.2004 unwirksam geworden, so dass auch die Aufenthaltserlaubnisse jedenfalls unter einer auflösenden Bedingung widerrufen werden könnten. Der Lebensunterhalt der Kläger sei auch unter Berücksichtigung des mittlerweile erzielten Erwerbseinkommens noch immer nicht gesichert. Von dem Gesamteinkommen von .... Euro (netto) sei ein Betrag von insgesamt ..... Euro (Kläger zu 1. .... Euro/Ehefrau bzw. Mutter ... Euro) wegen Erwerbstätigkeit abzusetzen, so dass dem Gesamtbedarf von .... Euro lediglich ein berücksichtigungsfähiges Einkommen von .... Euro gegenüberstehe.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten (4 Bände) verwiesen, der in seinen wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Der Bescheid der Beklagten vom 31.10.2005 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten.

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Der Bescheid ist nicht durch § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG - der allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage - gedeckt. Danach kann der Aufenthaltstitel des Ausländers widerrufen werden, wenn seine Anerkennung als Asylberechtigter oder seine Rechtsstellung als Flüchtling erlischt oder unwirksam wird. Die mit Bescheiden des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) vom 21.04.1997 und vom 19.03.1997 ausgesprochene Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG, die den Klägern die Rechtsstellung von Flüchtlingen verleiht (§ 3 AsylVfG), ist weder erloschen noch unwirksam geworden.

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Die Beklagte behauptet nicht, dass ein Erlöschenstatbestands des § 72 AsylVfG erfüllt ist. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Die Rechtsstellung der Kläger als Flüchtlinge kann derzeit auch nicht als unwirksam angesehen werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat zwar mit Bescheid vom 23.11.2004 den mit Bescheiden vom 21.04.1997 und vom 19.03.1997 gewährten Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG widerrufen und zugleich festgestellt, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) nicht vorliegen. Dies berechtigt die Beklagte aber derzeit nicht, die Flüchtlingsanerkennung der Kläger als unwirksam anzusehen. Die Kläger haben gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamts vom 23.11. 2004 fristgerecht am 02.12.2004 Klage (6 A 6968/04) erhoben, der gemäß § 75 AsylVfG ausdrücklich aufschiebende Wirkung zukommt. Die Kammer hat im Urteil vom 08.03.2006 (6 A 8615/05, ebenso Gerichtsbescheide vom 26.07.2006, 6 A 9054/05 und vom 03.04. 2006, 6 A 8104/05 und 6 A 7731/ 05) ausgeführt, dass die aufschiebende Wirkung dieser Klage die Ausländerbehörde hindert, erteilte Aufenthaltstitel zu widerrufen. Dazu heißt es im Urteil vom 08.03.2006:

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„Die Beklagte kann sich nicht auf § 84 AufenthG berufen. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet unberührt. § 84 AufenthG regelt die Wirkungen von Widerspruch und Klage abweichend von § 80 VwGO für Widersprüche und Klagen gegen Entscheidungen nach dem AufenthG. Die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge beruht jedoch nicht auf einer Norm des AufenthG, sondern auf § 73 AsylVfG und fällt somit nicht unter den Anwendungsbereich des § 84 AufenthG. Im Übrigen ist ein Widerruf der Asylanerkennung kein Verwaltungsakt, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet.

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Eine dem § 84 AufenthG entsprechende Norm fehlt im AsylVfG ebenso wie eine Norm, die § 84 AufenthG für anwendbar erklärt.

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Aus den Regelungen des AsylVfG ergibt sich vielmehr das Gegenteil. § 73 Abs. 2a AsylVfG regelt nur, dass bis zur Bestandskraft des Widerrufs nach § 73 AsylVfG für Einbürgerungsverfahren die Verbindlichkeit der Entscheidung über den Asylantrag entfällt. Aus dem Umkehrschluss folgt, dass es für alle übrigen Fälle bei der vollen aufschiebenden Wirkung der Klage gem. § 75 AsylVfG bleibt, und somit die Ausländerbehörde weiterhin gem. § 4 AsylVfG an die wirksamen, für die Kläger positiven Entscheidungen gebunden ist. Dies steht auch im Einklang mit §§ 73 Abs. 6, 72 Abs. 2 AsylVfG, wonach der Ausländer seinen Anerkennungsbescheid und seinen Reiseausweis erst unverzüglich nach der Unanfechtbarkeit der asylrechtlichen Widerrufsentscheidung abzugeben hat.

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Eine andere Alternative des § 52 AufenthG, auf die sich der Widerruf des Niederlassungserlaubnis stützen lassen könnte, ist nicht erkennbar.

23

Da bereits der Tatbestand des § 52 AufenthG nicht erfüllt ist, ist die Beklagte an der Ausübung des ihr in dieser Norm eingeräumten Ermessen gehindert, so dass es auf die angestellten Ermessenerwägungen nicht ankommt. Das Gleiche gilt hinsichtlich der dem Widerruf beigefügten Nebenbestimmung, die im Übrigen auch nicht geeignet ist, das Fehlen der Tatbestandsvorrausetzungen zu ersetzen.“

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Dass die Ausländerbehörde wegen der mit der Klage verbundenen aufschiebenden Wirkung während der Dauer des Widerrufsverfahrens den aufenthaltsrechtlichen Status nicht antasten darf, ist im Übrigen auch bereits in der obergerichtlichen Rechtssprechung ausgesprochen worden (VGH Mannheim, Beschluss vom 08.02.2006, ZAR 2006, 112; Urteil vom 13.03.2001, InfAuslR 2001, 490; ebenso VG Stuttgart, Urt. v. 17.05.2006 - 3 K 4253/05 - zit. nach juris). Der VGH Mannheim hat in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass es angesichts der in § 43 Abs. 1 Nr. 4 AuslG (jetzt: § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) enthaltenen Ermessensermächtigung grundsätzlich nicht zulässig ist, den Aufenthaltstitel vor Bestandskraft des Widerrufsbescheides des Bundesamts zu widerrufen, weil sich die maßgeblichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bestandskraft des Widerrufsbescheides in aller Regel nicht zuverlässig abschätzen lassen (ebenso VG Oldenburg, Beschl. vom 22.08.2006, 11 A 2107/05, zit. nach juris). Dies gilt insbesondere für die besonderen Integrationsleistungen, die auch nach Auffassung der Beklagten einem Widerruf des Aufenthaltstitels entgegenstehen können und die in der Gestalt der ab April 2006 erfolgten Arbeitsaufnahme durch den Kläger zu 1) auch vorliegen.

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Die Beklagte geht bei ihrer davon abweichenden, insbesondere auf Nr. 52.1.4.0 der Vorläufigen Niedersächsischen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - jetzt in der Fassung von 30. November 2005 - gestützten Rechtsauffassung von einem zu engen Verständnis der in § 80 Abs. 1 VwGO geregelten und in § 75 AsylVfG für Klagen gegen Widerrufsbescheide des Bundesamtes ausdrücklich bestätigten aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs aus. Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs verbietet nicht nur die zwangsweise Durchsetzung des angefochtenen Verwaltungsaktes, sondern hindert die Behörde weitergehend, tatsächliche oder rechtliche Folgerungen aus dem Verwaltungsakt zu ziehen und dadurch seinen Regelungsgehalt zu verwirklichen (BVerwG, Urt. v. 06.07.1973, Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 23; Nds. OVG, Beschl. v. 09.11.2006, 10 ME 189/06; OVG Bremen, Beschl. v. 17.11.1992, NVwZ-RR 1993, 216 [OVG Bremen 17.11.1992 - 1 B 100/92]; Kopp/ Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 80 Rn. 23; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rn. 641 und 644). Das Nds. OVG hat dazu im Beschluss vom 09.11.2006 (10 ME 189/06) ausgeführt:

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„Vom Begriff der Vollziehung ist der der Vollstreckung abzugrenzen. Bei der Verwirklichung des Verwaltungsakts durch behördliche Maßnahmen nimmt die zwangsweise Vollstreckung in Anwendung des Verwaltungsvollstreckungsrechts eine Sonderstellung ein. Jedoch sind unter Vollziehung nicht nur Maßnahmen im vollstreckungsrechtlichen Sinne zu verstehen. Dies folgt bereits aus § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auch für rechtsgestaltende und feststellende Verwaltungsakte, die einer Vollstreckung im Sinne einer besonderen behördlichen Durchsetzungshandlung nicht zugänglich sind, anordnet. Auch bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung ist das Gebrauchmachen und Ausnutzen einer Begünstigung durch einen Privaten als Vollziehung im Sinne des § 80 VwGO zu qualifizieren. Hieraus ist zu schließen, dass jede sonstige rechtliche oder tatsächliche Folgerung unmittelbarer oder mittelbarer Art, die durch behördliches oder privates Handeln aus dem Verwaltungsakt gezogen wird und auf eine Verwirklichung des Regelungsinhalts gerichtet ist, als Vollziehung des Verwaltungsakts im Sinne von § 80 VwGO anzusehen ist (vgl. Puttler in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung - 2. Auflage, 2006 -, § 80 Rdnr. 36 - 38).“

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Auch das BVerwG hat bereits in seinem Urteil vom 06.07.1973 (Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 23) ausgeführt, dass die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs die Behörde vornehmlich daran hindert, vorerst, nämlich für die Dauer der aufschiebenden Wirkung, rechtliche oder tatsächliche Folgerungen aus dem Verwaltungsakt zu ziehen. Die Behörde ist danach verpflichtet, während des durch die Anfechtung des Verwaltungsaktes herbeigeführten Schwebezustandes alle Maßnahmen zu unterlassen, die seiner Vollziehung dienen, sofern diese Maßnahmen den Bestand oder die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes voraussetzen. Dementsprechend ist das BVerwG in seinem Urteil vom 22.11. 2005 (BVerwGE 124, 326, 331) erkennbar davon ausgegangen, dass die Ausländerbehörde erst dann nicht mehr an die Entscheidung des Bundesamtes über das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 AufenthG gebunden ist, wenn diese Entscheidung unanfechtbar oder vollziehbar widerrufen worden ist.

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Die Beklagte hat mit ihrem Widerrufsbescheid vom 31.10.2005 den noch nicht bestandskräftigen und auch nicht für sofort vollziehbar erklärten Bescheid des Bundesamtes vom 23.11.2004 entgegen § 80 Abs. 1 VwGO und § 75 AsylVfG vollzogen. Sie hat sich ausdrücklich darauf berufen, dass die Kläger aufgrund des Bescheides des Bundesamtes vom 23.11.2004 keinen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) mehr genießen und deshalb unter Anwendung des § 52 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG den Widerruf der den Klägern erteilten Aufenthaltserlaubnisse ausgesprochen. Da sie den Bescheid vom 31.10.2005 nicht mit einer aufschiebenden, sondern mit einer auflösenden Bedingung versehen hat, ist dieser auch bereits mit seinem Erlass wirksam geworden (vgl. dazu auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 36 Rn. 19).

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Der Bescheid der Beklagten vom 31.10.2005 leidet außerdem an einem durchgreifenden Ermessensfehler. Die Beklagte hat das den Klägern zuzubilligende Vertrauen in den Bestand der erteilten Aufenthaltserlaubnisse nicht hinreichend berücksichtigt. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist insbesondere anerkannt, dass Ausweisungsgründe einem Ausländer aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht mehr entgegen gehalten werden dürfen, wenn die Ausländerbehörde dem Betroffenen in voller Kenntnis vom Vorliegen eines Ausweisungsgrundes den weiteren Aufenthalt im Wege der vorbehaltlosen Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ermöglicht (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.03. 2005, BVerwGE 123, 114, 122; Nds. OVG, Beschl. v. 12.04.2005, 8 LA 319/04; OVG Münster, Beschl. v. 21.06.2006, 18 B 732/06; OVG Berlin, Beschl. v. 13.07.2004, 8 N 150/03, zit. nach juris). Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall übertragbar. Die Beklagte hat die Aufenthaltserlaubnisse der Kläger in Kenntnis des noch nicht bestandskräftigen Widerrufsbescheides des Bundesamtes vom 23.11.2004 verlängert und dadurch den Anschein erweckt, die Kläger könnten bis zum Abschluss des Verfahrens gegen den Widerrufsbescheid des Bundesamtes auf den Bestand der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnisse vertrauen. Dies wird besonders deutlich beim Kläger zu 1). Zum Zeitpunkt seines Verlängerungsantrages vom 06.12.2004 lag der Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 23.11.2004 der Beklagten bereits vor (Bl. 106 BA D). Der Bescheid war der Beklagten am 25.11.2004 zugegangen. Die Beklagte hat dennoch in Kenntnis dieses Bescheides die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu 1) am 06.12.2004 bis zum 05.05.2005 und dann am 26.04.2005 bis zum 25.04.2007 verlängert. Dazu heißt es im Vermerk vom 06. 12.2004 ausdrücklich, der Widerruf sei noch nicht rechtskräftig. Auch die Aufenthaltserlaubnisse der Klägerinnen zu 2) und 3) hat die Beklagte am 26.04.2005 und damit nach Eingang und in Kenntnis des in die jeweiligen Akten eingehefteten Widerrufsbescheides des Bundesamtes vom 23.11.2004 verlängert. Die Ermessenserwägungen im Bescheid vom 31.10.2005 lassen nicht erkennen, dass die Beklagte das den Klägern zuzubilligende Vertrauen in den Bestand der am 26.04.2005 verlängerten Aufenthaltserlaubnisse erwogen hat. Dies begründet unabhängig von der bereits dargelegten rechtlichen Unzulässigkeit des Widerrufs der Aufenthaltserlaubnisse einen weiteren Rechtsfehler, der zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 31.10.2005 führen muss.

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Ist danach der Widerruf der Aufenthaltserlaubnisse aufzuheben, entfällt die Ausreisepflicht nach § 50 AufenthG. Demzufolge ist auch die Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG rechtswidrig und somit aufzuheben.