Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.11.2006, Az.: 18 B 7877/06
Besuch eines Konzerts trotz Krankschreibung; Nicht-Erfassen von Arbeitszeitunterbrechungen als Dienstvergehen; Voraussetzungen einer rechtmäßigen Dienstenthebung und einer daraus folgenden Einbehaltung von Dienstbezügen; Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; Möglichkeit der Wiederaufnahme bzw. Fortführung eines in der Vergangenheit eingestellten Verfahrens; Zuständigkeit für die Entscheidung über die Wiederaufnahme eines Disziplinarverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 23.11.2006
- Aktenzeichen
- 18 B 7877/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 30772
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2006:1123.18B7877.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 2 DiszG, NI
- § 35 Abs. 1 DiszG, NI
- § 38 Abs. 1 DiszG, NI
- § 27 Abs. 2 DO, NI
- § 63 Abs. 1 Nr. 1 DO, NI
- § 63 Abs. 3 DO, NI
Verfahrensgegenstand
Disziplinarrecht (Vorl. Dienstenthebung und Einbehaltung von Dienstbezügen)
In der Disziplinarsache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover -18. Kammer -
am 23. November 2006
durch
den Einzelrichter
beschlossen:
Tenor:
Die durch Verfügung der Antragsgegnerin vom 12.10.2006 erfolgte vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers und die Einbehaltung von 25 v.H. der Dienstbezüge des Antragstellers wird ausgesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.971,70 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO, § 43 Abs. 3 Satz 4 NDiszG zur Entscheidung übertragen hat.
Der zulässige Antrag des Antragstellers, die von der Antragsgegnerin mit Verfügung vom 12.10.2006 verfügte Dienstenthebung und Einbehaltung von Dienstbezügen auszusetzen, ist begründet.
Rechtsgrundlage für die von der Antragsgegnerin verfügte vorläufige Dienstenthebung und die teilweise Einbehaltung der Bezüge ist -wovon zu Recht auch die Antragsgegnerin ausgeht -§ 38 NDiszG. Zwar soll der Beamte die vorgeworfene Dienstpflichtverletzung noch unter Geltung der NDO begangen haben. Das der Dienstenthebung zu Grunde liegende Disziplinarverfahren wurde jedoch erst vom Bürgermeister der Antragsgegnerin mit Verfügung vom 09.01.2006 eingeleitet. Zu diesem Zeitpunkt war das NDiszG bereits in Kraft.
Nach § 38 Abs. 1 NDiszG können die hier streitigen Maßnahmen nur dann getroffen werden, wenn entweder im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird oder durch ein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.
Keine dieser beiden Voraussetzungen liegt im hier streitigen Fall vor. Weder ist mit der Entfernung des Beamten aus dem Dienst, noch ist -wenn überhaupt -mit einer Disziplinarmaßnahme zu rechnen, die eine vorläufige Dienstenthebung gerechtfertigt erscheinen lässt.
Voraussichtlich wird gegen den Antragsteller überhaupt keine Disziplinarmaßnahme mehr zu verhängen sein.
Denn zum Einen konnte der Bürgermeister der Antragsgegnerin als Dienstvorgesetzter des Antragstellers im Januar 2006 das Verfahren nicht auf Grund eigener Entscheidung fortführen bzw. wiederaufnehmen.
Die Antragsgegnerin hatte schon einmal im September 2005 wegen der selben Vorwürfe, die jetzt auch Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind, ein förmliches Disziplinarverfahren nach § 34 ff. NDO gegen den Antragsteller eingeleitet. Der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin -höherer Dienstvorgesetzter des Antragstellers, § 80 Abs. 5 NGO hatte jedoch in seiner Sitzung vom 27.12.2005 ausweislich des in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin befindlichen Auszugs des Sitzungsprotokolls beschlossen: "Das mit Datum vom 11.10.2005 gegen den Beamten Städt. Baudirektor Peter Huber eingeleitete förmliche Disziplinarverfahren wird gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 NDO eingestellt." Hintergrund dieser Entscheidung war ein dem Bürgermeister unterlaufener Verfahrensfehler.
Mit der Einstellung des Verfahrens hätte nach den §§ 63 Abs. 3 i.V.m. § 27 Abs. 2 NDO wegen des selben Sachverhalts zwar der höhere Dienstvorgesetzte -der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin -oder die oberste Dienstbehörde -hier der Rat der Antragsgegnerin -, nicht jedoch der Bürgermeister, gleichwohl erneut die Einleitung eines förmlichen Disziplinarverfahrens verfügen können, zumindest innerhalb einer 3-Monats- Frist, bei erheblichen neuen Tatsachen oder Beweismittel auch noch später. Dies geschah jedoch nicht. Der Rat der Antragsgegnerin war mit der Angelegenheit überhaupt nicht befasst und der Verwaltungsausschuss hat ausweislich des Protokolls nur den Einstellungsbeschluss gefasst. Zwar sollte nach der vom Bürgermeister gegebenen Begründung die Einstellung die Durchführung eines neuen Disziplinarverfahrens ermöglichen.
Die Begründung eines Antrages wird jedoch nicht mitbeschlossen und fand letztendlich keinen Eingang in dem verabschiedeten Beschluss. Da eine Fortführung des Verfahrens erst unter Geltung des NDiszG vom Bürgermeister geplant war, konnte zu diesem Zeitpunkt -es galt noch die NDO -der Verwaltungsausschuss dieses auch noch nicht beschließen.
Zwar wurden die Bestimmungen hinsichtlich der Fortführung eines Disziplinarverfahrens im NDiszG neugefasst. Aber auch nach § 35 Abs. 1 NDiszG hatte der Bürgermeister der Antragsgegnerin für die Fortführung des Disziplinarverfahrens gegen den Antragsteller keine Kompetenz. Denn eine Entscheidung obliegt nunmehr der höheren oder obersten Disziplinarbehörde -nach § 5 Abs. 2 NDiszG ist dies der Verwaltungsausschuss bzw. die Aufsichtsbehörde (hier die Region Hannover). Keiner dieser beiden Stellen hat jedoch das Disziplinarverfahren fortgeführt. Ausweislich der Verfügung vom 09.01.2006 nahm viel mehr stattdessen der Bürgermeister der Antragsgegnerin das Disziplinarverfahren wieder auf.
Nach alledem kann hier offen bleiben, ob für die Fortführung des Verfahrens gegen den Antragsteller noch die Bestimmungen der NDO anzuwenden sind oder die Regelungen des NDiszG. Denn nach beiden Regelungen hat bis heute nicht die zuständige Stelle über die Fortführung entschieden und sie kann es wegen Ablaufs der 3-Monats-Frist auch nicht mehr. Einer Fortführung bzw. Wiederaufnahme des Verfahrens durch den Bürgermeister steht die Sperrwirkung des am 27.12.2006 eingestellten Disziplinarverfahrens entgegen.
Darüber hinaus werden in der Sache durch die gegenüber dem Beamten erhobenen Vorwürfe nicht die Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 NDiszG erfüllt.
In dem Konzertbesuch am 01.07.2005 des Antragstellers dürfte schon kein wie auch immer geartetes Dienstvergehen gesehen werden können. Dass der Antragsteller für diesem Tag tatsächlich zu Recht krank geschrieben und deshalb keinen Dienst leisten musste, wird von der Antragsgegnerin nicht in Abrede gestellt. Ausweislich der vom Antragsteller vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen war der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt auch nicht bettlägerig, andere medizinische Gründe sprachen ebenfalls nicht gegen einen Konzertbesuch, vielmehr war dieser möglicherweise sogar geeignet, die Gesundung des Antragstellers mit zu unterstützen. Die im Schriftsatz vom 08.11.2006 der Antragsgegnerin vertretene Ansicht, es obliege der Entscheidung des Dienstherrn, ob ein Beamter während einer Arbeitsunfähigkeit derartige Veranstaltungen besuchen dürfe oder nicht, dürfte im Gesetz wohl keine Stütze finden.
Das Nicht-Erfassen von Arbeitszeitunterbrechungen in der elektronischen Arbeitszeiterfassung könnte demgegenüber allerdings wohl durchaus als ein Dienstvergehen aufgefasst werden. Aber der Vorwurf ist nicht so schwerwiegend, dass dadurch die Anforderungen des § 38 Abs. 1 NDiszG erfüllt werden. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Antragsteller diese Vorwürfe einräumt, eine Wiederholungsgefahr wohl nicht besteht und hinsichtlich der Zeiten vor 2005 ein mögliches Fehlverhalten überhaupt erst durch die offenen Angaben des Antragstellers selbst aufgedeckt wurde.
Da nach alledem keine vorläufige Dienstenthebung in Betracht kommt, konnte auch nicht rechtmäßigerweise nach § 38 Abs. 2 NDiszG die Einbehaltung eines Teiles der Bezüge angeordnet werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 69 NDisZG, § 154 Abs. 1 VwGO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.971,70 EUR festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 52 Abs. 3, 53 GKG n.F. Ausgehend vom 13fachen Satz des Endgrundgehaltes des Antragstellers (A 15 BBesO) legt das Gericht für das vorliegende Verfahren davon 1/4 als Streitwert zu Grunde.