Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 07.06.2011, Az.: L 15 AS 568/09
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 07.06.2011
- Aktenzeichen
- L 15 AS 568/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 23667
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0607.L15AS568.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 05.03.2009 - AZ: S 55 AS 1056/08
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 5. März 2009 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2008 dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 17. Oktober 2006 zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte der Klägerin nachträglich Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 17. Oktober 2006 zu gewähren hat.
Die 1960 geborene Klägerin bezog bis zum 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe. Nach ihren Angaben wandte sie sich am 14. Dezember 2004 zwecks Beantragung von Leistungen nach dem SGB II an die Agentur für Arbeit K. und erhielt dort die Auskunft, dass "das Arbeitsamt" nicht zuständig sei und sie sich an das Sozialamt wenden möge. Die Klägerin sprach daraufhin am selben Tag persönlich unter Vorlage der Antragsvordrucke für Leistungen nach dem SGB II bei der Samtgemeinde L. vor und füllte auf dortige Veranlassung ein Formular "Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe" aus, welches als Blatt 1 und 2 zur beigezogenen Sozialhilfeakte der Samtgemeinde L. gelangt ist. Mit Datum vom 27. Dezember 2004 erteilte die Samtgemeinde L. einen mit der Überschrift "Ablehnung Ihres Antrages auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt" versehenen Bescheid, in dem der Klägerin Folgendes mitgeteilt wurde:
"Nach Einstellung der Ihnen bisher gewährten Arbeitslosenhilfe mit Ablauf des 31. Dezember 2004 haben Sie bei uns die anschließende Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 27 ff. des Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB XII) beantragt. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II besteht nicht, da Sie nach eigenen Angaben wegen einer psychischen Erkrankung bereits über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt sind.
Ihr Antrag auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt ist jedoch abzulehnen, da Sie Ihren Lebensunterhalt durch eine Verwertung von Vermögen sicherstellen können."
In der Begründung des Bescheides führte die Samtgemeinde L. aus, dass die Klägerin gemäß § 19 Abs. 1 SGB XII keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt habe, da sie über Vermögen verfüge, welches sie vorrangig zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes einzusetzen habe. Mit Schreiben vom 7. Januar 2005 (Betreff: "Sozialhilfeantrag M. ") legte der mit Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2010 auf Antrag der Klägerin beigeladene Rechtsanwalt für die Klägerin Widerspruch ein, der im Laufe des Widerspruchsverfahrens dahingehend begründet wurde, dass entgegen der in dem Ausgangsbescheid vertretenen Auffassung Hilfebedürftigkeit bestehe. Mit weiterem Schreiben vom 2. Februar 2005 stellte der Beigeladene für die Klägerin vorsorglich einen Antrag auf "Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz" und wies darauf hin, dass die Klägerin bei dem Rentenversicherungsträger einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt habe. Die Samtgemeinde L. teilte dem Beigeladenen daraufhin mit, dass der Anspruch auf Grundsicherung bei Erwerbsminderung, der nunmehr im Viertel Kapitel des SGB XII geregelt sei, derzeit nicht geprüft werden könne, da zunächst das Rentenverfahren abzuwarten sei (Schreiben vom 3. Februar 2005). Mit Schreiben vom 19. Okto-ber 2005 informierte der für die Bearbeitung des Widerspruchs zuständige Landkreis N. den Beigeladenen darüber, dass dem Widerspruch nicht abgeholfen werden könne, da die Klägerin bei Antragstellung über verwertbares Vermögen in Form einer Rentenversicherung verfügt habe. Für den Fall, dass die Klägerin dieses Vermögen zwischenzeitlich zur Deckung ihres Lebensunterhaltes verwertet haben sollte, müsse sie beim Jobcenter K. einen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2005 wies der Landkreis N. den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, nach § 2 Abs. 1 SGB XII erhalte Sozialhilfe nicht, wer vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens sich selber helfen könne oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen erhalte. "Vorrangige Ansprüche" der Klägerin könnten sich daher aus dem Einsatz ihres Vermögens und durch den Bezug anderer Sozialleistungen, z. B. Arbeitslosengeld II, ergeben. Die Rentenversicherung der Klägerin, deren Rückkaufswert am 1. Dezember 2004 4.874,00 EUR betragen habe, sei nach § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB XII zur Deckung des Lebensunterhaltes als verwertbares Vermögen einzusetzen gewesen. Weiterhin wäre zunächst abzuklären, ob die Klägerin auch noch "aktuell erwerbsunfähig" sei. Dies hätte mit einer Antragstellung beim Jobcenter N., K., geprüft werden können. Ein Antrag auf Arbeitslosengeld II sei dort nicht gestellt worden. Mit Schreiben vom 19. Oktober 2005 sei bereits daraufhin gewiesen worden, dass die Klägerin einen Antrag auf Arbeitslosengeld II beim Jobcenter zu stellen habe, "sofern sie mittellos und arbeitsfähig" sei. Bei diesem Sachverhalt könnten gegenüber der Samtgemeinde L. nur nachrangige Ansprüche bestehen. Gegen den Bescheid vom 27. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2005 hat die Klägerin Klage nicht erhoben.
Am 18. Oktober 2006 stellte die Klägerin bei dem Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, worauf dieser ihr mit Bescheid vom 31. Oktober 2006 Leistungen für den Bewilligungszeitraum vom 18. Oktober 2006 bis 30. April 2007 bewilligte. Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin wurde in der Folgezeit durch ein ärztliches Gutachten festgestellt.
Mit Schreiben vom 25. September 2007, eingegangen am 26. September 2007, wandten sich die Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Beklagten mit dem Antrag, der Klägerin rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 17. Oktober 2006 Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Sie machten geltend, dass die Klägerin dem zuständigen Sachbearbeiter der Samtgemeinde L. einen vollständig ausgefüllten Antrag auf Leistungen nach dem SGB II vorgelegt habe, dieser aber nur die ersten Seiten zur Aufnahme der Personaldaten entgegen genommen und der Klägerin stattdessen ein Formular zur Beantragung von Sozialhilfe ausgehändigt habe. Der Sachbearbeiter habe die Klägerin nicht darüber aufgeklärt, dass die Samtgemeinde L. nicht für die Bearbeitung von Anträgen auf Leistungen nach dem SGB II zuständig sei, sondern dass dies Aufgabe des Beklagten sei. Auch sei die Klägerin nicht über die Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II und SGB XII aufgeklärt worden, insbesondere darüber, dass eine längere Arbeitsunfähigkeit nicht mit Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen sei. Erst aufgrund eines Hinweises des Landrates habe sie am 18. Oktober 2006 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt. Im Hinblick auf den Beratungsfehler der Samtgemeinde L. bestehe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, sodass Leistungen nach dem SGB II rückwirkend zu gewähren seien. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2008 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er im Widerspruchsbescheid aus, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende würden nach § 37 SGB II nicht für Zeiträume vor der Antragstellung erbracht. Spätestens am 19. Oktober 2005 habe die Klägerin von dem Sozialamt des Landkreises N. als zuständigem Träger der Leistungen nach dem SGB XII im Rahmen eines dort anhängigen Widerspruchsverfahrens den schriftlichen Hinweis auf die bestehende Möglichkeit der Beantragung von weitergehenden Leistungen nach dem SGB II erhalten. Eine entsprechende Antragstellung sei gleichwohl erst am 18. Oktober 2006 erfolgt. Ein Beratungsfehler der Samtgemeinde L. sei nicht ersichtlich.
Die am 8. April 2008 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hannover mit Urteil vom 5. März 2009 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stünden Leistungen für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 17. Oktober 2006 nicht zu, da es an einer entsprechenden Antragstellung mangele. Die Klägerin habe zwar im Dezember 2004 bei der Samtgemeinde L. einen Leistungsantrag gestellt, dieser sei jedoch bestandskräftig abgelehnt worden. Aus der beigezogenen Akte der Samtgemeinde L. ergebe sich unzweifelhaft, dass die seinerzeit anwaltlich vertretene Klägerin im Laufe des dortigen Antragsverfahrens wiederholt auf Ansprüche nach dem SGB II hingewiesen worden sei. Aus der Begründung des Ausgangs- bzw. des Widerspruchsbescheides hätte sich für einen verständigen Leser aufdrängen müssen, dass die Bescheide nicht rechtmäßig sein könnten und einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden müssten. Es sei nicht zwischen Erwerbsunfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit unterschieden worden. Im Übrigen heiße es in dem Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2005, dass ein Antrag auf Zahlung von Arbeitslosengeld bislang nicht gestellt worden sei. Auch aus dieser Formulierung hätte sich für einen Rechtskundigen aufdrängen müssen, einen entsprechenden Antrag auf diese Leistungen vorsorglich zu stellen. Bei dieser Sachlage seien die Voraussetzungen für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht erfüllt. Ein Beratungsverschulden liege eher bei dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin.
Gegen das ihr am 6. April 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 4. Mai 2009 Berufung eingelegt. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass es entgegen der Auffassung des SG nicht an einem Antrag nach dem SGB II mangele. Sie habe am 14. Dezember 2004 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei der Samtgemeinde L. abgegeben. Über diesen Antrag sei in dem Bescheid vom 27. Dezember 2004 auch tatsächlich entschieden worden. Ein rechtzeitig gestellter Leistungsantrag liege damit vor. Im Übrigen habe die Samtgemeinde L. auch entgegen der in dem angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung ihre Beratungspflichten verletzt. Dem Ablehnungsbescheid vom 27. Dezember 2004 sei gerade kein Hinweis darauf zu entnehmen gewesen, dass zusätzlich zu dem bereits gestellten Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII noch ein Antrag nach dem SGB II zu stellen sei. Vielmehr habe der Bescheid so verstanden werden müssen, dass Ansprüche nach dem SGB II bereits geprüft und abschlägig beschieden worden seien. In dem Schreiben des Landkreises N. vom 19. Oktober 2005 sei die Antragstellung nach dem SGB II unzutreffend davon abhängig gemacht worden, dass sie - die Klägerin - die im SGB II geschützte Rentenversicherung zunächst verwerten müsse. Auch die Hinweise in dem Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2005 seien nicht zutreffend. Es sei nicht korrekt, dass lediglich im Rahmen der Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II hätte geprüft werden können, ob Erwerbsfähigkeit vorliege. Auch der Hinweis, dass der Antrag auf Arbeitslosengeld II beim Jobcenter zu stellen sei, sofern sie mittellos und arbeitsfähig sei, gebe die Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II nicht zutreffend wieder. Anlass, vorsorglich einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zu stellen, hätte nur bestanden, wenn sie "ohne Nennung von Bedingungen" hierzu aufgefordert worden wäre.
Die Klägerin und der Beigeladene beantragen,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 5. März 2009 aufzuheben, 2. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2008 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 17. Oktober 2006 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Selbst wenn in dem bei der Samtgemeinde L. am 14. Dezember 2004 gestellten Sozialhilfeantrag gleichzeitig auch ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zu erblicken sei, könne eine Fortwirkung des Antrags über den 31.12.2005 hinaus nicht angenommen werden. Denn spätestens in dem Widerspruchsbescheid des Landkreises N. vom 27. Dezember 2005 sei die Klägerin auf die Notwendigkeit eines Antrags beim Jobcenter hingewiesen worden. Diesen Widerspruchsbescheid habe die Klägerin bestandskräftig werden lassen.
Der Beigeladene ist mit der Klägerin der Auffassung, dass ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegeben sei.
Der Senat hat neben der Verwaltungsakte des Beklagten die Leistungsakte der Agentur für Arbeit K. sowie die Sozialhilfeakte der Samtgemeinde L. beigezogen. Auf Anfrage des Senats hat die Agentur für Arbeit K. eine die Klägerin betreffende "Kundenhistorie" sowie drei Beratungsvermerke aus dem Jahr 2003 übersandt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den streitbefangenen Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis 17. Oktober 2006 zu Unrecht abgelehnt. Das Urteil des SG Hannover vom 5. März 2009, mit dem die Rechtmäßigkeit der Bescheide bestätigt worden ist, ist daher aufzuheben.
Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II (in der hier maßgebenden Fassung des § 7 durch das Kommunale Optionsgesetz vom 30. Juli 2004, BGBl. I S. 2014) erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die
1. das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben.
Diese Anspruchsvoraussetzungen lagen bei der Klägerin in dem streitbefangenen Zeitraum vor. Sie war insbesondere erwerbsfähig i. S. des § 8 SGB II (vgl. Hinweis auf ein eingeholtes ärztliches Gutachten in dem Aktenvermerk des Beklagten Bl. 73 VA). Ebenso war ihre Hilfebedürftigkeit gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 i. V. m. §§ 9, 11, 12 SGB II gegeben. Zum Zeitpunkt ihres Antrags bei der Samtgemeinde L. vom 14. Dezember 2004 verfügte die Klägerin ausweislich der Sozialhilfeakte über ein Sparguthaben in Höhe von 1.332,78 EUR und eine private Rentenversicherung mit einem Rückkaufswert von 4.874 EUR (Bl. 3/4). Damit war ihr Freibetrag nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 u. 4 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I 2954) in Höhe von 9.550,00 EUR (200 EUR je vollendetem Lebensjahr und Freibetrag in Höhe von 750 EUR für notwendige Anschaffungen) nicht überschritten. Im Übrigen verfügte die Klägerin über ein Hausgrundstück mit Ackerland, welches nach der aufgrund des Leistungsantrags vom 18. Oktober 2006 erfolgten Prüfung des Beklagten der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II nicht entgegen stand. Demgemäß hat der Beklagte der Klägerin ab dem 18. Oktober 2006 ohne Weiteres Leistungen nach dem SGB II gewährt. Der Senat sieht die Hilfebedürftigkeit der Klägerin vor diesem Hintergrund als unstreitig an, zumal der Beklagte dem diesbezüglichen erstinstanzlichen Vorbringen der Klägerin (Schriftsatz vom 24. November 2008) auch im Berufungsverfahren nicht entgegen getreten ist.
Die Klägerin hat auch gemäß § 37 Abs. 1 SGB II einen wirksamen Leistungsantrag gestellt. Nach dieser Vorschrift werden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf Antrag erbracht, nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II aber nicht für Zeiten vor Antragstellung. Es spricht bereits vieles dafür, dass die Klägerin am 14. Dezember 2004 einen wirksamen Antrag bei der Arbeitsagentur K. gestellt hat. Nach der mit Wirkung zum 01.08.2006 aufgehobenen Übergangsvorschrift des § 65a Abs. 1 Nr. 2 SGB II war die Arbeitsagentur seinerzeit für die Bescheidung des Leistungsantrags der Klägerin als bisheriger Bezieherin von Arbeitslosenhilfe zuständig. Wenn die Klägerin - was dem Senat plausibel erscheint - am 14. Dezember 2004 die Arbeitsagentur K. aufgesucht und ausgefüllte Antragsvordrucke für Leistungen nach dem SGB II vorgelegt hat, dürfte darin eine wirksame Antragstellung zu erblicken sein. Denn eine Auslegung des Verhaltens bzw. der Erklärung der Klägerin musste ergeben, dass sie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II begehre. Eine Verweisung der Klägerin an den Sozialhilfeträger dürfte in diesem Fall nicht zulässig gewesen sein, selbst wenn die Klägerin gesundheitliche Leistungseinschränkungen oder gar eine vollständige Erwerbsminderung geltend gemacht haben sollte. Denn die Frage der Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen ist im Falle eines beim Grundsicherungsträger gestellten Antrags von diesem zu klären (vgl. § 44 a SGB II).
Selbst wenn eine Antragstellung bei der zuständigen Agentur für Arbeit im Hinblick auf die fehlende Dokumentation (vgl. von der Agentur für Arbeit K. übersandte Unterlagen) nicht als nachgewiesen erachtet werden könnte, ist jedenfalls der ebenfalls am 14. Dezember 2004 bei der Samtgemeinde L. gestellte Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII zugleich als Leistungsantrag nach dem SGB II anzusehen. Nach § 16 Abs. 2 SGB I sind u. a. Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Ist die Sozialleistung von einem Antrag abhängig, so gilt dieser als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der genannten Stellen eingegangen ist.
Die Auslegung eines Antrags auf Gewährung von Sozialleistungen folgt dem Grundsatz der Meistbegünstigung. Sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, ist davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigte die Leistungen begehrt, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 16/09 R -, Rn. 18 m. w. N.). Da die Klägerin geltend machte, ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten zu können, kamen für sie unterhaltssichernde Leistungen sowohl nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII ernsthaft in Betracht. Der für die Sozialhilfe zuständige Senat des BSG hat für eine derartige Situation bereits entscheiden (Urteil vom 26.08.2008 - B 8/9b SO 18/07 R), dass im Zweifel davon auszugehen ist, dass ein Antrag auf Leistungen nach dem einen Gesetz wegen der gleichen Ausgangslage (Bedürftigkeit und Bedarf) auch als Antrag nach dem anderen Gesetz zu werten ist (so auch Schoch in LPK-SGB II, § 37 Rn. 8; Link in Eicher/Spellbrink, SGB II § 37 Rn. 33 b). Das BSG hat in diesem Zusammenhang maßgeblich auf Sinn und Zweck des § 16 SGB I abgestellt, wonach der Antragsteller mit seinem Begehren auf Sozialleistungen gerade nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb der gegliederten Sozialverwaltung scheitern soll. Dies gelte in besonderer Weise für das Verhältnis von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII. Dieser Auffassung schließt sich der Senat für das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende an. Damit hat die Klägerin am 14. Dezember 2004 bei der Samtgemeinde L. zugleich auch einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt, der vom Sozialhilfeträger spätestens im Widerspruchsverfahren, als eine mögliche Anspruchsberechtigung der Klägerin nach dem SGB II deutlich wurde, gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 SGB II an den Beklagten weiterzuleiten gewesen wäre. Für eine ausdrückliche Beschränkung des bei der Samtgemeinde L. gestellten Antrags auf unterhaltssichernde Leistungen auf solche nach dem SGB XII ist nichts ersichtlich, zumal für eine derartige Beschränkung aus Sicht der Klägerin auch überhaupt kein Anlass bestand.
Aufgrund des Antrags der Klägerin vom 14. Dezember 2004 sind Leistungen nach dem SGB II für den gesamten streitbefangenen Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 17. Oktober 2006 zu gewähren. Für eine Beschränkung des Anspruchs auf die Zeit bis zum 31. Dezember 2005 entsprechend den Vorstellungen des Beklagten ist eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. Zwar ist dem Beklagten darin beizupflichten, dass die Klägerin bzw. der seinerzeit mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragte Beigeladene die jetzt entstandene Situation ohne weiteres hätten vermeiden können, wenn sie entsprechend den Hinweisen des Sozialhilfeträgers im damaligen Widerspruchsverfahren einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt hätten. Aufgrund dieses nachgeholten Antrags wären bereits aufgrund von § 28 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren (SGB X) rückwirkend Leistungen zu gewähren gewesen, ohne dass es darauf angekommen wäre, ob der am 14. Dezember 2004 beim Sozialhilfeträger gestellte Leistungsantrag ohnehin auch Leistungen nach dem SGB II umfasste. Da dieses aber nach den obigen Ausführungen der Fall war und damit - wie noch auszuführen sein wird - ein unverbrauchter, d. h. noch nicht beschiedener Leistungsantrag nach dem SGB II vom 14. Dezember 2004 vorlag, war die Klägerin rechtlich nicht verpflichtet, Ende 2005 nochmals einen derartigen Antrag zu stellen.
Zwar werden Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich für einen Zeitraum von sechs Monaten erbracht (§ 41 Abs. 1 S. 4 SGB II) und nach Ablauf des Bewilligungszeitraums ist eine Folgeantrag zu stellen (vgl. hierzu BSG-Urt. vom 18.01.2011 - B 4 AS 99/10 R). Hieraus folgt jedoch - wie das BSG ebenfalls bereits entschieden hat (Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 56/08 R - Rn. 19) - nicht zwingend, dass jeweils nach Ablauf des Sechs-Monats-Zeitraums ein neuer Antrag zu stellen wäre bzw. vorherige rechtliche Tatbestände (wie etwa eine Antragstellung) untergehen. Ebenso haben die Senate des BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass bei einer Leistungsablehnung der streitige Zeitraum sich über den gesamten möglichen Bewilligungszeitraum bis zum Abschluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG erstreckt, ohne dass insofern eine Bindung an den Sechs-Monats-Zeitraum des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II eintritt (stRspr. seit BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 3, jeweils Rn. 19; zuletzt etwa Urteil des BSG vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 54/08 R - Rn. 11).
Der vorliegende Antrag auf Leistungen nach dem SGB II vom 14. Dezember 2004 ist auch nicht bereits vom Sozialhilfeträger (als unzuständigem Leistungsträger) bestandskräftig abgelehnt worden. Dies lässt sich insbesondere nicht schließen aus der Formulierung in der Einleitung des Bescheides der Samtgemeinde L. vom 27. Dezember 2004, ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II bestehe nicht, da die Klägerin nach eigenen Angaben wegen einer psychischen Erkrankung bereits über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt sei. Denn der Ablehnungsbescheid vom 27. Dezember 2004 ist mit der Überschrift "Ablehnung Ihres Antrags auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt" überschrieben worden und auch nur dieser, den Leistungsanspruch nach dem SGB XII betreffende Antrag ist ausdrücklich abgelehnt worden. Dementsprechend bezieht sich die Begründung auch ausschließlich auf Leistungsansprüche nach dem SGB XII. Soweit in diesem Bescheid auch die Rechtsauffassung vertreten worden sein sollte, dass ein Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht bestehe, ist die Äußerung einer derartigen Rechtsauffassung nicht mit einem Ablehnungsbescheid gleichzusetzen. Der entsprechende Satz in dem Ablehnungsbescheid findet sich im Übrigen im Kontext mit Ausführungen zum Sachverhalt (Einstellung der bisher gewährten Arbeitslosenhilfe zum 31. Dezember 2004, Antrag auf anschließende Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII) und ist daher der Sachverhaltsdarstellung, nicht dem erst nach Einfügung eines Absatzes folgenden Tenor des Bescheides (Ablehnung des Leistungsantrags nach dem SGB XII) zuzurechnen. Etwaige gleichwohl noch verbliebene Zweifel sind spätestens mit dem Schreiben des Landkreises N. vom 19. Oktober 2005 ausgeräumt worden, in dem ausdrücklich noch einmal ausgeführt worden ist, welche Leistungen beantragt und abgelehnt worden sind. Schließlich lässt die Gestalt, die der Ablehnungsbescheid durch den Widerspruchsbescheid vom 27. Dezember 2005 gefunden hat, keinen Raum für eine anders lautende Auslegung, da im Widerspruchsbescheid ausschließlich der Leistungsanspruch nach dem SGB XII verneint und im Übrigen auf die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Leistungen nach dem SGB II verwiesen wurde.
Vor diesem Hintergrund lag ein unverbrauchter, vom Sozialhilfeträger entgegen § 16 Abs. 2 S. 1 SGB I nicht weitergeleiteter Leistungsantrag nach dem SGB II vor, so dass der Beklagte in den angefochtenen Bescheiden zu Unrecht von einem fehlenden Leistungsantrag für den streitbefangenen Zeitraum ausgegangen ist.
Auf den mit der Berufung auch geltend gemachten Beratungsfehler des Sozialhilfeträgers kommt es nach alledem nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.