Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.06.2011, Az.: L 10 R 648/09
Erstattungsanspruch; Übergangsgeld; Umfang der Leistungspflicht der Rentenversicherung an den Grundsicherungsträger
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 23.06.2011
- Aktenzeichen
- L 10 R 648/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 36424
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2011:0623.L10R648.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 24.11.2009 - AZ: S 6 R 313/07
Rechtsgrundlagen
- § 102 SGB X
- § 25 SGB II
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. November 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits aus beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, in welchem Umfang die Beklagte dem Kläger Aufwendungen zu erstatten hat.
Im Jahr 2006 bezog der 1970 geborene G. (Versicherter) für sich und seine beiden 2000 bzw. 2002 geborenen Kinder von dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. In der Zeit vom 25. Juli bis 21. August 2008 gewährte die Beklagte dem Versicherten eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation. Während der Zeit der Maßnahme erbrachte der Kläger dem Versicherten und seinen Familienangehörigen die bisher gewährten Leistungen in gleicher Höhe weiter. Den Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten bezifferte er auf insgesamt 933,69 EUR, wobei er hierbei die für den Versicherten und für die beiden Kinder gewährten Regelleistungen, die insgesamt anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung sowie die für den Versicherten gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Ansatz brachte. Die Beklagte erstattete dem Kläger lediglich 609,22 EUR und ging dabei davon aus, dass ein Erstattungsanspruch nur in Höhe der auf den Versicherten entfallenden Leistungen des Klägers bestehe.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Hannover erhoben und die Verurteilung der Beklagtem zu weiteren Zahlungen in Höhe von 324,48 EUR unter Hinweis auf die gesetzliche Neuregelung in § 34 a SGB II verlangt. Durch die Neuregelung werde von dem Grundsatz der Personenidentität abgewichen, so dass Erstattungsforderungen auch im Hinblick auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft geltend gemacht werden könnten.
Nachdem der Kläger im Termin der mündlichen Verhandlung die Forderung auf 116,98 EUR beschränkt hatte, hat das Sozialgericht die Beklagte mit Urteil vom 24. November 2009 zur Zahlung eben dieses Betrages verurteilt. Zur Begründung hat es sich insbesondere auf die Vorschrift des § 34 a SGB II bezogen und ergänzend ausgeführt, dass die genannte Vorschrift am 1. August 2006 in Kraft getreten und seit diesem Zeitpunkt uneingeschränkt anwendbar sei. Für den davorliegenden Zeitraum sei die Vorschrift hingegen nicht anwendbar.
Gegen das ihr am 2. Dezember 2009 zugestellte Urteil wendet sich die am 21. Dezember 2009 bei dem Landessozialgericht eingegangene Berufung der Beklagten, die unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift die Auffassung vertritt, dass § 34 a SGB II keine eigenständige Anspruchsgrundlage darstelle und auf der Basis des § 25 SGB II ein weitergehender Erstattungsanspruch als nur in Bezug auf die dem Versicherten gewährten Leistungen nicht gegeben sei.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. November 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 24. November 2009 zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist infolge der Zulassung in dem sozialgerichtlichen Urteil statthaft. Sie ist insgesamt zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Nach Auffassung des Senats ist sie auch begründet.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen in höherem Maße als von der Beklagten im Verwaltungsverfahren bereits durchgeführt. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Klage war abzuweisen.
Das Sozialgericht ist hierbei zutreffend davon ausgegangen, dass Anspruchsgrundlage für den Kläger allein § 102 SGB X sein kann. Nach der genannten Vorschrift hat ein Leistungsträger Anspruch auf Kostenerstattung, der aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Die Vorschrift gilt im Fall des § 25 SGB II entsprechend, § 25 Satz 3 SGB II. Hierbei richtet sich gemäß § 102 Abs. 2 SGB X der Erstattungsanspruch des Klägers nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften, ist also auf denjenigen Umfang beschränkt, in dem er zu Recht Leistungen gemäß § 25 Satz 1 SGB II erbracht hat.
Nach der zuletzt genannten Vorschrift hat der Träger der Leistungen nach dem SGB II unter bestimmten Voraussetzungen "die bisherigen Leistungen" als Vorschuss auf die Leistungen der Rentenversicherung zu gewähren. Dass mit den "bisherigen Leistungen" andere Leistungen als diejenigen gemeint sein könnten, die für den Bezieher von Arbeitslosengeld II gewährt worden sind, der dem Grunde nach Anspruch auf Übergangsgeld hat, ist nicht ersichtlich. Gegen eine solche Annahme spricht im Gegenteil die in den §§ 7 ff. SGB II zum Ausdruck kommende Grundkonzeption, wonach hilfebedürftig und damit Anspruchsinhaber von Leistungen nach dem SGB II immer nur eine einzelne Person ist, auch wenn sie in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Hierzu korreliert die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II, in der die betragsmäßige Ermittlung des Hilfebedarfs aller einzelnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person festgelegt ist.
Die Verwendung der Pluralform ("bisherige Leistungen") in § 25 Satz 1 SGB II lässt nicht der Schluss zu, der Gesetzgeber habe hierbei eine Mehrzahl von Leistungen in dem Sinn von Leistungen für mehrere verschiedene Personen vor Augen gehabt. Einerseits kennt das SGB II auch für eine einzelne Person unterschiedliche Leistungsarten. Andererseits verwendet die Vorschrift des § 25 Satz 1 SGB II die Pluralform auch im Hinblick auf "die Träger der Leistungen nach diesem Buch" und im Hinblick auf "die Leistungen der Rentenversicherung". Mit der Verwendung des Plural will der Gesetzgeber die Leistungen verschiedener Träger ansprechen, also insgesamt die Leistungen der Träger allgemein. Dass damit auch Leistungen für andere Personen als denjenigen gemeint sein sollen, der dem Grunde nach einen Anspruch auf Übergangsgeld hat, lässt sich daraus nicht ableiten.
Zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führt auch nicht die Berücksichtigung von § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB VI. Schreibt § 25 Satz 1 SGB II die Erbringung von Leistungen als Vorschuss auf die Leistungen der Rentenversicherung vor, so bedeutet dies womöglich nicht zwingend, dass die Vorschussleistung nicht höher sein darf als die an sich von dem Rentenversicherungsträger geschuldete Leistung. Allerdings kann es im Hinblick auf etwa hinsichtlich der Auslegung des § 25 Satz 1 SGB II bestehende Unsicherheiten für die Ermittlung des Umfangs der von dem Leistungsträger vorschussweise zu erbringenden Leistungen sinnvoll sein, den Umfang der der Rentenversicherung nach ihren Bestimmungen obliegenden Leistungen zu berücksichtigen. Weitergehende Erkenntnisse zu Gunsten des klägerischen Anspruchs ergeben sich daraus jedoch nicht. Nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB VI ist das Übergangsgeld "in Höhe des Betrages des Arbeitslosengeldes II" zu zahlen. Dass mit dieser Formulierung ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II - wenigstens auch - einer anderen Person als des an einer Leistung der medizinischen Rehabilitation teilnehmenden Versicherten gemeint sein könnte, ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht.
Schließlich ergibt sich ein weitergehender Anspruch zu Gunsten des Klägers auch nicht aus § 34a SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden, auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung, die inzwischen durch den gleichlautenden § 34 b SGB II in der seit dem 1. April 2011 geltenden Fassung ersetzt worden ist. Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob die Vorschrift auf den im vorliegenden Fall sich allein aus §102 SGB X ergebenden Erstattungsanspruch Anwendung finden kann. Nach der Begründung des Gesetzentwurfes (Bundestagsdrucksache 16/1410, Seite 27 zu Nr. 30) sollte die Vorschrift zur Lösung eines im Zusammenhang mit der Anwendung von § 104 SGB X auftretenden Problems dienen. Die Voraussetzungen des § 104 SGB X liegen im vorliegenden Fall aber nicht vor. Insbesondere ist der Kläger nicht nachrangig zur Leistung verpflichtet gewesen i.S.v. § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Vielmehr folgt seine originäre Leistungspflicht aus § 25 Satz 1 SGB II.
Selbst soweit der Senat diese formalen Bedenken außer acht lassen und die Vorschrift des § 34a SGB II anwenden würde, würde sich daraus ein weitergehender Anspruch des Klägers nicht begründen lassen. Soll nämlich § 34 a SGB II zur Lösung einer Problematik bei der Anwendung des § 104 SGB X dienen, so richtet sich in diesem Zusammenhang der Umfang der Leistungspflicht des erstattungspflichtigen Trägers nach den für ihn geltenden Vorschriften, § 104 Abs. 3 SGB X. Daraus folgt, dass der Erstattungsanspruch der Höhe nach auf den Betrag der Leistungspflicht des erstattungspflichtigen Trägers begrenzt ist, wie sich aus den für ihn anwendbaren Vorschriften ergibt. Der Umfang der insgesamt bestehenden Leistungspflicht des erstattungspflichtigen Trägers wird durch die Anwendung des § 34 a SGB II nicht verändert. Die Vorschrift nimmt lediglich auf die Verteilung des von dem erstattungspflichtigen Träger geschuldeten Gesamtbetrages der Leistung Einfluss. Würde der Rechtsauffassung des Klägers zu folgen sein, so würde die Anwendung des § 34 a SGB II infolge § 102 Abs. 2 SGB X zu einer Veränderung des Betrages der Leistungspflicht des erstattungspflichtigen Trägers führen. Dass dies gewollt wäre, ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch aus dem Text der Gesetzesbegründung. Deshalb kann der Senat eine solche Absicht des Gesetzgebers auch nicht für die Auslegung der Vorschrift unterstellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreites.
Anlass für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG besteht im Hinblick auf die aus der Sicht des Senats eindeutige Rechtslage nicht.