Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.02.1998, Az.: V 616/95

Vergütung für die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters; Befugnis des Finanzamtes zur Aufrechnung von Steueransprüchen aus der Zeit vor Konkurseröffnung gegen ein Vorsteuerguthaben des Gemeinschuldners im Konkurs; Erlöschen eines Vorsteuererstattungsanspruchs durch wirksame Aufrechnung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
05.02.1998
Aktenzeichen
V 616/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 20190
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0205.V616.95.0A

Fundstellen

  • DStRE 1998, 813-814 (Volltext mit amtl. LS)
  • DZWIR 1999, 76-78
  • KTS 1999, 214

Verfahrensgegenstand

Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer II. Quartal 1994

Amtlicher Leitsatz

Das Finanzamt ist befugt, im Konkurs mit Steueransprüchen aus der Zeit vor Konkurseröffnung gegen ein Vorsteuerguthaben des Gemeinschuldners aufzurechnen, das sich aus der Vergütung für die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters (§ 11 VerglO) ergibt

Der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 5. Februar 1998,
an der mitgewirkt haben:
1. Vizepräsidentin des Finanzgerichts ...
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter ...
5. ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Am 29. Oktober 1993 beantragte die ... GmbH (Gemeinschuldnerin) beim Amtsgericht ... die Eröffnung des Vergleichsverfahrens über ihr Vermögen. Bis zur Entscheidung hierüber bestellte das Amtsgericht den Kläger gemäß § 11 Vergleichsordnung (VerglO) zum vorläufigen Verwalter. Unter Ablehnung des Vergleichsverfahrens wurde am 30. Dezember 1993 das Anschlußkonkursverfahren eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter bestimmt.

2

Mit Rechnung vom 19. Mai 1994 stellte der Kläger der Gemeinschuldnerin sein Honorar für seine Tätigkeit als vorläufiger Verwalter unter gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer in Rechnung. Dadurch ergab sich bei der Umsatzsteuerfestsetzung für das II. Vierteljahr 1994, ein Vorsteuerüberhang i.H.v. 6.790,00 DM. Das Umsatzsteuerguthaben hat der Beklagte gegen die am 10. August 1992 fällige und rückständige Körperschaftsteuer 1986 der Gemeinschuldnerin aufgerechnet. Der Kläger erkannte die Aufrechnung nicht an und verlangte die Auszahlung des Guthabens. Daraufhin stellte der Beklagte mit Abrechnungsbescheid vom 20. Januar 1995 fest, daß der Umsatzsteuererstattungsanspruch durch Aufrechnung erloschen ist. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.

3

Der Kläger macht geltend, die von dem Beklagten vorgenommene Aufrechnung sei gemäß § 55 Konkursordnung (KO) nicht zulässig. Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung lägen nicht vor. Nach § 105 VerglO gehöre die Vergütung des vorläufigen Verwalters zu den Massekosten des Konkursverfahrens, die dem Zeitraum nach der Konkurseröffnung zuzurechnen seien. Sie entstehe rechtlich auch erst nach Konkurseröffnung durch die Festsetzung des Konkursgerichts. Dementsprechend könne die Umsatzsteuer auf die Vergütung nur dem Zeitraum nach Konkurseröffnung zugeordnet werden. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zur Aufrechnungslage in bezug auf eine Sequestervergütung sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da anders als im Fall der Sequestervergütung in der Vergleichsordnung ausdrücklich geregelt sei, daß die Vergütung des vorläufigen Verwalters nachkonkurslichen Charakter habe.

4

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) vom 20. Januar 1995 über die Verwendung des Umsatzsteuerguthabens für das II. Quartal 1994 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 7. August 1995 aufzuheben.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Der Beklagte macht geltend, die Aufrechnung sei zulässig, da nicht auf den Rechtsgrund für den Forderungsanspruch abzustellen sei, sondern auf den Zeitpunkt, in dem dieser nach konkursrechtlichen Grundsätzen gelegt werde. Der Anspruch auf Vergütung des Vergleichsverwalters sei durch seine Leistung als vorläufiger Verwalter begründet worden. Diese Leistung sei vor Eröffnung des Konkursverfahrens erbracht worden. Ferner werde seine Vergütung von einem späteren Anschlußkohkursverfahren getrennt bemessen und festgesetzte so daß der Rechtsgrund des Vorsteueranspruchs vor Konkurseröffnung liege. Damit sei die Forderung des vorläufigen Verwalters vor Konkurseröffnung i.S.d. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 KO begründet worden.

7

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Finanzgerichtsakte verwiesen. Dem Gericht hat der Verwaltungsvorgang zum Einspruchsverfahren gegen den Abrechnungsbescheid vorgelegen.

8

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtmäßig. Der vom Kläger zugunsten der Konkursmasse geltend gemachte Vorsteuererstattungsanspruch ist durch wirksame Aufrechnung des Beklagten erloschen.

10

Mit Rechnung vom 19. Mai 1994 hat der Kläger der Gemeinschuldnerin seine Vergütung für seine Tätigkeit als vorläufiger Verwalter in der Zeit vom 29. Oktober 1993 bis 30. Dezember 1993 in Rechnung gestellt. Die der Gemeinschuldnerin für diese Leistung in Rechnung gestellte Umsatzsteuer kann sie gemäß § 15 Abs. 1 UStG als Vorsteueranspruch gelten machen. Dem vom Beklagten im Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das II. Quartal 1994 festgesetzten Umsatzsteuererstattungsanspruch i.H.v. 6.700,90 DM stand jedoch ein Anspruch auf Körperschaftsteuer 1986 des Beklagten in zumindest gleicher Höhe gegenüber, der am 10. August 1992 fällig war. Mit dieser Steuerforderung hat der Beklagte mit Aufrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs. 2 AO vom 20. Januar 1995 wirksam gemäß § 226 AO i.V.m. §§ 387, 382 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) aufgerechnet.

11

Der Aufrechnungsbefugnis des Beklagten steht § 55 Nr. 1 KO nicht entgegen. Die Aufrechnung ist zulässig, weil der Vorsteuerabzugsanspruch der Gemeinschuldnerin, gegen den die Aufrechnung erklärt wurde, bereits mit der Tätigkeit des vorläufigen Verwalters und damit vor dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung begründet wurde. Die Aufrechnungslage war nach der maßgeblichen konkursrechtlichen Betrachtungsweise daher im Zeitpunkt vor der Konkurseröffnung gegeben. Auf die Zuordnung des Vergütungsanspruchs als Masseforderung nach § 105 VerglO kommt es nicht an.

12

Nach den §§ 53, 54 KO ist ein Gläubiger des Gemeinschuldners außerhalb des Konkursverfahrens zur Aufrechnung befugt, wenn die aufzurechnenden Forderungen bereits zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens bestanden haben, wobei es nach § 54 Abs. 1 KO unschädlich ist, wenn die Forderungen oder eine von ihnen zu diesem Zeitpunkt noch bedingt waren. § 55 Nr. 1 KO schließt aber die Aufrechnung im Konkurs aus, wenn jemand vor oder nach der Eröffnung des Verfahrens eine Forderung an den Gemeinschuldner erworben hat und nach der Eröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist. Die Aufrechnung ist danach nur zulässig, wenn die zur Aufrechnung gestellte Forderung schon ihrem Kern nach vor der Konkurseröffnung entstanden ist (Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Dezember 1993 - VIII ZR 352/82, BGHZ 1989, 189, 192; BFH-Urteil vom 21. September 1993 VII R 119/91, BStBl II 1994 Seite 83 ff.). Damit wird nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, der sich der Senat anschließt, die Aufrechnung für steuerrechtliche Forderungen ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens zwar noch nicht i.S.d. § 38 AO entstanden, wohl aber im Sinne des § 3 KO begründet sind.

13

Im Konkurs des Steuerpflichtigen kommt es für die Frage, ob ein Anspruch zur Konkursmasse gehört (vgl. § 1 Abs. 1 KO), nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung im steuerrechtlichen Sinne entstanden war. Maßgeblich ist gemäß § 3 Abs. 1 KO nicht die Vollrechtsentstehung, sondern der Zeitpunkt, in dem nach konkursrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Bei der Frage des "Begründetseins" nach § 3 KO geht es um eine konkursrechtliche Vermögenszuordnung, die allein nach konkursrechtlichen Kriterien zu entscheiden ist. Daraus folgt aber nicht, daß zur Beurteilung der Frage, ob eine Steuerforderung im Zeitpunkt der Konkurseröffnung begründet ist, steuerrechtliche Gesichtspunkte über die Entstehung der Steuer überhaupt nicht berücksichtigt werden dürfen. Ob Grundlagen für eine Forderung gelegt sind, ist auch insofern aufgrund der Vorschriften über die Entstehung der Forderung zu beurteilen (ständige Rechtsprechnung, zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs vom 21. Februar 1993 VII R 119/91, a.a.O.).

14

Zur Begründung von Forderungen i.S.d. § 3 Abs. 1 KO aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) ist erforderlich, daß im Zeitpunkt der Eröffnung des Konkursverfahrens ein Tatbestand verwirklicht ist, durch den der steuerschuldrechtliche Grund für die Entstehung der Forderung gelegt ist. Dabei ist nicht der Entstehungszeitpunkt im steuerrechtlichen Sinne entscheidend, sondern der Zeitpunkt, in dem die für den Anspruch maßgebenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Nach § 3 Abs. 1 KO ist allerdings keine vollständige Tatbestandserfüllung zu verlangen. Als "begründet" i.S.d. § 3 Abs. 1 KO wird eine Forderung schon dann angesehen, wenn im Zeitpunkt der Konkurseröffnung zu ihrer "Entstehung" noch ein Ungewisses künftiges Ereignis fehlt, spätestens aber dann, wenn der Eintritt der Tatbestandsverwirklichung bei Konkurseröffnung derart gesichert ist, daß er als unausweislich anzusehen ist. Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, daß eine Steuerforderung immer dann Konkursforderung nach § 3 KO ist, wenn der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, vor Konkurseröffnung verwirklicht worden ist.

15

Nach denselben Grundsätzen bestimmt der Bundesfinanzhof auch den Zeitpunkt der konkursrechtlichen Entstehung, d.h. die Zugehörigkeit zur Konkursmasse (§ 1 Abs. 1 KO) eines steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs des Gemeinschuldners (vgl. BFH, Urteil vom 21. September 1993 VII R 119/91, a.a.O.; BFH vom 21. September 1993 VII R 68/92, BFH/NV 1994, 521 ff.; BFH, Urteil vom 4. Mai 1993 VII R 96/92, BFH/NV 1994, 287 f.).

16

Im Streitfall ist der Rechtsgrund des Vorsteuerabzugsanspruchs, gegen den das Finanzamt aufgerechnet hat, im konkursrechtlichen Sinne in der Zeit vor Konkurseröffnung gelegt worden, da bereits zu diesem Zeitpunkt die wesentlichen Grundlagen des Anspruchs geschaffen waren.

17

Für den Vorsteueranspruch wird der Rechtsgrund dadurch gelegt, daß ein anderer Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung für das Unternehmen des zum Vorsteuerabzug Berechtigten erbringt. Aus konkursrechtlicher Sicht kommt es - wie dargelegt - auf die vollständige Verwirklichung des steuerrechtlichen Tatbestandes nicht an. Konkursrechtlich ist es auch unerheblich, daß der Vorsteueranspruch umsatzsteuerrechtlich den Charakter einer unselbständigen Besteuerungsgrundlage hat und er als solcher in der Regel keinen rechtlich selbständigen Auszahlungsanspruch darstellt.

18

Für das "Begründetsein" i.S.d. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 KO ist in dem vorliegenden Rechtsstreit allein die vor Eröffnung des Konkursverfahrens erfolgte Leistung des vorläufigen Verwalters maßgeblich. Denn § 11 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 VerglO knüpft die Vergütung und den Auslagenersatz des vorläufigen Verwalters an dessen Geschäftsführung, also an dessen tatsächliches Tätigwerden an. Diese erfolgte vor der Eröffnung des Konkursverfahrens. Die Vergütung wird deshalb auch von einem späteren Anschlußkonkursverfahren getrennt bemessen und festgesetzt (§ 43 VerglO). Die Festsetzung der Vergütung durch das Gericht hat demgegenüber lediglich deklaratorische Bedeutung. Sie bestimmt nur verbindlich die Höhe des zuvor bereits erwachsenen Anspruchs (vgl. zu dem insofern vergleichbaren Fall der Vergütung des Konkursverwalters BGH, Urteil vom 5. Dezember 1991 IX 275/90, BGHZ 116, 233). Der durch die Tätigkeit dem Grunde nach begründete, aber der Höhe nach noch offene Vergütungsanspruch war nach erbrachter Leistung nicht mehr umkehrbar.

19

Demgegenüber ist für die Aufrechnung des Beklagten mit vorkonkursrechtlichen Steuerforderungen gegen den Vorsteueranspruch ohne Bedeutung, daß die Vergütung des vorläufigen Verwalters gemäß § 105 VerglO ein gegen die Masse gerichteter Anspruch ist (vgl. § 55 Nr. 1 KO). Denn die umsatzsteuerrechtliche Verknüpfung zwischen der Steuerschuld des Leistenden und dem Vorsteuerabzugsanspruch des Leistungsempfängers hat nicht zur Folge, daß auch konkursrechtlich die zu entrichtende bzw. in Rechnung gestellte Umsatzsteuer und die abzugsfähige Vorsteuer zwingend in jeder Hinsicht gleich zu behandeln, d.h. auch derselben Vermögensmasse zuzuordnen sind. Die Zuordnung des Vergütungsanspruchs zu den Massekosten führt nicht dazu, daß auch der aus dieser Verwaltungsleistung resultierende Vorsteueranspruch der Gemeinschuldnerin nur den Massegläubigern zugute kommen muß und folglich eine Aufrechnung des Finanzamts als Konkursgläubiger gegen diesen Vorsteueranspruch ausgeschlossen ist. Für eine derartige Kongruenz in der Zuordnung zu den Vermögensmassen für dem in dem Vergütungsanspruch enthaltenen Umsatzsteueranteil und dem daraus folgenden Vorsteueranspruch des Gemeinschuldners ist in den Vorschriften der KO (§§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 55 Nr. 1) kein Anhaltspunkt ersichtlich. Diese Auslegung des Senats steht auch im Einklang mit dem Zweck der Regelung des § 105 VerglO, wonach lediglich sichergestellt sein soll, daß eine von einem vorläufigen Verwalter übernommene Tätigkeit auch finanziell abgesichert ist.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Finanzgerichtsordnung (FGO).

21

Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.