Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 11.11.2016, Az.: L 7/14 SO 46/14 B
Beschränkung; fiktive Terminsgebühr; Kriterien; mündliche Verhandlung; nicht erbrachte Tätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 11.11.2016
- Aktenzeichen
- L 7/14 SO 46/14 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 43081
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 07.05.2014 - AZ: S 34 SF 16/14 E
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 3 RVG
- § 14 RVG
- § 33 Abs 4 S 2 RVG
- § 33 Abs 8 S 1 RVG
- § 56 Abs 2 RVG
- Nr 3106 Nr 2 RVG-VV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei der Bemessung einer fiktiven Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 Nr. 2 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung vor Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes (VV RVG a.F.) bleiben die mangels der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht bewertbaren Kriterien des Umfangs und der Schwierigkeit der tatsächlich nicht erbrachten anwaltlichen Tätigkeit unberücksichtigt, weshalb die Bewertung der Gebührenhöhe nach den allgemeinen Grundsätzen anhand der verbleibenden Kriterien gemäß § 14 RVG erfolgt.
2. Für die grundsätzliche Beschränkung der fiktiven Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 Nr. 2 VV RVG a.F., z.B. auf eine hälftige Mittelgebühr oder eine Mindestgebühr, sowie für eine Gebührenbemessung auf der Grundlage einer teilweise fiktiven Prüfung aller Kriterien des § 14 RVG fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Erinnerungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 7. Mai 2014 aufgehoben und die Vergütungsfestsetzung dahin geändert, dass die dem Beschwerdeführer im Rahmen der Prozesskostenhilfe für die Verfahren S 33 SO 122/11 und S 33 SO 74/12 zu gewährenden Gebühren und Auslagen auf insgesamt EUR 796,71 und die noch auszuzahlende Vergütung auf EUR 238,00 festgesetzt wird.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung in Prozesskostenhilfeverfahren.
Der Beschwerdeführer wurde mit Beschlüssen vom 16. April 2012 und vom 12. Februar 2013 in den Klageverfahren beim Sozialgericht Stade (SG) zu den dortigen Aktenzeichen S 33 SO 122/11 und S 33 SO 74/12 dem dortigen Kläger als Prozessbevollmächtigter beigeordnet. In den bereits am 27. September 2011 bzw. am 22. Juni 2012 anhängig gemachten Klageverfahren stritten die dortigen Beteiligten über die Höhe der im Rahmen von Grundsicherungsleistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu berücksichtigenden Unterkunfts- und Heizkosten für die Zeiträume Juli bis Oktober 2011 bzw. November 2010 bis Juni 20111.
Mit am 19. April 2012 und am 15. Februar 2013 eingegangenen Schreiben beantragte der Beschwerdeführer beim SG für beide Verfahren die Auszahlung von Prozesskostenhilfevorschüssen. Abgerechnet wurden dabei auf der Grundlage des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung vor Inkrafttreten des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes (VV RVG a.F.) im Verfahren S 33 SO 122/11 eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 250,00, Kopierkosten nach Nr. 7000 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 19,50, die Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 20,00 und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 53,11. Im Verfahren S 33 SO 74/12 rechnete der Beschwerdeführer eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 170,00 ab sowie die Pauschale nach Nr. 7002 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 20,00 und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 36,10.
Der Beschwerdeführer erhielt in der Folgezeit Vorschusszahlungen in Höhe von EUR 262,61 im Verfahren S 33 SO 122/11 unter Absetzung angegebener Kostenvorschusszahlungen des Mandanten in Höhe von EUR 70,00 sowie in Höhe von EUR 226,10 im Verfahren S 33 SO 74/12.
Nach einer mit Beschluss des SG vom 12. Februar 2013 erfolgten Verbindung der Verfahren S 33 SO 122/11 und S 33 SO 74/12 endete das verbundene Verfahren durch rechtskräftigen klagabweisenden Gerichtsbescheid vom 27. Februar 2014.
Mit am 27. März 2014 zum Verfahren S 33 SO 122/11 eingegangenem Schreiben beantragte der Beschwerdeführer beim SG die endgültige Festsetzung der zu erstattenden Gebühren und Auslagen. Abgerechnet wurden dabei auf der Grundlage des VV RVG a.F. EUR 915,71 unter Ansetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 250,00, einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 170,00, einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 300,00, zweier Pauschalen nach Nr. 7002 VV RVG a.F. in Höhe von jeweils EUR 20,00, Kopierkosten nach Nr. 7000 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 9,50 und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 146,21. Von der Gesamtforderung in Höhe von EUR 915,71 verbleibe nach Abzug der bereits erhaltenen Vorschusszahlung in Höhe von insgesamt EUR 488,71 sowie den vom Mandanten geleisteten Kostenvorschüssen in Höhe von EUR 70,00 noch ein Anspruch in Höhe von EUR 357,00. Die Verfahrensgebühren würden in Höhe der üblichen Mittelgebühr geltend gemacht. Die Terminsgebühr sei im Hinblick auf das hinzuverbundene Verfahren um 50% erhöht worden.
Unter dem 28. März 2014 setzte die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle beim SG die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse noch zu gewährende Vergütung auf EUR 119,00 fest. Bis auf die Terminsgebühr erfolge eine antragsgemäße Festsetzung. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei bei der gemäß Nr. 3106 Nr. 2 VV RVG a.F. ohne mündliche Verhandlung entstehenden Gebühr umfangreicher als bei der bloßen Annahme eines Anerkenntnisses, jedoch weniger umfangreich als bei einer tatsächlichen Teilnahme an einem Termin. Zu berücksichtigen sei daher lediglich eine hälftige Mittelgebühr. Eine Erhöhung für das hinzuverbundene Verfahren sei nicht gerechtfertigt.
Hiergegen hat der Beschwerdeführer eine am 1. April 2014 beim SG eingegangene Erinnerung eingelegt. Die Ansetzung einer hälftigen Mittelgebühr für die Terminsgebühr habe keine tragfähige Grundlage und sei vom Gesetzgeber so nicht gewollt. Die Erledigung ohne mündliche Verhandlung liege im Interesse aller Beteiligten und dürfe nicht geringer vergütet werden, als die Teilnahme an einem üblichen Termin. Auch insoweit seien die Kriterien des § 14 RVG maßgeblich. Der Umstand, dass zwei Verfahren verhandelt würden, bedeute in der Regel einen höheren Vorbereitungsaufwand, weshalb eine Gebührensteigerung um 50% sachgerecht und angemessen sei.
Das SG hat die Erinnerung mit Beschluss vom 7. Mai 2014 zurückgewiesen. Bei einer fiktiven Terminsgebühr stießen die Bestimmungsgrundsätze nach § 14 RVG an ihre Grenzen, weil kein zu beurteilender Termin stattgefunden habe. Mit der hälftigen Mittelgebühr werde in durchschnittlich gelagerten Sozialrechtsfällen das gebührenrechtliche Interesse des Rechtsanwalts berücksichtigt sowie auch die Tatsache, dass dieser jeglichen Terminsaufwand erspare. Unerheblich sei das Vorbringen der Erledigung von zwei Verfahren, weil die ursprünglichen Verfahren zu nur noch einem Verfahren verbunden worden seien, weshalb auch nur ein Termin zur mündlichen Verhandlung erspart worden sei.
Gegen den am 8. Mai 2014 zugestellten Beschluss richtet sich die am 16. Mai 2014 eingegangene Beschwerde des Beschwerdeführers. Auch bei der fiktiven Terminsgebühr sei von einer üblichen Mittelgebühr auszugehen. Der Umstand, dass letztlich zwei Ausgangsverfahren verhandelt worden seien, müsse durch eine moderate Erhöhung der Terminsgebühr um 50% berücksichtigt werden.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Beschwerdegegner hat keine Stellungnahme eingereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Beiakte zum Aktenzeichen S 33 SO 122/11 nebst verbundenem Verfahren S 33 SO 74/12 Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
II.
1. Der gemäß § 1 Abs. 3 iVm § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 8 Satz 1 RVG als Einzelrichter zuständige Berichterstatter hat das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG zur Entscheidung auf den Senat übertragen. Dieser entscheidet ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
2. Die aufgrund eines Beschwerdewerts von mehr als EUR 200,00 nach § 1 Abs. 3 iVm § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthafte und fristgemäße Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist teilweise in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet sowie im Übrigen unbegründet. Der Beschwerdeführer hat einen Vergütungsfestsetzungsanspruch in Höhe von insgesamt EUR 796,71 bzw. nach Abzug der bereits erhaltenen Zahlungen in Höhe von weiteren EUR 238,00. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht.
a) Anzuwenden ist auf den vorliegenden Fall das VV RVG in der bis zum 31. Juli 2013 geltenden Fassung (a.F.), weil der Beschwerdeführer vor dem Inkrafttreten des 2. Kostenrechtmodernisierungsgesetzes vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586) zum 1. August 2013 beauftragt worden ist (§ 60 Abs. 1 Satz 1 RVG).
b) Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt Rahmengebühren im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sowie ggf. eines besonderen Haftungsrisikos nach billigem Ermessen, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann und Ausgangspunkt bei der Bemessung einer Rahmengebühr grundsätzlich die so genannte Mittelgebühr ist, d.h. die Hälfte von Höchst- zzgl. Mindestgebühr als Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens (vgl. Bundesozialgericht, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R - SozR 4-1935 § 14 Nr. 2; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 24. April 2006 - L 4 B 4/05 KR SF -; Mayer in Gerold/Schmidt, Kommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 22. Aufl. 2015, § 14 Rn 18 ff.). Bei von einem Dritten zu ersetzenden Gebühren ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich und entsprechend zu korrigieren, wenn sie unbillig ist. Dies ist der Fall, wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von circa 20% zur tatsächlich objektiv angemessenen Gebührenhöhe überschreiten (vgl. Bundesozialgericht, Urteil vom 1. Juli 2009, aaO.).
aa) Diese allgemeinen Grundsätze gelten grundsätzlich auch für die Bestimmung einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 2 VV RVG a.F. Können einzelne Kriterien im konkreten Einzelfall nicht bewertet werden, weil sie aufgrund besonderer Umstände gar nicht bewertbar sind, müssen sie nach der Grundsystematik konsequenterweise unberücksichtigt bleiben. Findet eine mündliche Verhandlung nicht statt, gilt dies entsprechend notwendigerweise sowohl für den Umfang der (nicht erbrachten) Tätigkeit, wie auch für deren Schwierigkeit. Die Bewertung der Gebührenhöhe kann dann nur anhand der verbleibenden Kriterien erfolgen. Sind diese insgesamt als durchschnittlich zu bewerten, wird sich im Ergebnis regelmäßig eine angemessene Mittelgebühr ergeben (so im Ergebnis z.B. auch: Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 5. Dezember 2013 - L 6 SF 792/13 B - und Beschluss vom 1. September 2011 - L 6 SF 929/11 -; Sozialgericht Hildesheim, Beschluss vom 29. Juli 2010 - S 12 SF 26/10 E -; Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 10. September 2007 - S 48 SB 2223/05).
bb) Für die teilweise abweichend vertretene Auffassung, wonach die Terminsgebühr grundsätzlich die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Termin und den damit verbundenen Arbeitsaufwand vergüte, weshalb bei einem entfallenden Termin Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Arbeit grundsätzlich nur die Erstattung einer hälftigen Mittelgebühr (vgl. z.B. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Dezember 2015 - L 1 R 271/15 B -; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 3. Juli 2013 - L 8 R 665/12 B KO) oder sogar einer Mindestgebühr (vgl. z.B. Sozialgericht Aachen, Beschluss vom 18. Februar 2005 - S 3 SB 178/04) rechtfertigten mit etwaigen Erhöhungsmöglichkeiten je nach Bedeutung der Angelegenheit, fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Für einen solchen Ansatz ist weder im Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung eine Grundlage ersichtlich. Im Gegenteil ergeben sowohl eine systematische Betrachtung des VV RVG a.F. als auch die Auswertung der Gesetzesmaterialien überwiegende Anhaltspunkte dafür, dass der Umstand der Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung bei der Bemessung der Höhe der fiktiven Terminsgebühr nicht gebührenmindernd zu berücksichtigen ist.
Wesentlich ist insoweit zunächst, dass bei Wertgebühren gemäß Nr. 3104 VV RVG a.F. die fiktive Terminsgebühr auch bei nicht durchgeführten Terminen in Höhe von 1,2 grundsätzlich und damit ohne Einzelfallberücksichtigung in der gleichen Höhe wie bei einem durchgeführten Termin anfallen sollte. Auch eine etwaig anteilig reduzierende Wirkung des fehlenden Tätigkeitsumfangs, z.B. unter dem Gesichtspunkt ersparter und anderweitig einsetzbarer Arbeitszeit, war nicht vorgesehen. Ein sachlicher Grund, weshalb demgegenüber bei einer fiktiven Rahmengebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG a.F. eine Einzelfallprüfung mit etwaig reduzierender Wirkung hätte erforderlich werden sollen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Einführung des RVG gerade die Systematik zwischen Wertgebühren und Rahmengebühren angeglichen. Während die bis Ende Juni 2004 geltende Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) noch unterschiedliche Vergütungssysteme für Wertgebühren und Rahmengebühren beinhaltete mit z.B. bis zu vier verschiedenen Wertgebühren je nach Verfahrensgang (Prozess-, Verhandlungs-, Erörterungs- und Beweisgebühr) gegenüber einer das gesamte Verfahren abdeckenden Pauschgebühr mit einem Betragsrahmen, beinhaltete das zum 1. Juli 2004 neu in Kraft getretene RVG sowohl bei den Wertgebühren als auch bei den Rahmengebühren in einheitlicher Systematik jeweils neben der Verfahrensgebühr auch eine Terminsgebühr, die grundsätzlich für die Wahrnehmung eines gerichtlichen Termins sowie in Ausnahmefällen ohne mündliche Verhandlung als „fiktive“ Gebühr anfiel. Aus dieser Angleichung der Systematik wird deutlich, dass der Gesetzgeber bei den Wertgebühren und den Rahmengebühren eine Vereinheitlichung erreichen wollte. Hätte der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund innerhalb der angeglichenen Systematik gleichwohl für die Betragsrahmengebühr nach Nr. 3106 VV RVG a.F. im Unterschied zur Wertgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG a.F. eine Gebührendifferenzierung zwischen „echter“ und „fiktiver“ Gebühr vorsehen bzw. wenigstens ermöglichen wollen, wäre eine entsprechend klarstellende abweichende Fassung der Gebührenziffern zu erwarten und im Ergebnis erforderlich gewesen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber eine solche Differenzierung auf der Ebene der Entstehungsvoraussetzungen für eine fiktive Terminsgebühr gerade vorgenommen hatte. Diese sollte bei einem schriftlichen Vergleich gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3. Alternative VV RVG a.F. nur im Anwendungsbereich von Wertgebühren entstehen ohne gleichlautende Regelung in Nr. 3106 VV RVG a.F. (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6. Oktober 2015 - L 7/14 AS 52/14 B). Zudem hat der Gesetzgeber erst mit dem 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz ab August 2013 eine ausdrücklich pauschal beschränkende Festlegung der fiktiven Terminsgebühr auf 90% der in derselben Angelegenheit entstandenen Verfahrensgebühr normiert (vgl. Nr. 3106 Anm. Satz 2 VV RVG).
Eine gebührenmindernde Berücksichtigung der fehlenden mündlichen Verhandlung ist auch den Gesetzesmaterialien zum VV RVG a.F. nicht zu entnehmen. Vielmehr beabsichtigte der Gesetzgeber danach mit der im RVG vorgesehenen Neustrukturierung des Vergütungsrechts eine Entlastung der Gerichte durch die Abschaffung entbehrlicher Verhandlungstermine (BT-Drucksache 15/1971, Seite 209, linke Spalte, 3. Absatz) und gleichzeitig eine angemessene Erhöhung der Einnahmen der Anwaltschaft (BT-Drucksache 15/1971, Seite 3, 3. Absatz), weshalb dieser durch den Wegfall der an sich obligatorischen mündlichen Verhandlung kein gebührenrechtlicher Nachteil entstehen, sondern im Gegenteil ein Anreiz geboten werden sollte, in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des Verfahrens beizutragen (BT-Drucksache 15/1971, Seite 209, linke Spalte, 3. Absatz). Diesem Regelungsziel würde es jedoch zuwiderlaufen, wenn die beteiligten Rechtsanwälte durch den Wegfall der mündlichen Verhandlung gebührenrechtlich schlechter gestellt worden wären als sie unter Geltung der BRAGO standen. Dies wäre jedoch die Folge, wenn die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG a.F. wegen der Nichtdurchführung der mündlichen Verhandlung unterhalb der Mittelgebühr angesetzt würde. Bis zur Einführung des RVG fiel nämlich nach § 116 Abs. 1 BRAGO für das gesamte erstinstanzliche sozialgerichtliche Verfahren eine Rahmengebühr mit einem Gebührenrahmen von EUR 50,00 bis EUR 660,00 an. Für die Bearbeitung einer durchschnittlichen Sache konnte ein Rechtsanwalt also die Mittelgebühr in Höhe von EUR 355,00 abrechnen. Nach Nr. 3102 und 3103 VV RVG a.F. konnte der Rechtsanwalt in dieser Konstellation eine Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr abrechnen, bei vorheriger Vertretung im Vorverfahren in Höhe von EUR 170,00 bzw. ohne in Höhe von EUR 250,00. Bei der weiteren pauschalen Ansetzung der fiktiven Terminsgebühr nur in Höhe einer hälftigen Mittelgebühr in Höhe von EUR 100,00 ergäbe sich daraus aber nur noch eine Gesamtvergütung in Höhe von EUR 270,00 bzw. EUR 350,00. Entgegen dem aus den Gesetzesmaterialien erkennbaren Willen des Gesetzgebers wäre es also unter der Geltung des VV RVG a.F. nicht nur zu keiner „angemessenen Erhöhung der Einnahmen der Anwaltschaft“ gekommen, sondern sogar zu einer Einbuße gegenüber der früheren Abrechnung nach der BRAGO.
Eine gebührenmindernde Berücksichtigung der fehlenden mündlichen Verhandlung kann vor diesem Hintergrund auch nicht mit einer etwaigen Verletzung des Äquivalenzprinzips begründet werden, weil die Schaffung einer „fiktiven“ Gebührenziffer, also der Vergütung einer tatsächlich nicht erbrachten Leistung, gerade eine bewusste Systementscheidung des Gesetzgebers war und die konsequente Folge der Einführung der fiktiven Terminsgebühr.
cc) An einer Rechtsgrundlage fehlt es im Ergebnis auch für die teilweise vertretene Auffassung, dass für die konkrete Bemessung der fiktiven Terminsgebühr eine fiktive Prüfung der maßgeblichen Kriterien des § 14 RVG erfolgen müsse, wobei hypothetisch zu beurteilen sei, welche Schwierigkeiten und welchen Aufwand die mündliche Verhandlung mit sich gebracht hätte, wenn sie durchgeführt worden wäre (vgl. z.B. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 2. Juni 2015 - L 5 SF 92/15 B E -; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 4. März 2011 - L 15 SF 11/09 E). Auch für eine derartige hypothetische Bewertung ist weder in § 14 RVG noch im sonstigen Gesetzestext oder in der Gesetzesbegründung eine Grundlage ersichtlich.
Hinzu kommen unabsehbare praktische Schwierigkeiten bei der prognostischen und letztlich rein hypothetischen Bewertung dieser Kriterien, insbesondere auch unter Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen zur im Regelfall kaum möglichen genauen Prognostizierung von Verhandlungsdauern.
Schließlich würde auch eine hypothetische Betrachtung nicht zu einer vollständig äquivalenten Vergütung führen können, weil auch dabei nur eine tatsächlich nicht erbrachte Leistung hypothetisch bewertet und vergütet würde.
c) Unter Berücksichtigung der aufgeführten Kriterien errechnet sich für die gesamte Tätigkeit des Beschwerdeführers im Verfahren S 33 SO 122/11 sowie im Verfahren S 33 SO 74/12 vor der Verbindung ein Vergütungsfestsetzungsanspruch in Höhe von insgesamt EUR 796,71 bzw. nach Abzug der bereits erhaltenen Zahlungen in Höhe von weiteren EUR 238,00.
aa) Die vom Beschwerdeführer jeweils mit der Mittelgebühr als durchschnittlich angesetzten Verfahrensgebühren gemäß Nr. 3102 und 3103 VV RVG a.F. sind entsprechend bereits zutreffend in Höhe von EUR 250,00 bzw. EUR 170,00 festgesetzt worden. Anhaltspunkte für eine Abweichung sind nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die vom Beschwerdeführer angesetzten zweimaligen Pauschalen nach Nr. 7002 VV RVG a.F. in Höhe von jeweils EUR 20,00 zzgl. Kopierkosten nach Nr. 7000 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 9,50.
bb) Die vom Beschwerdeführer erfolgte Gebührenansetzung für die fiktive Terminsgebühr in Höhe von EUR 300,00 ist unbillig und zu korrigieren. Angemessen ist die Ansetzung einer Mittelgebühr nach Nr. 3106 VV RVG a.F..
Die ohne Umfang und Schwierigkeit der (nicht erfolgten) anwaltlichen Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung zu bewertenden Kriterien, insbesondere der "Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber", der "Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers" sowie des "Haftungsrisikos des Rechtsanwalts", führen im Ergebnis zur Annahme einer durchschnittlichen Angelegenheit. Irgendwelche Anhaltspunkte für eine überdurchschnittliche Bewertung sind insoweit weder ersichtlich noch vom Beschwerdeführer vorgetragen. Im Gegenteil entspricht die durchschnittliche Bewertung dem eigenen Ansatz des Beschwerdeführers im Rahmen der unstreitigen Verfahrensgebühren.
Für eine vom Beschwerdeführer mit der erfolgten Verfahrensverbindung begründete pauschale Gebührenerhöhung um 50% fehlt es an einer ersichtlichen Rechtsgrundlage. Aufgrund der bereits durch Beschluss des SG vom 12. Februar 2013 erfolgten Verfahrensverbindung gemäß § 113 Abs. 1 SGG entstand durch die im Februar 2014 erfolgte Verfahrensbeendigung durch Gerichtsbescheid nur noch eine (fiktive) Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 Satz 2 Nr. 2 VV RVG a.F. (vgl. zur Abrechnung der Terminsgebühr bei verbundenen Verfahren z.B. Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 1. August 2011 - L 6 SF 225/11 B). Die Konstellation einer Verfahrensverbindung wird auch im Rahmen von § 14 RVG nicht als gesondertes Bewertungskriterium und insbesondere nicht als pauschales Erhöhungskriterium angeführt. Ob und ggf. unter welchen Umständen und in welcher Höhe eine erfolgte Verfahrensverbindung im Einzelfall in einer späteren mündlichen Verhandlung zu einem gebührenerhöhend wirkenden erhöhten Tätigkeitsaufwand oder zu einer besonderen Schwierigkeit führt, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil diese Bewertungskriterien nach den erfolgten Ausführungen bei der fiktiven Terminsgebühr gerade nicht zu berücksichtigen sind.
cc) Aus den damit festzusetzenden Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt EUR 669,50 (EUR 250,00 zzgl. EUR 170,00 zzgl. EUR 200,00, zzgl. EUR 20,00 zzgl. EUR 20,00 zzgl. EUR 9,50) errechnet sich unter Berücksichtigung von 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG a.F. in Höhe von EUR 127,21 eine Gesamtvergütung in Höhe von EUR 796,71.
Von dieser Gesamtvergütung sind gemäß § 58 Abs. 2 RVG die vom Beschwerdeführer selbst angesetzten bereits erhaltenen Zahlungen in Höhe von EUR 558,71 abzusetzen, womit noch ein Anspruch in Höhe von EUR 238,00 verbleibt. Eine nach der rückwirkenden Beiordnung mögliche Rückzahlung der vom Kläger in den Verfahren S 33 SO 122/11 und S 33 SO 74/12 gezahlten Kostenvorschüssen mit der Folge einer insoweit ungekürzten Vergütungsforderung gegen die Staatskasse (vgl. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Kommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 22. Aufl. 2015, § 58 Rn 10) hat der Beschwerdeführer weder vorgetragen noch belegt.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.
4. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).